Protokoll der Sitzung vom 02.06.2005

Für Sie ist das mit der Türkei doch nichts anderes als der Versuch, die übrig gebliebenen Ressentiments weiter zu aktivieren und für den Wahlkampf als Munition zu benutzen. (Beifall der SPD)

Wissen Sie was? Sie werden in der Türkei genug Freunde finden, die ähnlich über uns denken. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden da nicht allein bleiben. Mit denen wollen wir aber nichts zu tun haben.

(Beifall bei der SPD)

Dann noch zum Thema „Witzchen“. Frau Schmidt sagt, – – –

(Pörksen, SPD: Wer ist das?)

Frau Kollegin Schmidt kennen wir alle. Sie verweist auf das Dosenpfand. Wahr ist – – –

(Zuruf der Abg. Frau Schmidt, CDU)

Es tut mir Leid, Sie und alle werden ertragen müssen, dass wir die Reihenfolge klarstellen, damit deutlich wird, wer was wann getan hat.

Der gute Klaus Töpfer, der Kreisvorsitzender im RheinHunsrück-Kreis war und den ich gut kenne, ist der Erfinder des Dosenpfands. Übrigens ist die Idee, wie er das

angelegt hat, von vornherein gar nicht abzulehnen. Angela Merkel hat das dann weitergestrickt.

(Zuruf der Abg. Frau Schmidt, CDU)

Frau Schmidt, das nützt nichts. Das ist Ihre Erfindung; das ist Ihr Kind. Nehmen Sie es an und werfen Sie es nicht einfach weg. (Beifall der SPD)

Wer so schnell vergisst wie Sie, hat gute Gründe dafür. Das ist mir klar.

(Schmitt, CDU: Sie müssen das jetzt nicht zum dritten Mal wiederholen!)

Herr Schmitt, Sie sind noch nicht einmal beim dritten Mal in der Lage, eine historische Reihenfolge nachzuvollziehen. Sie müssen da sozusagen in der Sänfte hingetragen werden. Machen Sie sich aber keine Gedanken; denn dafür werde ich immer sorgen.

(Zuruf des Abg. Schmitt, CDU)

Ich ziehe jetzt einmal den Schlussstrich. Nachdem der heutige Morgen für die CDU-Opposition außerordentlich wenig ertragreich gewesen ist, hat Herr Kollege Böhr meiner Ansicht nach gemeint, nun das Blatt wenden zu müssen. Ich wage zu bezweifeln, ob er das geschafft hat. (Starker Beifall der SPD)

Ich erteile nun der Fraktionsvorsitzenden des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Ise Thomas, das Wort.

Meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich den Worten und Aussagen unseres Kollegen Nils Wiechmann nicht mehr viel hinzufügen. Herr Böhr, Ihr Beitrag hat mich dann aber doch noch einmal auf den Plan gerufen, weil ich der Meinung bin, dass man sich nicht als Vorsitzender der großen Oppositionsfraktion mit einer solch verkürzten Analyse der Situation an dieses Pult stellen kann, wie wir sie heute nach diesen beiden Referenden haben.

Sie führen einen unseligen Stil der Politik fort, den Sie vor Jahren mit Stoiber und Frau Merkel an der Spitze der Bewegung angefangen haben, wenn es um die Frage von Verhandlungen mit der Türkei geht. Das kann nicht die Ursache für diese beiden Referenden sein. Das darf vor allen Dingen nicht das politische Signal sein, das wir aussenden, wenn wir uns mit den Konsequenzen dieser beiden ablehnenden Referenden beschäftigen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Böhr, diese Analyse führt in die Irre, wenn man heute fragen muss, was den Menschen die Werte der

europäischen Integration noch wert sind und wie wir sie dafür wieder gewinnen können. Das hat auch Frau Schmidt noch am Anfang gesagt. Wir müssen Antworten auf die Fragen finden, wie wir mit der innenpolitischen Verärgerung und der Zuspitzung, die im Wahlkampf vor diesen Referenden betrieben wurde, und mit den vorhandenen Ängsten in weiten Teilen der europäischen Staaten vor sozialem Abstieg umgehen, die mit globalisierungskritischen Ängsten bei der Bevölkerung vermischt ist. Auf diese Fragen haben Sie keine Antworten gegeben, sondern Sie haben die Ängste noch mehr geschürt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Das kann doch nicht die Antwort einer Partei sein, die von dem ehemaligen Bundeskanzler Kohl in diesen europäischen Einigungsprozess und europäischen Integrationsprozess mit hineingeführt wurde. Das kann doch nicht die Antwort sein, wenn es darum geht, die europäische Integration weiter zu betreiben. Es kann nicht sein, Ängste zu schüren und darauf für den eigenen Wahlkampf aufzubauen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Herr Kohl, andere führende CDUler, aber auch die heutige Regierung haben gesagt: Die Türkei braucht eine klare europäische Perspektive. – Man kann es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn Sie versuchen, die Entscheidung im Dezember immer wieder als ein Datum zu verkaufen, an dem über eine Vollmitgliedschaft der Türkei entschieden wird.

Darüber wird nicht im Dezember entschieden. Es wird entschieden, dass Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Sie müssten genau wissen, über welchen Zeitraum und mit welchen Konditionen solche Beitrittsverhandlungen ablaufen werden. Sie können doch nicht den Eindruck erwecken, dass man quasi im Dezember eine Vollmitgliedschaft der Türkei entschieden hätte und sofort nach der Osterweiterung, die man jetzt gemacht hätte, den nächsten Schritt tun würde.

Herr Böhr, das wird Ihnen in diesem Parlament niemand durchgehen lassen. Das wird auch in der öffentlichen Debatte so nicht – – –

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will noch einen dritten Aspekt ansprechen, der in dieser Diskussion bisher zu kurz gekommen ist. Wir haben über notwendige Verbesserungen bei den Demokratiedefiziten gesprochen. Natürlich macht das bei vielen Menschen in Europa Ärger. Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, die Ängste vor sozialem Abstieg ernster zu nehmen und auch in den Regelungen Konsequenzen zu ziehen. Ich sage das Stichwort „Dienstleistungsrichtlinie“.

Es gibt ein Vorhaben, das ganz eng an die Europäische Verfassung, die Beschlussfassung und die Diskussion

gekoppelt ist. Das ist das Vorhaben, eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu machen. Die Entscheidung, wie sie mit diesen beiden Referenden getroffen wurde, macht auch den Schritt in eine gemeinsame europäische Außenpolitik um ein Vielfaches schwieriger. Ich will noch einmal deutlich machen, wie notwendig es ist, die EU in außenpolitischen Fragestellungen in den nächsten Jahren nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Ich glaube, daran müssen wir gemeinsam Interesse haben und gemeinsam arbeiten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für die CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Schreiner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben es sehr elegant formuliert, als Sie gesagt haben, dass all das, was der Europäische Verfassungsvertrag an positiven Entwicklungen für die Bundesländer gebracht hätte, in die Zukunft verschoben ist. Ich finde, die Debatte ist, je länger sie gelaufen ist, auch sehr ehrlich geworden. Wir lügen uns heute nichts in die Tasche.

Der Europäische Verfassungsvertrag, wie er vorliegt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Kraft treten. Frankreich und die Niederlande haben dagegen gestimmt. Großbritannien diskutiert heute, ob sie abstimmen werden. Tony Blair wird sich nicht freiwillig diese Schlappe genehmigen. Im Übrigen ist es noch gar nicht gesagt, ob wir in Deutschland, wenn wir ein Referendum gehabt hätten, zugestimmt hätten.

Wir müssen Zweierlei tun. Wir müssen zum einen konkret „Nizza“ reformieren, und zwar all das, was an guten und positiven Entscheidungen in diesem Europäischen Verfassungsvertrag konsensual gefunden worden ist. Die Subsidiarität ist angesprochen worden. All das müssen wir tun.

Wir müssen aber auch über die Schwächen reden – das haben wir vorhin auch schon andeutungsweise getan –, die dieser Europäische Verfassungsvertrag nach wie vor hat. Das sind die gleichen Schwächen, die wir auch in der Bundesrepublik Deutschland diskutieren, dass nämlich die Kompetenzen für uns als Wahlbürger – wir sind alle auch Wähler – zwischen Europa und den Nationalstaaten und auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht klar genug verteilt werden.

Wir erleben allzu oft, dass wir nicht verantwortlich sind, weil immer gerade jemand anderes verantwortlich ist. Es muss auch darüber nachgedacht werden, was Bürger umtreibt, wenn sie sagen: Warum soll ich überhaupt noch wählen gehen, wenn keiner verantwortlich ist.

Das ist eine Erfahrung, die wir auch im europäischen Kontext machen. Die Versuche, in den Europäischen

Verfassungsvertrag eine klare Kompetenzordnung hineinzuschreiben, die aus den deutschen Bundesländern kamen, sind nicht in dem Maß verwirklicht worden, wie wir uns das gewünscht hätten.

Darüber hinaus brauchen wir eine Idee von Europa. Christoph Böhr hat es angesprochen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Herr Mertes, Sie haben deutlich gesagt, dass ein wichtiger Punkt, über den wir viel zu wenig reden, die friedensstiftende Bedeutung Europas ist. Was Sie danach zum Thema „Türkei“ gesagt haben, sei geschenkt, weil ich in der Kürze der Zeit auf etwas eingehen möchte, was Herr Beck gesagt hat. Er hat als neue Idee die soziale Kompetenz Europas gebracht.

Sie haben von Lohndiskriminierung und Steuerdiskriminierung gesprochen. Genau das führt doch wieder dazu, dass wir keine klaren Kompetenzen haben. Ich möchte Ihnen dezidiert widersprechen. Was wir brauchen, ist nicht der Superstaat Europa, der auch noch die Sozialversicherungssysteme bis ins Detail regelt, damit wir uns keiner Konkurrenz aussetzen müssen.

(Ministerpräsident Beck: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Jetzt hören Sie aber auf!)

Wir brauchen nicht den Superstaat Europa, der auch noch die Steuergesetzgebung regelt, damit wir keinen Steuerwettbewerb haben.

(Glocke des Präsidenten)

Was wir brauchen, sind klare Kompetenzen. Auf dieser Basis können wir dann auch eine Idee von Europa formulieren.

Vielen Dank. (Beifall der CDU)