Protokoll der Sitzung vom 04.02.2009

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Peter Schmitz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bis 2030 werden wir eine Zunahme bei den pflegebedürftigen Menschen um 50 % erleben. Daher ist es nicht nur aller Ehren wert, sondern dringend geboten, sich frühzeitig darüber Gedanken zu machen, wie wir die dann anstehenden Probleme gesetzgeberisch lösen und in den Griff bekommen können.

Daher bin ich der CDU-Fraktion für den Gesetzentwurf dankbar, der, wenn ich Herrn Rüddel richtig verstanden habe, für sie kein monolithischer Block ist, an dem es nichts mehr zu verändern gibt, sondern der eher im weitesten Sinne Ihr Diskussionsbeitrag ist, der sehr seriös fixiert wurde. Er ist ein Diskussionsbeitrag zu etwas, was im Plenum dann über alle Fraktionen hinweg besprochen werden muss. Dies geschieht dann vielleicht in der Hoffnung, wie so oft im sozialpolitischen Bereich, dass die Chance auf eine einvernehmliche Lösung besteht.

Meine Damen und Herren, ich will aber nicht verhehlen, dass ich auch das Gefühl hatte, dass sich sowohl die Landesregierung als auch die SPD-Fraktion ein klitzeklein wenig auf dem falschen Fuß erwischt fühlten. Der schnell nachgeschobene Entschließungsantrag mit Datum 3. Februar legt zumindest diesen Verdacht nahe.

(Zuruf der Frau Abg. Schleicher-Rothmund, SPD)

Meine Damen und Herren, in den meisten Fällen der Weiterentwicklung des Rechts für Heim- und Wohnformen sind wir uns sehr einig. Es gibt Punkte, da ist das mehr ein Streit um Worte und Begriffe. Wenn man sich auf eine gemeinsame Zielsetzung verständigen kann, habe ich keine Angst vor diesem Streit um Worte. Das gilt beispielsweise für den neuen Pflegebegriff.

Ob man den Pflegebedarf rechts- oder linksherum definiert und ob man eine defizitgeprägte Formulierung wählt oder ob man die positiven Aspekte der Selbstständigkeit in den Vordergrund rückt, ist eine Geschmackssache. Das gilt auch für die Frage, ob wir Pflegeheimqualitäten mit Ampelfarben oder mit Zeugnisnoten kategorisieren. Das ist auch etwas, was am Schluss regelbar ist. Entscheidend sind die Fragen, die dahinter stehen.

Deshalb darf ich mich zuerst mit dem Entwurf der CDU auseinandersetzen, die in ihren Zielsetzungen schreibt, dass sie den Verbraucherschutz stärken will, die Transparenz in Betreuung und Pflege verbessern möchte, die Mitwirkung fördern, die Vielfalt und Weiterentwicklung flexibel ermöglichen und Lebensqualität für Menschen gewährleisten will. Das ist in Ordnung. Das ist sehr gut.

Ich würde statt der Lebensqualität noch gerne die Menschenwürde aufnehmen. Wenn man die Zustände bei manchen Menschen am Ende ihres Lebens sieht, ist der Begriff „Lebensqualität“ leider Gottes manchmal zumindest ein wenig schönfärberisch, der nichts mit der Qualität der Pflege zu tun hat, sondern mit dem objektiven Zustand mancher Patienten im hohen Alter.

Meine Damen und Herren, ich würde gerne andere Begriffe mit aufnehmen, die jetzt zumindest nicht im Mittelpunkt stehen. Das sind Fragen der Effizienzsteigerung insgesamt. Das sind auch Fragen der Attraktivitätssteigerung für die Mitarbeiter. Wir haben oft schon über das Problem gesprochen, dass Pflegeheime zu wenig Mitarbeiter bekommen und Mitarbeiter oft genug nicht lange genug bleiben.

Wir müssen auch über die Attraktivität für Investoren sprechen. Schließlich muss das ein Bereich sein, in dem die Investitionen möglichst in nichtstaatlicher Träger

schaft stattfinden. Daher gehören solche betriebswirtschaftlichen Aspekte in die Überlegungen zu einem in die Zukunft weisenden, belastbaren Gesetzeswerk.

Meine Damen und Herren, wir müssen auch darüber sprechen, wie wir die Balance zwischen zentraler Verantwortung durch den Staat und der subsidiären Aufgabenerfüllung finden. Dazu gehört auch die Aufgabenerfüllung im Sinne von Qualitätssicherung vor Ort. Wir müssen eine Balance finden, die anders als bisher trotz aller Bemühungen der Landesregierung, die ich ausdrücklich lobe, den Bereich der Dokumentation noch weiter zurückdrängt. Wir benötigen eine neue Balance zwischen Ergebnisqualität, Prozessqualität und Strukturqualität.

Wenn die CDU – dies nur am Rande angemerkt – in ihrem Gesetzentwurf formuliert, dass es ganz wichtig sei, wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen zu lassen, ist dem nicht zu widersprechen. Es ist aber hinzuzufügen „und praktische Erkenntnisse“. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben oft eine gewisse Kopflastigkeit, die neben den Problemen, die sie lösen, neue schaffen. Das haben wir in der Vergangenheit erlebt. Das ist ein Teil der Schwierigkeiten, mit denen sich Menschen, die anderen helfen wollen, und Menschen, die Hilfe brauchen, jetzt auseinandersetzen müssen.

Meine Damen und Herren, ich meine – damit möchte ich auf einen weiteren Punkt eingehen, nämlich auf die Frage der Qualitätsüberprüfungen –, dass wir über diesen Punkt noch lange diskutieren müssen, um einen optimalen Weg zu finden. Bei allem Respekt vor den Lösungen anderer Bundesländer bin ich optimistisch, dass wir über die Fraktionen hinaus kreativer sein werden.

Wir werden kreativer sein, weil wir nicht nur die Balance zwischen Heimaufsicht, Medizinischem Dienst der Krankenkassen und der Qualitätsverantwortung der Heime selbst neu regeln wollen, sondern ich meine, wir müssen unbedingt auch die Zufriedenheitswerte mit aufnehmen, die wir feststellen müssen. Sie sind ein Teil dieser praktischen Erfahrungen.

Es ist mir lieber, alle zu Pflegenden und ihre Angehörigen sind zufrieden und glücklich, auch wenn wir in irgendwelchen wissenschaftlichen Parametern ein paar Minuspunkte zu verzeichnen haben, als dass die Situation umgekehrt ist. Diese Gefahr liegt immer in von oben nach unten angeordneten Strukturen.

(Beifall der FDP)

Meine Damen und Herren, ich meine auch, dass wir sehr genau darauf schauen müssen – der Gesetzentwurf der CDU gibt schon gewisse Antworten, aber auch da stelle ich mir mehr vor –, wie wir den Übergang zwischen dem Wohnen in den eigenen vier Wänden und dem Leben im Heim anders organisieren können. Es geht darum, wie wir es schaffen, kleine gemeindeintegrierte, wohnortnahe Formen der Betreuung in kleineren Einheiten von zu Pflegenden, von Tagespflege, von Nachtpflege – Sie beschreiben, was Sie in diesem Gesetz alles nicht geregelt haben wollen – neu zu organisieren. Dies geht mit dem Wunsch einher, dass wir am

bulant vor stationär nicht nur sagen, sondern möglichst bürokratiearm leben.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)

Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Sie sagen, wir nehmen diesen Bereich deshalb heraus – das unterstreiche ich, weil das richtig ist – und nehmen das nicht in das Heimrecht hinein. Das genügt aber nicht, weil wir auch dort gewisse Fragen beantworten müssen und sie nicht einfach ohne Antwort stehen lassen können. Auch in kleineren Wohnformen bei pflegebedürftigen Menschen gibt es staatliche Sorgfalts- und Aufsichtspflichten. Davon bin ich überzeugt. Allerdings sollten wir darüber sprechen und uns jetzt nicht vorab schon einer gemeinsamen Lösung entziehen.

Meine Damen und Herren, die Frage nach der Zuständigkeit, nach dem Kompetenzstreit zwischen Bundes- und Landesrecht – gilt bürgerlich-rechtlich und öffentlichrechtlich oder gilt nur eines –, ist zu diskutieren. Das ist eine schwierige Fragestellung; denn das Argument, dass wir nicht unbedingt an Landesgrenzen unterschiedliche rechtliche Bedingungen im Vertragsrecht vorfinden sollten, ist ernst zu nehmen. Genauso ernst zu nehmen ist, dass eine föderalistische Gesetzgebung nicht Kompetenzen erstreitet, um sie anschließend wieder zurückzugeben.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist die Frage der unangekündigten oder angekündigten Untersuchung. Das ist die Frage, ob sie immer einmal pro Jahr stattfinden muss oder ob wir auch da nicht in der Lage sind, flexiblere Formen zu finden, die unbedingt – das vorneweg – die Behandlungsqualität und Sicherheit in den Fokus nehmen, die aber zwischen Heimen unterscheiden, die perfekt aufgestellt sind mit bestem Leumund und hervorragender Kooperationsbereitschaft, mit einer Trägerstruktur, auf die man sich verlassen kann, und Heimen, die genau am anderen Ende dieser Qualitätsskala liegen.

Warum müssen wir mit teutonischer Einfalt über alle das gleiche Überprüfungsnetz legen? Ich erlaube mir, diese Frage aufzuwerfen.

(Beifall der FDP)

Meine Damen und Herren, es wäre noch viel zu diesen einzelnen Dingen zu sagen. Ich glaube, wir haben zu einem späteren Zeitpunkt noch Gelegenheit dazu.

Ich schließe mich dem Wunsch an, diesen Antrag an den Ausschuss zu überweisen. Ich glaube auch, dass wir dann noch eine gemeinsame Anhörung über die interne Anhörung hinaus organisieren sollten.

Ich habe auch keine Probleme mit dem Entschließungsantrag der SPD, wobei in der Tat die Frage ist, ob es nicht doch ein bisschen zu viel um den Kampf um Worte geht.

Eine einzige Sache möchte ich in dem Zusammenhang anmerken. Es werden hier Dinge mitverkauft,

(Glocke des Präsidenten)

über die wir im Ausschuss nie recht Gelegenheit hatten zu sprechen, die von oben nach unten durchgesetzt wurden und die wir jetzt einfach so hinnehmen sollen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zum Ende.

Auch darüber sollte man noch einmal sprechen. Auch da sind die Meinungen der Oppositionsfraktionen wichtig.

Danke sehr.

(Beifall der FDP)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Dreyer.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen! Wir sind an einer Stelle absolut alle einig miteinander, nämlich dass das Heimgesetz überholt ist und nicht mehr den Bedürfnissen der Menschen in Einrichtungen entspricht und wir deshalb unbedingt eine neue Regelung brauchen.

Ich glaube, dass die Föderalismuskommission mit ihrer Entscheidung, dass das Heimgesetz auf Landesebene organisiert wird, eine große Chance für uns enthält, tatsächlich Rahmenbedingungen für behinderte und pflegebedürftige Menschen, die in Heimen leben, so zu schaffen und zu gestalten, dass wir sie auch weiterentwickeln können und es ihrer Lebenssituation entspricht.

Insofern begrüße ich es auch, dass die CDU-Fraktion diesen Gesetzentwurf mit ganz wichtigen Debattenbeiträgen eingebracht hat, nicht auf dem falschen Fuß, wie Herr Dr. Schmitz vermutet hat – ich glaube, das war auch nicht so bei Peter Wilhelm Dröscher –, sondern wir begrüßen es und sagen, es gibt Punkte, die wir sehr gut finden, es gibt andere Punkte, bei denen würden wir gerne weiter gehen.

Dieser Gesetzentwurf ist auf jeden Fall wichtig für unsere Debatte. Die CDU war einfach an der Stelle schneller. Wir sind schon seit Monaten am Erarbeiten des Gesetzentwurfs. Ich gehe nachher auch noch einmal kurz auf den Zeitplan ein. Deshalb kann man das auch einfach so sagen.

Auch aus meiner Sicht – darin sind wir uns alle einig, glaube ich – müssen die Aspekte „Verbraucherschutz“ und „Transparenz“ erheblich mehr Gewicht erhalten. Ich habe im Januar 2007 – darüber habe ich berichtet – eine Arbeitsgruppe in den SPD-geführten Ländern initiiert, die in ihren Positionspapieren ganz klar dazu Stellung genommen haben.

Selbstverständlich muss es auch um Entbürokratisierung im Heimrecht gehen, ebenso wie um die Notwendigkeit,

dass sich die künftigen Länderregelungen an diesen veränderten Erwartungen der Menschen orientieren.

Ich möchte vier Punkte nennen, was dies für uns bedeutet. Man kann es jetzt im Plenum nur anreißen:

1. Es ist tatsächlich so – auch wie Peter Wilhelm Dröscher für die SPD gesagt hat –, wir würden uns auch als Landesregierung gern vom Heimbegriff lösen, und zwar vollkommen. Stattdessen wollen wir das Handeln der Aufsichtsbehörde eher danach ausrichten, ob die Bewohner und Bewohnerinnen in einer Einrichtung selbstbestimmt gemeinschaftlich leben und am Leben in der Gesellschaft teilhaben können oder ob sie in einer strukturellen Abhängigkeit von einem Träger, Vermieter oder einem Anbieter stehen.

Wir wollen eine eindeutige Regelung und eine klare Abgrenzung treffen, wann gemeinschaftliche Wohnformen für ältere und pflegebedürftige Menschen keiner staatlichen Aufsicht unterliegen. Wir wollen diese selbstbestimmten Wohnformen auch mit zusätzlicher Beratung fördern. Auch darum geht es uns, weil dies aus unserer Sicht eine wichtige Lebensform älterer Menschen in der Zukunft sein wird.

Insofern gehen wir hier einfach weiter. Aber ich gebe sowohl dem Abgeordneten Dröscher als auch dem Abgeordneten Dr. Schmitz recht, diese Debatte müssen wir im Ausschuss führen; denn es ist die Frage, wie viel Schutz und wie viel Selbstbestimmung ein Mensch braucht. Es ist eine unglaublich schwierige Balance, die in einem solchen Gesetz festzuschreiben ist. Es ist tatsächlich eine Diskussion.