Protokoll der Sitzung vom 09.10.2003

Meine Damen und Herren, die Bedingungen, unter denen wir Politik machen, sind schwierig. Ich möchte zum

Schluss einen Satz zitieren, der Belesenen relativ schnell einfallen wird, meine Damen und Herren:

Jeder, der etwas Neues wagt, hat alle die zu Feinden, die von der alten Ordnung Vorteile haben, und findet zögernde Befürworter in jenen, die sich von der neuen Ordnung Vorteile erhoffen. Daher kommt es, dass die Gegner der neuen Ordnung bei jeder Gelegenheit und mit aller Leidenschaft angreifen – das war mein Vorredner – und die Befürworter diese zu schwach verteidigen.

Das ist in einem kleinen dünnen Büchlein geschrieben worden, das „Der Fürst“ heißt. Es beschreibt genau die Lage jener, die Reformen anpacken, die bereit sind zu sagen, wie sie ihr Land in welche Richtung führen wollen und dabei die Karten auf den Tisch legen.

Ich glaube, diese werden am Ende das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz auch wieder erringen.

(Anhaltend starker Beifall der SPD und der FDP)

Wir begrüßen nun weitere Gäste, und zwar Mitglieder der Jugendfeuerwehr Steinebach sowie Mitglieder der CDU-Frauen-Union Schifferstadt. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Frau Abgeordneter Thomas das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Haushaltsberatungen für das Jahr 2004 könnten seit langem die spannendsten werden. Warum? Weil das Land darüber redet, wie Deutschland zukunftsfähig werden kann. Das ist keine Debatte, die allein im Bundestag läuft. Es ist keine Debatte, die im Landtag laufen könnte, sondern es ist eine Debatte, die im gesamten Land geführt wird.

Deswegen dürfen wir diese Haushaltsberatungen nicht „kleinklein“ führen und nicht „kleinklein“ argumentieren, quasi nicht das Standardprogramm abliefern, sondern wir müssen die Aufgabe annehmen, die sich im Land stellt, nämlich im politischen Wettbewerb und wo nötig und wo möglich auch nach gemeinsamen Lösungen suchen, und zwar in ganz zentralen Fragen, wie Impulse für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung gesetzt werden können, ohne sich dabei in einer Wachstumsgläubigkeit zu verlieren, wie – dies drängt die meisten Menschen im Land – Wege aus der Krise auf dem Arbeitsmarkt hin zu mehr Beschäftigung führen können, wie damit auch mehr soziale Sicherheit und Teilhabe wieder gesichert werden können und das hohe Tempo der Staatsverschuldung zurückgeführt und umgekehrt werden kann, um wieder Generationengerechtigkeit herbeizuführen.

Meine Damen und Herren, darum geht es in dieser Debatte und nicht um eine „kleinklein“ geführte Haushaltsdebatte.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Böhr, ich nehme es in der Öffentlichkeit anders wahr. Natürlich gibt es Menschen, die schon nicht mehr hoffnungsfroh sind, die bezweifeln, dass es Veränderungen geben wird. Aber ich erlebe ganz viele, die weiter sind als Politiker und Politikerinnen. Viele sind sehr genau über fiskalische und wirtschaftliche Probleme informiert. Viele wollen in der Öffentlichkeit nicht mehr lange Debatten, wer was in den 90er-Jahren wie versäumt oder falsch gemacht hat, sondern sie wollen hören, was die Ansage für die Zukunft ist und ob das ordentlich durchgezogen wird, wenn ich das einmal in diese Worte fassen kann. Dabei ist allen klar, dass wir weit über den bisher vereinbarten Kompromiss hinaus einen Strukturreformbedarf im Bund haben, ob das beim Arbeitsmarkt, bei der Rente, in der Gesundheitspolitik, aber auch bei der Ausgestaltung der Steuerpolitik der Fall ist.

In dem Zusammenhang will ich die ganz aktuelle Diskussion um die Gemeindefinanzreform nennen, also Maßnahmen im Bund zu ergreifen, um die Kommunen finanziell besser zu stellen. All das sind Diskussionen, die laufen, wissend, dass wir im Moment auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben, ob es jetzt um das Schuldenmachen, die Auszehrung der sozialen Sicherungssysteme, die unzureichende ökologische Vorsorge oder fehlende Investitionen in das so notwendige Humankapital geht.

Reformbedarf ist en masse vorhanden. Ich teile die Auffassung des Bundeskanzlers, wenn er sagt, dass das Reformfenster bis zum Jahresende offen ist und es dann relativ schnell wieder zugeht, das heißt, wir haben außerordentlich spannende Monate vor uns. Es wäre eine völlige Fehlentwicklung, wenn wir da zu unzureichenden Ergebnissen kommen und dieser Herbst als einer der politischen Showeffekte verpuffen würde.

Ich habe das Motto „Besser mitmachen als nur besser wissen oder gar blockieren“. Wenn ich dieses Motto sage, dann richte ich das an die Landesregierung, weil ich gestern von Herrn Mittler zum Beispiel nur ein klares Votum zum Vorziehen der Steuerreform gehört habe. Aber ein Nein zu Gegenfinanzierungsvorschlägen, die von der Bundesregierung kamen, wirbelte schon Tage und Wochen vorher durch den rheinland-pfälzischen Blätterwald. Aber dieses Motto und diesen Appell richte ich auch an die CDU, insbesondere in ihrer Rolle, die sie im Bund innehat.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal, es geht um Nachhaltigkeit in der Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, es geht um Beschäftigung und um Generationengerechtigkeit und dass wir dafür in Deutschland einen Rahmen richten, dass wir als große Volkswirtschaft im europäischen Verbund unsere Aufgaben annehmen, auch die im Wachstums- und Stabilitätspakt.

In diesen Kontext will ich die heutigen Beratungen stellen, weil wir dann nicht mehr über Einzelpläne sprechen.

Wir reden natürlich über Verschuldung. Aber wir sprechen über den notwendigen Subventionsabbau im Bund und in den Ländern und nicht nur über das Vorziehen der Steuerreform.

Herr Mittler, ich will gleich am Anfang feststellen, dass wir das Vorziehen der dritten Steuerreformstufe begrüßen würden, und zwar komplett und nicht in einzelnen Teilen, wie das jetzt von Einzelnen – wie Ole von Beust – vorgeschlagen wird.

Wenn dieser angestrebte Schritt für eine konjunkturelle Belebung noch weiter zeredet wird, so befürchte ich, dann bleibt er unwirksam. Das ist ein klarer Appell in Richtung CDU. Es reicht nicht, von weit nach vorn greifenden Visionen zu reden, wenn heute und bis zum Ende des Jahres Handlungsbedarf besteht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch der Abbau von Subventionen muss in diesem Zusammenhang ernsthaft angegangen werden. Dabei sehe ich Sie in der Pflicht, Herr Beck und Herr Mittler. Bis Ende des Jahres ist ausreichend Zeit, an einem Einstieg für einen radikalen Abbau mitzuwirken.

Außerdem reden wir über die notwendige Reform der Gemeindefinanzen, nicht nur über den so genannten Stabilisierungsfonds, den es bisher noch nicht gibt – er sieht eher aus wie ein SPD-Rettungsfonds im Jahr der Kommunalwahl –, sondern wir reden von einer Mitwirkung an einer Gemeindefinanzreform, die auf Bundesebene beschlossen wird und zum 1. Januar 2004 in Kraft treten soll. Auf Bundesebene ist Bewegung in die Diskussion gekommen. Es wird einen neuen Vorschlag aus Berlin mit einem Gesamtentlastungsvolumen von 3 Milliarden Euro für die Kommunen geben, auch mit dem Bestandteil, dass die Gewerbesteuerumlage reduziert wird. Das ist ein Vorschlag, der immer vonseiten der CDU unterbreitet worden ist. Ich bin der Auffassung, in der Bandbreite dieses Vorschlags wäre er geeignet, eine breite Zustimmung zu bekommen, um tatsächlich eine Entlastung für die Kommunen in ihrer schwierigen und finanziell angespannten finanziellen Situation erreichen zu können, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Rahmen dieser Diskussion reden wir auch über dringend notwendige ökologische Innovationen, weil wir in der Pflicht stehen. Wir haben uns gegenüber der Welt verpflichtet, Klimaschutz zu betreiben und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Auch das wird Teil dieses großen Pakets sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, von all dem war in Ihrer ges trigen Rede wenig zu hören, Herr Finanzminister. Ihre Rede habe ich empfunden als eine Rede eines Buchhalters oder eines Konkursverwalters, vorgetragen ohne Perspektive mit dem Gefühl, der Konzern, für den Sie stehen, habe keine Perspektive, sondern setzte eine Notverwaltung fort. Das kann es aber nicht sein, was

uns in diesem Land weiterführen kann und soll, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben mit Ihren Ausführungen Perspektivlosigkeit und Tristesse verbreitet. Es reichte nur noch für die Überschriften. Das Kapitel „Zukunft für Rheinland-Pfalz“ war ein Leerkapitel, Herr Mittler. Das ist in Anbetracht Ihrer Haushalts- und Finanzpolitik kein Wunder. Gemeinsam mit Ministerpräsident Beck betreiben Sie eine Finanzpolitik nach dem Motto: Augen zu und durch. – Dieser Haushaltsentwurf, verbunden mit einer Neuverschuldung von mehr als 1 Milliarde Euro, ist doch kein Ausrutscher, sondern die Fortsetzung des Systems.

Ich habe einmal den einen oder anderen Artikel über die Diskussionen der vergangenen Haushaltsberatungen mitgebracht. Ich lese einmal einige Überschriften vor: Dezember 2001: „Mittler serviert schwere Kost – Landeshaushalt ausgeträumt.“ Dezember 2001: „Hofft das Land auf ein Wunder?“ Dezember 2001: „Das Sparziel 2006 stürzt ab – das Damoklesschwert Schuldenberg.“ März 2002: „Nie war der Schuldenberg höher.“ Diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen.

Allein das zeigt schon die Kontinuität in Ihrer Haushaltsund Finanzpolitik. Mit diesem Haushalt erfahren wir nichts Neues, sondern es ist Teil Ihres Systems.

Seit dem Jahr 2001 fahren Sie Haushalte in diesem Land in Verschuldungshöhen, die mit den Vorgaben der Verfassung nur noch wenig gemein haben. Im Jahr 2002 kam die Rekordverschuldung mit 1,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2003 ist vermutlich mit einer Neuverschuldung von mehr als 1 Milliarde Euro zu rechnen, obwohl Sie eine geringere Neuverschuldung geplant haben. Nach den neusten Prognosen werden Sie aber auch diese Grenze überschreiten. Sie fahren also seit dem Jahr 2001 Haushalte, bei denen Sie mit weit über 1 Milliarde Euro in der Kreide stehen.

Meine Damen und Herren, das ist die Realität, aber nicht das Versprechen, das wir seit dem Jahr 2001 von Ihnen, Herr Ministerpräsident und Herr Finanzminister, gehört haben, dass Sie den Konsolidierungskurs fortsetzen und ab dem Jahr 2008 keine Neuverschuldung mehr im Landeshaushalt haben wollen.

Meine Damen und Herren, das ist nicht die Realität, sondern das ist nur noch Makulatur auf der brüchigen Fassade der Landesregierung. Jahr für Jahr haben Sie sich seither immer mehr von dieser Zielmarke entfernt. Damit haben Sie jede – aber wirklich jede – finanz- und haushaltspoltische Glaubwürdigkeit verspielt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei ist der Konsolidierungskurs so wichtig. Sie wissen, dass die künftigen Generationen, unsere Kinder, meine Kinder – ich habe gar keine Kinder –

(Kuhn, FDP: Aber ich!)

und Kindeskinder nicht die Lasten des demographischen Wandels tragen werden und gleichzeitig die Schulden,

die wir heute aufhäufen, mit abtragen können. Sie wissen auch, dass eine reife Volkswirtschaft so wie die unsrige nicht mit Wachstumsraten von mehr als 3 % plus x träumen kann. Namhafte Institute haben nachvollziehbar begründet, dass wir durchschnittlich über die Zeit betrachtet höchstens mit Wachstumsraten von 1 % bis 1,5 % rechnen können. Das Wachstum bringt die Erleichterung also nicht und wird auch nicht die Mittel in die Haushalte hineinspülen.

Es ist relativ müßig, darüber zu streiten, ob wir ein Einnahmen- oder ein Ausgabenproblem haben, ob Einnahmen und Ausgaben sich auseinander dividieren usw. Aber noch eins zu dem, was Herr Mertes zu dem Einnahmenproblem gesagt hat: Die geringeren Steuereinnahmen – das kann ich auch an Herrn Böhr richten – waren Verluste, die wir wollten. Wir wollten alle eine Veränderung durch die Steuerreform. Wir wollten eine Absenkung der Steuersätze. Natürlich ist ein Teil dieser Mindereinnahmen von uns politisch zu verantworten; denn das war so gewollt. Deshalb kann man das ganze Problem nicht nur als ein Einnahmenproblem beschreiben.

Wenn wir den Verlauf des Jahres 2003 betrachten, dann stellen wir fest, dass Sie natürlich ein Ausgabenproblem haben und Sie mehr als ein halbes Jahr damit vertan haben, in der Öffentlichkeit Beruhigungspillen zu verteilen. Herr Mittler, Sie haben Monat für Monat gesagt, die Steuereinnahmen liefen in Rheinland-Pfalz eigentlich ganz gut. Gleiches gelte für den Haushaltsvollzug. Über die Ausgabenentwicklung haben Sie aber keinen Ton gesagt. Es folgte aber auch keine Kurskorrektur im Mai, als klar war, dass die Steuereinnahmen geringer als veranschlagt ausfallen. Damals haben wir sofort Bewirtschaftungsauflagen gefordert, obwohl wir erst einen Monat davor einen Nachtragshaushalt beschlossen haben. Man muss etwas dafür tun, dass die Vorgaben des Haushalts eingehalten werden, wenn es der Finanzminister schon nicht tut. Sie haben das aber weggewischt und gesagt: Ohne Hektik und zielorientiert machen wir das weiter. – Es gab keine Vorschau und keine Steuerung, weder seitens des Finanzministeriums noch seitens der Staatskanzlei.

Im September haben Sie dann festgestellt, Ihnen seien die Ausgaben davongelaufen. Staatssekretär Dr. Deubel schätzte, im „worst case“ seien es mindestens 250 Millionen Euro mehr. Damit sind wir weit über der Milliardengrenze. Gestern haben Sie Ihre Reaktion als angemessen und rechtzeitig bezeichnet, im September eine Haushaltssperre zu verhängen. Diese Reaktion kam aber fünf Monate zu spät, Herr Mittler.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Jahr 2003 war nicht der Nachtrag zum Nachtrag notwendig, sondern eine verantwortliche Steuerung aus den Machtzentren der Regierung, also aus der Staatskanzlei und dem Finanzministerium. Dabei haben Sie beide versagt. Sie haben den Haushalt mit dem Ergebnis aus dem Ruder laufen lassen, dass Sie auch in diesem Jahr die Milliardengrenze bei der Neuverschuldung schrammen und überschreiten werden.

Meine Damen und Herren, das hat nichts mit verantwortungsvoller Finanzpolitik zu tun, sondern das straft Sie Lügen, Herr Mittler. Sie haben behauptet, in den Jahren 2003 und 2004 würden Sie die Vorgaben des Finanzplanungsrats einhalten, die Sie selbst mitbestimmt und unterstützt haben, nämlich, dass die Wachstumsrate bei den Ausgaben in beiden Jahren unter 2 % bleibt.

Das ist aber eine schlichte Lüge, weil das, was Herr Staatssekretär Dr. Deubel, aber auch Sie selbst im September prognostiziert haben, stimmt, nämlich dass wir weit mehr Ausgaben haben werden. Daher werden Sie bei den Gesamtausgaben in diesem Jahr vermutlich über den Ausgaben liegen, die Sie in Ihrem ursprünglichen Haushaltsplanentwurf – also nicht im Nachtragshaushalt, sondern in Ihrem ursprünglichen Entwurf – veranschlagt hatten. Damals hatten Sie mit 1,9 % gerechnet.

Ich vermute, dass Sie bei 2 % landen werden. Dann haben sie das Ausgabenwachstum, das für zwei Jahre vorgegeben war, im ersten Jahr bereits verfrühstückt. Genau das wissen Sie eigentlich. Sie müssten das wissen. Wer denn, wenn nicht Sie, Herr Mittler? Genau das haben Sie gestern bestritten. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie behauptet haben. Das ist nicht die ungeschminkte Wahrheit über Einnahmen und Ausgaben – ich habe das, was Sie gesagt haben, in meine eigenen Worte übersetzt –, sondern das ist ein erneuter Beweis dafür, dass Sie unehrlich bei der Haushaltsaufstellung sind und Sie unfähig im Haushaltsvollzug sind. Das sind die Kennzeichen Ihrer Haushaltspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)