Protokoll der Sitzung vom 23.08.2001

Ich tue es jetzt.

Da ist zunächst einmal das DR-G-System. Der Minister hat das neue Fallpauschalensystem im Gesundheitswesen angesprochen. Damit kenne ich mich von A bis Z aus. Wir haben mit der Fraktion bereits 1996 mit Herrn Professor Dr. Neubauer und Herrn Dr. Mansky, die im Übrigen die Erfinder dieses Systems sind, eine Veranstaltung durchgeführt.

(Pörksen, SPD: Donnerwetter!)

Ich kann mich gut an die Kommentare des Ministers damals erinnern. Dieses Fallpauschalensystem kann noch gar nicht umgesetzt werden, weil kein Krankenhaus in Deutschland die Rahmenbedingungen kennt. Wenn ich Wettbewerb will, muss ich das Budget aufheben, ansonsten gibt es keinen Wettbewerb in diesem System. Die Rahmenbedingungen innerhalb des DR-GSystems sind noch in keiner Weise festgelegt.

Sie schlagen eine Lotsenfunktion des Hausarztes vor. Herr Minister Gerster, dieses System besteht seit Jahrzehnten. Die Bundesknappschaft in Deutschland hat eigene Ärzte. Sie hat in den letzten Jahren nicht besser abgeschnitten als alle anderen Kassen auch. Die Bun

desknappschaft hat nun einen neuen Chef. In den letzten zwei Jahren sind wesentliche Veränderungen in Gang gekommen, weil man neue Strukturen aufbaut. Aber dies allein vom System der Lotsenfunktion abhängig zu machen, ist völlig irrelevant. Die Bundesknappschaft ist ein gutes Beispiel dafür.

Weiterhin haben Sie die Kernversorgung angesprochen. Herr Minister, was ist eine Kernversorgung? Wer definiert die Kernversorgung? Für einen 20-Jährigen ist eine Kernversorgung etwas völlig anderes als für einen 80Jährigen. Wer definiert sie?

Wir brauchen kein Schwarze-Peter-Spiel, sondern eine große gesellschaftliche Diskussion, an der sich alle beteiligen, um diese Dinge zu definieren.

(Zuruf von der FDP)

Diese Dinge müssen von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen werden. Nur dann werden wir das Gesundheitssystem retten.

(Beifall der CDU)

Ich möchte zum Schluss noch zwei Zahlen nennen, um die ganze Bandbreite klarzumachen. In acht Jahren gibt es allein in Rheinland-Pfalz über 100.000 Menschen zusätzlich, die über 80 Jahre alt sind. Das ist gut so, und wir freuen uns darüber.

(Pörksen, SPD: Man sieht Ihnen an, wie sehr Sie sich darüber freuen!)

Aber es ist eben, als wenn ich ein altes Auto fahre. Je länger ich ein Auto fahre, desto mehr muss ich daran reparieren. Das ist normal, aber es ist eine riesige Kostenexplosion.

Alle sechs bis sieben Jahre verdoppelt sich zurzeit das Wissen in der Medizin. Was heute möglich ist, haben wir noch vor zehn Jahren für unmöglich gehalten. Diese Entwicklung wird fortschreiten. Deshalb werden wir uns sehr genau überlegen müssen, wie wir die Dinge finanzieren.

Ich kann nur alle gesellschaftlichen Kräfte dazu aufrufen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmidt, SPD)

Wir sollten endlich aufhören mit den TotschlagArgumenten. Die benutzen nicht wir, die benutzen andere.

Herr Dr. Schmitz, Sie sollten sich bitte einmal die FDPPosition der Vergangenheit vor Augen führen und dem Kollegen Thomae zuhören. Dann würden Sie nicht solchen Unsinn erzählen.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, ich darf weitere Gäste im Landtag begrüßen, und zwar die Kolping-Familie St. Josef aus Neustadt sowie Damen und Herren aus dem Erzählcafé der Verbandsgemeinde Nassau. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Ernst Günter Brinkmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Minister Gerster hat in seinem ersten Redebeitrag darauf hingewiesen, dass sein Ministerium an den Eckpunkten einer Gesundheitsreform arbeitet. Das ist gut so. Wenn man sich so bemüht, ist es auch richtig, dem Ministerium eine Teilnahme am runden Tisch in Berlin zu gewährleisten. Damit ist die Mitwirkung zumindest graduell gesichert.

Er macht in seinem zweiten Beitrag darauf aufmerksam, dass es bei allen Querelen, die es in der Gesundheitspolitik auch in diesem Hause gibt, zwischen den Fraktionen doch eine Fülle von Gemeinsamkeiten gibt, die eine Kooperation statt einer Konfrontation ermöglicht.

Ich glaube, dass er mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf trifft und im Fall einer Kooperation endlich auch das gemacht würde, was den Bürgern dient, und nicht das, was ihnen schadet. Dann würde endlich das gemacht, was den Bürgern Vertrauen in das schenkt, was im Gesundheitsbereich passiert. Die Bürger würden durch die permanenten kontroversen Auseinandersetzungen, die nicht selten auch Diffamierungen enthalten, nicht völlig verwirrt werden.

Herr Dr. Rosenbauer, in Ihrem Beitrag wurde immerhin die Aussage des Ministers bestätigt, dass es Gemeinsamkeiten gebe. Sie haben dies natürlich ein bisschen in Ihrem Sinne modifiziert. Wie könnte es auch anders sein? Sie meinen, der Minister sei auf Sie eingegangen. Dem widerspricht er sicherlich, womit er Recht hätte. Wenn Sie aber meinen, er sei auf Sie zugegangen, nehmen wir dies einmal insofern als die Wahrheit an, als dass Gemeinsamkeiten bestehen, die Ausgangspunkt für eine gewisse Kooperation sein können.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Wo?)

Ihren Wunsch, dass beim Bürger um Vertrauen geworben werden muss, habe ich soeben akzeptiert.

Meine Damen und Herren, in der Gesundheitsreform gibt es, ohne nun auf Einzelheiten eingehen zu wollen, eine Fülle unterschiedlichster Reformmöglichkeiten. Wir wissen alle, dass nicht jede Möglichkeit einer Reform jedem gefällt. Es wird immer bei unterschiedlichen Einstellungen aufgrund der unterschiedlichen Funktionen bleiben, die man im Gesundheitssystem hat, und es wird auch in diesem Fall, wie sonst so oft im Leben, darum gehen, dass man bereit ist, auf der Basis der Gemeinsamkeiten tragbare Kompromisse für alle zu suchen.

Der runde Tisch ist eine Möglichkeit dazu. Die gemeinsame sachliche Diskussion bietet hierzu Chancen.

Manchmal braucht ein gutes Ding auch Weile. Manches braucht mehr Zeit, als man eigentlich gern zugestehen möchte. Herr Dr. Rosenbauer sprach soeben die DR-Gs an. Er sprach auch von den Problemen, die es im Zusammenhang mit der Umsetzung der DR-Gs gäbe.

Ich darf Ihnen versichern, dass ich in der letzten Woche gemeinsam mit einigen Kollegen aus meiner Fraktion ein Gespräch mit Vertretern der Krankenkassen und der Krankenhäuser geführt habe. Es waren Repräsentanten unterschiedlicher Krankenhäuser unterschiedlicher Größenordnung vertreten und vor allen Dingen auch die Repräsentanten der Landeskrankenhausgesellschaft.

Für mich war sehr beruhigend und erfreulich, dass es eine breite Zustimmung zu der Finanzierungsreform im Krankenhausbereich über DR-Gs gab. Es war für mich sehr überraschend, als aus dem Mund eines Repräsentanten der Landeskrankenhausgesellschaft die Bemerkung kam: Eigentlich war die Umstellung auf diese Form der Abrechnung längst überfällig.

(Glocke des Präsidenten)

Zu Beginn der Debatte um die DR-Gs hat sich dies noch ganz anders angehört. Damals gab es konträre Positionen. Mittlerweile fragt man sich: Warum nicht schon früher?

(Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Dies lässt sich sicherlich auch auf andere Bereiche übertragen. Deshalb sollte man vernünftiger und ruhiger miteinander reden, wie dies heute gefordert wurde.

(Beifall der SPD und der FDP – Dr. Rosenbauer, CDU: Wer hat denn diese Debatte losgetreten?)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Rosenbauer, ich muss Sie noch einmal ansprechen. Wir sollten doch die Zeit haben, um daran zu erinnern, dass es in der Verantwortung Ihrer Partei liegt, dass Sie es in 16 Jahren geschafft haben, mit zuzuschauen, wie dieses Gesundheitssystem gründlich an die Wand gefahren worden ist.

(Dr. Altherr, CDU: Das habt ihr in einem Jahr geschafft!)

Wir sind deshalb heute in der Situation gezwungen – nicht nur unsere Minister waren in der Situation, sondern Ihre wären es auch gewesen –, grundlegende Reformschritte zu machen. Deshalb sind wir gezwungen, eine weitere Gesundheitsreform durchzuführen.

Herr Gerster, zu diesen Diskussionen gehören für mich auch Tabus. Da möchte ich Ihnen widersprechen. Es klingt immer so gut, wenn man sagt: Lasst uns völlig offen und tabufrei an die Dinge herangehen. – Man kann wohl seriös diskutieren und sagen: Aber es gibt Dinge, die uns wichtig sind. –

Sie haben beim Thema der Einschränkung der freien Arztwahl gesagt, da würde die Diskussion mit überspitzten Argumenten „totgemacht“. Ich wäre Ihnen für eine klare Aussage dazu dankbar, dass Sie sich für die Beibehaltung der freien Arztwahl ohne Einschränkungen einsetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, man kann auch am Beginn und während einer solchen Diskussion Pflöcke einrammen und sagen: Das und das ist uns wichtig, und das und das werden wir erhalten und ausbauen. – Das wird dieser Diskussion nicht schaden.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, der schon angeklungen ist. Ich denke, alle Gesundheitsminister, insbesondere auf Bundesebene, egal, welcher Partei sie angehört haben, haben feststellen müssen, dass Gesundheitsreformen immer mit heftigsten Prügeleien mit verschiedenen Lobbygruppen einhergehen. Es sind Lobbygruppen, die wunderbar organisiert sind und es immer wieder verstehen, zu blockieren und zu mauern. Ich meine, bestimmte Auswüchse hiervon hat man in dieser Debatte heute auch schon bemerkt.

Ich denke, wir dürfen nicht nur darüber diskutieren, wie in der bestehenden Schulmedizin und im bestehenden Gesundheitssystem Heilung möglichst optimal und patientenorientiert vonstatten gehen kann, sondern wir müssen uns in dieser Diskussion auch in der Auseinandersetzung mit Lobbygruppen darüber unterhalten, wie wir uns bezüglich anderer Heilungsmethoden verhalten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen.

Im Bereich der psychosomatischen Erkrankungen ist es unbestritten, dass die klassische Schulmedizin – ich nenne es einmal so vereinfachend – häufig keine oder keine zufrieden stellenden Antworten gibt, dass es aber im Bereich der Psychotherapie möglicherweise bessere Antworten für sehr viele Patienten gibt. Da mauert ein Teil der Ärztelobby heftig. Ich denke, auch wenn es durch das neue Psychotherapiegesetz deutliche Verbesserungen gegeben hat, ist es im Rahmen einer Gesundheitsreform einer Diskussion wert, zu überlegen, inwieweit man weiterhin die Durchlässigkeit zwischen Hausarzt und Psychotherapie noch verbessert. Das ist ein klassischer Fall, der folgende Auswirkungen hat: Sie haben zum einen eine Kostensenkung, zum anderen haben Sie eine Verbesserung für die Patienten, denn ihnen wird tatsächlich geholfen. Statt dass sie Pillen schlucken, wird die ganze Geschichte an der Wurzel gepackt.

Ich glaube von daher, dass wir die Diskussion tatsächlich in gewisser Weise ohne Tabus führen müssen, wir also sehr offen für alle möglichen Vorschläge sein müssen, auch für Wege, die quer zum bisherigen Denken gehen. Wir müssen aber sehr wohl einige Dinge berück