Protokoll der Sitzung vom 23.08.2001

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Creutzmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Bundeskanzler während der Ferien das Sommerloch dazu nutzte, aus Anlass des brutalen Mordes an der 8-jährigen Julia die lebenslange Verwahrung von Kinderschändern zu fordern, versucht die CDU-Fraktion auf den fahrenden Zug aufzuspringen und mit ihrem Antrag Stimmung auch in Rheinland-Pfalz zu machen.

Frau Kollegin Kohnle-Gros, doch wie so oft hinkt die rheinland-pfälzische CDU-Fraktion wieder einmal hinterher. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ich gehe davon aus, dass es Ihnen nicht entgangen sein dürfte, dass bereits 1997 ein Gesetzesantrag des Freistaats Bayern zur nachträglichen Sicherungsverwahrung im Bundesrat keine Mehrheit fand. Warum Sie jetzt das Land Rheinland-Pfalz mit dem gleichen Antrag im Bundesrat erneut scheitern sehen lassen wollen, ist für uns gerade im Hinblick auf die Bedeutung dieses Themas völlig unverständlich.

Meine Damen und Herren, nach geltendem Recht in der Verfassung kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur zusammen mit der Verurteilung zur Freiheitsstrafe angeordnet werden. Der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in die Sicherungsverwahrung, das heißt, in der Zeit zwischen der Rechtskraft des Urteils und der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe, steht die Regelung des Artikels 103 Abs. 3 des Grundgesetzes entgegen. Nach dem dort verankerten Grundsatz „ne bis in idem“ darf jeder wegen einer Straftat nur einmal von einem Gericht bestraft werden.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Frau Kollegin, hören Sie doch einmal zu. Das passt Ihnen alles nicht, weil Sie natürlich wieder Ihre ideologische Richtung vorgegeben haben und Sie meinen, Sie müssten immer diese Dinge hier vertreten.

Unterzieht sich demnach beispielsweise ein rechtskräftig Verurteilter nicht einer angeordneten Therapie und arbeitet er somit nicht am eigentlichen Vollzugsziel mit, so muss er trotzdem nach der vollständigen Verbüßung seiner Haft in die Freiheit entlassen werden.

Meine Damen und Herren, diese Rechtslage ist für die Bevölkerung nur sehr schwer verständlich. Dessen ist

sich auch die FDP-Fraktion durchaus bewusst. Trotzdem werden wir den Antrag der CDU-Fraktion ablehnen. Herr Kollege Redmer hat gesagt: Das geht sicher noch einmal in den Rechtsausschuss. – Wir werden dann darüber diskutieren.

Meine Damen und Herren, dies – das möchte ich ganz klar zum Ausdruck bringen – bedeutet nicht, dass die rheinland-pfälzische FDP-Fraktion nicht alles tut, um Kinder vor Sexualstraftätern, vor allem vor Sexualmorden zu schützen.

Die FDP setzt sich seit Jahren für eine konsequente und angemessene Bestrafung von Sexualstraftätern ein. In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, dass es dank der Initiative der FDP in der letzten Koalition auf Bundesebene gelungen ist, die formalen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erheblich abzusenken. Demnach können einschlägige Straftäter nunmehr unter erleichterten Voraussetzungen lebenslang inhaftiert werden. Gleichzeitig wurde mit diesen Änderungen die vorzeitige Entlassung von wegen Sexualdelikten Verurteilten erschwert und schärfere Anforderungen an gutachterliche Stellungnahmen gestellt. Mithin wird deutlich, dass gerade in den letzten Jahren einiges zum Schutz vor Sexualstraftätern bewegt wurde.

Gelegenheit zum Ausruhen bietet dies jedoch nicht. Jeder Täter, der durch die geltende Rechtslage schlüpft, kann einer zu viel sein. Deshalb sollte zum Schutz der Allgemeinheit und insbesondere von Kindern vor gefährlichen Sexualstraftätern zunächst eine Analyse der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten vorgenommen und geprüft werden, in welchen Fällen erneute Veränderungen oder Verschärfungen angebracht werden können. Das Gleiche hat Herr Kollege Redmer vorhin gesagt. Insofern besteht eine nahtlose Übereinstimmung.

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang könnte der von Baden-Württemberg beschrittene Weg bei der Prüfung von Änderungen Berücksichtigung finden. Baden-Württemberg hat im Frühjahr dieses Jahres für rückfallgefährdete Straftäter eine landesgesetzliche Regelung zur Gefahrenabwehr nach dem Polizeirecht getroffen. Zum jetzigen Zeitpunkt – ich betone dies – wirft diese Regelung jedoch noch verfassungsrechtliche Fragen auf. Insofern bleibt es zunächst einmal abzuwarten, ob diese Bedenken entkräftet werden können und die Neuregelung von Baden-Württemberg praktische Bedeutung erlangen wird.

Meine Damen und Herren, die rheinland-pfälzische FDPFraktion wird die baden-württembergischen Änderungen im Polizeirecht sorgfältig beobachten und dann eine Entscheidung für Rheinland-Pfalz treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP und SPD)

Für die Landesregierung erteile ich der Staatssekretärin Frau Dr. Weber-Lejeune das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste Satz der Begründung des Antrags der CDU-Fraktion lautet – ich zitiere – : „Die Allgemeinheit muss vor gefährlichen Straftätern, insbesondere vor gefährlichen Sexualstraftätern geschützt werden.“ Diese Aussage wird von der Landesregierung voll inhaltlich geteilt. Sexuelle Gewalt, namentlich gegen Kinder, gehört zu den abscheulichsten Straftaten. Verbrechen aus jüngster Zeit, die von einschlägig vorbestraften Pers onen begangen worden sind, haben deutlich gemacht, dass der Schutz der Allgemeinheit vor Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten durch eine konsequente Anwendung des geltenden Rechts sowie gegebenenfalls durch dessen Weiterentwicklung verbessert werden muss.

Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger muss den hohen Rang einnehmen, der ihm gebührt. Die Fraktion der CDU fordert nun in diesem Zusammenhang die Landesregierung auf, den von Bayern im Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung und der Sicherungsverwahrung erneut einzubringen.

Der Bundesrat hat in seiner 766. Sitzung am 13. Juli dieses Jahres beschlossen, diesen Gesetzentwurf nicht dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Mir erschließt sich nicht, warum der Bundesrat nach Ablauf von 6 Wochen jetzt seine Meinung geändert haben sollte.

(Beifall bei FDP und SPD)

Neue Gesichtspunkte zu dieser Problematik haben sich bisher, auch aus dem Vortrag der CDU, nicht ergeben und werden auch bisher in der Begründung des Antrags nicht aufgezeigt.

Dem bayerischen Gesetzesvorschlag standen und stehen verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Diese folgen daraus, dass die Sicherungsverwahrung nachträglich am Ende der Strafverbüßung auch dann verhängt werden soll, wenn das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung eine Sicherungsverwahrung nicht für erforderlich angesehen hatte. Wenn man dies zuließe, müsste ein Gericht sich nach einem bereits rechtskräftigen Urteil nochmals mit der Sache befassen und eine neue Sanktion verhängen. Dies verstößt nach Auffassung der Landesregierung gegen Artikel 103 des Grundgesetzes. Danach darf niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. Der bayerische Weg ist somit schon aus diesem Grund verfassungsrechtlich nicht gangbar.

Er wirft aber auch unter einem anderen Aspekt verfassungsrechtliche Zweifel auf. Die Verhängung der Sicherungsverwahrung am Ende der Strafe soll sich an dem Verhalten des Strafgefangenen während seiner Haftzeit orientieren. Es liegt auf der Hand, dass es dabei nicht um die Straftaten von einer Schwere geht, die ihrerseits nach § 66 des Strafgesetzbuches die Verhängung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen würde; denn in diesem Fall würde sich das Problem gar nicht stellen. Es muss sich also um eine Verhaltensweise handeln, die

nicht strafbar oder unterhalb der Schwelle der genannten Vorschrift anzusiedeln ist. Wenn sie zum Anlass der Verhängung von Sicherungsverwahrung genommen wird, dann ist diese Maßnahme nicht dem repressiven Strafrecht zuzuordnen, sondern dem präventiven Polizeirecht.

Für die Gesetzgebung im Bereich des Polizeirechts sind aber nach den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes nicht die Länder, sondern der Bund zuständig. Konsequenterweise hat das Land Baden-Württemberg deshalb auch, gestützt auf diese Gesetzgebungskompetenz der Länder im Polizeirecht, eine Regelung zur Verhängung der Sicherungsmaßnahmen nach Strafverbüßung als polizeiliche Präventivmaßnahme getroffen.

Die Antrag stellende CDU-Fraktion hat die badenwürttembergische Regelung nahezu inhaltsgleich übernommen und im August 2001 als Entwurf eines Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter als Straftäterunterbringungsgesetz hier im Landtag eingebracht. Damit bringt die CDU-Fraktion zum Ausdruck, dass sie die nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung als eine Maßnahme auf dem Gebiet des Polizeirechts ansieht, für das die Länder zuständig sind. Hiermit nicht vereinbar ist aber die Aufforderung an die Landesregierung, über den Bundesrat beim Bundestag eine inhaltsgleiche Regelung einzubringen, die sich auf die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf dem Gebiet des Strafrechts stützt. Das Eine schließt das Andere aus. Wer eine landesrechtliche Regelung will, kann keine bundesrechtliche fordern. Das passt nicht.

(Beifall bei FDP und SPD – Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 13. Juli dieses Jahres nicht nur die bayerische Initiative abgelehnt, sondern zugleich auch mit der Stimme von RheinlandPfalz eine Entschließung verabschiedet. Darin befürwortet der Bundesrat sinnvolle und verfassungskonforme Vorschläge, um Kinder und die Gesellschaft vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Politik und Gesellschaft müssen sich angesichts der Gewalttätigkeit gegen Kinder noch stärker ihrer Verantwortung bewusst werden und alle verfassungsgemäßen Möglichkeiten und Mittel ergreifen, um Kinder zu schützen, zu achten und so die Prävention zu verbessern.

Durch das Gesetz – das auch hier schon zitiert worden ist – zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom Januar 1998, das die Landesregierung im Bundesrat mitgetragen hat, sind die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Straftäter erheblich abgesenkt und mit dem Ziel geändert worden, den Schutz der Bevölkerung zu verbessern. Auch wenn damit der Justiz zurzeit ein breites gesetzliches Instrumentarium zur notwendigen Reaktion auf derartige Taten zur Verfügung steht, muss aufgrund einer fundierten Analyse der praktischen Erfahrung mit diesem Gesetz eine uneingeschränkte Überprüfung etwa noch verbleibender Schutzdefizite vorgenommen werden.

Der Bundesrat hat damit in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Beschluss der 72. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister begrüßt. In diesem Beschluss, der im Juni dieses Jahres unter dem Vorsitz des Justizministers Herbert Mertin in Trier zustande gekommen ist, ist der Strafrechtsausschuss mit der Prüfung beauftragt worden, ob und unter welchen Voraussetzungen die spätere Verhängung einer Sicherungsverwahrung durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung verfassungsrechtlich zulässig und geboten ist, wenn die besondere Gefährlichkeit eines Täters sich erst nach seiner Aburteilung während der Strafvollstreckung herausstellt.

Diese von der Justizministerkonferenz geäußerte Prüfbitte hat der Bundesrat in seiner Entschließung im Wesentlichen übernommen und an die Bundesregierung gerichtet, nämlich bis zum Frühjahr 2002 ihr Konzept zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor Sexualstraftätern vorzulegen. Die Ergebnisse der von der Bundesregierung und dem Strafrechtsausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vorgenommenen Prüfung sollte abgewartet werden. Der Prüfauftrag umfasst auch die Untersuchung, ob landesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet des Polizeirechts möglich und erforderlich sind oder ob das Ganze bundeseinheitlich zu lösen wäre, wie dies die CDU-Fraktion beantragt hat. Einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf jedoch sieht die Landesregierung aus den zuvor genannten Gründen zurzeit insoweit nicht.

Danke.

(Beifall der FDP und der SPD)

Wir sind damit am Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunkts. Mehrere Fraktionen haben signalisiert, dass sie mit einer Ausschussüberweisung an den Rechtsausschuss einverstanden sind. Ist dies der Fall? – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:

Schließung von landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulklassen Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/174 –

Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat dahin gehend geeinigt, dass dieser Antrag ohne Aussprache zur Abstimmung gestellt wird. Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer diesem Antrag – Drucksache 14/174 – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Enthaltungen? – Dann ist der Antrag einstimmig angenommen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Sitzung ist damit beendet.

(Schweitzer, SPD: Wann werden wir wieder eingeladen? – Zurufe von der SPD: Er lädt uns nicht ein!)

E n d e d e r S i t z u n g: 16:42 Uhr.