Protokoll der Sitzung vom 11.11.2009

(Dr. Schmitz, FDP: Ja!)

Nun will ich aber gar nicht behaupten, dass man alles das, was man dort für die Einsparung vorgenommen hat, heute noch einmal machen könnte; denn der Herr Ministerpräsident wird mir sicherlich zustimmen, dass man in den gleichen Honigtopf nicht zweimal greifen kann.

(Ministerpräsident Beck: So ist es!)

Da gibt es also natürlich Dinge, die so nicht wiederholbar sind. Deswegen will ich auch gar nicht die Erwartung äußern, dass diese Beträge jetzt erreichbar wären. Aber zu sagen, es gehe gar nichts, das halte ich vor dem Hintergrund dessen, was wir gemeinsam einmal geschafft haben, nicht für glaubhaft vermittelbar, auch nicht beim Bundesverfassungsgericht.

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Wenn man einmal theoretisch nur in etwa die Hälfte als mögliche Einsparung ansetzt, dann bleiben wir in einem

Risikobereich, der, wenn es um die Durchsetzung Ihrer politischen Ziele geht, für Sie kein größeres Problem ist. Wir bewegen uns irgendwo um 100 Millionen Euro. Wir haben es sehr häufig erlebt, dass Sie kein Problem darin gesehen haben, dauerhaft Ausgaben auf den Weg zu bringen, die dann entsprechend den Landeshaushalt belasten. Auch das müsste man dann dem Bundesverfassungsgericht erklären.

Deshalb meine ich, tun wir alle gut daran abzuwarten, was denn wirklich nach dem Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat und im Bundestag beschlossen wird und wie sich das wirklich auswirkt.

(Frau Mohr, SPD: Richtig!)

Das, was jetzt getan wird, gehört auch zu dem, was in der Bundesrepublik Deutschland ganz normal ist, dass auf der einen Seite die Länder ihre Interessen vertreten und auf der anderen Seite der Bund steht. Das war schon so, als wir gemeinsam in diesem Land regiert haben. Das wird in Zukunft auch immer so sein.

Das ändert nichts daran, dass man nicht hingehen und 1 : 1 das, was dort beschlossen wird, auf das Land herunterrechnen kann, ohne entsprechende andere Effekte, die auch hinzukommen müssen, dabei zu berücksichtigen.

(Beifall der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat Herr Finanzminister Dr. Kühl das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Mertin, ich verstehe, wenn Sie beklagen, dass Dinge in die Welt gesetzt werden, die so nicht vereinbart worden sind.

Auf der anderen Seite muss ich Ihnen sagen, für den normalen Zeitungsleser ist es relativ schwer nachzuvollziehen, was jetzt vereinbart worden ist und was gilt. Ich habe wahrgenommen, weil ich mich dafür interessiert habe und es auch wissen wollte, was steht in der Koalitionsvereinbarung drin. Ich habe tagtäglich nach Unterzeichnung dieser Koalitionsvereinbarung Politiker beider Parteien gehört, die zum Teil das Gegenteil dessen behauptet haben, was dort drinsteht.

(Beifall der SPD)

Diese Steuerreform ist für mich ein Stück weit eine Reform zur Gesichtswahrung der Koalitionspartner bezüglich dessen, was sie vor der Wahl gesagt haben. Ich verstehe das auch ein Stück weit. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen.

Ich würde mich an Ihrer Stelle über eine Sache auch sehr ärgern. Über die ärgere ich mich auch.

Man kann heute in den Zeitungen lesen, was sie tun wollen. Sie haben dies fairerweise vor den Wahlen angekündigt, aber damals konnte man noch nichts davon in den Zeitungen lesen. Ich ärgere mich darüber; denn ich bin fest davon überzeugt, hätten wir die Kritik, die die Medien heute an Ihren Steuerreformplänen übt, schon vor der Wahl gelesen, hätte dies unser Wahlverhalten beeinflusst, und wir hätten bezüglich der Steuerpläne etwas anderes erlebt, als wir am 27. September erlebt haben.

(Beifall der SPD)

Die SPD hat ebenfalls Vorschläge für eine Steuerreform vorgelegt, und all diese Vorschläge waren in sich aufkommensneutral.

Herr Schreiner, Sie haben von einem Horrorszenario gesprochen, das wir aufzeigen: falsche Prognosen über das potenzielle Steueraufkommen. Herr Schreiner, ich weiß nicht, wo Sie am 20. Oktober waren, aber ich hatte gehofft, dass Sie damals in Bremen waren; denn als ich gelesen habe, was die finanzpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion beschlossen haben, habe ich mich gefreut, weil ich dachte, ich hätte Sie in meiner Argumentation als meinen Verbündeten.

Ich darf kurz aus dem Papier der finanzpolitischen Sprecher zitieren. Darin steht:

„Die haushalts- und finanzpolitischen Sprecher betonen, dass Steuersenkungen nicht einseitig zulasten der Länder geschnürt werden dürfen“

(Baldauf, CDU: Das hat doch Herr Schäuble auch gesagt!)

das sagt Herr Schäuble nicht – „und appellieren an die Verantwortung des Bundes, die Konsolidierungsbemühungen in den Ländern nicht durch zusätzliche Einnahmeausfälle zu erschweren.“

(Baldauf, CDU: Sie müssten einmal mit ihm reden!)

Vielleicht haben Sie nicht zugestimmt, vielleicht waren Sie gerade draußen, vielleicht waren Sie auch gar nicht anwesend, aber es ist wirklich schade drum.

(Beifall der SPD – Zurufe von der SPD: Es gibt keine zusätzlichen Einnahmeausfälle!)

Herr Schreiner, ich habe den Eindruck, Sie sind der letzte Anhänger der Reaganomics. Ich kenne niemanden mehr, der dies so unverblümt wiedergibt wie Sie. Ich kann Ihnen sagen, wie das Szenario der Reaganomics war. Es war immer das Gleiche: Frau Thatcher hat es versucht, Herr Reagan hat es versucht: Steuern nach unten, die Verschuldung nach oben, und dann stand man vor leeren Haushaltskassen und hat auf zwei Arten versucht zu konsolidieren: Erstens, man hat die Sozialleistungen zurückgefahren, zweitens, man hat die Daseinsvorsorge verringert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin niemand, der Steuererhöhungen das Wort redet, zumal

dies aus konjunktur- und wachstumspolitischen Gründen sicherlich momentan der falsche Weg wäre. Ich mache aber an einer Stelle eine Ausnahme, und zwar aus verschiedenen Gründen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer einführen sollten. Im Übrigen hat dies die Bundeskanzlerin mit dem damaligen Finanzminister auf dem G-20-Gipfel vertreten. Wenn wir heute die Koalitionsvereinbarung nachlesen, lesen wir dazu nichts mehr.

Eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer würde ein klein wenig Gerechtigkeit gegenüber den Menschen bewirken, die bei uns leben und die das Gefühl haben, dass diejenigen, die diese Krise zu verantworten haben, für die Konsequenzen überhaupt nicht geradestehen müssen.

(Beifall der SPD)

Eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer hätte einen zweiten positiven Effekt: Die Transaktionskosten steigen, die Arbitragegewinne gehen zurück, wenn es nur kleine Preisdifferenzen gibt, und das spekulative Handelsvolumen, das zu einem großen Teil für diese Finanzmarktkrise verantwortlich ist, würde signifikant zurückgeführt.

Ich möchte nicht so weit gehen wie Dr. Jens Erhardt, einer der großen Vermögensverwalter in dieser Republik, aber ich möchte Ihnen doch einen Gedanken nicht vorenthalten, den er am letzten Montag im „Handelsblatt“ formuliert hat. Frau Präsidentin, mit Ihrem Einverständnis darf ich zitieren:

Dr. Jens Erhardt sagt: „Was bisher kaum thematisiert wurde, ist die Frage, inwiefern die niedrigen Steuern auch zur Entstehung der Finanzkrise beigetragen haben. Es ist doch so, dass von niedrigen Steuern vor allem die Reichen profitieren, bei denen sich immer mehr Vermögen konzentriert. In der Folge wachsen Risikobereitschaft und der Hang zur Finanzspekulation.“ Ich schätze, dass dieser Mann ein bisschen weiß, wovon er redet; denn er verdient damit sein Geld.

Herr Schreiner, Sie sind offensichtlich auch ein Anhänger von hohen Steuern; denn Ihr Vorbild ist der ehemalige Finanzminister Stoltenberg. Ich habe mich zu dieser Zeit schon mit Steuern befasst. Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben; Sie waren damals wahrscheinlich noch zu jung, um zu wissen, wie die Steuersätze waren.

(Zuruf von der SPD: Das ist er heute noch!)

Zum damaligen Zeitpunkt betrug der Spitzensteuersatz 56 % und blieb im Übrigen fast auf diesem Niveau bis zum Ende der Ära Kohl, und es gab eine Vermögensteuer in Deutschland. Man muss also auch über die Ausgangssituation reden, wenn man solche Vorschläge macht.

(Beifall der SPD)

Herr Mertin, ich bin ganz Ihrer Meinung: Die Gewerbesteuer ist als kommunale Steuer nicht unproblematisch,

weil sie sehr konjunturreagibel ist. Den Kommunen brechen genau in den Zeiten, in denen sie zur Bewältigung konjunktureller Aufgaben Einnahmen bräuchten, diese Einnahmen weg.

Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen – ich glaube, dies ist auch Ihnen ein wichtiges Anliegen –, sie ist nicht von ungefähr entstanden, sondern sie ist aus dem Gedanken des Interessensausgleichs heraus entstanden. Bei einem kommunalen Steuersystem ist man immer bemüht, darauf zu achten, dass es Steuern gibt, die alle Interessengruppen in einer Kommune abdecken, und zwar nicht deshalb, um alle gleichmäßig abzuschröpfen – dies hat in gewisser Weise auch etwas mit Gleichbehandlung zu tun –, sondern um dafür zu sorgen, dass die Kommunen in ihrer Politik aus Eigeninteresse und aus fiskalischem Interesse heraus beispielsweise auf die Unternehmen Rücksicht nehmen. Wenn sie Unternehmen ansiedeln und sie gut behandeln, können sie gute Gewerbesteuereinnahmen erzielen.

Ich bin etwas ratlos. Ich halte immer noch die Wertschöpfungssteuer für einen guten Gedankengang. Ich bin skeptisch gegenüber der Beteiligung an der Umsatzsteuer. Dies ist vermeintlich einfach, aber wenn wir die Kommunen an der Umsatzsteuer beteiligen, müssen wir das Geld anderen wegnehmen, es sei denn, Sie schlagen vor, die Umsatzsteuer zu erhöhen. Dann hätten wir mehr Volumen und könnten den Kommunen einen größeren Anteil geben. Wenn wir dies aber nicht tun, haben wir entweder beim Bund oder bei den Ländern ein fiskalisches Problem.

Ein Hebesatzrecht auf die Einkommensteuer kann man zwar beschließen, aber dabei muss man meiner Ansicht nach vorsichtig sein, da man Gefahr läuft, dass es ein zu großes Gefälle zwischen wohlhabenden Wohnorten und Wohngegenden gibt, in denen Menschen leben, die etwas schlechter begütert sind. Von daher könnte das Wohlstandsgefälle zwischen finanzschwachen und finanzstarken Kommunen dadurch größer werden.

Ich denke, insbesondere nach der Krise gibt es auf der Einnahmenseite drei Dinge zu tun. Wir müssen darauf achten, dass unsere Haushalte auch auf der Einnahmenseite stabil sind. Wir müssen Steuerreformen ansetzen, die zwei Kriterien erfüllen müssen: Sie müssen wachstumsorientiert sein, und sie müssen sozialverträglich ausgestaltet sein. Schließlich müssen wir bei alledem darauf achten, dass wir Aufkommensneutralität wahren, wo dies möglich ist. Ich habe vorhin meine Rede mit einem Zitat der Sachverständigen beendet, und ich möchte es auch bei dieser Rede tun. Der Sachverständigenrat schreibt: Reformnotwendigkeiten kann auf absehbare Zeit aber nur durch aufkommensneutrale Steuerstrukturreformen entsprochen werden. Alles andere wäre ein finanzpolitisches Harakiri. – Dem sollten wir entgehen.

Danke.

(Beifall der SPD)