Protokoll der Sitzung vom 20.09.2001

Langsam fange ich an, mich für dieses Klima und vor den Gästen in unserem Haus zu schämen.

(Unruhe bei der CDU – Lelle, CDU: Wer hat angefangen? Wer hat das zu verantworten?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Herstellung der Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen ist eine wichtige Aufgabe unserer Politik, aber nicht nur der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft. Behindertenfragen sind Menschenfragen, ja Bürgerrechtsfragen. Dieser Tatsache ist sowohl die Bundesregierung mit einer entsprechenden Ergänzung des Grundgesetzes als auch unser Land mit der Änderung der Verfassung in Artikel 64 gerecht geworden. Damit haben sich das Land und die Kommunen verpflichtet, behinderte Menschen vor Benachteiligungen zu schützen und sie bei der Teilhabe gleichberechtigter Lebensbedingungen zu unterstützen, ja zu begleiten.

Ich erinnere an dieser Stelle auch an die BarcelonaErklärung, der man sich schon vor längerer Zeit in vielen Städten unseres Landes freiwillig angeschlossen hat und die die Grundlage dazu gebildet hat, viele bauliche Veränderungen in den Kommunen vorzunehmen. Das waren sicherlich gute Aktionen in unseren Städten, die natürlich auch von den Behindertenvertretungen angestoßen wurden.

Unsere Landesregierung und meine Fraktion haben in den vergangenen Jahren anhand vieler Beispiele nachgewiesen, dass das Grundgesetz und die rheinlandpfälzische Verfassung von einer aktiven, gestaltenden Politik für behinderte Menschen ausgefüllt werden. Be

hinderte Menschen brauchen Lebensbedingungen, in denen sie sich nicht weniger frei entfalten können als alle anderen auch. Dazu benötigen sie Sonderregelungen, Sondereinrichtungen und falls erforderlich auch Sonderbehandlungen. Sonst wird das nichts mit der Chancengleichheit.

Die Wichtigkeit von Behindertenpolitik für diese Landesregierung wurde auch noch einmal durch die Aufnahme in den Koalitionsvertrag verdeutlicht.

Lassen Sie mich an dieser Stelle an zwei Einrichtungen erinnern, die diese Landesregierung erst eingeführt hat, nämlich den Landesbehindertenbeauftragten im Jahr 1991 und den Landesbehindertenbeirat im Jahr 1992. Beide arbeiten seither sehr erfolgreich und segensreich für die geistig und körperlich behinderten Jungen und Mädchen, Männer und Frauen in RheinlandPfalz.

Sie bedurften nicht erst des Anstoßes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aber ich freue mich, wenn Sie diese Arbeit positiv unterstützen und begleiten, Herr Marz.

Mit Herrn Staatssekretär Dr. Auernheimer als Landesbehindertenbeauftragten und dem Landesbehindertenbeirat ist gewährleistet, dass Behindertenpolitik mit den Betroffenen gestaltet wird. Das beweisen auch die alljährlichen Januar-Gespräche mit den Behindertenverbänden, zu denen wir als Fraktionen immer eingeladen sind und an denen wir auch teilnehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in unserem Land wird seit Jahr und Tag kontinuierlich an einer Verbesserung der Situation und Integration von behinderten Menschen gearbeitet. Das fängt an bei der Frühförderung für behinderte Kinder und geht über die Integration von Kindertagesstätten, die Förderung von Werkstätten und die Beschäftigungsförderung bis hin zu den Parkerleichterungen für Gehbehinderte. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Initiativen zum barrierefreien Bauen als Beitrag und Unterstützung zum weitestgehend selbstständigen Leben und zur Teilhabe am öffentlichen Leben, weil es unserer Meinung nach beispielsweise nicht sein darf, dass behinderte Menschen nur wegen baulicher Barrieren Kindergärten, Kindertagesstätten oder Schulen nicht besuchen dürfen oder von kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen werden.

Für uns ist es überhaupt keine Frage, dass dann, wenn wir es aufrichtig mit der gleichberechtigten Teilhabe Behinderter in der Gesellschaft meinen, dieser Rechtsanspruch in einem Gesetz geregelt werden muss, Herr Marz.

Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf eingebracht, auf den Sie Bezug genommen haben. Dieser Gesetzentwurf wird nicht nur den Ist-Zustand sichern, sondern der Gesetzentwurf ist auf die Zukunft ausgerichtet. Ich bin mir sicher, dass es dann keine Kostendiskussionen in vielen Bereichen mehr geben wird, wenn die Vorgaben über ein Gesetz beschlossen worden sind.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung – wen wundert es – trägt maßgeblich die rheinland-pfälzische Hand

schrift. Schließlich haben wir in unserem Land das am besten ausgebaute System in der Bundesrepublik Deutschland. Dies fand durch die Zusammenarbeit unseres Landesbehindertenbeauftragten mit dem Bundesbehindertenbeauftragten Eingang in den Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Nun hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung von behinderten Menschen erneut eingebracht. Wenn man den früheren Entwurf mit dem jetzigen Entwurf vergleicht, stellt man fest, dass er in einigen Teilen modifiziert worden ist und Sie wesentliche Teile aus dem Entwurf der Bundesregierung übernommen haben. Das macht Sinn und ist in Ordnung. Es macht Sinn, wenn gleich lautende landesgesetzliche und bundesgesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht werden und kompatibel sind. Das gilt zumindest für die Bereiche, bei denen kein Raum für eine eigene Gestaltung durch das Land gegeben ist.

Ich habe eingangs gesagt, dass es für uns unabdingbar ist, Rechte für Behinderte in ein entsprechendes Gesetz zu kleiden. Dazu stehen wir. Allerdings vertreten wir die Auffassung, dass ein Landesgesetz erst nach Beschlussfassung des Bundesgesetzes in unserem Land beschlossen werden sollte, weil wir der Meinung sind, dass die Behindertenverbände angehört werden sollten. Wir wollen ein Gesetz mit ihnen, und wir wollen die eigenen Bedürfnisse und Erkenntnisse in das Gesetz mit aufnehmen. Das ist uns sehr wichtig.

Die Überweisung Ihres Gesetzentwurfs an den Ausschuss ist meiner Meinung nach der richtige Weg und stellt den richtigen Rahmen dar, um sich im Detail auch mit künftigen Entwürfen sachlich auseinander setzen zu können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile der Abgeordneten Frau Thelen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Ebli, es war schön, dass Sie am Ende Ihrer Rede doch noch auf den Punkt und zur Position der SPD-Fraktion zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gekommen sind, nachdem Sie zuvor die Behindertenpolitik dieses Landes fast komplett haben Revue passieren lassen, was man sicherlich verstehen kann, wenn man als Vertreterin einer Regierungsfraktion spricht. (Frau Ebli, SPD: Es ehrt Sie, wenn Sie das verstehen!)

Das bedeutet nicht, dass ich die Aussagen in Gänze teile, aber ich will mich heute auf die Sache beschränken.

(Zurufe von der SPD)

Ich will jetzt auch nicht unsere Kritik an der Behindertenpolitik wiederholen. Dazu werden wir sicherlich noch einmal eine generelle Debatte führen, in der man dann die kritischen Punkte ansprechen kann.

Mir ist es wichtig, dass wir heute zu dem Gesetzentwurf der GRÜNEN sprechen. Es hat uns in der vorhergehenden Legislaturperiode schon ein Stückchen Leid getan, dass wir uns aufgrund des späten Einbringens des Gesetzentwurfs – der Gesetzentwurf trug das Datum vom 10. November – nicht mehr in der Lage gesehen haben, den Gesetzentwurf so zu beraten, wie wir das alle im Sozialpolitischen Ausschuss für notwendig angesehen haben. Wir haben lange darüber im Sozialpolitischen Ausschuss debattiert und auch versucht, Wege zu finden, aber aufgrund der bestehenden Terminsituation mit anderen geplanten Anhörungen war uns das nicht möglich.

Da teile ich ausdrücklich die Aussage, die sowohl von Herrn Marz als auch von Frau Ebli vorgetragen wurde, dass es wichtig ist, diesen Gesetzentwurf sehr sorgfältig und sachlich zu beraten und vor allen Dingen dazu die Position der Betroffenen zu hören, das heißt, die Behindertenverbände zu einer ausführlichen Anhörung einzuladen und uns auch mit ihrer Hilfe schlau zu machen, ob ihre Belange mit diesem Gesetzentwurf ausreichend berücksichtigt werden können.

Wichtig ist, dass wir an dieser Stelle noch einmal sagen, welche Kritik schon im Vorfeld in der Ausschusssitzung im letzten Jahr von uns vorgebracht wurde und wo wir nach wie vor Bedenken sehen. Es geht vor allem um die Fragen der Beschulung, der Integration in den Schulen und den weitgehenden Weg, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen.

Uns wird es wichtig sein, nicht – ich sage dies in Anführungszeichen und bitte, dies nicht misszuverstehen – nur Behindertenverbände, sondern auch andere Personengruppen zu hören, die von einem solchen Verfahren genauso betroffen sein werden. Ich denke, das findet mit Sicherheit auch Ihre Unterstützung.

Wichtig ist, dass wir behinderten Menschen, vor allem behinderten Kindern, die für sie notwendige Förderung geben, und zwar in einem Rahmen, der weitestgehend optimal ist. Hier gibt es unterschiedliche Positionen. Die einen sagen, das ist in einer Regelschule leistbar, die anderen vertreten die Auffassung – dieser Position neige ich ab bestimmten Graden von Behinderungen zu –, ab bestimmten Beeinträchtigungen ist es sinnvoll, eine besondere Betreuung in besonderen Einrichtungen anzubieten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir werden darüber diskutieren und sicherlich zu einer vernünftigen Lösung kommen. Mich würde es freuen. Wir sehen dieser Diskussion mit Spannung entgegen, haben allerdings auch die Erwartung an die Landesregierung, dass wir den Gesetzentwurf, der vonseiten der Landesregierung schon längere Zeit anvisiert ist, möglichst in dieses Verfahren einbinden können, weil es aus unserer Sicht wenig Sinn macht, zwei Gesetzentwürfe mit im Grunde genommen einer gleichen Zielrichtung

vielleicht im Abstand von einem halben Jahr durch Ausschussberatung, Plenarberatung und Anhörungen zu ziehen. Das macht für die Betroffenen und für uns alle keinen Sinn. Deshalb wäre ich dankbar, wenn wir vielleicht in der Diskussion im Sozialausschuss einen Weg finden könnten, diese Gesetzenwürfe und die Diskussion zu verbinden.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Bevor ich das Wort Herrn Dr. Schmitz erteile, möchte ich Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüßen, und zwar Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sowie Bürgerinnen und Bürger aus dem Wahlkreis Mayen. Herzlich willkommen im rheinland-pfälzischen Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie so oft bei Parlamentsdebatten ist schon fast alles gesagt worden, nur nicht von allen. Ich versuche, ein wenig von der verloren gegangenen Zeit wieder einzuholen.

Ich freue mich ganz ausdrücklich, dass die Diskussion zu diesem wichtigen Gesetz in einer Art und Weise verläuft, wie es sich der Kollege Marz gewünscht hatte. Ich möchte auch von meiner Seite aus dazu beitragen.

Es ist eine eigentümliche Gemengelage, insbesondere wenn man sich den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens vor Augen hält. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerät durch einen sehr frühzeitig eingebrachten Gesetzentwurf durch den Lauf der Dinge in eine Zwickmühle. Insofern teile ich die Einschätzung meiner beiden Vorrednerinnen, dass man jetzt, wo das Bundesgesetz kurz vor der Tür steht, Acht geben sollte, nicht in hektischen Aktivismus zu verfallen. Das Gesetz ist zu wichtig, als dass man es sich leisten könnte, ein gesetzgeberisches Kuddelmuddel und Diskussionslagen zu haben, die vielleicht undurchsichtig wären.

Ich glaube, in der Zielsetzung der Teilhabe von Behinderten sind wir uns alle einig. Ich bin überzeugt davon, dass die anstehenden Gesetze die einklagbaren Rechte Behinderter verbessern. Ich möchte für die FDP – das sei mir gestattet – noch einen Punkt zu den Inhalten sagen.

Ich glaube, dass die ausschließliche Berücksichtigung des Elternwillens in der Frage der Sonderbeschulung oder Regelbeschulung nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Hier muss man im Sinn der Behinderten und gerade der behinderten Kinder Sachverstand mit einfließen lassen. Das kann im Extremfall in der Tat – Sie kennen unsere liberale Position, was Schullauf

bahnempfehlungen angeht – im Ausnahmefall so sein, dass man ein Kind vor den gut gemeinten Wünschen seiner Eltern schützen muss. Das sei so deutlich gesagt.

(Beifall der Abg. Frau Thelen, CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine Ausführung zum Abschluss meiner Einlassung zu diesem Gesetzentwurf machen. Das, was über die jetzt anstehenden Gesetze hinaus fehlt, ist die Bereitschaft, Worten Taten folgen zu lassen. Ich glaube, nicht der Einzige zu sein, der erlebt, wie das Thema „Gleichstellung schwerbehinderter Menschen“ zwar auf dem Gesetzesweg immer perfekter geregelt wird, wir aber alle wissen, dass die Taten vor Ort vielfach den Inhalten, die die Gesetze vortragen, nicht entsprechen. Ich möchte gar nicht anklagend ins Detail gehen. Wenn ich Revue passieren lasse, wie die Abläufe waren, als es um die Beschäftigung von Behinderten in den Fraktionen dieses hohen Hauses ging, ist das ein Beispiel dafür, dass Taten und Worte nicht immer identisch sind.

Ich hoffe, dass die Gesellschaft in dieser Frage weiterkommen wird. Es ist nicht damit getan, dass man sich aus seinen Verpflichtungen herauskauft. Auch im Gesetzgebungsverfahren muss berücksichtigt werden, dass diese Dinge nicht nur einklagbar sind, sondern wirklich eine breite Zustimmung finden. Dadurch trägt man dem zutiefst liberalen Gedanken der Subsidiarität Rechnung.

Wir wollen niemanden allein lassen. Wir möchten kein Gleichstellungsgesetz, das vor lauter Rechten den Einzelnen aus der Verantwortung lässt. Alle gehören zusammen in dieser Frage. Auch der einzelne Betroffene mit seiner Familie ist gefordert, sich zu bemühen, selbst etwas zu tun, um sein Los erträglicher zu machen.

Der gesetzliche Rahmen sollte dazu dienen, dies zu unterstützen, dem einen anderen Schwerpunkt zu geben und auch das eine oder andere einklagbar zu machen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der FDP und der SPD)