Protokoll der Sitzung vom 23.08.2001

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat das bisherige Gesetzgebungsverfahren konstruktiv und dort, wo es notwendig war, auch sehr kritisch begleitet. Wir waren damit auch erfolgreich. In diesem Sinn wird die Landesregierung auch das weitere Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag der CDU-Fraktion formuliert entweder Selbstverständlichkeiten, oder er fordert Regelungen, deren Notwendigkeit die Landesregierung schon seit langem erkannt hat. Deshalb – zurückhaltend ausgedrückt – wäre der Antrag eigentlich zum heutigen Datum überflüssig geworden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Es wurde beantragt, den Antrag der Fraktion der CDU „Naturschutz im Miteinander voranbringen – Falsche Weichenstellungen für neues Naturschutzgesetz korrigieren“ – Drucksache 14/178 – an den Ausschuss für Umwelt und Forsten – federführend – und an den Ausschuss für Landwirtschaft und Weinbau zu überweisen. – Ich sehe keine Gegenstimmen. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:

Gesetzliche Einführung der Möglichkeit nachträglicher richterlicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 14/185 –

Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von fünf Minuten geeinigt.

Ich erteile der Abgeordneten Frau Kohnle-Gros das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion legt Ihnen einen Antrag vor, mit dem wir um eine nicht ganz einfache rechtliche und verfassungsrechtliche Diskussion in diesem Haus bitten.

(Vizepräsident Dr. Schmitt übernimmt den Vorsitz)

Sie alle wissen, dass wir in den letzten Monaten auf der Bundesebene eine Diskussion über die Behandlung von gefährlichen Straftätern hatten. Wir hatten sie in den unterschiedlichsten Facetten; wir hatten sie aber auch im Bundesrat auf Antrag der drei süddeutschen CDUbzw. CSU-regierten Bundesländer.

Meine Damen und Herren, es geht um Straftäter, die zu Freiheitsstrafen von einem Gericht verurteilt sind und die, weil sie wegen der Schwere der Tat und – ich sage einmal – wegen Ihrem Benehmen, da sie sich nämlich im Strafvollzug einer Therapie nicht unterziehen wollen bzw. weil diese Therapie nicht erfolgreich gewesen ist,

trotzdem aufgrund der gegebenen Gesetzeslage entlassen werden müssen und damit eine Gefahr für die Öffentlichkeit und unsere Kinder darstellen.

(Beifall bei der CDU)

Ich werde versuchen, in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit dieser Diskussion angemessen gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass der Lösungsvorschlag, nämlich über den Bundesrat oder über den Bundestag eine bundeseinheitliche Regelung zustande zu bringen, indem während des Strafvollzugs festgelegt werden kann, dass der gefährliche Täter weiter in Sicherungsverwahrung bleibt – da greift § 66 des Strafgesetzbuchs –, höchst umstritten ist und sich vor allem die SPD auf der Bundesebene – im Übrigen abweichend von einigen Landesministern – dieser Regelung verschlossen hat.

Dennoch sind wir der Meinung, dass unser Antrag in die richtige Richtung weist. Wir sind auch mit dem „Weißen Ring“ einer Meinung, dass im Grunde genommen nur eine bundeseinheitliche Regelung auf diesem Gebiet tatsächlich den notwendigen Schutz für die Bevölkerung herbeiführen kann.

Ich will ganz kurz begründen, weshalb wir denken, dass es diese Zahl von nicht therapierbaren Straftätern im Strafvollzug gibt. Ich habe angedeutet, dass es einmal um die Sexualstraftäter geht. Es geht aber auch um Gewaltverbrecher. Ich darf ein Zitat anführen, wobei es mehrere Wissenschaftler gibt, die mit der Begutachtung solcher Straftäter befasst sind. Wegen der Kürze der Zeit will ich aber nur einen benennen.

Die Fachzeitschrift „Bilder der Wissenschaft“ hat sich im August dieses Jahres dieses Themas angenommen, es international betrachtet und Herr Norbert Leygraf, Lehrstuhlinhaber für forensische Psychiatrie an der Universität in Essen, zu diesem Thema befragt. Ich zitiere aus der Seite 92. Auf die Frage, an welchen Verbrechen die Therpeuten scheitern, sagt er wörtlich: „Gerade Sexualstraftäter, aber auch viele Raubmörder handeln so rücksichtslos, weil sie nicht mit anderen Menschen mitfühlen können. Ihnen fehlt die Empathie.“ Weiter unten heißt es dann: „Jemandem Mitgefühl beizubringen, ist ausgesprochen schwierig und gelingt oft nicht. Es gibt Menschen, bei denen man sagen muss, den kann man wahrscheinlich wirklich nicht mehr rauslassen. Manche macht Therapie sogar noch gefährlicher.“

Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Dafür reicht die Zeit nicht.

Es wird sich um ganz wenige Menschen handeln, die von einer solchen gesetzlichen Regelung betroffen wären. Trotzdem denken wir, dass wir eine individuelle Abwägung mit all den Voraussetzungen, die der jetzige § 66 vorsieht, vornehmen müssen, wenn wir den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugrunde legen, der natürlich der verfassungsrechtlichen Abwägung hinsichtlich eines weiteren Freiheitsentzugs für den Einzelnen im Vergleich zum Rechtsstaatsprinzip, nämlich dem Schutz der Gesellschaft vor Kriminalität, bedarf.

Wenn die Landesregierung einen entsprechenden Vorstoß unternehmen könnte, hätten wir die Chance, über die Sommerzeit hinweg nicht nur politische Luftnummern abzugeben, wie dies der Bundeskanzler getan hat, sondern Lösungswege für ein wirklich drängendes gesellschaftliches Problem anzubieten, das viele Menschen in unserem Land berührt und beschäftigt.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Redmer das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hat ein nicht ganz unbekannter Familienvater populistisch und angreifbar die Sorge vieler Eltern in diesem Land in Bezug auf sexuelle Gewalt wie folgt formuliert: Wegsperren, und zwar für immer. – In der Tat wird man einen bestimmten Teil der Straftäter auf lange Zeit oder vielleicht für immer wegsperren; denn etwa 10 % der Sexualstraftäter gelten als nicht therapierbar. Wir reden nicht nur über die 10 %. Auf dem Weg hin zum Wegsperren reden wir auch über die anderen 90 % und über rechtsstaatlich saubere Wege.

Wann kann man jemanden wegsperren? Kann man jemanden wegsperren, wenn ein erstes Urteil nach einer ersten Tat vorliegt? Wer stellt fest, dass jemand nicht entlassen werden darf, wenn das Urteil verbraucht ist? Wer wagt die Prognose, dass jemand schon nach diesem einen Fall für immer weggesperrt werden muss? Kann durch das, was Sie jetzt wollen, Rechtskraft außer Kraft gesetzt werden? Kann ein Einzelrichter das aufheben, was vorher eine Kammer entschieden hat?

Es gibt eine ganze Menge Fragen, die man sich in diesem Zusammenhang stellen muss. Genau das war die Diskussion im Bundesrat gewesen. Der Bundesrat hat beschlossen, dass alles geprüft werden soll, um festzustellen, ob es noch Lücken in diesem Bereich gibt und ob diese geschlossen werden müssen. Dies halte ich für eine Position, die absolut in Ordnung ist. Um zu vertretbaren Ergebnissen zu kommen, müssen wir die Sache sachlich und seriös prüfen.

Was Sie tun, ist pure Scheinheiligkeit. Sie attestieren dem Bundeskanzler Populismus. In der Tat kann man diese verkürzte Äußerung von Ihnen populistisch nennen. Gleichzeitig reagieren Sie darauf mit nichts anderem als blankem Populismus.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das finde ich nicht in Ordnung. Wir müssen doch einmal ganz sachlich an das Thema herangehen. Wie ist die Faktenlage? Wir haben doch 1998 das Sexualstrafrecht verschärft. Wir haben heute einen höheren Strafrahmen. Von diesem höheren Strafrahmen wird Gebrauch gemacht. Wir haben Gutachter, die heute viel vorsichtiger sind.

Ich möchte den von Ihnen herangezogenen Herrn Leygraf auch zitieren; denn derselbe Herr hat am 16. Juli im „Spiegel“ erklärt: „In den letzten Jahren hat sich vor Gericht und bei Gutachtern ein grundlegender Wandel vollzogen.“ – Sie tun so, als ob gar nichts passiert sei. Die Zahl der Sexualstraftaten geht seit den 70er-Jahren zurück. Anfang der 70er-Jahre hatten wir viermal so viel Fälle wie Ende der 90er-Jahre. Die öffentliche Aufarbeitung dieser Fälle hat sich gewandelt. Heute wird viel breiter, teilweise auch viel spektakulärer in der Öffentlichkeit darüber berichtet. Deswegen bleibt ein Fall nach wie vor ein Fall. Auch wenn man zehnmal darüber berichtet, werden es keine zehn Fälle.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das weiß ich auch alles!)

Diese Dinge müssen wir im Auge behalten, wenn wir uns diesem Thema nähern.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt nicht, dass wir etwas abblocken wollen, sondern nur, dass wir besonnen an die Sache herangehen und alles sachlich und seriös überprüfen wollen, damit wir zu vertretbaren und vor allen Dingen zu rechtsstaatlichen Ergebnissen kommen. Man darf nicht den Rechtsstaat sichern wollen, indem man ihn vorher beseitigt.

In diesem Sinn werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Wir sind damit einverstanden, dass wir den Antrag an den Ausschuss überweisen, um die Debatte weiterzuführen. Der Debatte wollen wir uns nicht verweigern.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Grützmacher das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich begrüße sehr, dass diese Diskussion über das schwierige Thema „Sexualstraftäter“ besonders dann, wenn es sich bei den Opfern um Kinder handelt, hier ganz differenziert behandelt wird, und zwar ganz anders, als das im Sommerloch manchmal klang, nämlich als man versuchte, dieses Thema mit der einfachen Lösung „härtere Strafen oder Wegsperren für immer“ einer Lösung zuzuführen.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir über dieses schwierige Thema reden. Es ist aber auch wichtig, dass wir uns nicht in markigen Sprüchen erschöpfen, sondern versuchen, sehr differenziert an diese Sache heranzugehen. Ich möchte auf eines hinweisen. Wichtig ist auch, dass wir über einer solchen Diskussion nicht vergessen, dass der weitaus größte Teil von Gewalt an Kindern, auch von sexueller Gewalt, im sozialen Nahraum passiert und es dort immer wieder furchtbare

Geschichten gibt. Das ist ein Thema, das auch noch einmal der Aufarbeitung in der gleichen differenzierten Form bedarf.

Meine Damen und Herren, natürlich hat der Gesetzgeber auf Bundesebene schon einiges getan. Herr Redmer hat darauf hingewiesen. Am Ende der letzten Wahlperiode wurde die Möglichkeit erleichtert, bei Sexualstraftätern die gegebenenfalls ein Leben lang andauernde Sicherungsverwahrung anzuordnen.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, das ist ein Schritt in eine Richtung, den auch Sie fordern. Sie gehen noch weiter. Sie wollen, wenn sich während des Absitzens der Strafe herausstellt, dass diese Person sehr schwer oder vielleicht gar nicht therapierbar ist, dass nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Das ist natürlich ein großes verfassungsrechtliches Problem. Wir müssen darüber reden, welche Möglichkeiten wir haben.

Sie haben natürlich Recht. Ich habe das während meiner Arbeit in der Strafvollzugskommission erlebt. Wenn ein Sexualstraftäter nach einem schweren Verbrechen nach 12 oder 15 Jahren entlassen wird, ohne dass er intensiv therapeutisch behandelt worden ist, ist eine Lücke vorhanden, die man schließen muss.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch an mich hatte sich vor einigen Jahren in meiner Funktion als Mitglied der Strafvollzugskommission ein Strafgefangener mit dieser Problematik gewandt. Wir haben das häufiger in der Kommission besprochen. Dabei wurde deutlich, dass es gerade im Übergang vom Strafvollzug in die Freiheit für solche Menschen, die ihre Strafe voll verbüßt haben, keine oder nur sehr wenige funktionierende Netzwerke oder Nachsorgeeinrichtungen gibt. Gerade für diese Tätergruppe wäre durch eine Unterbringung mit starken externen Kontrollen, mit Begutachtungen und einem engen therapeutischen Netzwerk die Rückfallquote ganz entscheidend zu senken. Davon sind Psychoanalytikerinnen inzwischen überzeugt.

Ebenso wie es an solchen nachsorgenden Netzwerken für diese Tätergruppe fehlt, fehlt es auch im Strafvollzug an ausreichenden Therapieangeboten. Viele wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Behandlung von Sexualstraftätern in vielen Fällen erfolgreich sein kann. Deshalb wurde § 9 des Strafvollzugsgesetzes neu geregelt. Alle Sexualstraftäter, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt werden, müssen in Zukunft in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn – ich zitiere – diese Verlegung aufgrund einer Untersuchung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Gefangenen angezeigt ist.

Um diese gesetzliche Anordnung umzusetzen, die am 1. Januar 2003 in Kraft tritt, muss natürlich auch das Land Rheinland-Pfalz erhebliche bauliche, organisatorische und personelle Vorbereitungen treffen. Darüber werden wir auch in der nächsten Rechtsausschusssitzung sprechen.

Meine Damen und Herren von der CDU, das sind wirklich Erfolg versprechende Vorhaben, die nicht nur dem vorbeugenden Opferschutz dienen, sondern auch dem Resozialisierungsgebot Rechnung tragen.