Protokoll der Sitzung vom 15.01.2003

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Landesgesetz zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (AGGSiG) Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 14/1719 – Erste Beratung

Die Fraktionen haben eine Redezeit von zehn Minuten verabredet.

(Schweitzer, SPD: Machen wir das heute noch?)

Ich erteile Frau Staatsministerin Dreyer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Wir diskutieren heute das Landesausführungsgesetz zum Grundsicherungsgesetz, das die Delegationsmöglichkeiten der Landkreise und der kreisfreien Städte sowie die Mittelverteilung regelt. Nichts ist überraschend in diesem Gesetzentwurf. Die Delegationsmöglichkeit entspricht den Ausführungsgesetzen des Bundessozialhilfegesetzes und auch der Verabredung mit den kommunalen Spitzenverbänden. Die Regelung der Mittelverteilung stellt für die Kommunen sicher, dass die Ausgleichszahlung des Bundes und die finanzielle Entlastung seitens des Landes 1 zu 1 weitergegeben wird. Ich betone es noch einmal ausdrücklich, weil es in den letzten Tagen auch immer wieder infrage gestellt worden ist

auch in der Presse –, wir geben alle Gelder des Bundes und auch unsere eigenen finanziellen Entlastungen 1 zu 1 an die Kommunen weiter, die Grundsicherungsträger sind.

Materiell ist die Grundsicherung abschließend im Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter geregelt. Für Menschen ab 65 Jahren, die ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren können und sich bislang aus Scham nicht zum Sozialamt getraut haben oder den damit verbundenen Unterhaltsrückgriff befürchteten sowie für die dauerhaft Vollerwerbsgeminderten soll durch die Grundsicherung die Hilfe der Gemeinschaft sichergestellt sein.

Die Leistungshöhe der Grundsicherung entspricht in etwa der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb der Einrichtungen. Ziel war nicht eine Erhöhung der Leistungen für diesen Personenkreis, sondern den Zugang zu erleichtern. Es ist wichtig, das auch noch einmal zu sagen; denn die Informationsschreiben, die von den Rentenversicherungsträgern auch wirklich freundlich gewollt waren, die alle Rentner und Rentnerinnen angeschrieben haben, die eine Rente unterhalb von 344 Euro beziehen, führten leider dazu, dass viele Menschen hier im Land erst einmal das Gefühl entwickelt haben, dass sie gegebenenfalls einen Anspruch auf Grundsicherung haben. Das heißt, dass die Sozialämter bzw. die Grundsicherungsämter vor Ort zurzeit auch viele enttäuschte Gesichter sehen und zurzeit einen erheblichen Beratungsaufwand abzuleisten haben.

An dieser Stelle sage ich ein herzliches Dankeschön an die Grundsicherungsträger. Ich denke, es ist wirklich sehr gut organisiert. Sie leisten diese Beratung auch hervorragend.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wenn zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt etwas zum Thema „Grundsicherung“ gesagt werden kann, was hier noch nicht gesagt worden ist, dann beziehe ich mich ganz kurz auf den Landessozialbeirat, in dem einige kommunale Vertreter ihre ersten Erfahrungen wiedergegeben haben. Die eigentlichen Anträge, die wirklich Neuanträge für die Grundsicherung sind, sind bis zum jetzigen Zeitpunkt überschaubar. Der größte Teil – ich habe es eben schon ausgeführt – bezieht sich auf Beratungen. Über zwei Drittel der gestellten Anträge sind von Menschen gestellt, die leider nicht antragsberechtigt sind. Insofern an der Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön auch an die Sozialverbände, die wirklich sehr umfassend den Kommunen in diesem Bereich Unterstützung leisten.

Vielleicht noch einmal ein Wort zu den Kosten – auch da ganz kurz –, weil es bei diesem Thema – einmal freundlich ausgedrückt – zuletzt in der Presse scheinbar so etwas Ähnliches wie ein Informationsdefizit gab. Der Bund gleicht den Ländern diejenigen Mehrausgaben aus, die den Kommunen als Träger der Grundsicherung unmittelbar aufgrund der gegenüber des Sozialhilferechts besonderen Regelungen entstehen. Ein Ausgleich für die Ausgaben wegen der Aufdeckung der verschämten Armut wird nicht vorgesehen. Es handelt sich dabei nämlich eigentlich überwiegend um Ausga

ben, die auch heute schon im Rahmen der Sozialhilfe anfielen, wenn die betroffenen Personen die ihnen zustehende Sozialhilfe in Anspruch nehmen würden.

(Schnabel, CDU: Das ist doch ein Märchen!)

Die verschämte Armut betrifft Menschen, die eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt schon einen Sozialhilfeanspruch hätten. Das ist so. Das ist eine Tatsache. Dagegen kann man überhaupt nichts sagen. Wenn wir von Mehrkosten in den Kommunen sprechen, dann können wir allenfalls von Verwaltungsmehrkosten sprechen; denn durch die Kommunen muss zurzeit der ganze Andrang und auch die zukünftige Abwicklung der Grundsicherung bewältigt werden.

Aber ich denke, an dem Punkt wissen Sie genauso wenig wie ich. Das müssen wir einfach einmal abwarten; denn theoretisch, wenn man das Ganze logisch durchdenkt, müssten sich diese Kosten irgendwann dadurch kompensieren, dass der größte Teil der Grundsicherungsberechtigten eigentlich schon zum jetzigen Zeitpunkt sozialhilfeberechtigt ist. Ich habe es schon einmal in diesem Hause gesagt, dass der Grundsicherungsbescheid ein Dauerverwaltungsakt ist, während die Sozialhilfe eine Leistung ist, die permanent neu überprüft werden muss. Das heißt, dort gibt es auch Kompensation innerhalb der Verwaltung. Man muss jetzt einfach einmal abwarten – vielleicht einmal das nächste halbe Jahr –, wie sich das Ganze entwickelt.

Die Landesregierung wird die Umsetzung der neuen Gesetze gemeinsam mit den Kommunen weiter konstruktiv begleiten. Den Mitgliedern des Sozialpolitischen Ausschusses stellen wir die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände und der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege zur Verfügung. Sie liegen schon vor. Das ist prima. Dann können Sie deren Meinung einfach entnehmen.

Ich bedanke mich herzlich, und ich denke, ansonsten ist zu diesem Gesetzentwurf nicht mehr viel zu sagen.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thelen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Grundsicherungsgesetz ist Teil der so genannten Riester’schen Rentenreform und wurde am 26. Juni 2001 im Bundestag beschlossen und letztendlich noch einmal im April 2002 geändert.

Wir brauchen zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Gesetzes zwingend landesgesetzliche Regelungen, die wir nun vorliegen haben, genau genommen seit Dezember 2002. Es ist zwingend notwendig, Zuständigkeiten,

Delegationsmöglichkeiten, Kostenträgerschaft und Kostenaufteilung zu regeln.

Ich möchte aber, bevor wir auf das Landesgesetz eingehen, doch noch einmal auf das Gesetz eingehen, das Auslöser dieses Landesgesetzes ist, weil es ohne das Grundsicherungsgesetz keine Notwendigkeit für ein Landesgesetz gäbe. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das die bessere Lösung gewesen wäre. Ich will das auch begründen.

(Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)

Bei dem Grundsicherungsgesetz und bei der Grunds icherung handelt es ich um eine Art Rentenersatzleistung, die aus allgemeinen Steuermitteln, und zwar überwiegend der Kommunen und Kreise, abgesehen von Leistungen an Bewohner von Einrichtungen, zu tragen sind und denen keine entsprechenden Beitragsleistungen gegenüberstehen.

Der für uns, für die CDU, nach wie vor wichtige Zusammenhang zwischen Lebensleistung und Rentenleistung wird damit aufgegeben. Diese von Eigenvorsorge und Eigenleistungen völlig unabhängige Grundsicherung unterläuft die Ziele einer aktivierenden, auf Eigenvorsorge setzenden Sozialpolitik. Wir halten den mit dem Grundsicherungsgesetz beschrittenen Weg für einen Schritt in die falsche Richtung.

Eine tatsächlich sinnvolle Verbesserung zugunsten zum Beispiel von Menschen mit Behinderungen wäre auch durch ein eigenes Leistungsgesetz, in dem die Leistungen für diese Personengruppe zusammengefasst worden wären, möglich gewesen.

Das Ziel, das auch Frau Ministerin Dreyer angesprochen hat, die so genannte verschämte Armut abzuschaffen, rechtfertigt unseres Erachtens ein eigenes Grundsicherungsgesetz nicht. Zum einen wird die Leistung nur unwesentlich über dem Sozialhilfeanspruch liegen. In Einzelfällen wird es sogar einen ergänzenden Sozialhilfeanspruch geben, je nachdem, auf welche Mehrbedarfszuschläge Anspruch besteht. Zum anderen können Hemmschwellen, Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, auch mit weit geringerem Aufwand, zum Beispiel durch entsprechende Aufklärung, durch entsprechend bürgerfreundliche Gestaltung der Räumlichkeiten und entsprechende Behandlung, abgebaut werden. Zum Dritten ist die Annahme einer verschämten Altersarmut als solche auch zweifelhaft.

Hier möchte ich aus dem vierten Altenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2002 zitieren. Hier wurde zur verschämten Armut zusammenfassend ausgeführt: Die Befunde weisen im Übrigen darauf hin, dass der Anteil verdeckt Armer und die Quote der Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfe bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen überdurchschnittlich hoch ist. Verdeckte Armut ist kein Problem, das vor allem ältere Menschen betrifft. Also auch hier schon grundsätzliche Zweifel an dem eigentlichen Motiv dieser Rentenersatzleistung.

Es kommt hinzu, dass man durch die Aufgabe der unterhaltsrechtlichen Ansprüche auch den Zusammenhalt innerhalb der Familien weiterhin auflöst. Das halten wir auch für einen Schritt in die falsche Richtung. Wir sind der Auffassung, es ist eine Leistung des Bundes, die insbesondere zulasten Dritter erfolgt. Sie wird insbesondere von den Kommunen zu tragen sein. Gleichwohl haben wir nicht die Mehrheit, um es zu verändern. Wir werden dafür sorgen, dass zumindest durch eine zügige Verabschiedung des Landesausführungsgesetzes, das heißt auch, durch eine zügige Beratung im Ausschuss – da bin ich auch dankbar für die Zurverfügungstellung der Stellungnahmen der Anzuhörenden –, dieses Landesgesetz möglichst rasch in Kraft treten kann, damit auch vor Ort Handlungssicherheit für die Kommunen gegeben ist.

Im Übrigen sind wir der Meinung, es wäre vieles möglich gewesen, auch durch einfache Veränderungen, zum Beispiel des BSHG. Auch dort hätte man Rückgriffsgrenzen auf Unterhaltsleistungen erhöhen und anpassen können. Unseres Erachtens also: viel Aufwand, viele Verwaltungskosten, die anfallen, die man sich schlicht und ergreifend hätte sparen können.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dröscher das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Thelen hat schon die Geschichte des Gesetzes kurz gestreift. Wir beraten heute über das Landesgesetz zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung.

Ich will noch einmal auf die Ziele dieses Gesetzes eingehen, weil ich sie für sehr wichtig halte, auch in der Diskussion mit Ihnen, Frau Thelen, und Ihrer Partei.

Es geht einmal auch und vor allem um den Abbau der verschämten Altersarmut. Im ländlichen Raum, aus dem ich komme, haben wir das doch besonders zu beachten. Ich stimme nicht mit Ihnen überein, dass dieses Gesetz keine Fortschritte bringt; denn Sozialamt bleibt Sozialamt, auch wenn wir kein Türschild dranhängen, dass möglichst keiner kommen soll. Das ist weit verbreitet, gerade in der älteren Generation.

Auch Ihr zweites Argument, das ich gehört habe, Auflösung des Zusammenhalts innerhalb der Familie, kann ich überhaupt nicht teilen. Wer in der Praxis mit diesen Familien zu tun hat, sieht, wie sich gerade bei den Menschen, die für diese Grundsicherung infrage kommen, die Familienangehörigen zum Teil sehr schwer tun und

es eine erhebliche Verbesserung sein wird, wenn diese Belastung nicht mehr vorhanden ist.

(Beifall der SPD und des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Ein zweites Argument betrifft die bessere Beratung bzw. den besseren Service für die Grundsicherung. Auch da läßt sich schon aus der Praxiserfahrung einiges sehen. Ich werde nachher noch einmal darauf eingehen. Auch sehr wichtig ist die Grundsicherung für dauerhaft Erwerbsgeminderte einschließlich der Personen – dies ist eine ganz wichtige Sache –, denen aus versicherungsrechtlichen Gründen, zum Beispiel Wartezeit, bisher keine Leistungen aus dieser Erwerbsunfähigkeits- oder Erwerbsminderungsrente zusteht.

Die Kritik an dem Gesetz, die zum Teil jetzt noch einmal mit der Zusendung der Stellungnahmen deutlich wird, geht in eine ähnliche Richtung, wie Sie dies gesagt haben: rentengleiche Dauerleistung nach Aufhebung des Nachrangprinzips , Systembruch usw. Es geht vor allem auch in Richtung Mehrausgaben.

Ich gehe auf diese Mehrausgaben ein bisschen näher ein. Es werden die Beträge erstattet, die durch die Sperrwirkung auf den Unterhaltsrückgriff entstehen. Es werden die Kosten erstattet, die durch Gutachten über die Erwerbsminderung entstehen. Es werden die Kosten erstattet, die durch einmalige Leistungen über die Pauschalierung hinaus entstehen, also alle Mehrkosten, die gegenüber der Sozialhilfe abzüglich eingesparter Sozialhilfe entstehen.

Was nicht erstattet wird – darauf ist die Frau Ministerin schon eingegangen –, ist das, was mit dem Abbau der so genannten verschämten Armut zu tun hat. Hier halte ich es auch für richtig; denn diese Ansprüche haben bisher auch bestanden.

Die Verwaltungskosten, über die so viel geredet wird, werden nicht in dem Maß eintreffen, wie es uns viele Kommunalpolitiker prophezeit haben. Dafür habe ich auch Nachweise.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)