Protokoll der Sitzung vom 07.06.2006

...................................................................................................................... 114, 124 Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD:.........................................................................................................124 Abg. Hartloff, SPD:..............................................................................................................................112 Abg. Hoch, SPD:.................................................................................................................................132 Abg. Kuhn, FDP:..................................................................................................................................130 Abg. Mertes, SPD:...............................................................................................................................110 Abg. Mertin, FDP:................................................................................................................................117 Abg. Schreiner, CDU:...........................................................................................................................127 Beck, Ministerpräsident:.......................................................................................................................119 Vizepräsident Bauckhage:..............................................................................................123, 124, 127, 130 Vizepräsident Schnabel:............................................................................................................... 132, 134 Vizepräsidentin Frau Klamm:.................................................................................. 110, 112, 114, 117, 119

4. Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 07. Juni 2006

Die Sitzung wird um 12:00 Uhr von Vizepräsidentin Frau Klamm eröffnet.

Guten Tag, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zur 4. Plenarsitzung.

Entschuldigt sind für heute die Abgeordneten Hildrun Siegrist, Anne Spurzem, Christine Schneider, Dr. Stefanie Lejeune und Staatsminister Karl Peter Bruch (bis 13:00) Uhr sowie Staatsminister Hendrik Hering.

Als schriftführende Abgeordnete wurden benannt: Bettina Brück und Anke Beilstein. Bettina Brück führt die Rednerliste.

Zu Punkt 1 der Tagesordnung liegen Ihnen drei Anträge – Drucksachen 15/33/35/36 – vor.

Zu Punkt 2 der Tagesordnung liegen Ihnen die entsprechenden Wahlvorschläge vor. Gemäß der Absprache zwischen den Fraktionen soll unter diesem Tagesordnungspunkt die Wahl von weiteren schriftführenden Abgeordneten erfolgen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen die vereinbarten Grundsätze für die nächste Plenarsitzung vortragen: am 6. Juli jeweils eine halbe Aktuelle Stunde für die Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU und am 7. Juli eine halbe Aktuelle Stunde für die Fraktion der FDP.

Gibt es zu der Tagesordnung weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann können wir in die Tagesordnung eintreten.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Modernisierung bundesstaatlicher Ordnung – Föderalismusreform

dazu: Föderalismusreform Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 15/33 –

Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu einem erfolgreichen Abschluss bringen – Länder und ihre Parlamente stärken Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 15/35 –

Reform des Föderalismus Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 15/36 –

Ich darf Herrn Landtagspräsidenten Mertes das Wort für die Einführung zu diesem Thema erteilen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist natürlich eine ungewöhnliche Stunde, in der wir die Diskussion beginnen, aber es ist auch ein ungewöhnliches Thema.

Ich bedanke mich bei den Fraktionen dafür, dass Sie mir erlauben, zu diesem Thema kurz einzuführen. Ich leite das ein Stück davon ab, dass der Kollege Christoph Böhr und ich, er für die CDU-Fraktionen, ich für die SPDLandtagsfraktionen, beim allerersten Kongress in Schleswig-Holstein zu diesem Thema als Vertreter zugegen waren. Ich will einfach eröffnen, was wir mit dem Föderalismusthema beginnen sollten.

Das Kernproblem ist nach meiner Einschätzung, dass man in der Öffentlichkeit viel zu wenig Föderalisten sieht und hört, meine Damen und Herren. Wir haben eine Diskussion in Deutschland, die eher davon ausgeht, dass eine zentrale Organis ation alles besser machen würde. Die Frage ist, wie wir zu diesem Zeitpunkt deutlich machen, was uns eigentlich der Föderalismus wert ist.

Was wollen die Deutschen? Meine Damen und Herren, die Deutschen wollen – behaupte ich – ein Leben in überschaubaren Gemeinschaften, das sie selbst organisieren können, bei denen das Wort „Subsidiarität“ – das nur für Schlaumeier gedacht ist –, also Selbstorganisation all dessen ist, was man selbst machen kann.

Sie wollen ihre eigene Verantwortung wahrnehmen. Sie wollen eigene Lösungen vor Ort ermöglichen. Sie wollen, dass die Verantwortung ein klares Gesicht hat: Wer ist nun derjenige, der mir als Politiker gegenübersteht? Wer ist derjenige, mit dem ich über diese Verantwortung streiten kann?

Kann ich das mit jemandem, der anonym irgendwo in der Bendlerstraße, der Behrensstraße oder der Wilhelmstraße – das sind alles Berliner Straßen, meine Damen und Herren – sitzt, oder kann ich das vielleicht mit einem von diesen 101 Abgeordneten, mit einer Landesregierung, die sich greifbar noch in einer vernünftigen Entfernung befindet? Das ist eigentlich die Frage, die hinter dem Föderalismus steht.

Wenn Gäste hierher gekommen sind – es kommen Gott sei Dank viele Gäste in den Landtag –, dann bin ich meistens von unseren französischen Nachbarn gefragt worden, was die tiefere Begründung für unsere Lebensart im Föderalismus sei.

Ich habe versucht, eine ganz einfache Erklärung zu geben. Meine Damen und Herren, wir brauchen den Föderalismus deshalb, weil wir gern das Leben der Menschen in dieser Region zusammen mit den Kommunen unterstützen möchten.

Wenn es ganz ordentlich beginnt, dann beginnt ein Leben sozusagen auf dem Standesamt, meine Damen und

Herren. Das muss aber nicht sein, das hat etwas mit meinem Alter zu tun.

Dann könnte es weitergehen, indem wir, das Land, die Kommunen und die Träger, die Krankenhäuser in die Landschaft stellen, in denen die Kinder zur Welt kommen. Wir und die Kommunen bilden zusammen entweder Zweckverbände oder Vereinbarungen, in denen wir Kindergärten anbieten, jetzt zum Beispiel ab dem zweiten Lebensjahr.

Wir und die Kommunen bauen gemeinsam die Schulen, stellen die Lehrerinnen und Lehrer, damit die Kinder ausgebildet werden können. Wir bauen die Universitäten. Wir bauen die Straßen dorthin. Wir sorgen für die Innere Sicherheit dieser Menschen, die bei uns wohnen.

Wir sorgen dafür, dass man all das, was der Mensch zum Leben braucht, von Ländern und Kommunen bekommen kann, und zwar in eigener Entscheidung. Deshalb wollen wir so organisiert leben. Dann ist also Föderalismus eine Lebensform, in der wir Eigenverantwortung in Gemeinschaften ermöglichen.

Jetzt gibt es Einwände, eine Menge Einwände, nämlich diejenigen, die sagen: Ja, aber dann habt ihr doch 16 verschiedene Einzellösungen und Kleinstaatereien. Das sind alles so wunderbare Worte, mit denen man alles kaputtmachen kann, ehe man so richtig angefangen hat.

Wenn man anstatt „Kleinstaaterei“ vielleicht das schöne deutsche Wort „Vielfalt“ benutzt, klingt es schon ganz anders. Ich benutze es bewusst, weil ich einmal erlebt habe, dass gerade mit Wörtern der Versuch unternommen wird, eine solche Debatte abzuwürgen.

Meine Damen und Herren, es wurde auch versucht, die Debatte abzuwürgen – ich versuche es einmal ganz schnell historisch –, indem man gesagt hat: Es war doch schon immer so, dass der französische Nachbar mit seiner Außenpolitik seit Ludwig XIV. nichts anderes versucht hat, als die Deutschen in kleinen Gemeinschaften leben zu lassen, am besten in Kurfürstentümern und Grafschaften. Das stimmt ja auch.

Der Reflex auf diesen historischen Ablauf wäre gewesen, sozusagen nach dem Krieg Rheinland-Pfalz zu gründen – wie falsch. Nordrhein-Westfalen ist vor Rheinland-Pfalz gegründet worden. Es war ein Reflex, den eigenen Staat zu gründen.

Wenn dann in der historischen Debatte umgedreht wird, man würde doch gerade an Frankreich sehen, wie gut ein zentraler Staat funktioniert, muss man sagen, wenn Sie sich die historischen Grundlagen anschauen, ist das, was die französische Außenpolitik, wie ich sie vorhin nannte, von Ludwig XIV. bis folgend, ausmacht, in einem Desaster, in der französischen Revolution gelandet war, und zwar deshalb, weil die Franzosen einen Krieg nach dem anderen auf Kosten ihres Volkes geführt haben, meine Damen und Herren.

Auch diese historische Ausführung führt nicht weiter. Also ist die Frage, wenn wir die Einwände weitergehen: Was hat sich wirklich so verschlechtert, wenn wir 16 Einzellösungen haben?– Meine Damen und Herren, was

hat sich – ich sehe gerade den ehemaligen Justizminister, bei ihm wird ganz besonders die Frage deutlich werden – zum Beispiel beim Strafvollzug getan?

Wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ganz deutlich besagt, dies seien die Standards für den Strafvollzug. Nach diesen Standards wird gehandelt. Wir haben gerade eines bekommen, über das bestimmt noch politisch gestritten werden wird. Es geht um die Frage, wie wir das bei der Jugend, beim Jugendstrafvollzug machen.

Stellen Sie sich vor, es gibt ein Land in Europa, das hat überlebt, obwohl 26 Kantone den Strafvollzug organisieren. Das ist die Schweiz.

Wenn man dies alles einmal zur Kenntnis nimmt, werden auch die Argumente der Einzellösungen und der Kleinparzellierung geringer. Im Gegenteil, ich nehme das Wort des Wettbewerbsföderalismus voll auf, und zwar in dem Sinn, dass jedes Land beweisen kann, worin es besser ist. Wir als Rheinland-Pfälzer sind zum Beispiel insgesamt stolz darauf, dass wir unsere Bildungspolitik so angelegt haben, dass sie andere nachmachen, beispielsweise in der Frage der Ganztagsschule oder mit welchem Alter ein Kind in den Kindergarten geht. Diese Art von Wettbewerb findet nun auf dieser Brücke dort draußen statt. Wenn Sie über die Brücke gehen, haben Sie etwas anderes. Jedes Land muss es für sich verantworten. Das ist der Satz, den ich soeben formuliert habe: Verantwortung soll ein Gesicht haben. Das heißt, wir verantworten in diesem Land diese Teile, und andere verantworten in ihrem Land andere Teile. Ich glaube, wir müssen diese Diskussion wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Es nutzt den Menschen, wenn wir in solchen Gebietskörperschaften miteinander reden.

Meine Damen und Herren, aber ein weiterer Einwand ist doch, dass wir sagen könnten: Hat diese Nachkriegsordnung auch in 10 oder 20 Jahren noch Bestand? – Diese Frage wird kommen, wenn die zweite Phase der Föderalismusdiskussion stattgefunden hat, über Finanzen zu reden. Dann wird auch diese Frage kommen. Aber ich wende jetzt schon ein: Es ist zu einfach, nach der Größe eines Landes zur gleichen Zeit dessen Bestand in irgendeiner Weise schon zu diskutieren. Gehen Sie nur nach Amerika. Dort hat man schon 200 Jahre lang Erfahrung in Demokratie.

Schauen Sie sich einmal die kleinen NeuenglandStaaten an. Schauen Sie sich Vermont an. Vermont ist mit 20.000 Quadratkilometern gerade einmal so groß wie Rheinland-Pfalz und hat 1,4 Millionen Einwohner. Ein Texaner – wenngleich Texas so groß ist wie Frankreich und die Beneluxstaaten zusammen und etwa 20 Millionen Einwohner hat – käme nie auf die Idee zu sagen: Wir wollen aufgrund unserer Größe fünf Senatoren und nicht genauso viele wie Vermont.– Das heißt, die Gleichung, die wir machen, die Größe ist entscheidend, ist nach meiner Meinung zu kurz gegriffen und reicht nicht aus.

Richtig gegriffen ist, wenn wir fragen: Wie groß sollte ein politisches System sein, das sich selbst trägt und das finanziell in der Lage ist, den Wünschen seiner Bevölkerung nach bestimmten Dingen nachzukommen? Richtig

ist, dass wir diese Frage natürlich mit einem Finanzausgleich, der nun auf 15 Jahre angelegt ist, so nicht beantworten können. Aber das wird kommen.

Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mir die Gelegenheit einer Einführung gegeben haben und möchte zusammenfassen: Das Thema „Föderalismus" ist der Versuch, auch weiterhin Lösungen vor Ort und Verantwortung vor Ort zu schaffen. Das wollen wir nicht aufgeben.

Wir wissen aber, Bund und Länder müssen gemeinsam reformfähig bleiben und müssen diese Diskussion auch zu Ende bringen. Dabei wird es ein Geben und Nehmen sein. Ich habe mich nun bewusst auf Einzelheiten nicht eingelassen; denn dies wäre nicht der Sinn einer Einführung. Es ist Sache der Fraktionen, darüber zu sprechen.

Wenn wir – und das liegt in der Luft – in der Frage der Neuordnung weiterkommen wollen, dürfen nicht allein die Größen eine Rolle spielen, sondern es müssen auch ganz andere Zus ammenhänge mit hineingefügt werden, sonst wird es nichts. Es ist vielleicht für manch einen in Berlin, wenn er zuhören könnte, eine Überraschung: Die Bundesrepublik Deutschland ist von den Ländern und Gemeinden gegründet worden.

Ich bedanke mich.

(Beifall im Hause)

Die Fraktionen haben eine Redezeit von jeweils 45 Minuten vereinbart. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Realschule in Linz ganz herzlich im Landtag begrüßen!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hartloff für die SPDFraktion.