Das Landesgesetz, über das wir heute reden, regelt diese Dinge: Grundsicherungsträger analog Bundesgesetz, Delegationsmöglichkeit auf die Kommunen, Kostenträger analog Bundesgesetz, Beteiligung der Delegationsgemeinden an den Aufwendungen, ähnlich wie es bei der Sozialhilfe war, Weitergabe der Ausgleichszahlungen, Erstattungen des Landes usw. Das alles ist vernünftig vorbereitet worden. Bereits im März des vergangenen Jahres gab es entsprechende Informationsschreiben an die Kommunen. Seit Juni gibt es Informationsveranstaltungen.
Ich habe mich im Vorfeld dieser Gesetzesinkrafttretung, also im vergangen Jahr, sehr intensiv um die Möglichkeiten der Umsetzung vor Ort gekümmert. Meine Erfahrungen vor Ort sind so, dass man in den Kommunen gut
vorbereitet war, dass man nicht nur bei den Kreisen, sondern auch in den Kommunen gut vorbereitet war.
Bitte? (Frau Thelen, CDU: Klimmzüge über öffentlich-rechtliche Verträge waren notwendig, weil die Delegations- möglichkeiten fehlten!)
Man war gut vorbereitet. Der Staat ist rechtzeitig tätig gewesen, auch ohne dass das Ausführungsgesetz bereits vorhanden war.
Ich will kurz meine Erfahrungen aus der Praxis darstellen. Im Kreis Bad Kreuznach, der etwa 160.000 Einwohner, acht Verbandsgemeinden und zwei verbandsgemeindefreie Städte hat, kam es zu ganz unterschiedlichen Ansätzen. Bad Kreuznach hat zum Beispiel alle Anträge zum Kreis gegeben. Einige Verbandsgemeinden haben das Delegationsprinzip vorweg genommen und sich bereit erklärt, entsprechend zu handeln. Überall dort – das ist eine wichtige Erfahrung –, wo vor Ort beraten wurde, konnte im Vorfeld eine Reihe von Fragen geklärt werden. Dort ist auch die Zahl der Anträge sehr viel geringer; denn die zum Teil falschen Vorstellungen, die die Frau Ministerin vorhin erwähnt hat, konnten dort korrigiert werden.
Für diesen Kreis ist mit etwa 500 bewilligungsreifen Anträgen zu rechnen. Überall dort, wo gut beraten wurde, ist die Zahl der nicht bewilligungsfähigen Anträge relativ gering. Dort sind es zum Teil nur weniger als 50 %, wie es die Frau Ministerin gesagt hat.
Die Dimension, die wir insgesamt erwarten – das relativiert vieles von dem, was Sie gesagt haben, und auch vieles von dem, was die kommunalen Spitzenverbände vorher kritisiert haben –, wird etwa so sein, dass rund 1 % bis 2 % der über 65-Jährigen in den Genuss der Grundsicherungsleistungen kommen werden. Darüber hinaus wird es eine uns nicht genau genannte Zahl von Antragstellern geben, die dauerhaft erwerbsgemindert sind. Es gibt also eine ganz unterschiedliche Handhabung.
Es gibt eine große Bereitschaft in den Kommunen zur Anwendung des Delegationsprinzips. Die Rückmeldungen reichen von „Das EDV-Programm läuft prima“ bis „Wir warten auf das Landesgesetz“. Die Zahl der Anträge variiert nach dem Grad der Beratung. Stark unterschiedliche Bewilligungsquoten vor Ort werden die Folge sein.
Zum Personenkreis: Das ist ganz wichtig. Ich habe heute Morgen noch mit allen kommunalen Stellen bei uns gesprochen. Etwa 80 % der Antragsteller sind über 65 Jahre alt, etwa 20 % sind erwerbsgemindert. Es sind für mich unerwartet wenig neue Antragsteller, die bisher nicht aufgetaucht waren.
Noch ein Argument bezüglich der Rentenversicherungsträger: Viele der Angeschriebenen dachten, sie müssten
diese Anträge ausfüllen. Das zeigt, dass wir insgesamt formularungeübte Menschen angeschrieben haben.
Probleme ergeben sich in der Praxis aus der Frage der Vermögensangabe, aus der Frage des Wohneigentums und daraus, dass eine Rentenhöhe von 1.000 Euro bei zwei Personen in bestimmten Orten zu einer Bewilligung führen kann, während eine Rentenhöhe von 500 Euro in anderen Situationen wiederum nicht zu einer Bewilligung führen kann. Deshalb ist das nicht ganz so einfach.
Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergaben, dass keine dramatischen Situationen, sondern ein unterschiedlicher Stand, aber ein überwiegend geregelter Ablauf gegeben ist. Ein sachlicher Umgang vor Ort hat mich davon überzeugt, dass die großen kritischen Töne der Spitzenleute in den Kommunen nicht von der Basis übernommen worden sind.
Nach der Anfangsphase wird sich das sehr schnell normalisieren. Die befürchteten Engpässe und Personalaufwendungen werden sich sicher nicht bewahrheiten. Die Aufgeregtheiten, die in den vergangenen Monaten über das Grundsicherungsgesetz im Land geäußert wurden, halte ich für übertrieben. Es ist ein gutes Gesetz, ein Schritt in die richtige Richtung, der nicht über-, aber auch nicht unterbewertet werden sollte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Dröscher noch einmal die wesentlichen Punkte des Grundsicherungsgesetzes auf Bundesebene und die Notwendigkeit eines Landesgesetzes referiert hat, will ich noch einmal kurz den Fokus auf die Hauptsache lenken, nämlich darauf, worum es eigentlich geht.
In unserem Land leben Menschen, beispielsweise alte Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, die einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, diesen Anspruch auf Sozialhilfe aber nicht umsetzen, ohne dass es eines Grundsicherungsgesetzes bedurft hätte.
Wir wissen nicht, wie viele es sind. Das haben Dunkelziffern nun einmal so an sich. Wir wissen aber, dass es sie gibt. Ferner wissen wir, dass diese Menschen in den vergangenen 40 bis 50 Jahren nicht die Füße hochgelegt und den „Freizeitpark Deutschland“ genossen haben, sondern gearbeitet haben.
Es sind oft Frauen, die vielleicht keiner Erwerbsarbeit nachgegangen sind, aber Kinder groß gezogen, die Familie versorgt, Angehörige gepflegt und den „Fehler“
gemacht haben, nicht rentenversicherungspflichtig gearbeitet zu haben und sich deshalb keine Rentenversicherungsansprüche bzw. keine ausreichend großen Rentenversicherungsansprüche erarbeitet zu haben. Um diese Menschen geht es.
Die Frage ist gestellt und längst beantwortet worden, weshalb diese Menschen ihren Sozialhilfeanspruch nicht realisiert haben. Es gibt zwei Gründe hierfür, die unbestritten sind. Der eine Grund ist die Angst, die Scham davor, zum Sozialamt zu gehen. Das ist mit einem bestimmten Stigma verbunden, das wir alle nachvollziehen können. (Frau Thelen, CDU: Warum sagt der Altenhilfebericht genau das Gegenteil, Herr Marz?)
Der zweite Grund ist der so genannte Unterhaltsrückgriff, der bisher dafür gesorgt hat, dass, wenn diese Menschen den Gang zum Sozialamt angetreten sind, ihre Angehörigen sozusagen in Regress genommen wurden und dafür mit bezahlen mussten.
Diese beiden Gründe haben verhindert, dass diese Menschen ihre bestehenden Ansprüche realisiert haben. Genau an diesen beiden Punkten setzt die Grundsicherung an. Deshalb ist dieses Grundsicherungsgesetz goldrichtig.
In Zeiten von Wahlkämpfen verstehe ich vieles, wenn auch nicht alles. Deshalb will ich in diesem Zusammenhang nicht weiter kommentieren, was passiert ist, sondern nur referieren, weil es in die Kontinuität passt. Im Bundestagswahlkampf des Jahres 2002 sagte ein Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Götz: Nach einem Wahlsieg von CDU/CSU soll das Grundsicherungsgesetz sofort wieder eingestampft werden.
Das, was ich vorhin an konkreten Verbesserungen referiert habe, wollten Sie wieder einstampfen. Man kann zwar sagen „Wahlkampf ist Wahlkampf“, aber danach ging es weiter.
Vor einigen Wochen hat die CDU-Landtagsfraktion auf eine Änderung oder Aufhebung des Grundsicherungsgesetzes gedrängt. Sie hat nichts dazugelernt, obwohl der Wahlkampf inzwischen vorbei war. Frau Kollegin Thelen, heute haben Sie das, vielleicht etwas filigraner, aber immerhin fortgesetzt.
Meines Erachtens gibt es zwei Argumente, die Sie anführen, die besonders ärgerlich und besonders falsch sind. Das eine Argument habe ich bereits angerissen. Es bezieht sich darauf, dass Sie sagen – auch der FDPFraktionsvorsitzende des Deutschen Bundestags, Gerhardt, hat dies wort- und sinngleich wiederholt –, dass eine Neiddebatte hochgezogen wird. Es wird gesagt: Diese Menschen haben gar keinen Anspruch, da sie gar nicht gearbeitet haben. Sie haben sich gar keinen Rentenversicherungsanspruch erarbeitet. Deshalb sollen sie eine solche Leistung nicht bekommen.
Wie bereits angeführt: Diese Leute haben gearbeitet. Sie haben nur nicht rentenversicherungspflichtig gearbeitet,
meine Damen und Herren. Sie haben schon heute einen Anspruch, realisieren diesen aus bestimmten Gründen aber nicht.
Daher ist es angesichts der Bevölkerungsgruppe, mit der wir es zu tun haben und der Zeit, in der diese Gruppe jung und arbeitsfähig war, schon ein starkes Stück und nicht nachzuvollziehen, eine solche Neiddebatte gegenüber denen, die die Möglichkeit hatten, Rentenversicherungsbeiträge einzuzahlen, zu führen.
Ein ebenso starkes Stück ist nun der Versuch, die Kommunen und die finanzielle Situation der Kommunen gegen das Grundsicherungsgesetz ins Feld zu führen. Es werden einfach Behauptungen aufgestellt, die einer Überprüfung absolut nicht standhalten.
Frau Kollegin Thelen, ich weiß nicht, wie Sie zu der Behauptung kommen – ich habe mir das mitgeschrieben – zu sagen, die Belastungen durch die Grundsicherung seien insbesondere von den Kommunen zu tragen.
Wie kommen Sie darauf eigentlich angesichts der Tatsache, dass es Ausgleichszahlungen des Bundes gibt, die sich auf die Mehrbelastungen beziehen?
(Rösch, SPD: Richtig! – Frau Thelen, CDU: Wenn es nicht zusätzliche Fälle gäbe, weshalb machen Sie es denn dann?)
Herr Kollege Schnabel hat eben bei Herrn Kollegen Dröscher an dieser Stelle schon einen Zwischenruf gemacht. Deshalb wiederhole ich das jetzt gern noch einmal: Aufgrund der Tatsache, dass die Sozialhilfeansprüche heute schon bestehen, ist es natürlich richtig, diese bestehenden Ansprüche, wenn sie über das Grundsicherungsgesetz realisiert werden, eben nicht auszugleichen. Es wäre noch schöner, wenn wir das tun würden. (Glocke des Präsidenten)
Herr Kollege Marz, bezweifeln Sie, dass die Kommunen beim Grundsicherungsgesetz Geld drauflegen müssen?
Sind Sie der Meinung, dass das für die Kommunen kostenneutral ist? Sind Sie der Meinung, dass der Bund alle Kosten ersetzt, die anfallen?
Herr Kollege Billen, nein, das habe ich auch nicht gesagt. Der Bund ersetzt zwei Arten von Kosten nicht. Das sind zum einen die Kosten, die den Kommunen heute ohnehin schon entstehen würden, wenn sie die Sozialhilfe an alle Sozialhilfeberechtigten, also auch an diese alten Menschen, auszahlen müssten. Das ist der eine Punkt. Zum anderen ersetzt der Bund nicht die so genannten Sach- und Personalkosten. Dies geschieht deshalb nicht, weil es durch die Pauschalisierung im Grundsicherungsbereich erhebliche Einsparungen geben wird, wodurch die Mehrbelastungen ausgeglichen werden.