Protokoll der Sitzung vom 23.08.2001

Ich glaube von daher, dass wir die Diskussion tatsächlich in gewisser Weise ohne Tabus führen müssen, wir also sehr offen für alle möglichen Vorschläge sein müssen, auch für Wege, die quer zum bisherigen Denken gehen. Wir müssen aber sehr wohl einige Dinge berück

sichtigen und einige Pflöcke einrammen, die den Grundsatz der Solidarität wahren. Sie müssen auch den Grundsatz wahren, dass wir im weitesten Sinn eine medizinische Versorgung haben, die allen Menschen zugute kommt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Gesundheitsminister Gerster.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir können keine Fachdiskussion führen. Ich möchte deswegen in aller Kürze eine Anmerkung zu zwei Stichpunkten machen, die Sie genannt haben, Herr Marz. Sie haben zum einen die Schulmedizin und die alternative Medizin angesprochen. Meines Erachtens darf der Schlüsselbegriff für die Überprüfung des Leistungskataloges nicht die Sympathie zu bestimmten Therapieformen sein. Es darf auch nicht so sein, dass es zum Beispiel im wissenschaftlichen Sinn mehr als eine grundlegende Existenzberechtigung geben muss, etwa für die klassische Ps ychoanalyse im wissenschaftlichen Sinn. Es darf nicht das Kriterium sein, ob Psychoanalyse eine ernst zu nehmende medizinisch-psychologische Wissenschaftsrichtung ist oder nicht. Sie ist es natürlich.

Für den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und auch verwandter Systeme, die sich daran orientieren, zum Beispiel die Beihilfe, teilweise auch PKV, die sich in Teilen bewusst an der gesetzlichen Krankenversicherung orientiert, muss die Frage der nachgewiesenen Wirksamkeit und das Verhältnis von Aufwand und Ertrag im Mittelpunkt stehen. Wenn zum Beispiel die klassische Psychoanalyse dazu führt, dass nach einer jahrelangen Behandlung, in der Stunde für Stunde und Woche für Woche sozusagen die ganze Kindheit durchgekämmt wird, um dann nach drei Jahren im System selbst zu sagen, na ja, das hat wohl einen gewissen Therapieerfolg, der aber von außen beim besten Willen nicht nachgewiesen werden kann, dann bin ich in solchen Fällen – Entschuldigung – bei allem Respekt vor alternativen Methoden für eine trennscharfe Abgrenzung. Ähnliches gilt für Akupunktur.

(Beifall der FDP)

Herr Kollege Bauckhage weiß aus den Koalitionsverhandlungen, dass chronische Schmerzen, wenn sie mit Akupunktur behandelt werden, unter Umständen plötzlich ganz verblüffend weg sein können. Herr Kollege Bauckhage ist im Augenblick leider nicht da. Es hat bei ihm aber nur einen Tag gehalten. Das spricht noch nicht gegen die Akupunktur, aber es ist doch ein Hinweis darauf, dass man bei solchen Richtungen auch ein Stück weit glauben muss, also chinesische Medizin als ein ganzheitlicher Versuch, mit dem Menschen umzugehen.

Wir können nicht daran vorbei, es darf von einem gesetzlich regulierten System mit Zwangsbeiträgen nur das finanziert werden, was nachweislich wirksam ist, alles andere nicht. Entschuldigung, da müssen wir uns zu einer trennscharfen Abgrenzung durchringen. All das, was dann ergänzenden Charakter hat, kann anders organisiert und finanziert werden.

Ich möchte als letztes Stichwort das der freien Arztwahl ansprechen. Ich drücke mich überhaupt nicht vor der Antwort. Wer die Freiheit haben möchte, heute mit der Chipkarte als gesetzlich Versicherter zu jedem Arzt zu jeder Zeit gehen zu können, ohne dass der Arzt weiß, welche anderen Ärzte mitbehandeln, ohne dass der Arzt weiß, welche Krankheitsgeschichte damit verbunden ist, welche Medikamentenverordnung zur gleichen Zeit von anderen Ärzten vorgenommen wird, ohne dass der Arzt weiß, welcher Hausarzt diesen Patienten rund um die Uhr betreut und damit seine fachärztliche Versorgung ambulant/stationär quasi ergänzend steuert, ohne dass der Arzt das weiß, bei dem der Patient dann unter Umständen zum ersten Mal im Behandlungszimmer sitzt, wer diese Freiheit haben will, die sehr fragwürdig ist, der soll dafür einen Preis zahlen. Das können weiter steigende Beiträge auf dem heutigen Niveau sein, 14 % und mehr.

Wer sich aber einem System unterwirft, das evaluiert, also bewertet ist, das sinnvoll und qualitätsgesichert ist und bei dem der Hausarzt der Lotse durch das System ist, weil der Einzelne überfordert ist, der soll dafür belohnt werden. Herr Marz, ich bin manchmal auch überfordert. Wissen Sie als Nichtmediziner, ob die Augeninnendruckmessung, die Ihnen der Augenarzt empfiehlt, für Sie nützlich ist oder nicht? Sie steht nicht im Leistungskatalog. Sollen wir solche Entscheidungen dem Einzelnen überlassen? Da möchte ich gerne ein gesteuertes, ein qualitätsgesichertes System. Die Nachfrageseite, in dem Fall die Krankenversicherung, muss die Möglichkeit haben, dann auch die ökonomische Seite durch Einzelverträge mitzusteuern, bis hin zu Kliniken. In einem solchen optimierten System sind nachgewiesenermaßen Beitragssenkungen von 1 % bis 2 % und Qualitätsverbesserungen in Quantensprüngen möglich. Wenn wir das schaffen, haben wir viel erreicht.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das Wort hat Herr Dr. Rosenbauer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brinkmann, wie war das mit der Gesundheitsreform, die damals von der FDP und der CDU eingebracht wurde? Das gehört wegen der Ehrlichkeit auch ein Stück dazu. Wer hat vor 1998 alles Mögliche versprochen und nachher genau das Gegenteil gemacht? Wer war das? Waren das die CDU und die FDP, oder waren das die SPD und die GRÜNEN?

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich kann mich genau an die Diskussion um die Zuzahlung erinnern.

(Pörksen, SPD: Beitragsstabilität!)

Hier in diesem Raum wurde der Untergang des Abendlandes beschworen. Ich kann mich gut an diese Diskussion erinnern. Herr Gerster macht jetzt Vorschläge, die in die gleiche Richtung gehen und in manchen Punkten sogar darüber hinausgehen. Ich lehne sie überhaupt nicht ab, damit wir uns nicht falsch verstehen. Mir geht es darum, dass man ehrlich mit den Leuten umgehen muss.

(Pörksen, SPD: Ja, das glaube ich, dass es darum geht!)

Die Bürger merken es doch selbst. Man kann nicht mehr Leistungen für weniger Geld versprechen. Mit den Zahlen, die ich eben genannt habe, ist das einfach nicht möglich. Wir brauchen eine Diskussion in Deutschland über die Frage, was uns die Gesundheit wert ist. Wie viel wollen wir dafür ausgeben? Welche Leistungen sollen solidarisch abgefangen werden? Für welche Leistungen muss man Privatvorsorge halten? Diese Diskussion brauchen wir. Da helfen keine Totschlagargumente.

(Mertes, SPD: Das war ein schöner Einstieg! Wenn Sie so ange- fangen hätten!)

Herr Gerster, zu dieser Diskussion brauchen wir auch andere Dinge. Sie haben immer wieder die Qualitätssicherung genannt. Sie haben die Diabetiker genannt. Ich könnte noch die Hochdruckpatienten nennen. Man könnte viele Dinge nennen. Das hört sich immer gut an. Die Leute, die Ihnen zuhören, stimmen Ihnen zu. Wir müssen schauen, worum es konkret geht. Sie reden hier der Qualitätssicherung das Wort. Ich bin dafür. Man muss die Leistungserbringer in die Lage versetzen, dass sie diese Qualitätssicherung durchführen können.

Ich kann Ihnen ein Beispiel von den Krankenhäusern bringen. In den Krankenhäusern wird Erhebliches für die Qualitätssicherung getan. Es bezahlt nur niemand. Diese Qualitätssicherung muss aus dem normalen Umlauf erwirtschaftet werden. In dem Gesetz über das DR-GSystem steht drin, es entstehen keine zusätzlichen Kosten für die Krankenhäuser. Alle Krankenhäuser in Deutschland rüsten zurzeit massiv die EDV auf. Jedes Krankenhaus investiert zwischen 200.000 DM und 600.000 DM und mehr. Dies wird nicht refinanziert. Dies muss aus den Leistungen, die den Bürgern erbracht werden, finanziert werden. Letztendlich geht den Menschen diese Leistung verloren. Man muss es dafür zur Verfügung stellen.

(Staatsminister Gerster: Nein, Sie müssen besser und billiger werden!)

Herr Gerster, besser und billiger.

(Staatsminister Gerster: Eine Fallpauschale!)

Sie haben eine Pressemitteilung auf meine Kleine Anfrage abgegeben. Das ist einfach nicht wahr. Dort haben Sie behauptet, dass sich die Zahl der Mitarbeiter in den Krankenhäusern gegenüber 1991 erheblich erhöht hat. Das stimmt. Gegen 1991, ja. Wenn Sie 1995/1996 betrachten, dann haben sie sich erheblich reduziert. Die Zahl ist jetzt zwar noch größer als 1991, aber seit 1995/1996 hat sich die Zahl reduziert. Das hat selbstverständlich etwas mit den Budgets zu tun. Sprechen Sie doch einmal mit den Schwestern und Pflegern im Krankenhaus, wie dicht die Leistung ist, die mittlerweile erbracht wird. Immer weniger Menschen müssen mehr Leistung erbringen. Die Krankenhäuser haben Erhebliches getan. Das gilt auch für alle anderen. Ich will nicht nur die Krankenhäuser nennen. Nur das ist nicht so. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Ich kann mich gut an eine Debatte beim SWR mit Ihnen erinnern, bei der Sie all diese Dinge maßlos bestritten haben. Ich kann mich erinnern, gut erinnen.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Mittlerweile schwenken Sie ein Stück um. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir unser Gesundheitssystem in die Lage versetzen, die Leistung zu erbringen, die da ist, und die Menschen, die vor Ort arbeiten müssen, in die Lage versetzen, die Leistung zu erbringen. Der Druck auf diese wird immer größer.

(Pörksen, SPD: Dafür haben wir die Aktuelle Stunde!)

Vielen Dank. (Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Kollegen Marz das Wort.

Herr Pörksen, es gibt immer etwas Neues, man muss nur zuhören.

Ich habe mich nur zu Wort gemeldet, weil es nicht möglich ist, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich wollte eine kleine Korrektur anbringen. Herr Minister Gerster, ich habe mich ausdrücklich nicht auf die Psychoanalyse bezogen. Wir wollen keine Fachdiskussion führen. Das halte ich doch für wichtig. Ich habe mich nicht auf die Psychoanalyse bezogen, sondern auf die Psychotherapie. Es gibt verschiedene Schulen in der Psychotherapie. Sie haben natürlich Recht, dass es gerade in dieser Hinsicht eine Reihe von Dingen gibt, die vielleicht in den Bereich der Zauberei gehören. Das gilt für das, was unter dem Label „alternative Medizin, alternative Heilungsansätze“ firmiert, wenn versucht wird, das zu verifizieren. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, da muss man sehr vorsichtig sein.

Vielleicht können Sie dennoch einräumen, dass das Gesundheitssystem, wie es jetzt ist, Heilmethoden, die nachgewiesenermaßen erfolgreich sind, nicht den Platz

einräumt, den sie haben könnten. Wenn Sie sich den gesamten Psychobereich anschauen, gehört dazu beispielsweise systemische Psychotherapie. Dies ist nach meinen Informationen eine Therapieschule, die durchaus auch sehr kurzfristig erfolgreich arbeitet im Gegensatz zur Psychoanalyse, die tatsächlich einige Jahre brauchen kann. Dies hat aber noch nicht den Platz, den es haben könnte. Das meinte ich damit, wenn ich sagte, man muss natürlich mit Überprüfung anderen Methoden der Heilung eine Chance geben, die im Moment auch durch das Mauern von Lobbygruppen noch benachteiligt sind. Das geht natürlich nur, wenn es verifizierbar ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf.

AKTUELLE STUNDE Guter Auftakt: Situation zum Schuljahresbeginn 2001/2002 auf Antrag der Fraktion der CDU

(Zuruf von der CDU)

Ich rechne immer mit schulpolitischen Anträgen von Ihnen. Wir werden sehen.

auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 14/187 –

Für die antragstellende Fraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Joachim Mertes das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau mit dieser kleinen Verwechslung werden wir uns auch im Lauf der Diskussion ein bisschen befassen.

Zuerst gibt es gute Nachrichten. Das ist eine gute Nachricht, die uns von Schule zu Schule, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt entgegen schlägt, die Situation ist entspannt, nein, sie ist sogar gut. Wir haben einen wunderbaren Einstieg in das neue Schuljahr bekommen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Sie haben jetzt das Recht, dass ich für diese Behauptung einen entsprechenden Beweis vorlege. Meine Damen und Herren, zurzeit sind in Rheinland-Pfalz noch 20 Stellen im allgemeinen Schulbereich nicht besetzt. Das Land Hessen ist ungefähr doppelt so groß wie Rheinland-Pfalz und noch ein Schnaps dazu. Also dürften die Hessen 40 bis 50 Stellen nicht besetzt haben. Das bil