Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Viele Leute leben davon, müssen davon leben.

Lieber Herr Dr. Schmitz, davon hat man weit mehr, als über Hartz IV je erreicht werden kann. Das, was Familienbestandteile sind, muss natürlich über familienbezogene Transfers, die alle bekommen, auch abgedeckt

werden. Wenn wir uns dann irgendwann einmal verständigen können, dass die Leute mit kleinem Einkommen für ihre Kinder mehr bekommen als die mit großem Einkommen, dann wäre man ein Stück weiter. Aber da wollen Sie ordnungspolitisch das Gegenteil, nämlich immer über Steuerfreibeträge die Dinge regeln.

(Zuruf aus dem Hause)

Ja, sicher.

Das heißt, einer wie ich, wenn er noch Kinder in dem Alter hätte, würde das Fünffache von dem bekommen, was eine Facharbeiterin oder Verkäuferin letztendlich bekommt. Das bezeichne ich als ungerecht.

(Beifall der SPD)

Vielleicht können wir uns darauf verständigen. Auf jeden Fall hat das mit der Bemessung eines ausreichenden Mindestlohns zunächst einmal nichts zu tun. Es ist eine zweite Frage der familienbezogenen Transfers, die sich teilweise über Kindergeld und teilweise auch über unterschiedliche Steuerklassen und damit unterschiedlicher Bevorzugung oder stärkerer Belastung abspielen. Ich glaube, es ist eine nicht falsche Logik, die wir insgesamt haben.

Jetzt zu den Formen. Es gibt zwei Formen von Mindestlohn. Erstens, wir halten es für erforderlich, einen gesetzlich verankerten Mindestlohn in Deutschland einzuführen. Das ist in 22 der 27 europäischen Ländern so. Es ist in den USA so. Es ist in Japan so. Wir sind nicht diejenigen, die den anderen voraus sind. Wir sind völlig abgehängt, was diese Frage angeht. Ich will Ihnen auch sagen, warum dieser gesetzliche Mindestlohn aus meiner Sicht unabdingbar ist. Im Wesentlichen natürlich aus dem Grund, vollschichtige Arbeit muss auch voll anerkannten Lohn bedeuten.

Aber es kommt ein Zweites hinzu. Diese Bundesrepublik Deutschland wird ihren Wettbewerb immer verlieren, national und auf Dauer auch international, wenn sie sich nicht auf das konzentriert, worauf es ankommt, nämlich über Qualität, Wissen, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, hervorragende Produkte und Dienstleistungen zu konkurrieren. Wir werden nie im Leben in dieser Welt mit indischen Löhnen konkurrieren können. Da können die Leute bei uns auf der Straße verhungern, und wir würden den Wettbewerb immer noch nicht bestanden haben. Also begeben wir uns erst gar nicht auf eine schiefe Ebene. Diesen Weg zu gehen, halte ich ordnungspolitisch für den richtigen.

Übrigens, nachdem ich gestern vor dem Verband der Deutschen Arbeitgeber in Berlin so argumentiert habe, hat mir am Ende dieser Diskussion, nachdem sie vorher gebuht hatten, zumindest die Hälfte des Saales deutlich Beifall geklatscht. Es ist nicht so, dass man solche Dinge nicht auch ordnungspolitisch erklären kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt einen zweiten Ansatz, nämlich dass wir dort, wo Tarifverträge nicht mehr wirken können, über die beiden Instrumentarien, entweder Entsendegesetz – das ist eher Außenschutz gegen Konkurrenz außerhalb der EU – oder/und

dieses Mindestarbeitsbedingungsgesetz, branchenbezogenen Regelungen treffen. Diese branchenbezogene Regelungen werden von den Tarifvertragsparteien festgesetzt, und dann beantragen sie bei der Bundesregierung, beim Bundesminister für Arbeit, dass sie für allgemein verbindlich erklärt werden. Der beurteilt das, geht ins Bundeskabinett, und dann wird das allgemein verbindlich. Das haben wir jetzt bei der Post getan. Das hat mit dem gesetzlichen Mindestlohn zunächst einmal überhaupt nichts zu tun.

Den gesetzlichen Mindestlohn wollen wir auch nicht, wie ständig behauptet wird, durch den Staat festsetzen, sondern wie in Großbritannien durch eine Pay Commission, also Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Wissenschaft, die ihrerseits einen Mindestlohn empfehlen, der dann staatlicherseits in Recht umgesetzt wird. Das ist die Vorstellung.

Ich sage es noch einmal, wenn wir uns auf einen Wettbewerb einlassen, der so schräg nach unten geht, was die Löhne angeht, dann werden wir dieses süße Gift schlucken, und es wird uns nicht lange ausreichend motivieren. Dann werden wir nämlich in dieser Auseinandersetzung verlieren, weil wir die wirklichen Ziele der qualitativen Auseinandersetzung, der Technologiesprünge, außer Acht lassen.

Eine letzte Bemerkung zum Post-Mindestlohn. Die Realität ist, dass dort die Tarifvertragsparteien, und zwar nicht nur die Post AG, sondern auch einige andere, übrigens mit dem Bemühen der politischen Ebene, auch meiner Bemühung, an die Mitbewerber, an den Tarifverhandlungen teilzunehmen – – – Ich weiß, dass sich auch Frau Merkel bemüht hat. Sie sind nicht hingegangen, weil sie gemeint haben, sie könnten uns austaktieren. Sie sind nicht hingegangen, weil sie gemeint haben, sie könnten genug Druck auf die CDU ausüben, und die würde dann eine Allgemeinverbindlichkeit schon verhindern. Deshalb sind sie nicht hingegangen und haben hinterher demonstriert, dass sie so hohe Löhne nicht haben wollen. Das hat es auch noch nicht auf der Welt gegeben. Aber man lernt immer noch dazu.

Meine Großmutter hat immer gesagt, man kann alt werden wie eine Kuh, man lernt immer noch dazu.

Sei es drum! Die haben an Tarifverhandlungen bewusst nicht teilgenommen, obwohl sie eingeladen waren. Dann kann ich mich hinterher nicht beschweren, wenn dabei etwas herauskommt, was mir nicht passt. Der Staat ist nicht aufgerufen – ich kann nur unterstreichen, was Malu Dreyer gesagt hat –, die Tarifverträge nach unten zu korrigieren. Er kann nur sagen: Es ist richtig, dass wir dem Antrag folgen, es für allgemein verbindlich erklären oder nicht. Genau das tun wir. Genau das hat der Deutsche Bundestag heute getan, und wir werden es auch in der kommenden Woche im Deutschen Bundesrat tun.

Ein Wort zur Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuerbefreiung gilt für jeden Postdienstanbieter, wenn er die Republik flächendeckend versorgt.

(Eymael, FDP: Das liegt am Aufbau!)

Nicht am Aufbau. Jeder, der dafür sorgt, dass auch in der Eifel, auf der Hallig und in den Bergtälern des Bayrischen Waldes Post zugestellt wird und eine Grundstruktur vorhanden ist, bekommt die Mehrwertsteuerbefreiung.

(Licht, CDU: Das ist doch nicht fair!)

Wieso ist das nicht fair? Wir haben es doch nicht mit einem Mittelständler zu tun. Ich will es Ihnen noch einmal sagen: Wir haben es mit TNT zu tun. TNT ist die staatliche Post in den Niederlanden. Was reden wir denn da zusammen? Wir haben es auch mit PIN zu tun. Dass PIN jetzt diese Schwierigkeiten hat – das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern –, ist darauf zurückzuführen, dass es ein völlig verfehltes Geschäftsmodell war, das man versucht hat zu heilen, indem man den Menschen Hungerlöhne gezahlt hat. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall der SPD)

Jeder weiß doch, dass Herr Döpfner schon lange Probleme damit hat, dass man jedes Jahr zweistellige Millionensummen an Verlusten gemacht und rund 500 Millionen Euro in den Sand gesetzt hat.

Im Übrigen komme ich jetzt zu den Mittelständlern. Wir haben am letzten Wochenende in intensiven Kontakten mit Verlagen – auch solchen, die in Rheinland-Pfalz wichtig sind – eine Regelung gefunden, die es denen ermöglicht, eine Chance zu haben, ein eigenes Geschäftsmodell darauf aufzubauen. Es ist doch nicht so, dass wir uns nicht kümmern.

(Heiterkeit des Abg. Billen, CDU)

Bevor Sie solche Dinge hier kritisieren. Sie können nachfragen. Ihnen stehen viel mehr Leute als mir innenpolitisch nahe. Wir haben auch die Chance genutzt, mit der Deutschen Post AG zu reden, ob sie nicht, wenn ihr ein Teil des Geschäftes zurückfällt, Leute, denen bei PIN jetzt gekündigt werden soll, aufnehmen kann. Sie wissen, dass es diese grundsätzliche Zusage gibt. Ich will nur deutlich machen: Es ist nicht so, dass man sich nicht um den Menschen kümmert. Aber wenn wir einmal zulassen, dass eine Entscheidung des Gesetzgebers in dieser Frage unterlaufen wird, dann werden wir durch die Androhung, „dann kündige ich meinen Mitarbeitern“, eine katastrophale Wettbewerbssituation haben. Jeder wird uns erpressen. In Deutschland darf es nicht so sein, dass Parlamente mit ihrer Entscheidung – auch wenn sie mehrheitlich getroffen werden; in dem Fall mit breiter Mehrheit der Union und der SPD und der GRÜNEN, wenn ich es richtig weiß – öffentlich unter Druck gesetzt werden und man sagt: Wenn Ihr eure Beschlüsse nicht zurücknehmt, dann entlassen wir Leute. – Wenn wir das zulassen, dann sind wir als Parlament am Ende.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn mir dann jemand sagt, dass alles hätte nichts mit Ordnungspolitik zu tun, muss ich sagen, das ist Ordnungspolitik.

(Eymael, FDP: Staatliche Ordnungspolitik!)

Gibt es denn noch eine Ordnungspolitik? Wer setzt die Ordnung in einem Staat fest, wenn nicht der Staat?

(Beifall der SPD)

Das Recht des Stärkeren? Soll das Geld die Welt regieren? Wen hätten Sie denn gern anstelle des Staates?

(Harald Schweitzer, SPD: Die FDP! – Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Bleiben Sie doch einmal ein bisschen liberal.

Meine Damen und Herren, nein, es wird schon dabei bleiben, dass wir soziale Marktwirtschaft auch als das verstehen, als was sie gemeint war, nämlich als hervorragende Funktionsgrundlage für das wirtschaftliche Geschehen in dieser Republik und in weiten Teilen der Welt, und zum Zweiten als Verantwortung und Verpflichtung auch den Menschen gegenüber. Das heißt, jedes Unternehmen ist natürlich für seinen Erfolg verantwortlich, aber es ist auch verantwortlich dafür, dass die dort beschäftigten Menschen eine Chance auf ein anständiges Auskommen haben, im Übrigen auch, dass die Standorte, die viele Voraussetzungen bieten, nicht einfach unter die Räder kommen. Das ist soziale Marktwirtschaft. Deshalb sind wir für Mindestlöhne. Deshalb werden wir weiter für Mindestlöhne kämpfen, und ich sage Ihnen, sie werden in Deutschland kommen.

(Anhaltend starker Beifall der SPD)

Vielen Dank. – Durch die Redezeit der Landesregierung stehen jeder Fraktion noch fünf Minuten Redezeit zu. – Gibt es noch Wortmeldungen? – Herr Kollege Billen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, wir beide – zumindest im Ansatz – sind uns in vielen Fragen dessen, was Sie dargestellt haben, einig.

(Beifall der CDU)

Was aber jetzt die Post in der Vereinbarung gemacht hat, ist nicht das, was Sie wollen – behaupte ich jetzt einmal –, und nicht das, was ich will. Ich glaube auch nicht, dass es das ist, was die CDU jetzt in ihrer Gesamtheit will, obwohl sie dem Kompromiss zugestimmt hat. Sie hat die Chance genutzt, den Mindestlohn so zu setzen, um Konkurrenten kleinzuhalten oder wegzudrücken.

(Eymael, FDP: Genau!)

Da wir einen Kompromiss haben, müssen wir sagen: Wenn die Tarifparteien es vereinbaren, muss der Gesetzgeber, wenn er diesen Kompromiss beschließt, dem auch zustimmen. Das ist eine Ausnutzung des Mindestlohns, die ich persönlich nicht will.

Wir alle wollen – ohne Frage –, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, auch davon leben können. Jetzt ist die Frage, wo man das bindet. Das war die Frage von Herrn Kollegen Dr. Schmitz. Man kann es immer nur binden. Es gibt in Deutschland einen sogenannten Mindeststandard. Das ist Arbeitslosengeld II oder Arbeitslosengeld IV, aber ich sage Arbeitslosengeld II. Das setzt einen Mindeststandard fest. Ein Junggeselle allein zu Haus, arbeitslos, bekommt eine gewisse Summe plus Wohngeld, plus Heizung. Darum ist das Arbeitslosengeld auch unterschiedlich. Das Arbeitslosengeld in Gesamtheit ist in der Eifel geringer, weil dort die Wohnungen billiger sind als in München.

(Zuruf aus dem Hause)

Durch die Mietkosten.

Es wäre im Grundsatz immer falsch, dass ein Mensch, der arbeiten geht, weniger verdient und sich noch mit Arbeitslosengeld sein Geld aufbessern muss, er also mit Ausbeuterlöhnen gefördert wird.

(Ministerpräsident Beck: 650.000 Euro!)

Die gibt es, meine Damen und Herren. Es gibt viele Unternehmen, die Leute für 30 Cent pro Kilometer beschäftigen, wenn sie Pakete ausfahren, nicht im Stundenlohn, 30 Cent pro Kilometer. Das Auto stellen sie, Sprit muss selbst bezahlt werden. Sie können ausrechnen, wie viel der fahren muss, wie viel Stunden er mit Paketausliefern unterwegs sein muss, damit er als Junggeselle überhaupt in das Arbeitslosengeld II kommt. Das kann von der Politik nicht gewollt sein; das kann auch von dieser Gesellschaft nicht gewollt sein.

(Pörksen, SPD: Sehr wahr!)