Protokoll der Sitzung vom 12.02.2004

Trotz dieser bisher aufgezeigten negativen Perspektiven gibt es für die FDP-Fraktion keinerlei Alternativen zur EU-Osterweiterung. Die Integration der osteuropäischen Staaten in die EU garantiert, dass der fast 60jährige Frieden auch in Zukunft längerfristig gesichert werden kann, was ein unschätzbares Gut für die Menschen ist, die in Europa leben. Auch haben Unters uchungen gezeigt, dass ohne die europäische Integration die Menschen auf dem alten Kontinent wirtschaftlich wesentlich schlechter dastünden.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie kommt zu der Erkenntnis, dass das Zusammenrücken Europas für alle EU-Staaten von Vorteil war. Die tatsächliche Pro-KopfWirtschaftsleistung der EU im Jahr 2000 war um 26 % höher, als sie ohne offene Grenzen ausgefallen wäre. Statt bei umgerechnet gut 18.500 US-Dollar hätte sie nur bei 14.700 US-Dollar gelegen. Was Deutschland betrifft, so betrug im Jahr 2000 das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner durch die europäische Integration 20.417 US-Dollar. Ohne sie hätte sie jedoch lediglich 16.255 US-Dollar betragen. Dies ist eine Differenz von immerhin 4.162 US-Dollar oder mehr als 25 %.

Die Chancen für die rheinland-pfälzische Wirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Da das Handelspotential mit Mittel- und Osteuropa bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, werden die Handelsgewinne angesichts des weiteren Liberalisie

rungsbedarfs in Mittel- und Osteuropa auch künftig zunehmen.

2. Die Angleichung der rechtlichen Normen und Verwaltungsvorschriften, der Steuersysteme und der Infrastruktur sowie die höhere Sicherheit für ausländische Investoren wird das wirtschaftliche Wachstum in den neu aufgenommenen Staaten beschleunigen. Dies wird auch die Exportaussichten der rheinland-pfälzischen Unternehmen verbessern.

(Beifall bei der FDP)

3. Die mit einer EU-Mitgliedschaft verbundenen Transferzahlungen an die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer stellen zunächst zwar eine Belastung für den Gemeinschaftshaushalt dar, wirken aber auch konjunkturbelebend, da mit einem Teil dieser Gelder Einfuhren aus den wohlhabenderen EU-Mitgliedstaaten finanziert werden. Dies hilft auch den rheinland-pfälzischen Unternehmen.

4. Der größere Markt wird nicht nur die Absatzchancen, sondern auch die Bezugsmöglichkeiten rheinlandpfälzischer Unternehmen erhöhen. Mit ihm sind komparative Vorteile, steigende Skalenerträge sowie der Transfer von Technologie und Know-how verbunden. Gleichzeitig zwingt der größere Markt unsere Wirtschaft auch zur ständigen Überprüfung ihrer Kosten und Preise, was die Wohlfahrt unserer Konsumenten – über niedrige Preise und eine größere Angebotspalette – nachhaltig steigert.

5. Mit ihren Wachstums-, Wohlfahrts- und Strukturwirkungen verhilft die Osterweiterung der EU zu einer höheren globalen Wettbewerbsfähigkeit. Dies halte ich für ganz wichtig. Niedrige Lohnkosten in Mittel- und Osteuropa bieten Anreize, um arbeitsintensive Produktionen in die unmittelbare geographische Nachbarschaft anstatt in traditionelle Billiglohnländer auszulagern. In vielen Branchen bieten die mittel- und osteuropäischen Länder den EU-Unternehmen jedoch nicht nur preiswerte, sondern auch gut qualifizierte Arbeitskräfte, so dass eine intra-industrielle Arbeitsteilung entstehen kann, die einen komparativen Vorteil für die rheinlandpfälzischen Unternehmen im globalen Wettbewerb bedeutet.

Die Eingliederung kostengünstiger Produktionsstandorte erhöht nicht nur die Sicherheit rheinland-pfälzischer Arbeitsplätze, sie erzwingt auch den Übergang zu höherwertiger und technologieintensiver Produktion und damit zu höherer Wettbewerbsfähigkeit, was in einer globalisierten Welt, in einem globalisierten Markt, ungemein wichtig ist.

6. Weitere Chancen für die rheinland-pfälzische Wirtschaft in der EU-Osterweiterung liegen darin, dass in diesen Niedriglohnländern eigene Produktionen aufgebaut und/oder aber Tochtergesellschaften gegründet werden können, meine Damen und Herren.

Durch die niedrigen Lohnstückkosten in den Beitrittsländern und den hohen Arbeitskosten in unserem Land

kann ein Mix erreicht werden, den die rheinlandpfälzischen Unternehmen auf dem Weltmarkt und dem EU-Binnenmarkt wettbewerbsfähiger machen. Dies haben in der Vergangenheit bereits sehr viele rheinlandpfälzische, vor allem mittelständische Unternehmen erkannt und danach gehandelt, indem sie Teile ihrer Produktion in die Beitrittsländer verlagert haben.

Spezielles Know-how rheinland-pfälzischer Unternehmen wird auch in Zukunft dazu beitragen, das Wirtschaftswachstum in den Beitrittsländern zu erhöhen und damit das jetzt bestehende Wohlstandsgefälle abzubauen.

Wenn die Zementindustrie beispielsweise durch die bevorstehende Einführung des Immissionshandels in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann, dann sollte sie ihr Know-how dazu verwenden, um in den Beitrittsstaaten wie Polen, Tschechien und Slowakei eigene Zementwerke zu eröffnen und den Zement nach Deutschland zu importieren – unter hohen Umweltstandards, Herr Kollege. Bereits heute importieren beispielsweise Polen 27 % und Tschechien 21 % ihrer Zementherstellung nach Deutschland.

Das, was Herr Staatsminister Bauckhage zum Tourismus gesagt hat, kann ich nur noch einmal unterstreichen. Wir haben bereits über 100.000 Übernachtungen aus den Beitrittsländern. Bei einem höheren Wohlstand in diesen Ländern haben wir auch eine riesige Chance, diese noch zu steigern. Dies sollten wir wahrnehmen.

Dass die deutschen Unternehmen die Zeichen der Zeit verstanden haben, zeigen die Nettozuflüsse ausländischer Direktinvestitionen in die Beitrittsstaaten. So erhöhten sich zum Beispiel die direkten Investitionen in der Tschechischen Republik von 1997 mit 1,3 Milliarden USDollar auf 8,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 und diejenigen der Slowakischen Republik von 0,01 Milliarden Euro im Jahr 1997 auf 4 Milliarden Euro im Jahr 2002.

Die FDP-Fraktion fordert die rheinland-pfälzischen Unternehmen auf, die Chancen der EU-Osterweiterung zu nutzen und Eigeninitiativen zu ergreifen. Dabei können die Unternehmen auf die Unterstützung des Landes und seiner Förderbank, der ISB, zurückgreifen. So fördert die ISB die Beteiligung an Auslandsmessen und Maßnahmen zur Markterschließung von innovativen Produkten und Dienstleistungen. Auch die Bereitstellung von Bürgschaften in Finanzierungspartnerschaften mit der jeweiligen Hausbank kann gerade für exportstarke Unternehmen eine wichtige Hilfe sein.

Im Bereich der Handels- und Kooperationsförderung beteiligt sich die ISB aktiv an der Betreuung der Unternehmen. Die ISB vermittelt rheinland-pfälzischen Unternehmen Kontakt zu ausländischen Partnern und unterstützt sie bei der Erschließung neuer Märkte.

Meine Damen und Herren, eine wesentliche Rolle nehmen die Kontaktbüros und Kontaktstellen des Landes Rheinland-Pfalz bei der Anbahnung von Auslandskontakten ein. In sieben von zehn Beitrittsländern unterhält das Land Rheinland-Pfalz bereits derartige Anlaufstellen. Wichtig für Investitionen rheinland-pfälzischer Un

ternehmen in den zehn Beitrittsländern ist der Grundsatz: Vor dem Investieren erst einmal analysieren. – Die Chancen für die rheinland-pfälzische Wirtschaft liegen nicht nur in der Erschließung neuer Absatzmärkte sowie der stärkeren Kundennähe zu Auslandskunden, sie liegen auch in den Kostenvorteilen für Roh- und Betriebsstoffe, den geringeren Energiekosten, den geringeren Personalkosten bei weniger starken Reglementierungen auf dem Arbeitsmarkt, der geringeren Steuerund Abgabenquote sowie den bereits erwähnten Finanzierungshilfe und Förderprogrammen.

Die Produktionsverlagerung ins Ausland oder die Wahl eines ausländischen Zulieferers lohnt sich wirtschaftlich in vielen Fällen. Nach Aussage der mittel- und osteuropäischen Wirtschaftsministerien würden etwa 90 % der ausländischen Unternehmen ihre Investitionen wiederholen. Dies ist ein gutes Omen für Investitionen in den neuen EU-Beitrittsländern. Rheinland-Pfalz als ein klassisches Exportland darf diese neuen Chancen nicht verschlafen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Dabei gilt ein Satz von Hans-Dietrich Genscher, den dieser auf einer Veranstaltung der ISB im Dezember des letzten Jahres hier in Mainz als sein Credo verkündet hat: „Nicht Veränderung ist Gefahr, sondern Veränderungsverweigerung.“

Die FDP-Landtagsfraktion ist sicher, dass die rheinlandpfälzische Wirtschaft die neuen Chancen nutzen wird, um Rheinland-Pfalz weiter voranzubringen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei FDP und SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Schmidt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Kollege Dr. Gölter hat eben die positiven Aspekte der europäischen Erweiterung im Osten dargelegt. Vor allen Dingen möchte ich noch einmal den Kaufkraftaspekt, der sich positiv auswirkt, kurz erwähnen und möchte ansonsten seine Ausführungen voll inhaltlich unterstreichen.

Ich habe festgestellt, dass Herr Kollege Mertes mit seiner Kurzintervention wohl die Vorträge von Herrn Gölter nicht verstehen wollte oder konnte. Mir tut das Leid.

Ich persönlich möchte noch einige positive Details hinzufügen. Um für unsere rheinland-pfälzische Wirtschaft zur Osterweiterung erfolgreiche Ausgangspositionen zu verschaffen, erwarten wir ein verstärktes und besonderes Engagement der Landesregierung, Herr Ministerpräsident. Neue Märkte erschließen sich nämlich keineswegs von selbst. Angesichts unserer hohen Lohn- und Lohnnebenkosten und des daraus resultierenden Preis

niveaus gegenüber den osteuropäischen Ländern hält die Osterweiterung nämlich nicht nur ganz allein positive Aspekte und Chancen, sondern auch gewisse Risiken bereit.

Meine Damen und Herren, unser Preisniveau kann nur durch hohe Qualitätsstandards und deren Beibehaltung wettgemacht werden. Dieser Begriff „Made in Germany“, Herr Ministerpräsident, muss mehr herausgestellt werden. Er darf keineswegs verwässert werden durch das geforderte „Made in Europe“. Ich würde Sie ganz herzlich darum bitten, Herr Ministerpräsident, Herr Bauckhage, sich dafür einzusetzen, dass der weltweit eingeführte Marktbegriff „Made in Germany“ erhalten bleibt. Das ist für uns äußerst wichtig.

(Beifall bei der CDU – Ministerpräsident Beck: Eure Partei- freunde in Brüssel wollen ihn doch streichen!)

Nur die Qualität unserer Arbeit, die Zuverlässigkeit, das Know-how und die Gründlichkeit sind nämlich unsere Chancen bei der Osterweiterung. Mit dem Europaausschuss besuchten wir Polen und Tschechien und auch demnächst Ungarn. Deutlich wurde, dass Kontakte dringend aufgebaut und verknüpft werden müssen. Kleinund Mittelbetriebe suchen Partnerschaften, streben Austausch von Führungspersonal und Facharbeitern an. Es werden uns vom Osten her günstige Industrieflächen angeboten, um Anreize für Firmenansiedlungen zu schaffen. Die Genehmigungsprozedur für Bau und Fabrikation wird aufgrund der dortigen Gegebenheiten sehr viel einfacher sein. Das wird Firmen anreizen. Auch viele Auflagen, die unsere Firmen hinhalten, werden dort nicht zu finden sein. Schon jetzt müsste Ihr Ministerium, Herr Bauckhage, Kontakte zu entsprechenden Vermarktungsgesellschaften knüpfen, Großprojektvorhaben ermitteln und diese Interessierten unseren Unternehmen zuführen.

Die gute Arbeit des Euro Info Centers möchte ich in dem Zusammenhang erwähnen, das sich aber nun verstärkt auf die neuen osteuropäischen Märkte einstellen, Auftragslagen erkunden, Daten und Fakten bereitstellen, der Wirtschaft zur Verfügung stellen muss, diese spezifiziert nach Unternehmenssparten.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Präsidentin, eben wurden seitens der Regierungsbank Zwischenrufe veranstaltet, die uns wertvolle Redezeit kosteten. Ich bitte um Fairness, meine Ausführungen noch eine Minute aus diesem Grund fortsetzen zu dürfen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe im Hause – Unruhe im Hause)

Wir fordern in diesem Zusammenhang auch nachdrücklich, den Bundes- und Landesstraßenbau in Richtung Osten zu verstärken, nicht nur ankündigen, sondern handeln. Ihnen fehlt die Maut.

(Unruhe im Hause)

Meine Damen und Herren, das kleine Land Österreich hat uns doch vorgemacht, wie man diese Maut schnell umsetzen kann. Machen wir es doch nach.

Ich bin auch dafür, dass die Straßenbaumaßnahmen nicht weiter verzögert werden. Ich nenne nur als Beispiel – Herr Ministerpräsident, Sie träumen sicher des Nachts schon davon – die B 255, die auch nach Osten führt.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Kollegin, Ihre zusätzliche Minute ist verbraucht.

Ich komme zum Schluss.

Es wäre auch angebracht gewesen, wenn der Europabeauftragte Klär heute an der Debatte teilgenommen hätte. Interessant wäre es sicherlich auch, in diesem Hinblick auf die historischen Aspekte der Osterweiterung hinzuweisen; denn auch sie beeinflussen wirtschaftliche Bedingungen.

Ich bedanke mich für die Fairness und Ihr Zuhören.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich begrüße zunächst weitere Gäste, und zwar Orts- sowie Verbandsbürgermeister und Beigeordnete aus der Verbandsgemeinde Birkenfeld