Protokoll der Sitzung vom 25.06.2009

etwa 107.000 pflegebedürftige Menschen. Davon leben etwa 35 %, also 38.000, aufgrund ihres Hilfebedarfs in einer stationären Einrichtung. Eine kleinere Zahl lebt darüber hinaus in Seniorenresidenzen und sonstigen Wohneinrichtungen. Darüber hinaus gibt es noch andere gemeinschaftliche Wohnformen.

Das ist eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Als ich begonnen habe, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, waren es etwa 15 %, die in solchen Einrichtungen lebten. Heute sind es, wie gesagt, etwa 35 %. Das Bedürfnis nach der Teilhabe an dieser Gesellschaft und nach der Gestaltung des eigenen Lebens endet eben nicht an der Schwelle zur Hilfsbedürftigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Die Wohnung als Lebensmittelpunkt gewinnt in diesem Zusammenhang mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Gleiches gilt natürlich auch für Menschen mit Behinderungen. Forderungen im Zusammenhang mit dem Wohnen, vor allem auch mit der Art und Weise, wie man wohnen will, sind in den letzten Jahren bei den Betroffenen selbstverständlich geworden.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung trägt dieser Entwicklung voll Rechnung. Insoweit erweist sich die Föderalismusreform im Übrigen auch als eine gute Gelegenheit, den notwendigen Paradigmenwechsel einzuleiten. Dabei sind wir uns in diesem Parlament offenbar über einige Grundlinien einig. Das wird auch die geplante Synopse zeigen, die uns dabei helfen soll, im Sozialpolitischen Ausschuss über die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe der CDU-Fraktion und der Landesregierung sowie über die Entschließungen, die beide Fraktionen eingebracht haben, zu beraten. Wir wollen die Rechte der hilfebedürftigen Menschen stärken. Wir wollen gemeinsam die Qualität dieser Hilfen sichern. Wir wollen Innovationen ermöglichen. Wir wollen auch die Bürokratie auf das absolut notwendige Maß beschränken.

Ich lasse mich im Übrigen durch die Anmerkungen des Kollegen Rüddel zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung nicht dazu hinreißen, den Entwurf der CDUFraktion schlechtzureden; denn wir haben verabredet, dass wir zumindest versuchen, zu einer gemeinsamen Fassung des Gesetzes zu kommen, und wir werden uns in der schon von Herrn Rüddel erwähnten Anhörung im Ausschuss auch der konstruktiven Kritik der Verbände und Anzuhörenden stellen.

Noch eine Anmerkung: Auch Experten sind ab und zu genötigt, sich zu entwickeln und sich neue Kenntnisse anzueignen, sich also einem Paradigmenwechsel zu stellen.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf der Landesregierung nimmt inhaltlich Bezug auf die UN-Charta über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, auf die Charta für ein Soziales Rheinland-Pfalz sowie auf die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen und verbindet staatlichen Schutz, der sich am Individuum und seinen

Bedürfnissen orientiert, mit den Leistungskategorien, die neu sind, nämlich mit gemeinsamen Wohnformen für ältere Menschen, volljährige Menschen mit Behinderungen und pflegebedürftige volljährige Menschen. Die Menschen mit Behinderungen sind also mit berücksichtigt, und das halte ich für eine hervorragende Sache; denn wir haben in den vergangen Jahren festgestellt – Herr Miles-Paul ist anwesend; ich freue mich, dass er dabei ist –, das läuft ebenfalls auf eine Gemeinsamkeit hinaus.

Neu ist übrigens die Verbindung der ordnungsrechtlichen Anforderungen an Einrichtungen des gemeinschaftlichen Wohnens mit Regelungen, durch die innovative Angebote gefördert werden.

Neu ist auch die abgestufte Prüfmodalität je nach konzeptioneller Ausrichtung der Einrichtung. Frau Ministerin Dreyer hat das schon erwähnt: einmal jährlich eine unangemeldete Prüfung in Einrichtungen, die Wohnen, Pflege, Verpflegung und weitere Unterstützung anbieten, und anlassbezogene Überprüfungen in den Einrichtungen mit höherer Selbstbestimmung und Teilhabe. –

Neu ist auch die Differenzierung zwischen diesen Einrichtungen: Einrichtungen mit umfassendem Leistungsangebot, Einrichtungen mit höher Selbstbestimmung und die selbstbestimmten Wohngemeinschaften, die damit ein bisschen aus der Grauzone herauskommen, in der sie sich, gesetzlich gesehen, bisher befunden haben. –

Man kann nicht abstreiten, dass es Konfliktlinien geben wird. Erste Reaktionen zeigen schon, dass es eine Konfliktlinie geben wird bei der Frage: Besteht die Gefahr, dass stationäre Formen von vornherein als selbstbestimmungsfeindlich diskriminiert werden? Das ist eine Frage, die aus der LIGA kommt und über die wir diskutieren müssen. Ich glaube, es ist auch eine Frage des Bewusstseins, dass wir dies nicht als eine Einstufung in gute und schlechte Einrichtungen ansehen, sondern in eine Einstufung nach der Lebenswirklichkeit. Die staatliche Aufsicht wird entsprechend diesen Abstufungen vermindert, und am Ende wird sie das Beratungsangebot bereithalten – Pflegestützpunkte –, was ich für sehr wichtig halte. Gemeinsame Servicestellen bieten das schon.

Nicht ganz so neu, aber genauso wichtig ist die Öffnung der Einrichtungen. Konrad Hummel hat in seiner Funktion als Heimleiter in Fellbach, Baden-Württemberg, schon zu Beginn der 80er-Jahre ein Buch mit dem Titel „Öffnet die Altersheime“ geschrieben. Das, was er da beschrieben hat, ist nach wie vor aktuell. Malu Dreyer hat erwähnt, dass es zwar solche Einrichtungen gibt, die Frage nach der Öffnung ins Wohnquartier aber nach wir vor sehr aktuell ist.

Das bürgerschaftliche Engagement ist ebenfalls angesprochen worden. Auch hier gibt es wahrscheinlich eine Konfliktlinie. Die Landesregierung hat bereits in der internen Anhörung darauf reagiert, dass es da unterschiedliche Meinungen gibt, und den Gesetzentwurf weiterentwickelt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Dieser Gesetzentwurf sorgt für Vielfalt und Transparenz und wird eine

Grundlage für das Erreichen höchstmöglicher Lebensqualität sein. –

(Beifall der SPD)

Abschließend möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf der Landesregierung berücksichtigt selbstverständlich – dazu muss man sich einmal die bisherigen Landesgesetze und Entwürfe anschauen – vollständig die Rahmenbedingungen, die nach wie vor von der einschlägigen Bundesgesetzgebung gebildet werden, zum Beispiel das Pflegeweiterbildungsgesetz, in dem die Forderungen nach Transparenz, Verbraucherschutz, Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, Qualitätssicherung und Qualitätsprüfung bereits zielführend vorhanden sind, und dann die Neuorientierung beim Pflegebedürftigkeitsbegriff. Diese Neuorientierung wird in der Diskussion sicherlich eine große Rolle spielen; denn der Beirat zur Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. Der Entwurf berücksichtigt auch das neue Heimvertragsrecht. Frau Ministerin Dreyer hat bereits erwähnt, was in anderen Entwürfen nicht berücksichtigt ist.

Ich denke, wir werden im Sozialpolitischen Ausschuss und zwischen den Fraktionen eine spannende Diskussion haben. Ich freue mich darauf, und ich glaube, es könnte gelingen, zu einem Landesgesetz zu kommen, in dem sich alle wiederfinden. Ich danke der Landesregierung im Namen unserer Fraktion für den vorgelegten Entwurf, der vieles von dem, worüber bei uns diskutiert worden ist, in diese Diskussion hineinbringt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD)

Herzlich begrüße ich im Landtag den Deutschen Alpenverein aus Frankenthal. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Schmitz von der SPD-Fraktion.

(Frau Spurzem, SPD: Überläufer! – Weitere Zurufe von der SPD)

FDP-Fraktion.

So geht es los, Herr Präsident!

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstbestimmung und Teilhabe, Würde des Menschen, Transparenz, Bürokratieabbau – das ist so unumstritten wie auch ein weinig wohlfeil. Daran kann man in der Tat ganze Reden festmachen. Es gibt aber bei diesem sehr interessanten Gesetzentwurf auch andere Aspekte, die

es wert sind, dass man in der ersten Lesung Anmerkungen dazu macht.

Sie erlauben, dass ich zunächst einmal auf das Timing dieses Gesetzes eingehe; denn das, was ich bisher über die Anhörung von einzelnen Trägern und Interessenverbänden gehört habe, war zum Teil durchaus ungnädig. Frau Ministerin, in der Demonstration der freien gemeinnützigen Wohlfahrtspflege und der privaten Pflege in der vergangenen Woche kam sehr deutlich zum Ausdruck, dass sich nicht alle Sozialpartner in adäquater Weise im Vorfeld berücksichtigt fanden.

Wir haben seitens unserer Fraktion – ich habe die Unterlagen herausgesucht – am 27. November 2007 – das ist schon eine Zeitlang her – gefragt, wie es um das Heimgesetz stehe. Uns wurde damals seitens der Ministerin gesagt, dass eine Prognose, bis wann das rheinlandpfälzische Heimgesetz vorliegen solle, noch nicht abgegeben werden könne. Angestrebt werde die zweite Jahreshälfte 2008. Man versprach, uns zu informieren, wenn dieses Ziel nicht eingehalten werden könne.

Jetzt haben wir erfahren, dass der Landesbeirat zur Teilhabe behinderter Menschen zur Gesetzesinitiative, immerhin eineinhalb Jahre später, am 27. April 2009 zur Stellungnahme aufgefordert wurde, die – das ist doch ein atypisch kurzer Zeitraum für ein Gesetz, das sich selbst mit dem Terminus „Paradigmenwechsel“ schmückt – bis zum 18. Mai 2009 abzugeben sei. Das verstehe ich nicht. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, weshalb man sich zuerst alle Zeit der Welt lässt und es dann aber plötzlich ganz schrecklich eilig hat. Herr Kollege Rüddel, vielleicht hat da Ihr Gesetzentwurf doch eine katalysierende Wirkung entfaltet.

Meine Damen und Herren, dann ging es aber immer noch nicht schnell genug. Bevor der 18. Mai überhaupt erreicht war, hat man am 6. Mai zum „Dialog Sozial“ in das Ministerium eingeladen, um im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe den Gesetzentwurf erstmalig zu präsentieren.

Ich rekapituliere noch einmal: Eingang der Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme war der 29. April. Die Veranstaltung fand eine schlappe Woche später statt. Ich glaube schon festhalten zu dürfen, dass das ein bisschen eng ist. Das ist aber nur etwas am Rande.

Im Wesentlichen geht es um die Inhalte. Da ist das Gesetz – lassen Sie mich es so formulieren – hoch interessant, weil man wirklich versucht, einen großen Sprung zu machen, indem man das, was man selbst Paradigmenwechsel nennt, insbesondere durch eine Abkehr vom bisherigen Heimbegriff und der Einrichtung dreier Kategorien, die man ins Zentrum des Gesetzeswerkes stellt, zu erreichen versucht.

Es gibt viele interessante Ansätze, die man von der Intention her nicht anders als grundpositiv bewerten kann. Im Hinblick auf die Ausführung gibt es aber noch erheblichen Diskussionsbedarf.

Ich habe schon bei der Regierungserklärung zum Thema „Seniorenpolitik“ erläutert, dass man dann, wenn man die ehrenamtliche Beteiligung sozusagen mit in die

Qualitätsbeurteilung aufnimmt, aber auf der Basis der steuerlichen Rahmenbedingungen für das Ehrenamt im Unterschied zur Unterstützung freier gemeinnütziger Träger und privater Anbieter keine Gleichheit herstellt, im Grunde unfairen Wettbewerb organisiert hat. Darüber wird noch zu sprechen sein.

Meine Damen und Herren, meines Wissens ist von mehreren Trägern moniert worden, dass man die Öffnung in die Gesellschaft, die selbstverständlich jeder will, zum Teil über die Qualitätskriterien vornimmt. Das muss doch zumindest an die Frage gekoppelt sein, wieweit die einzelnen Heimformen oder die anderen Wohnformen überhaupt in der Lage sind, mit ihren zu betreuenden oder zu begleitenden Menschen diese Öffnung in die Gesellschaft vorzunehmen. Das ist vielfach gar nicht so einfach. Meine Damen und Herren, ist das überhaupt im Sinne von Selbstbestimmung und Teilhabe von den Betroffenen erwünscht? Wir reden über Teilhabe und vergattern sie zur Teilhabe in der Gesellschaft. Wollen die das denn überhaupt? Der gute Staat, der am besten weiß, was den Menschen billig ist und Gutes bringt.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist das, was die Ministerin voller Stolz Marktüberblick, Transparenz und Qualitätsinformation nennt. Ich meine – auch das sage ich nicht apodiktisch, sondern darüber müssen wir sprechen, zumal Herr Kollege Dröscher schon angesprochen hat, dass wir diesen konstruktiven sozialpolitischen Geist auch in dieses Gesetz tragen wollen –, es ist darüber zu sprechen, ob nicht ein wenig weniger etwas mehr wäre.

Ich beschreibe nur einmal sozusagen aus der Lamäng heraus, bei wie vielen Institutionen sich Betroffene und ihre Angehörigen jetzt informieren können, so sie es denn wollen. Da fallen mir die unterschiedlichen Träger in einer ganz ausdifferenzierten Trägerlandschaft ein, die wir alle wollen. Es gibt ganz unterschiedliche Pflegekassen, die ihre Informationsangebote unterbreiten. Die Frau Ministerin hat schon die jetzt aufgemotzten ehemaligen BeKos erwähnt, die sogenannten Pflegestützpunkte, die zur Verfügung stehen. Wir haben den Verbraucherschutz mit seinem bisherigen Infotelefon, das durch die Hotline ergänzt wird, die wir jetzt noch hinzu organisieren. Wir haben das Internet, und das wiederum mit unterschiedlichen Qualitätsberichten, nämlich denen des MDK und denen der Heimaufsicht.

Wir haben nicht zuletzt die Kommunen mit ihrer Pflegestrukturplanung. Das bewegt sich zwar etwas am Rande, aber auch die gehören dazu. Man wird auch in der Lage sein, zum Sozialdezernat oder zum Bürgermeister zu laufen, um sich zu erkundigen. All diese Informationsmöglichkeiten bestehen nebeneinander mit ganz unterschiedlichen Kriterien und unterschiedlichen Prüfungsorganisationen. Das soll am Schluss ein Mensch verstehen.

Man kann Transparenz auch durch ein Zuviel an unterschiedlichen Informationsmöglichkeiten verhindern, die sich nicht gegenseitig ergänzen, sondern die sich gegenseitig stören und ins Gehege kommen.

Nach den bisherigen Gesprächen mit den Trägern meine ich, dass die Datenschutzbedenken nicht ausgeräumt sind.

Ich will aber nicht nur die kritischen Punkte beleuchten. Ich finde beispielsweise den Anspruch der Landesregierung in Richtung auf ein flexibles Prüfsystem aller Ehren wert. Ich finde es sehr gut, dass man von starren Prüfnormen und Zeitabständen abgeht.

Sehr kritisch wiederum sehe ich den Hinweis insbesondere eines gemeinnützigen Vereins, der sagt, in diesem Gesetz würden für viele Menschen viele Dinge gesetzlich geregelt und normiert, die überhaupt keiner gesetzlichen Regelung und Normierung bedürfen.

(Beifall der Abg. Frau Thelen, CDU)

Wohngruppen, die bisher zu unserer großen Freude eigenverantwortlich, selbstbestimmt – man höre und staune – und mit hoher Teilhabe selbst organisiert ohne Heimrecht und Probleme leben konnten und damit auch gänzlich bürokratiefrei, drohen – auch das wieder vorsichtig formuliert – in den Wirkungsbereich eines Gesetzes zu kommen – so sehe ich das auch –, und das ohne Not. Warum, Frau Ministerin?

Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Manches aus dieser Palette der vielen Fragen und kritischen Hinweise mag aufklärbar sein und mag auf Missverständnissen beruhen, aber eines ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt bei der ersten Lesung glasklar: Bei diesem Gesetz wird es ohne die Opposition nicht gehen. Davon bin ich überzeugt. Für diese Steilvorlage danke ich Ihnen am Rande zusätzlich.