Protokoll der Sitzung vom 27.06.2007

Der Gesetzentwurf schreibt eine Evaluation und kriminologische Forschung verbindlich vor. Dadurch wird die Erhebung aussagefähiger, auf Vergleichbarkeit angelegter Daten ermöglicht, anhand derer der Vollzug sachgerecht ausgestattet und weiterentwickelt werden kann.

Meine Damen und Herren, das Gesetz zielt auf eine bessere Praxis mit der Folge einer geringeren Rückfallquote. Es lässt – wie ich meine – flexibel alle Gestaltungen des Vollzuges zu, auch den offenen Vollzug, ohne allerdings den offenen Vollzug als Regelvollzug festzulegen. Es lässt auch den sogenannten Vollzug in freien Formen zu, wie er in zwei Einrichtungen in BadenWürttemberg praktiziert wird.

Wie der Jugendstrafvollzug in Zukunft aussieht, hängt selbstverständlich nicht allein von dem Gesetz ab. Ich denke, der Entwurf gibt eine gute, taugliche und flexible Regelung vor. Ob der Jugendstrafvollzug in Zukunft dem Geist des Gesetzes gerecht werden kann, hängt aber von anderen Dingen ab, insbesondere von gut ausgebildeten, motivierten und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vollzug. Bessere Qualität kostet etwas. Auch die Umsetzung der beabsichtigten Regelung kostet mehr Geld, als wir derzeit für den Jugendstrafvollzug aufwenden.

Meine Damen und Herren, ein guter Strafvollzug – auch ein guter Jugendstrafvollzug – sind wichtig. Zu einem Jugendstrafvollzug, der Sozialisierung, also Integration in die Gesellschaft besser möglich macht und damit zugleich mehr Sicherheit gewährleistet, gibt es keine Alternative.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD)

Vielen Dank, Herr Justizminister.

Das Wort hat nun Herr Kollege Dr. Wilke.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf eingangs eine Meldung aus der „Berliner Zeitung“ vom 14. Juni 2007 zitieren. Dort war eine Meldung mit einer Überschrift zu lesen, die Erschrecken auslöst: Tödliche Zivilcourage – 23-Jähriger wollte Streit unter Badegästen schlichten und wurde erstochen. – Die Täter, ein 15-Jähriger, ein 16-Jähriger, ein 17-Jähriger.

Ein Einzelfall? – Leider nein. Die Jugendkriminalität hat sich in den letzten Jahren – das belegen alle Statistiken – gewandelt. Als Bundesinnenminister Schäuble vor Kurzem gemeinsam mit dem Berliner Innensenator Körting die bundesweite Kriminalstatistik vorgestellt hat, konnte er zwar vermelden, dass Deutschland etwas sicherer geworden ist, aber leider musste er auch vermelden, dass die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft deutlich zugenommen hat, und dies leider insbesondere unter Jugendlichen.

Der Jugendstrafvollzug, über dessen Ausgestaltung wir uns heute Gedanken machen, muss darauf angemessene Antworten geben; denn Jugendstrafvollzug ist – und dies ist auch schon ansatzweise in Ihren Ausführungen zum Ausdruck gekommen, Herr Minister – das letzte Glied in einer langen Kette, wenn alle weniger gravierenden erzieherischen Maßnahmen versagt haben.

Dass wir heute über die richtige und angemessene Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs diskutieren, hat bekanntermaßen zwei Ursachen: Dies ist zum einen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2006, in dem klar zum Ausdruck kam, dass fast 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes auch der Jugendstrafvollzug komplett gesetzlich geregelt werden muss. Herr Minister, Sie hatten dies ebenfalls bereits angesprochen. Wenige bruchstückhafte Regelungen, wie sie bisher im Jugendgerichtsgesetz existierten, genügen dafür nicht. Zweite Ursache ist die Föderalismusreform, die den Strafvollzug in die Landeskompetenz überführt hat.

Schauen wir uns also die Jugendlichen und Heranwachsenden an, denen wir im Jugendstrafvollzug begegnen. Wer als Jugendlicher zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, ist in der Regel kein Ersttäter. Dies sind in der Regel junge Menschen, die schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, aber – und darauf hat das Bundesverfassungsgericht eingehend abgehoben, und dies macht sich auch die Gesetzesbegründung ganz zu Recht zu eigen – es sind in der Regel doch keine fertigen Kriminellen, bei denen sozusagen Hopfen und Malz verloren wäre, sondern es sind junge Menschen, die oft in erheblichem Maße Erziehungs- und Sozialisationsdefizite aufweisen, oft über geringe bis gar keine Bildungsqualifikationen verfügen und deren familiäres Umfeld leider oft trostlos ist. Manchmal – dies ergeben Gespräche mit den Praktikern vor Ort in den Anstalten – fehlen bei diesen jungen Menschen sogar die grundlegenden Fertigkeiten für eine geordnete Lebensführung.

Die Arbeit an diesen beschriebenen Defiziten bietet die Chance, dass sich diese Jugendlichen vielleicht doch noch auf den rechten Weg und in ein straffreies Leben führen lassen und sich von ihrer kriminellen Entwicklung lösen können. Aber Erfolge bei diesem Bemühen stellen sich nicht von selbst ein, sondern müssen hart erarbeitet werden. Deswegen soll aus unserer Sicht Leitprinzip eines Jugendstrafvollzugs, wie wir ihn befürworten, sein: „Fördern durch Fordern“.

Gleichzeitig können wir aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass es einen harten Kern straffällig gewordener Jugendlicher gibt, bei denen die kriminelle Prägung schon so weit fortgeschritten ist, dass alles Bemühen und Fördern ins Leere läuft. Es ist doch bemerkenswert und hat auch seinen guten Grund, dass die Bundesjustizministerin schon vor einigen Wochen angekündigt hat, dass es auf Bundesebene ein Gesetz geben wird, mit dem die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für Jugendliche eingeführt wird, da es Fälle gibt, die sozusagen verlorene Schafe sind.

Was bedeutet das? – Parallel zu dem „Fördern durch Fordern“ muss auch – dies ist ein gleichgewichtiges Prinzip – die Sicherheit für unsere Bevölkerung hinzutreten.

Wie ist dann vor diesem Hintergrund der Gesetzentwurf zu bewerten, den die Landesregierung vorgelegt hat?

Es gibt eine ganze Reihe von Ansätzen, denen wir als CDU-Fraktion ausdrücklich zustimmen. In einer solchen Debatte ist es wichtig, dies klarzumachen; denn dies ist ein sehr ernsthaftes Thema. Dies betrifft zunächst die Definition der Vollzugsziele. Herr Minister, ich bin dankbar, dass auch Sie diesen Punkt angesprochen haben.

Es ist nämlich nicht so, wie die SPD-Kollegen Hoch und Burgard in der „Staatszeitung“ vom 22. Januar verkündeten: „Die beste Nachricht ist, alleiniges Vollzugsziel ist und bleibt die Resozialisierung.“

Irrtum, meine Herren Kollegen; denn § 2 des Gesetzentwurfs sagt ganz klar:

„Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten zu befähigen. Gleichermaßen hat er die Aufgabe, die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen.“

Genauso ist das, und das unterstützen wir nachdrücklich.

(Beifall der CDU)

Wir halten es darüber hinaus für richtig – auch das sei betont –, dass der Entwurf vorsieht, vom ersten Tag an intensiv mit und an dem Häftling zu arbeiten. Dies beginnt mit einer intensiven Aufnahmediagnose, setzt sich fort in dem mit kurzen Abständen fortzuschreibenden Vollzugsplan und schließt – Herr Minister, dafür haben Sie die gleiche Wortwahl gebraucht, die auch ich mir notiert habe – mit einer möglichst verzahnten Überleitung des Häftlings in eine kontrollierte Freiheit, damit vermieden wird, dass der entlassene jugendliche Straftäter wieder in alte Gewohnheiten zurückfällt. Gerade bei der Entlassungsvorbereitung – Herr Minister, Sie hatten es zu Recht angesprochen – kann die frühzeitige Einbeziehung externer Organisationen, Einrichtungen und privater Personen viel Positives bewirken.

Ebenso begrüßen wir den Vorrang von Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen vor Arbeit und Arbeitstherapie. Zu Recht betont die Gesetzesbegründung, dass modulare Angebote wichtig sind, denn viele dieser Jugendliche sind gar nicht lange genug in der Anstalt, um einen kompletten Ausbildungs- oder Bildungsgang zu durchlaufen.

Wir teilen auch im Übrigen die Auffassung, dass soziales Lernen im Jugendstrafvollzug extrem wichtig ist – daran mangelt es auch oft bei den Betroffenen – und dass der Entwurf zu Recht strukturierter Freizeitgestaltung mit besonderer Betonung des Sports große Bedeutung beimisst.

Schließlich – auch das sei betont – ist auch die Ausweitung der Besuchskontakte auf mindestens vier Stunden monatlich eine gute Sache, aber solange sichergestellt ist – darauf legen wir großen Wert –, dass diese Zeit auch sinnstiftend genutzt wird.

Meine Damen und Herren, Herr Minister, es gibt allerdings auch einige Punkte in dem Entwurf, an denen wir keinen Gefallen finden, an denen wir Kritik üben müssen.

Wir sind – das ist aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Punkt – nicht damit einverstanden, dass der Entwurf in seinem § 13 offenen und geschlossenen Vollzug gleichgewichtig nebeneinander stellt. Ich möchte es gar nicht problematisieren, dass eine unserer beiden Jugendstrafanstalten, nämlich die in Schifferstadt, überhaupt keine Möglichkeit des offenen Vollzugs derzeit anbietet, denn das lässt sich durch entsprechende bauliche Maßnahmen ändern. Aber offener Vollzug – so unser Verständnis – muss verdient werden durch Engagement des Gefangenen bei dem Vollzug des Vollzugsplans, bei der Teilnahme an Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, bei der Freizeitgestaltung und auch vor allen Dingen beim Sozialtraining, bei vielen der Betroffenen eine ganz zentrale Sache.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist Ausgangspunkt aus unserer Sicht immer der geschlossene Vollzug, aus dem der jugendliche Strafgefangene dann in den offenen Vollzug wechseln kann, wenn er sich das verdient hat, wenn er gezeigt hat, dass er an sich gearbeitet hat. Nur das entspricht unserem Konzept von „Fördern durch Fordern“.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer Punkt betrifft das Thema der Suchtmittelabhängigkeit, ein Thema, was Ihnen jeder Praktiker bestätigen kann, das ein ganz gravierendes in unseren Strafanstalten ist. Der Entwurf sieht vor, dass Maßnahmen zur Feststellung der Suchtmittelabhängigkeit getroffen werden können. Aber was ist, wenn der Betreffende das verweigert? Da sagt der Entwurf: Körperliche Eingriffe sind unzulässig. – Heißt das dann, im Zweifel für den Häftling? Wir meinen nein und wünschen uns daher, dass in das Gesetz in Rheinland-Pfalz das aufgenommen wird, was in anderen Bundesländern schon gemacht worden ist. Wer den Test verweigert, gilt als positiv getestet mit den entsprechenden Folgen für Vollzugserleichterungen. Auch hier „Fördern durch Fordern“.

Ich möchte einen letzten Aspekt für die heutige Diskussion nennen. Wir sind sehr dafür, die Familien dann, wenn sie nicht selbst Ursache des Problems sind, in die Arbeit mit dem Häftling einzubeziehen. Dazu gehört aber, dass der Vollzugsplan, die zentrale Richtschnur für den Vollzug, den Erziehungsberechtigten bei minderjährigen Gefangen generell zugestellt wird und nicht, wie es der Entwurf vorsieht, nur auf Verlangen.

Es gäbe noch eine ganze Menge weiterer Fragen, aber die Zeit schreitet unerbittlich voran. Ich bin froh, dass wir im September eine Anhörung haben, in der wir diese Fragen, die ich genannt habe, und andere mit Experten diskutieren können.

Ich bin mir sicher – ich denke, das gilt für alle im Haus –, dass wir spätestens dann all die Kritiker widerlegen werden, die mit dem Übergang der Gesetzgebungszu

ständigkeit auf die Länder den Niedergang des Strafvollzugs befürchtet haben.

Vor einer Illusion möchte ich allerdings warnen – Herr Minister, Sie haben es dankenswerterweise auch schon angesprochen –, dass ein moderner Jugendstrafvollzug zum Nulltarif zu haben ist. Es wird Geld kosten, das, was wir als Programm in das Gesetz hineingeschrieben haben, zu realisieren.

Herr Minister, Ihre Hoffnung, dass die Anlaufkosten im kommenden Jahr schon aus dem Haushaltsvollzug zu erwirtschaften wären, teile ich nicht. Ich hoffe also, dass Sie gute und Erfolg versprechende Gespräche mit dem Herrn Finanzminister führen, um das Notwendige dann auch realisieren zu können. Wir können kein Gesetz machen und die Anstalten dann bei der Umsetzung im Regen stehen lassen. Das haben die vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendstrafvollzug nun wirklich nicht verdient.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Herr Kollege Wilke, vielen Dank.

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hoch das Wort. Zuvor begrüße ich als Gäste im Landtag Mitglieder der Pfarrgemeinden Bobenheim-Roxheim und Heßheim. Seien Sie uns herzlich willkommen im Landtag!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Wettlauf der Schäbigkeit – Das haben wir eigentlich aller Orten gehört, als bei Abschluss der Föderalismusreform feststand, dass die Länder jetzt für den Jugendstrafvollzug bzw. für den Strafvollzug allgemein zuständig sein werden. Aber nicht nur das Land Rheinland-Pfalz, sondern mit ihm auch acht weitere Länder strafen die Bedenkenträger Lügen. Auch die übrigen Länder, die nicht zu dieser Neunergruppe gehören, scheinen sehr verantwortungsvoll mit dem Thema „Jugendstrafvollzug“ umzugehen, selbst in Bayern, wobei man dazu sagen muss, sie treten einmal wieder das Verfassungsgerichtsurteil direkt mit Füßen. Herr Dr. Wilke, da muss ich Sie leider korrigieren. Das sind so Sachen. Sie sind Notar.

(Dr. Mittrücker, CDU: Jetzt geht das schon wieder los!)

Sie müssen das wahrscheinlich nicht wissen. Es gibt einfach Sachen, die liegen einem nicht so. Vielleicht sind das bei Ihnen Strafrecht, Strafvollzug und Kriminologie. Sie haben aus dem Gesetz zitiert, dass in RheinlandPfalz die Sicherheit gleichrangiges Ziel des Jugendstrafvollzugs sei.

(Dr. Wilke, CDU: Das steht da!)

Sie haben richtig zitiert. Dort steht: „Gleichermaßen hat er die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen“. Ich sage Ihnen – das lernt man im zweiten Semester, wenn man die erste Vorlesung Strafrecht und Strafvollzug belegt –, dass Ziel und Aufgabe des Strafvollzugs ganz immanente Unterschiede sind; denn Strafvollzug hat natürlich die Aufgabe, die Menschen zu schützen. Das ist doch das Wesen, dass wir jemanden wegsperren. Das ist doch das Wesen, das ergibt sich aus dem Strafvollzug selbst.

Aber was ist das Ziel des Strafvollzugs? Das Ziel des Strafvollzugs ist die Resozialisierung des Menschen, und zwar jedes Menschen. Das Verfassungsgericht hat gesagt, in besonderem Maß gebietet es die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes bei Jugendlichen, dass neben die Resozialisierung auch die Erziehung gleichermaßen treten muss. Das wird hier minutiös umgesetzt.

Wenn man einmal sieht, woher wir kommen, dann ist das ein durchaus ambitioniertes Unterfangen, was die Landesregierung vorlegt. Es ist eigentlich völlig umgesetzt, was Sie sagen. Ich weiß nicht, was daran Ihr Konzept im Gegensatz zu dem der Landesregierung und der acht weiteren Länder ist, wenn Sie sagen „Fördern durch Fordern“. Es ist doch im Gesetz umgesetzt, dass der Gefangene zur Mitwirkung verpflichtet ist.

(Beifall bei der SPD)