Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Ich bitte um die Gelegenheit für einen Schlusssatz.

3. Ich meine, dass wir den Wettbewerbsföderalismus in Deutschland annehmen müssen. Wir werden ihn in Rheinland-Pfalz annehmen. Der Wettbewerbsföderalismus wird der Motor für eine positive Entwicklung in Rheinland-Pfalz sein. Wir wollen nicht nur an diesem Wettbewerb teilnehmen, sondern wir wollen ihn auch gewinnen.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Weiner das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann nahtlos an Herrn Kuhn anknüpfen. Zunächst möchte ich aber doch noch eine Bemerkung zur Zuwanderung vorwegschicken. Herr Minister, Sie haben das auch gesagt, wir müssen uns zur Zuwanderung entscheiden. Zu einer Zuwanderung gehört aber auch eine gute Integration. Hier weist die Studie auf gravierende Mängel hin.

(Staatsminister Zuber: Völlig richtig!)

Wir müssen zunächst einmal die Menschen, die in unserem Land leben, integrieren, damit wir Möglichkeiten und Freiräume für eine weitere geordnete Zuwanderung schaffen.

(Staatsminister Zuber: Kein Dissens!)

Herr Kuhn, wir sollten die Lage nicht schönreden. Sie haben die Aktuelle Stunde beantragt. Wenn Sie sich aber die Studie und die Farbkarte genau ansehen, werden Sie feststellen, dass von den 40 besten Landkreisen in Deutschland nicht ein einziger in Rheinland-Pfalz liegt

(Zuruf des Abg. Creutzmann, FDP)

und die Gestaltungsquote der Städte in Rheinland-Pfalz durchweg – von wenigen Ausnahmen abgesehen – eine fünf oder sechs beträgt, sodass es den Kommunen in weiten Teilen gar nicht möglich ist gegenzusteuern. Daran wird der Handlungsbedarf deutlich.

Herr Kollege Dr. Braun, allein über mehr Kindertagesstätten kann man die Probleme nicht lösen. Sonst befände sich Pirmasens nicht am Ende, sondern in der Mitte oder gar in der Spitzengruppe. Mit Windenergie ist das auch nicht möglich. Wir brauchen das, was Herr Kollege Dr. Gölter zuvor schon gesagt hat. Wir brauchen bessere Straßenachsen in die Ballungsräume.

(Zuruf des Abg. Schwarz, SPD)

Wir müssen die Hauptverkehrsadern in unserem Land stärker an den künftigen Ost-West-Achsen in Deutschland und Europa ausrichten.

Meine Damen und Herren, die Studie ist hilfreich; denn sie zeigt uns den Handlungsbedarf auf, aber ich halte die Studie auch für gefährlich. Weshalb? Sie teilt Deutschland. Sie teilt Deutschland in zukunftsfähige und in angeblich nicht zukunftsfähige Regionen. Damit besteht die Gefahr, dass Leute, die das Ganze undifferenziert sehen, sich im Sinne einer selffullfilling prophecy bei Standort- und Investitionsentscheidungen beeinflussen lassen.

Die schlechtesten Werte in Rheinland-Pfalz – das wurde schon erwähnt – hat die Westpfalz.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zum Schluss. Entgegen der Aussage in der Studie sind wir beim Aufholen. Die Studie reicht nur bis zum Jahr 2001 und erfasst nicht die aktuellen positiven Entwicklungen. Herr Minister Zuber, dafür ein Dank an die Landesregierung. Im Bereich der Konversion haben wir beispielsweise positive Entwicklungen. In Pirmasens hat sich beispielsweise der jährliche Bevölkerungsrückgang halbiert. Wir befinden uns also zum Teil auf einem guten Weg. Entscheidend ist eine bessere Verkehrsanbindung in die Ballungsräume.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Noss noch einmal das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines ist meiner Meinung nach deutlich geworden: Deutschland wird sich verändern, und Deutschland muss sich verändern, um auf die neuen Rahmenbedingungen die entsprechenden Antworten geben zu können. Gefordert ist hierbei die gesamte Gesellschaft – die Wirtschaft und die Politik.

Wenn ich von der Politik spreche, sind nicht nur das Land und der Bund gefordert, sondern auch die Kommunen. Sie müssen überlegen, was sie beispielsweise mit eventuell zu viel vorhandenen Kindertagesstätten und Schulen anfangen und wie sie in der Stadtplanung auf diese neue Bevölkerungsentwicklung reagieren. Wir müssen die Verkehrsplanungen umstellen. Wir haben mehr ältere Menschen, die auch berücksichtigt werden wollen. Es werden Einrichtungen für Senioren benötigt.

Wir – damit meine ich die Politik und die Wirtschaft – müssen vor allen Dingen jungen Familien eine individuelle Entscheidung pro Kind ermöglichen. Wir müssen ihnen Zukunftsängste nehmen. Wir müssen in erster Linie den Frauen ermöglichen, neben der Kindererziehung eigene Karrieren einzuschlagen. Ferner muss die vorhandene Geldknappheit überwunden werden.

Rheinland-Pfalz wird diesbezüglich in der Studie ausdrücklich gelobt. Rheinland-Pfalz hat heute schon bessere Möglichkeiten für Mütter und das größte Angebot an Kindergartenplätzen und Ganztagsschulen von allen westlichen Bundesländern.

Für die Abstiegsregionen gilt es, dort, wo bisher meist Monostrukturen und militärische Dienststellen vorherrschten, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben seit 1989 81.000 militärische Arbeitsplätze direkt bei den Soldaten verloren, 24.000 Arbeitsplätze im Bereich der militärischen Zivilbediensteten und 50.000 indirekt vom Militär abhängige Arbeitsplätze. Das ergibt eine Zahl von rund 150.000 Menschen. Wenn wir uns die Arbeitslosenquote in Rheinland-Pfalz ansehen, stellen wir fest, dass wir da sehr gut liegen. Das ist eine ganz hervorragende Leistung, die im Land von der Wirtschaft und der Politik vollbracht wurde. Diese Leistung kann und sollte man entsprechend darstellen und nicht schlechtreden.

(Beifall der SPD und der FDP)

Wir müssen in diesen Verliererregionen – so möchte ich sie einmal bezeichnen – insbesondere hochwertige Arbeitsplätze schaffen, damit der unselige Trend, dass junge Menschen nach ihrer schulischen Ausbildung und beruflichen Ausbildung in die Ballungsräume wegziehen müssen, um eine adäquate Arbeitsstelle zu finden, endgültig verschwindet und die Menschen in ihrem angestammten Bereich verbleiben können.

(Glocke des Präsidenten)

Wir brauchen darüber hinaus ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz – das wurde bereits gesagt –, und die so genannten weichen Standortfaktoren, wie das Kulturprogramm auf dem flachen Land, müssen weiter verbessert werden. Die Bestrebungen des Kultursommers sind positiv zu erwähnen. Sie finden auch großen Anklang. Diesbezüglich befinden wir uns meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Braun das Wort.

Meine Damen und Herren! Gehen wir noch einmal auf die Realitäten ein, die uns in Zukunft einholen werden. Wir werden eine deutlich ältere Bevölkerung haben – das ist zunächst einmal nichts Schlimmes –, aber wir werden sehr wenige junge Leute haben. Da haben wir dann ein Problem. Wir brauchen Menschen, die sich um die alten Menschen kümmern. Da haben wir dann ein strukturelles Problem. Wir haben uns also damit zu beschäftigen – das machen wir in der EnqueteKommission „Zukunft der Arbeit“ –, wie sich die Strukturen verändern müssen.

Sie haben Recht, wir brauchen eine Infrastrukturveränderung, die aber nicht darin besteht – das stelle ich jetzt einmal als These auf –, dass wir eine Autobahn nach Pirmasens bauen. Herr Weiner, dann können die Pirm asenser dort zwar wohnen bleiben und sind schneller in den Ballungsgebieten, es ist aber vollkommen klar, dass wir dann mehr Straßenverkehr haben. Darin liegt aber nicht die Lösung des Problems. Die Lösung des Problems liegt darin, die Strukturen so zu stabilisieren – viele alte Leute ziehen wieder in die Städte, nachdem sie als junge Menschen in die Speckgürtel gezogen sind –, dass Menschen wieder dezentral nicht nur in den Ballungsgebieten in den Städten leben können.

Wir werden nicht nur in Pirmasens und Umgebung eine solche Entwicklung haben, sondern beispielsweise auch im Hunsrück. In der Eifel werden zum Beispiel ganze Dörfer verlassen. Das können wir vielleicht noch in Spanien oder in anderen Ländern beobachten. In RheinlandPfalz kennen wir das noch nicht.

Das ist ein Problem der Infrastruktur. Es gibt keine Ärzte, keine Läden und keine Betreuung mehr. Dann ziehen die Leute aus diesen Regionen weg. Wir brauchen auch dort Zukunftsperspektiven. Wir brauchen Zukunftsperspektiven in der Betreuung von Menschen, in der Stabilisierung von Arbeitsplätzen, in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Meiner Meinung nach ist das eine Sache, um die es sich zu kämpfen lohnt. Wir haben keine kleinen und einfachen Lösungen, wie beispielsweise den vierspurigen Ausbau einer Straße. Damit kommt Rheinland-Pfalz leider nicht voran. Es ist eine sehr komplizierte und umfassende Strukturänderung notwendig.

(Glocke des Präsidenten)

Wir laden auch Sie von der FDP ein, hier intensiv mitzuarbeiten.

(Kuhn, FDP: Danke schön!)

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht Herr Ministerpräsident Beck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Verlauf dieser Debatte will ich einige kurze Bemerkungen anschließen, und zwar damit beginnend, dass ich uns alle davor warne, einzelne Studien überzubewerten, sie allerdings zum Anlass zu nehmen, das herauszufiltern, was an Tendenzen und Richtungen in solchen Hinweisen enthalten ist.

(Dr. Schiffmann, SPD: Sehr richtig!)

Das gilt im Übrigen auch für die Zahlen unseres eigenen Statistischen Landesamts. Dazu gibt es durchaus andere Szenarien. Tendenziell wird es sicher richtig sein, dass die Bevölkerung nicht zunimmt. Dies wird auf Rheinland-Pfalz in den nächsten Jahren noch nicht zutreffen. Die Anzahl der Bürger wird dann aber stagnieren und abnehmen. Eines wird in jedem Fall richtig sein, nämlich dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung nach oben gehen wird.

Wir müssen versuchen, auf unseren Wegen durch unsere Möglichkeiten darauf Einfluss zu nehmen, unsere Gesellschaft innovations- und investitionsfähig zu halten; denn es wird – auch auf die einzelnen Regionen heruntergebrochen – aus meiner Sicht entscheidend sein, wie wir letztendlich Bevölkerungswanderungen oder das Bleiben am Ort beeinflussen können. Gerade in Rheinland-Pfalz gibt es eine hohe Eigentumsbindung, die höher als bei den Schwaben ist, die in Deutschland und darüber hinaus als die Häuslebauer betrachtet werden. Wir haben mit den Saarländern zusammen die höchsten Eigentumsquoten. Das schafft auch Bindungen vor Ort. Es ist sicher richtig, dass wir diese emotionalen Bindungen auch materiell möglich machen müssen.

Ich glaube, dass viele Dinge notwendig sind, um diesen Weg zu gehen. Ich lasse die großen bundesweiten und europaweiten Rahmenbedingungen aus Zeitgründen weg. Natürlich müssen wir sie sehen. Es muss so sein, dass Menschen insgesamt im Alter mit einem abgesicherten Leben bei entsprechender Anstrengung im Laufe eines Lebens rechnen können und vieles andere mehr. Darüber ist vielfach diskutiert worden. Hier besteht dem Grunde nach auch kein Dissens.

Wir haben an einer Reihe von Stellen Stellschrauben, mit denen wir arbeiten können. Wir sollten uns dabei ein noch sorgfältigeres Bild verschaffen, als es bisher möglich ist. Deshalb habe ich darum gebeten – das Kabinett hat gerade in diesen Tagen einen Auftrag beschlossen und ihn konkretisiert –, dass wir einen neuen Landesentwicklungsplan – LEP IV – schreiben. Als erstes Land in Deutschland wird Rheinland-Pfalz diesen Entwicklungsplan mit einem Raster „Demographie“ versehen.

(Beifall der SPD und der FDP)

In dieses Demographieraster müssen all die Elemente, die diskutiert worden sind, mit einbezogen werden. Ich bin kein besonders plangläubiger Mensch. Wir müssen dennoch versuchen, über die Landesplanung, die Regionalplanung, bis hin zur Bauleitplanung gewisse Entwicklungen mit zu prägen, damit wir nicht Fehlentwicklungen einleiten, die privates und öffentliches Geld bin

den, das wir schon in wenigen Jahren für andere Tendenzen stärker brauchen würden.