Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Landesregierung hat die Initiative zu zwei der größten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit ergriffen. Auch bei mir ist die Reihenfolge willkürlich gewählt; denn ich denke, beide Herausforderungen haben einen ähnlichen Stellenwert. Das ist zum einen die Aufgabe, kinder- und familienfreundliche Lebensbedingungen und auch die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern in einem großen Umfang zu verbessern.
Gerade aufgrund der schwierigen Erwerbslage in Deutschland ist es dringend notwendig, dass wir allen jungen Paaren und Eltern die Perspektive eines bedarfsgerechten, pluralistischen und auf die persönliche Lebenssituation angepassten und erschwinglichen Betreuungssystems eröffnen. Die demografische Entwicklung macht uns nicht nur deutlich, dass wir in den westlichen Bundesländern auch im europäischen Vergleich Defizite haben, die auch deutliche Auswirkungen im Betreuungssystem zeigen, sondern sie macht uns auch klar und stellt uns vor die Herausforderung, dass wir junge und qualifizierte Frauen künftig am Arbeitsmarkt um so dringender brauchen werden, um weiterhin uns ere wirtschaftlichen Potenziale auch in Rheinland-Pfalz entfalten zu können und dass gerade für den ländlichen Raum eine gute Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur vom frühkindlichen Alter an ein entscheidender Standortfaktor in einer Zukunft sein wird, in der es auch einen Überschuss an Wohnraum geben wird und in der auch ein Wettbewerb gerade um junge Familien und Arbeitskräfte stattfinden wird, die wir in unseren vorwiegend ländlichen Räumen halten und binden wollen.
Wir werden zum anderen junge Menschen noch besser qualifizieren müssen. Das haben uns nicht nur die PISAStudie, sondern auch die OECD-Studie „Starting strong“ und nicht zuletzt auch die VERA-Vergleichsarbeiten, über die wir eben diskutiert haben, gezeigt, dass die Vorbereitung auf die Grundschule und der Übergang in die Grundschule für alle Kinder noch Aufgaben sind, die wir zu deren Wohl künftig noch sorgfältiger bewältigen müssen.
Wenn man sich Befunde in der Entwicklungspsychologie ansieht, dann erfahren Kinder zwischen dem zweiten und dem siebten Lebensjahr den größten Schub in der motorischen und in der kognitiven Entwicklung. In keiner Phase erweitert sich gerade der Wortschatz so enorm wie in dieser Lebensspanne. Das heißt dann aber gleichzeitig auch, dass man gerade in dieser Zeit auch die größten Chancen beispielsweise in der Sprachentwicklung verpassen kann, wenn man nicht darauf reagiert. Das zeigt sich leider in unserem Bildungssystem auch immer noch, wenn man sich die Kopplung von
sozialer Herkunft und Kindergartenbesuch, von sozialer Herkunft und Bildungsschancen in der gesamten Bildungslaufbahn und auch beispielsweise das Abschneiden von Kindern nicht deutscher Herkunftssprache bei VERA ansieht.
Meine Damen und Herren, bevor ich auf das eingehe, was wir hier auch gemeinsam parlamentarisch in den nächsten Monaten begleiten werden dürfen, möchte ich gern noch etwas zu den Oppositionsfraktionen sagen. Man muss zunächst einmal ehrlicherweise zugeben, dass tatsächlich jeweils auf eine der beiden Herausforderungen, die ich hier formuliert habe, in der Tat schon Lösungsansätze von Ihnen kamen. Das gilt für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bereich des Ausbaus der frühkindlichen Betreuung und des TAG und für die CDUFraktion für den Bereich der sprachlichen Frühförderung.
Man muss sich dann aber einmal die Initiativen selbst genau ansehen und auch die Zeitpunkte natürlich, zu denen sie kamen. Es waren zum einen Zeitpunkte, zu denen wir schon deutliche erste Schritte auf diesem Weg gegangen sind. Es waren zum anderen aber auch Zeitpunkte – ich denke, da kann ich mit für meine Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen sprechen –, wo ich die eine oder andere konkrete Umsetzung zu dem Zeitpunkt, den Sie vorgeschlagen haben, noch etwas gewagt und übereilt und auch in der politischen Nuance nicht unbedingt zu 100 % gelungen fand.
Da kam zum Beispiel der TAG-Umsetzungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Zeitpunkt, zu dem noch überhaupt nicht wirklich klar war, mit welcher Rechtslage im Hinblick auf das TAG wir es künftig zu tun haben. Das TAG wurde am 17. Dezember beschlossen. Ihr Antrag kam früher. So etwas finde ich dann relativ gewagt und auch nicht immer unbedingt seriös, auch nicht im Hinblick auf die finanziellen Konsequenzen.
Zudem glaube ich auch, dass die Landesregierung, wenn man sich das Konzept heute sehr genau angehört hat, die Zeit bis zur sicheren Rechtslage sehr sinnvoll genutzt hat, um insgesamt eine durchdachtere Lösung für das Problem zu entwickeln, von der wir aber auch sehen, dass so etwas einer seriösen Vorbereitung bedarf.
Zur CDU: Ich hätte mich lieber mit Herrn Keller auseinander gesetzt; denn von ihm kamen die einzigen Vorschläge, die wir hier kennen. Das waren Sprachtests vor der Einschulung mit mehr oder minder schweren Kons equenzen als der reinen Förderung für die Kinder.
Ich nehme jetzt einmal nur den Sprachtest. Das waren auch Zeitpunkte, zu denen man in anderen Bundesländern gesehen hat, dass es nicht so einfach ist, solche Testverfahren, wie Sie sie immer nur als reine Tests eingefordert haben, zu validieren und auf den Weg zu bringen. Wir wissen, dass auch das eine oder andere Verfahren in anderen Bundesländern immer wieder einmal verworfen wurde.
Herr Keller, das war im Übrigen auch – das muss ich dem Kollegen Lelle heute zugute halten, wir wissen endlich einmal, was Sie wollen – bisher das Einzige, was wir gehört haben, nämlich die Sprachstandsdiagnose in Form eines Tests. Sie kannten Ihr Konzept letzte Woche noch nicht einmal, als wir dieses Programm im Ausschuss diskutiert haben; denn dort haben Sie gesagt, Sie sagen dazu nichts. Sie haben auch kein Alternativprogramm vorgeschlagen.
Meine Damen und Herren, das Programm „Zukunftschance Kinder“, das in der vergangenen Woche ers tmals von der Landesregierung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, geht einen zentralen Schritt mit einer weiteren auch finanziell ungeheuren gemeinsamen Kraftanstrengung auf einem bildungs- und familienpolitischen Weg, den wir mit dieser Landesregierung und in dieser Legislaturperiode und auch in den Jahren davor eingeschlagen haben und schrittweise gemeinsam immer weiter gegangen sind.
Der Aufbau der Ganztagsschulen ist schon genannt worden als großer Schritt zum einen im bildungspolitischen Schwerpunkt, zum anderen aber auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich möchte hier bewusst nicht alle weiteren bildungspolitischen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit PISA und anderen Studien zu sehen sind, nennen; denn um diese geht es hier im Kern nicht.
Als wir im Jahr 2002 das Kindertagesstättengesetz ändern mussten, um die plurale Trägerstruktur in Rheinland-Pfalz auch vor dem Hintergrund der knappen Einnahmensituation der Kirchen zu sichern, haben wir im selben Zug damals schon den jeweiligen Trägeranteil für Ganztagsplätze, für Krippen und für Horte entlastet, um als Land Anreize zu schaffen, um im Rahmen der demografischen Entwicklung zum einen die frei werdenden Kapazitäten sinnvoll zu nutzen und zum anderen auch die Betreuungsangebote bedarfsgerecht auszubauen.
Ach, das ist schön. Das sind schon Maßnahmen, die wir bereits gegangen sind, die auch schon erkennbare Erfolge gezeigt haben. Wir haben die Gesamtzahl der Versorgungsquote bisher schon insgesamt verdoppelt, und wir werden jetzt noch einmal insgesamt um 10 % entlasten. Das ist gerade der Bereich für die unter Dreijährigen, den wir dort ansprechen. Es ist vielleicht nicht ganz redlich zu sagen, dass wir gar nichts getan hätten; denn das sind die entscheidenden Maßnahmen, die wir da auf den Tisch gelegt haben.
nen Euro im Jahr 2006 als Zuschüsse für die Kindertagesstätten aus. Auch an diesen haushaltspolitischen Daten und den Steigerungen sieht man, dass jetzt, wo sich das neue Programm noch gar nicht wiederfindet, schon eine sehr gute Startbasis zur Umsetzung des TAG geschaffen wurde.
Wir haben auch schon im vergangenen Haushalt Mittel zur Qualifizierung von Tagesmüttern und -vätern veranschlagt. Genau an diesen Maßnahmen knüpft das neue Programm an.
Um ein plurales, flexibles, wohnort- und betriebsnahes Betreuungssystem gerade für die ganz Kleinen aufzubauen, sollen die Kommunen insgesamt noch einmal um 10% des Finanzierungsanteils entlastet werden. Wir lassen sie im Hinblick auf das TAG nicht im Stich, auch angesichts der großen Herausforderungen des demografischen Wandels nicht.
Die zusätzliche Qualifizierung von Tagespflegepersonen schafft ein weiteres qualifiziertes Angebot, das sich an dem Bedarf der Eltern ausrichtet. Die Kindergartengruppen für Zweijährige zu öffnen, wird uns auch einen enormen Vorsprung vor anderen westlichen Bundesländern bringen, allein schon deshalb, weil wir diese Maßnahmen als Land voll ausfinanzieren werden und durch die Integration der Zweijährigen in die Kindergartengruppen der Personalbedarf nicht explodiert und der Finanzrahmen so überschaubar bleibt, dass man bis 2010 den Rechtsanspruch umsetzen kann. Die Maßnahmen beginnen natürlich schon 2006 und nicht erst 2010.
Mir kam übrigens, als das Programm das erste Mal vorgestellt wurde, allmählich selbst der Gedanke, dass es schon langsam recht attraktiv wird, in diesem Land Kinder zu kriegen. Das muss man auch einmal ganz ehrlich sagen, um das etwas aufzulockern.
Ich glaube, wenn man sich diese Kombination zwischen der Erhöhung des Landesanteils bei den Krippenplätzen und der Integration der Zweijährigen ansieht, dann ist das meiner Ansicht nach die entschiedene Überlegenheit dieses Vorschlags, auch gegenüber dessen, was die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorschlägt, weil wir dadurch schon so effizient und sinnvoll Strukturen aufbauen, wie es besser nicht geht.
Lassen Sie mich jetzt noch auf den Bildungsbereich eingehen. Auch hier sind wir in dieser Legislaturperiode schon entscheidende Schritte gegangen, um gerade im frühkindlichen Bereich Bildungsangebote zu intensivieren, die Qualität zu verbessern und den Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule zu optimieren. Wir haben diese Kooperation auch schon im Schulgesetz verankert. Es wurden gemeinsam mit den Kinderta
gesstätten und den Trägern die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen, auf die auch die Kollegin schon hingewiesen hat, auf den Weg gebracht. Wir haben die Erzieherinnen- und Erziehungsausbildung umgestaltet. Nicht zu vergessen ist auch das neue Fernstudium.
Herr Lelle, es kommen zu 50 % auch Bewerberinnen aus anderen Bundesländern, und die kommen zu einem nicht geringen Anteil aus CDU-geführten Bundesländern. Da sagen Sie, dass wir nicht mutig genug sind, in der Qualifizierung einen Schritt vorauszugehen.
Wir haben angefangen, gezielte zusätzliche Sprachförderangebote für von besonders von Migrationskindern betroffene Kindertagesstätten aufzubauen, wo wir auch die Eltern mit in den Blick nehmen. Wir erreichen im Übrigen heute schon in den Kindertagesstätten 90 % der deutschen und über 86 % der ausländischen Kinder, sodass ich da die Notwendigkeit zu einer Schulpflicht nicht sehe. Wir nehmen gerade diese Gruppe in den Blick, die nicht in den Kindertagesstätten ist, weil wir auch sehen, dass man oft mit den Angeboten, die man macht, nicht unbedingt immer die erreicht, die es am nötigsten haben.
Ich denke aber, wenn wir tatsächlich einen Bildungsauftrag und einen Vorbereitungsauftrag für die Kindertagesstätten formulieren, dann ist es eine notwendige Konsequenz, dies beitragsfrei zu machen.
Wir haben gleichzeitig noch das Element gehört, dass es Sprachdiagnosen und Sprachförderkurse auch für diejenigen geben wird, die dann immer noch nicht erreicht sind. Ich glaube nicht, dass das ein sehr großer Teil sein wird, sodass ich da der Argumentation der CDU nicht wirklich folgen kann.
Ich glaube, insgesamt, auch in dem Paket mit der früheren Einschulung bzw. der früheren Schulpflicht und der verbindlichen Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen, ist das ein sehr rundes Programm, das vor allem einer ganz sensiblen Übergangsphase Rechnung trägt. Ich denke, dass es ein besonders wichtiger Baustein auch der Bildungspolitik in diesem Land ist.
Die Maßnahmen sind gleichzeitig ein deutliches Signal dieser Landesregierung dafür, dass wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern im Rahmen der demografischen Entwicklung unsere frühkindlichen Bildungsangebote und Strukturen, Kindertagesstätte und Grundschule, in der Fläche aufwerten statt abbauen. Ich finde, auch das ist besonders lobenswert.
Ich freue mich sehr, dass wir ein Programm vorgestellt bekommen haben, das kein mit heißer Nadel gestrickter Aktionismus ist, sondern eine Kraftanstrengung, die wir gemeinsam als Koalitionäre mit der Landesregierung tragen werden.
Ich freue mich sehr, dass wir viele Teile noch parlamentarisch ausgestalten können. Wir tragen im Rahmen dieser Ausgestaltung jeder unseren Teil dazu bei, dass die Lebensbedingungen in diesem Land, so gut das irgend geht, verbessert werden. Große Ziele bedürfen vieler Schritte und auch oft großer Kraftanstrengung. Ich denke, wir sind schon viele Schritte gegangen und werden auch diese Kraftanstrengung noch gut bewältigen.