Herr Schweitzer, Sie brauchen grundsätzliche Beispiele. Ich nenne ein weiteres Beispiel dafür, wie man konkret Sozialpolitik machen kann und es abfedern muss. Wir haben 55 Schuldnerberatungsstellen im Land. In diesen Schuldnerberatungsstellen haben wir zum Teil Wartezeiten von einem halben bis zu einem ganzen Jahr. Man muss kein Experte auf diesem Feld sein, um zu wissen, dass bei der Schuldnerberatung oft die Zeit ein wichtiger Faktor ist, wenn man noch etwas retten will. Tun Sie etwas in diesem Bereich, damit sich die Wartezeiten verkürzen. Leisten Sie Ihren Beitrag dazu. Stattdessen wird das offenbar einfach hingenommen.
Ich nenne Ihnen die Zahlen. Die Zahl der Beratungen ist zwischen 2002 und 2003 um 15 % gestiegen. Im Jahr davor war das um 12 % der Fall. Das sind erhebliche Steigerungen und erklärt die Wartezeiten. Wenn Sie in diesem Bereich nichts tun können oder wollen, dann könnten Sie wenigstens als Landesregierung das in Ihren Möglichkeiten Stehende tun, um das Verbraucherinsolvenzrecht, das im Moment auf der europäischen Ebene in der Diskussion ist, nicht weiter zu blockieren. Das habe ich vermisst.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen, wo Sie etwas tun können, was noch nicht einmal unbedingt Geld kostet. Nicht alle Maßnahmen in der Sozialpolitik kosten Geld. Manche Dinge muss man nur anders und sinnvoller machen: Heimaufsicht zum Beispiel. – Ich bin vorsichtig damit, Beispiele aus Bayern zu nehmen. Wenn ich richtig informiert bin, arbeitet die Heimaufsicht in Bayern unangekündigt. Das halte ich für eine sinnvolle Maßnahme. Warum eigentlich nicht? Warum arbeitet die rheinland-pfälzische Heimaufsicht nicht ohne Ankündigung? Wenn die Heimaufsicht die Aufgabe hat, nicht die Träger der Heime und nicht die Leitungen der Heime zu schützen, sondern wenn sie die Aufgabe der Qualitätssi
cherung im Sinn der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner hat, dann muss sie unangekündigt kommen. Das ist eine Möglichkeit, die Sie, Frau Ministerin, haben, die Sie in die Wege leiten könnten. Zumindest ich verstehe nicht, warum Sie das dann nicht m achen.
(Rösch, SPD: Wo haben Sie diese Information her, Herr Marz? Bayern verhält sich nicht anders wie wir!)
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der im Moment natürlich sehr stark in der Diskussion steht. Das ist die Frage der Umsetzung von Hartz IV. Ich komme zunächst einmal zur Finanzierungs- bzw. zur kommunalen Seite. Vielleicht ist es möglich, dass Sie – Frau Grosse hat dazu jetzt leider nichts gesagt – einen gewissen Widerspruch auflösen. Vor einigen Tagen hat Frau Grosse in der „Rheinpfalz“ zur Frage des Ausführungsgesetzes zum SGB II, das die kommunalen Finanzen berührt, gesagt, die Festschreibung von 18,64 Millionen Euro bleibt. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat heute Morgen in seiner Haushaltsrede gesagt, man wolle da noch etwas ändern zusätzlich im Sinn der Forderung, die der Landkreistag erhoben hat.
Ich sage Ihnen, wir haben bis jetzt keinen entsprechenden Änderungsantrag vorliegen. Deshalb weiß ich nicht, ob der noch kommt. Ich weiß nicht, was die Verhandlungsgrundlage ist. Ich kann Ihnen nur sagen, in diesem Punkt wird die Frage der Zustimmung oder der Ablehnung meiner Fraktion tatsächlich davon abhängen, inwiefern die Kommunen tatsächlich die Entlastung weitergegeben bekommen, die ihnen zusteht. Diese Frage müssen Sie beantworten. Ich erwarte, dass wir dazu noch eine Antwort bekommen.
Zum Zweiten: Sie haben noch nicht die Frage des interkommunalen Finanzausgleichs gelöst; denn es wird natürlich, je nachdem, wie die bisherige Struktur war, möglicherweise in einigen Kommunen zu Verwerfungen kommen, die natürlich auch geregelt werden müssen.
Frau Dreyer, Sie haben sich bei der bisherigen Umsetzung von Hartz IV zwangsläufig – das räume ich ein – weitgehend auf eine Moderationsrolle beschränkt, was die Gründung der Arbeitsgemeinschaften angeht.
Sie werden zugeben, ich habe das nun relativ neutral dargestellt. Ich habe gesagt, Sie haben sich zwangsläufig auf eine Moderationsrolle beschränkt.
Ich kann nur feststellen, dass diese Moderationsrolle auch nur begrenzt erfolgreich war; denn wir haben in Rheinland-Pfalz die Situation, dass in einigen Kommunen die Gründung der Arbeitsgemeinschaften noch nicht abgeschlossen ist. Das heißt, in diesen Kommunen wird man Anfang des Jahres mit einem Modell starten, das jede Leistung aus einer Hand nicht beinhaltet. Das werden wir auch haben. Hier einzufordern, dass die Ministerin bzw. das Ministerium oder die Verantwortlichen sich jetzt richtig ins Zeug legen, um diesen Missstand jetzt möglichst schnell auszuschalten, dazu weiß ich nicht, was Sie dagegen haben können, Herr Kollege Rösch.
wenn sie 100 % erreicht hätten. Selbstverständlich. Das wäre der 100%ige Erfolg. So haben Sie vielleicht 80%igen Erfolg. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Darauf hinzuweisen und zu sagen, das muss nun sehr schnell im nächsten Jahr umgesetzt werden, ist wohl nur recht und billig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nun auch einige Handlungsfelder aufgezählt und versucht, diese Handlungsfelder mit Handlungsmöglichkeiten zu verknüpfen. Das habe ich bisher vermisst. Ich vermisse das auch in weiten Teilen bei der Sozialpolitik dieser Landesregierung. Dass Sie damit nicht zurechtkommen, Sie sich – um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen – in einem politischen Umfeld bewegen, in dem Sozialpolitik nun einmal schwer zu machen ist, will ich gern einräumen. Aber das liegt auch an den Umfeldbedingungen. Das liegt auch an der schwierigen allgemeinen finanziellen Situation, die wir haben. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, das liegt natürlich an demjenigen, den ich vorhin schon angekündigt habe und der jetzt nach mir kommt.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Schweitzer, SPD: Sie sollten sich besser einmal bei Frau Grosse entschuldigen!)
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal ganz artig bei meinem Kollegen Rainer Marz für die Stabübergabe bedanken und will dann auch gleich so einsteigen, dass ich seinen Vorschlag einer unmittelbaren, nicht angekündigten Kontrolle in allen möglichen Bereichen von Herzen unterstütze.
Das ist unsere Position seit „Leipzig, Einundleipzig“. Von daher als Erstes, jawohl, auch wir sind dieser Meinung.
Aber lieber Herr Kollege Marz, da wollen wir gleich weitermachen mit dem, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns an neuen Erkenntnissen vermittelt haben und wozu wir nicht stehen. Das ist Ihr Entschließungsantrag zum Bereich der Armutsverwaltung, wie ich es einmal nenne. Ich habe beim letzten Mal schon versucht, als wir über den Armutsbericht gesprochen haben, klar zu machen, dass nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Politik und eben auch dieser Bericht zwischen den verschiedenen Definitionen von Armut unterscheiden.
Zum Beispiel sagt man, dass Armut nach der üblichen Definition die Hälfte des Durchschnittseinkommens ist. Nun leuchtet uns ein, wenn das Durchschnittseinkommen in Deutschland doppelt so hoch wäre wie im Moment, wären alle Deutschen durchschnittlich arm. Es ist also kein Gradmesser, der beispielsweise herangezogen werden kann im Vergleich zur Armut in der Dritten Welt oder existenziellen Nöten, sondern er beschreibt ein Ungleichgewicht in den Einkommensverhältnissen. Als Ergebnis dieses Zustands der Armut gibt es Grundsicherung und Sozialhife und in Zukunft auch noch Arbeitslosengeld II.
Diese Instrumente des Sozialstaats auch in RheinlandPfalz sorgen dafür, dass es – so der Armutsbericht, der Grundlage Ihres Entschließungsantrags ist – in Rheinland-Pfalz nur bekämpfte Armut gibt. Armut ist also bereits bekämpft. Jetzt gehen Sie darüber hinaus. Ich bitte Sie, einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass das nicht nur von der Definition, sondern auch von der politischen Realität her so gegeben ist.
Das Zweite: Selbst wenn es anders wäre, kann ich die Konsequenzen, die Sie – ich sage es deftig – androhen, nicht nachvollziehen; denn das ist genau der falsche Ansatz, um mit diesem Problem, wo es noch gegeben ist, umzugehen. Dieser zentralistische Ansatz einer Armutsleitstelle im Ministerium, am besten ein Förderantrag für Beratung in der Armut oder wie auch immer, passt nicht zu dem, was Sie zu sozialen Brennpunkten gesagt haben. Wenn Sie in sozialen Brennpunkten arbeiten und diese sozialen Brennpunkte wirkungsvoll bekämpfen wollen, dann müssen Sie das tun, was diese Koalition sozial und liberal seit Jahren versucht – das ist nämlich kein Widerspruch –, subsidiär zu regeln, nicht
Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem kleinen Heimatdörfchen in der Eifel. Meine Mutter machte mich auf das Schicksal eines jungen Mädchens aufmerksam. Die Eltern leben in desolaten Verhältnissen. Sie sagte dann auch diesen landläufigen Spruch zu mir, da müsste der Staat doch etwas tun. So einfach ist man dann fertig. Ich habe geantwortet: Nein, da müssen erst einmal die sechs Geschwister etwas tun, danach die Nachbarn, danach der Bürgermeister und der Pfarrer. Es gibt wichtigere Dinge als die Planung von Dorfgemeinschaftshäusern. Wenn Menschen kaputtgehen, dann sind die Menschen daneben gefragt und nicht staatliche Leitstellen.
Meine Damen und Herren, zum Einzelplan 06: Ich falle mit der Tür ins Haus. Ich lobe die Landesregierung ausdrücklich für diesen ausgewogenen Haushalt, und dieses Lob wird in der Kombination dessen, was Frau Thelen zusätzlich sparen will und was den GRÜNEN nicht weit genug geht, unterstrichen. Ich kann mich dem nur anschließen.
Ich glaube, das, was Frau Thelen gerade bei dieser Haushaltsberatung zum Thema „Arbeitsmarktpolitik“ gesagt hat, ist im Licht von Hartz IV nicht zu halten.
Frau Thelen, selbst wenn es unter anderen Umständen richtig wäre, was Sie vorgetragen haben, gerade jetzt darf es sich das Land nicht leisten, sich in eine rein moderierende Rolle hineindrängen zu lassen, um nachher von Ihnen den Vorwurf auszuhalten, dass es am Land gescheitert ist. Es klingt doch schon wieder auf. Es ist nicht der fromme, das, was wir an Schwüren leisten, Kommunen, Land und Bund sollen zusammenarbeiten, sondern es ist immer wieder der Hinweis, der Eine gegen den Anderen und die Aussicht, dass immer jeweils der Andere in die Haftung genommen wird, wenn irgendetwas nicht funktioniert.
Wer ist denn für die 20 % nicht funktionierender Arbeitsgemeinschaften zuständig? Die Bundesagentur und die Kommunen, nicht das Land Rheinland-Pfalz. Diese Verdächtigungen muss man zurückweisen.
Wenn das Land in seiner Moderationsrolle und mit finanziellen Rückstellungen sagt, Hartz IV kann nur funktionieren, wenn wir auch finanzielle Ressourcen haben, um den Start dieses anspruchsvollen Gesetzeswerkes, das wir alle wollen, nicht nur moderierend, sondern auch organisatorisch zu begleiten, weil so viel davon abhängt, dass es funktioniert, dann ist die Haltung der Landesregierung, diese Mittel im Haushalt vorzusehen, richtig und wird von uns nachhaltig unterstützt.
Meine Damen und Herren, weil dieses Thema „Massenarbeitslosigkeit“ so sehr dem Einzelplan 06 verwoben ist, darf ich auch noch etwas zu dem „Uraltvorwurf“ der geschönten Arbeitsmarktstatistik in Rheinland-Pfalz sagen, so, wie die CDU es uns gerade immer vorwirft: Überschrift „Pendler“. Ich habe es am Anfang nicht ver
standen, ich habe es in den letzten Haushaltsberatungen nicht verstanden, ich verstehe es auch jetzt nicht.
Was ist den Schlimmes daran, wenn Hessen in Rheinland-Pfalz wohnen, wenn Baden-Württemberger in Rheinland-Pfalz wohnen, weil sie sich hier wohler fühlen, oder wenn Ansässige aus Rheinland-Pfalz in Hessen, Baden-Württemberg, Luxemburg oder NordrheinWestfalen arbeiten? Was ist Schlimmes daran? Das wirkt fast so, als ob Sie es mit Trauer begleiten würden, wenn die 7,6 % Arbeitslose, die wir jetzt auch noch haben, über Pendeln ein Auskommen in Nachbarländern finden würden. Wir würden das begrüßen. Sie wären dagegen.