Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

Verkehrsinfrastruktur: Wir kämpfen auch dafür in Berlin, dass die Regionalisierungsmittel nicht zu stark gekürzt werden, weil wir daran ein Interesse haben. Ich hoffe, wir sind uns einig, weil wir in Berlin die Regierung tragen, auch wenn wir um Kürzungen nicht herumkommen, Herr Kollege Baldauf.

Aber es wird bei den Schwerpunkten, die in der Regierungserklärung dargelegt sind, bleiben. Das gilt für die Verkehrsprojekte „Straße“ genauso wie für die Verkehrsprojekte „Schiene“.

Mit der Investitionsmilliarde sind die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen, sodass wir weitere Arbeitsplätze sichern können und auch unsere Struktur im Land zukunftsfähig bleibt.

Sie sehen, wir wollen die Weichen so stellen, dass unser Land seinen erfolgreichen Weg fortsetzen kann. Unser Ziel ist es, dass wir weiter Aufsteigerland in Deutschland bleiben und uns auch in Europa bewähren werden.

Es ist aber so, dass bei allem Aufschwung die Arbeitslosigkeit Sorge machen muss, weil sie dauerhaft ist, weil es noch nicht gelungen ist, hier einen Durchbruch zu schaffen, dass von dem Sockel etwas vergeht.

Es ist zunehmend so, dass wenig qualifizierte Menschen, Menschen aus einem Hintergrund von Migrationsfamilien, die nicht die Bildungschancen hatten, außen vor bleiben. Deshalb bekennen wir uns zu Programmen des Landes begleitend, wie man Hilfestellungen für diese Menschen gibt: „6000 plus für Jung und Alt“ und andere Maßnahmen sind ein Zeichen hierfür.

Es wird eine der größten Herausforderungen – sie ist es – des Arbeitsmarkts sein, wie wir es auch bei einem Wirtschaftswachstum, bei einem prosperierenden Staat hinbekommen, dass wir diese Menschen mitnehmen. Dafür muss auch der Staat Geld in die Hand nehmen oder Kombilohnmodelle und anderes testen.

Deshalb bin ich dankbar dafür, dass die Regierungserklärung hier Akzente setzt. Frau Kollegin Grosse wird sich des Themas nachher noch annehmen. Das gilt auch für die aktuelle Ausbildungssituation.

Ich will überhaupt nicht verhehlen, dass die Situation um ALG II und Hartz IV – was für schiefe Namen für existenzielle Transferleistungen – einen natürlich mit Sorge umtreiben muss.

Die Leistungen betreffen die Würde des Menschen. Sollte man wirklich so technokratische Abkürzungen dafür benutzen?

In der Diskussion wird derzeit immer mehr davon ausgegangen, dass die Zahl der Inanspruchnehmer schon zurückgehen wird, wenn die Leistungen nur noch kräftiger heruntergefahren werden. Führen wir uns vor Augen, welches Menschenbild diesem Schluss zugrunde liegt.

Die meisten Bezieher von solchen Leistungen sind scheinbar faul. Man müsse nur die Höhe staatlicher Leistungen senken, dann kümmern sich die Menschen schon um Arbeit. Hier wird Ursache und Wirkung vertauscht.

(Beifall der SPD)

Der allergrößte Teil der Arbeitslosen arbeitet nur nicht, weil er keine Arbeit findet, nicht weil er keine Arbeit will. Das sollte Grundlage all unserer Überlegungen zu diesem Thema sein.

Dass Gesetze in diesem Bereich verändert werden müssen, weil sie Missbrauch ermöglichen und dadurch

große Summen fehlgeleitet werden, will ich überhaupt nicht verhehlen. Das ist eine Frage des Handwerks an Politik. Da sind wir gefordert.

Ich will auch aus persönlicher Anschauung sagen, das, was wir uns bei der Umgestaltung der Bundesagentur vorgenommen haben, ist eine schwierige Aufgabe. Ich habe viel Verständnis dafür, dass eine so große Verwaltung umstrukturiert werden muss, wobei ich manchmal mit dem Gedanken kokettiere, vielleicht könnte man den ganzen Laden doch auflösen. Ich teile aber nicht die Auffassung von Herrn Niebel, dass dann alles besser werde.

Wir haben da zu viel Bürokratie geboren, der wir begegnen müssen. Das muss schnell passieren. Ich weiß, dass Malu Dreyer an unserer Seite ist, dass es für das Land ein schwieriges Unterfangen ist.

Das Ansinnen, dass Nürnberg zentral die Agenturen leiten muss, weise ich etwas mit Grausen von mir, weil das für mich heißt, dass es nicht effizienter und unbürokratischer wird. Wir müssen sehen, dass wir unbürokratischer werden, weil die Agenturen dafür da sind, Menschen in Arbeit zu bringen und nicht Statistiken zu formulieren. (Beifall der SPD)

Lassen Sie mich mit dem Blick auf die Uhr auf den dritten großen Block kommen, nämlich die Bürgergesellschaft: die Bürgergesellschaft als Zielvorstellung, wie sich unser Staat entwickeln kann, kein Moloch Staat, der alle unterdrückt, sondern der Staat als Einrichtung, die dafür Sorge trägt, dass ein Ausgleich vorhanden ist, Ausgleich der Chancen, der Lebensumstände.

Dass Sicherheit gegeben ist, ist Sache des Staats, nicht von Privaten, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger in diesem Rahmen entwickeln können, ohne dass sie allüberall nur mit ihren Ellbogen durchkommen, sondern es ein Miteinander gibt, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, Jung und Alt.

Dieses System wird tagtäglich von Neuem auf die Probe gestellt. Das ist eine der größten Herausforderungen, wie wir diese Bürgergesellschaft gestalten können, Bürgersinn rekrutieren können. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich auf die demografische Entwicklung eingehen.

Dass wir alle älter werden, ist doch ein Geschenk; denn das konnten unsere Vorfahren nicht zu hoffen wagen. Da sind andere, die vom Tod bedroht sind. Wenn Sie sich anderswo in der Welt umschauen, sind die Lebenserwartungen wesentlich kürzer.

Lassen Sie uns diese Aufgaben meistern. Ich darf vielleicht ganz kurz Herrn Bosbach aus einem Artikel der „WELT am SONNTAG“ zitieren. Herr Bosbach ist Autor eines Artikels in der „WELT am SONNTAG“ vom 14. Mai, lehrt Mathematik, Statistik sowie empirische Wirtschafts - und Sozialforschung an der Fachhochschule Remagen – Rheinland-Pfalz, Herr Baldauf.

Er empfiehlt Statistikern Vorsicht beim Umgang mit Statistiken – Sie haben sehr viele gebracht –, um mehr

Einsatz für die Kinder, die wir haben, statt über die niedrige Geburtenrate zu jammern.

Auszugsweise sagt er: „Wir bilden heute die Generation aus, die bis weit über 2050 hinaus die Versorgungsaufgaben trägt. Nur eine solide Bildung und Ausbildung kann sie dafür stark machen. Aber dazu fehlt angeblich das Geld.Über zu wenige Versorger zu klagen, aber 5 Millionen Arbeitslose zu akzeptieren, ist unlogisch. Wenn dann eine schlecht ausgebildete, teilweise arbeitslose erwerbstätige Generation entsteht, ist die Rente tatsächlich unsicher. Wer die Geburtenrate als Grundlage allen Übels ansieht, sollte nach Frankreich schauen, wo die Geburtenrate höher ist, die Probleme aber deshalb nicht kleiner sind.“

Nicht das Gesundbeten einer Bürgergesellschaft über die Geburtenrate, sondern die Investitionen, die wir in Rheinland-Pfalz vornehmen und die in der Regierungserklärung stehen, werden uns die Probleme des gesellschaftlichen Wandels meistern lassen.

Die Qualität einer Gesellschaft ermittelt sich meines Erachtens sehr stark daran, wie sie mit den Menschen umgeht, die am Rande stehen, vielleicht Außenseiter, Fremde oder Behinderte sind.

Das soll für uns Maßstab der Qualität der Bürgergesellschaft sein, nicht immer nur diejenigen, denen es gut geht, wie wir, die wir im Parlament sitzen, und andere. Unsere Gesellschaft in einem hoch entwickelten Indus trieland muss sich das leisten können, dass wir mit denen, die am Rande stehen, gut umgehen, dass wir sie fördern und in die Gesellschaft integrieren.

(Beifall der SPD)

Das geschieht dadurch, dass wir so gute Ehrenamtsstrukturen schaffen, wir den Menschen helfen, wir Aktionsbündnisse fördern und – diesen Themenkomplex habe ich nur ganz am Rande gestreift, weil dieses Thema als ehrenamtlicher Bürgermeister einer Kleinstadt mein ureigenstes ist – die Gemeinden selbstständig bleiben und die Menschen dort ehrenamtlich tätig sind und sich die Menschen für ihre Heimat engagieren. Dies alles gehört zur Bürgergesellschaft dazu.

Herr Baldauf, Sie haben kritisiert, dass wir uns für eine Reform Zeit nehmen und – wie in der Regierungserklärung angekündigt – die Bürgerinnen und Bürger in diese Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Sie haben kritisiert, dass das Angebot steht, dass die Oppositionsparteien mitwirken. Wie gestalten wir unser System in den Gemeinden zukunftsfähig?

(Billen, CDU: Das ist kein Angebot, das ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen mit einbezogen werden und mitwirken können!)

Haben Sie keine Verantwortung mehr in den Gemeinden? – Ich glaube, Sie haben sie noch. – Gut, für uns ist es eine Selbstverständlichkeit. Ja, aber dann nehmen wir uns auch die Zeit, dies zu diskutieren und zu gestalten, damit nach der nächsten Legislaturperiode die ent

sprechenden Umsetzungen mit den Menschen, nicht über die Menschen hinweg, erfolgt sind.

(Beifall der SPD)

Es ist nicht der Stolz, dass es in einem halben Jahr übergestülpt ist, sondern wir gestalten es gemeinsam.

In 15 Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung ist unser Land gut vorangekommen. In erster Linie liegt dies an der Schaffenskraft der Bürgerinnen und Bürger – keiner will dies verhehlen, meine Damen und Herren –, aber es liegt auch an einer kraftvollen Politik der Landesregierung und an einem Ministerpräsidenten, der sich um sein Land in intensivster Form kümmert. Jemand, der wie ich Kommunalpolitik betreibt, weiß, dass gute Kontakte desjenigen, der Verantwortung für etwas trägt, noch nie der Sache geschadet haben, für die er sich eingesetzt hat. Das sollten Sie bei Ihrer Kritik auch bedenken.

(Beifall der SPD)

Unser Land belegt Spitzenpositionen in Deutschland. Wer hätte dies vor ein paar Jahrzehnten noch gedacht?– Wir können auf das Geleistete stolz sein, dürfen uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Es muss vorangehen mit unserem Land, ist die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben große Aufgaben vor uns , und wir werden sie meistern.

Lassen Sie mich Kardinal Karl Lehmann zitieren, der bei der Predigt anlässlich des Gottesdienstes zu seinem 70. Geburtstag sagte: „Vor soviel Gunst und Gnade entsteht in unserem Leben das, was ich gern mit dem Wort „Zuversicht“ bezeichnen möchte. Sie rührt davon her, dass es uns trotz mancher Schicksalsschläge bisher gut gegangen ist. Zuversicht ist mehr als Hoffnung; sie ist auch viel mehr als ein bloßer Optimismus. Es ist eine intensive, gestärkte, begründete Hoffnung. Sie schafft Vertrauen und Gewissheit, dass wir auch in Zukunft diese gnädige Unterstützung und Begleitung erfahren dürfen.“

Lassen Sie uns als Projekt so wie dieses kleine Land Gallien, wo Asterix und Obelix tätig waren, doch vornehmen, dass man gegen eine große Übermacht vieles Gute erreichen kann und sich behaupten kann. Die Rollenverteilung mögen Sie selbst ersehen. Aber Sie können sich eines gewiss sein: Die Mannschaft der SPD steht, sodass wir fünf Jahre gute Regierungsarbeit leisten und das Programm umsetzen werden. Herr Ministerpräsident, wir werden Sie auf gutem Weg begleiten. Vielen Dank für die Regierungserklärung, und vielen Dank für Ihre Geduld!

(Lang anhaltend Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun unser Kollege Mertin.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident und Herr Kollege Hartloff, Sie haben sich gestern und heute für die Zusammenarbeit mit der FDP-Fraktion in den vergangenen 15 Jahren bedankt. Ich möchte dies namens der FDPFraktion in gleicher Weise heute tun. Wir haben in diesem Land gemeinsam einiges bewegen können. Einiges konnte nicht so umgesetzt werden, wie wir uns das gedacht haben, aber alles in allem war es eine – wie ich finde – Gewinn bringende Zeit auch für unser Land. Insofern nehme ich die Gelegenheit wahr, ganz herzlich im Namen meines Vorgängers im Amt, des Kollegen Kuhn, und insbesondere auch des früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten, des Kollegen Bauckhage, für diese Zeit zu danken, auch für die Art und Weise, wie wir in dieser Koalition, die wir – zumindest vor der Wahl erklärterm aßen – gern fortgesetzt hätten, aber nun nicht mehr fortsetzen, dieses Auseinandergehen vollzogen haben. Ich denke, auch dies war vom Stil her so in Ordnung. Auch dafür herzlichen Dank!

(Beifall der FDP und der SPD)

Das Wahlergebnis will es, dass wir uns nun in einer anderen Rolle in diesem Landtag gegenüberstehen. Herr Ministerpräsident, wenn ich kurz aus Ihrer Regierungserklärung einen Satz zitieren darf, in dem es heißt: „Es wird keinen Bruch mit der bisherigen Politik der Landesregierung geben, wohl aber einen neuen Aufbruch“, so wird es Sie sicherlich nicht überraschen – wenn Sie es vielleicht auch nicht verstehen wollen –, dass ich diesen Satz heute nicht Punkt für Punkt unterstreichen will, sondern durchaus deutlich machen möchte, dass Veränderungen vorgenommen werden und es durchaus zu dem einen oder anderen Bruch kommen wird, es durchaus auch zu der einen oder anderen Akzentverschiebung in der Politik der Landesregierung gekommen ist.

Zu einer Akzentverschiebung wird es kommen, obwohl dieser Punkt in Ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort eine Erwähnung gefunden hat. Er hat allerdings seine Ursache auch etwas weiter zurückliegend. Es geht um die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die diese Landesregierung nun wohl im Bundesrat beschließen wird. Die FDP an Ihrer Seite hätte eine solche Zustimmung nicht gegeben. (Beifall der FDP)

Ich möchte in diesem hohen Hause wiedergeben, wie die SPD die von Frau Merkel geplante Mehrwertsteuererhöhung vor der Bundestagswahl charakterisiert hat: als Merkel-Steuer, als eine Steuer, die die Waren und Dienstleistungen verteuert und damit die Binnenkonjunktur gefährdet, als Programm zur Steigerung der Inflation und zur Förderung der Schwarzarbeit, und sie treffe die Ärmeren am härtesten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies alles sind Argumente, die vor der Wahl richtig waren und die nach Auffassung der FDP-Fraktion auch nach der Wahl richtig sind.