Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

Ich zitiere: „Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind so zu konzipieren und einzusetzen, dass sie als Brücke in den regulären Arbeitsmarkt fungieren.“

Man kann dem zustimmen. Ich würde denken, dass alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Rheinland-Pfalz – wenn es gut läuft, auch bundesweit – so konstruiert sind; wenn es welche gibt.

Ich komme zu dem, was heute besprochen worden ist, nämlich zu den möglichen Kürzungen. Wir halten es für wichtig, dass diejenigen, die SGB-II-Leistungen in Anspruch nehmen müssen, die Langzeitarbeitslose sind, die es im Leben schwer haben oder hatten, darauf vertrauen können, dass das Land sich nicht aus den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ausklinkt, sondern sagt: „Wir helfen euch.“

(Beifall bei der SPD)

Es gibt Qualifizierungsmaßnahmen, Maßnahmen, die wichtig sind, die junge Menschen, Frauen und/oder Langzeitarbeitslose brauchen. Es ist wichtig, dazu zu stehen.

Sie haben bei den bisherigen Haushaltsberatungen ausnahmslos eine erhebliche Streichung dieser Maßnahmen beantragt. Dem haben wir nie zugestimmt, insbesondere jetzt nicht, weil wir meinen, dass das Land zum Beispiel mit diesen regionalen Budgets, die den ARGEn in Höhe von 18 Millionen Euro zur Verfügung stehen und die für die SGB-II-Empfängerinnen und –Empfänger von außerordentlich großer Bedeutung sind, um wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden zu können, – – –

Meine Damen und Herren, Sie stellen weiter in Ihrem Antrag fest, es sei nicht beabsichtigt, eine pauschale Diskussion über die Höhe des Arbeitslosengeldes (ALG) II zu führen. Das widerspricht tatsächlich dem, was ich in der letzten Zeit wahrgenommen habe.

Herr Baldauf, ich möchte eine Pressemeldung – es gibt mehrere – vom September zitieren: „Der rheinlandpfälzische CDU-Chef Christian Baldauf verlangt mehr Druck auf Langzeitarbeitslose. Eine Absenkung der ALG-II-Sätze sei sinnvoll, um die Empfänger zu bewegen, eine reguläre Beschäftigung anzunehmen.“ –

Ich denke, man sollte sich in der CDU darüber einig werden, was man will: Soll man tatsächlich streichen

oder nicht? Ist das ein richtiger Weg? – Nach unserer Auffassung absolut nicht.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

Flankierende Maßnahmen bei SGB-II-Beziehern halten wir, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der SGBIII-Bezug geringer wird und viele in den SGB-II-Bezug übertreten, für außerordentlich wichtig.

(Baldauf, CDU: Nicht nur Theorie, sondern Praxis!)

Den Einsparungen der CDU – man darf gespannt sein, was in der Haushaltsdebatte auf uns zukommen wird – haben wir bisher nicht zugestimmt. Wir werden dem auch nicht zustimmen.

Ich weiß nicht, ob Sie das mit der wirtschaftlichen Nüchternheit gemeint haben, die Sie heute in Ihrer Haushaltsdebatte angesprochen hatten, Herr Baldauf. Wir nicht. Mit Sozialdemokratinnen und -demokraten ist das nicht zu machen.

Wir werden weiterhin an der Seite derjenigen stehen, die bisher in ihrem Leben Pech hatten und diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen brauchen, um wieder in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden zu können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmitz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP war, wie alle im rheinland-pfälzischen Landtag vertretenen Parteien, für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die FDP hat sich aber als einzige der anwesenden Parteien auf Bundesebene gegen die Konstruktion ausgesprochen, deren kritischen Verlauf wir heute zu besprechen haben.

Die Große Anfrage der CDU, die auch dem Antrag zugrunde liegt, greift einen Bereich der Hartz-Gesetze heraus. Ich erinnere daran, dass unsere Fraktion eine Große Anfrage mit etwas umfassenderem Hintergrund zu Hartz I bis IV gestellt hat, die auch beantwortet ist, die sich in der Auswertung befindet. Vor deren Auswertung – dafür bitte ich um Verständnis – wollen wir Vorabfestlegungen vermeiden.

So viel sei schon gesagt: Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir zu.

Meine Damen und Herren, wenn wir seinerzeit formuliert haben, dieses Gesetzeswerk ist zu kompliziert, dann haben wir leider recht behalten.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage bewusst „leider“.

Wir haben im Bewusstsein um die Komplexität dieses Gesetzeswerkes seinerzeit bei den Haushaltsberatungen zugestimmt, dass das Land eine Reserve bildet, um die Probleme, die wir erwartet haben, zu begleiten.

Frau Grosse, Sie haben diese 18 Millionen Euro genannt.

Das, was damals richtig war, war von uns so gedacht, dass es für einen vorübergehenden Zeitraum komplementär die Arbeit der Bundesagentur, der ARGEn und der optierenden Kommunen begleitet. Frau Grosse, aber selbstverständlich – und das ist noch keine Festlegung auf Euro und Cent – kann es nicht angehen, dass Qualifizierungsmittel der Bundesagentur nicht ausreichend ausgeschöpft werden, in letzter Konsequenz dem Bundeshaushalt zufließen und wir mit Landesmitteln, sprich, neuen Schulden mit Zins- und Tilgungsproblemen eine Sozialpolitik machen, die ein Sozialproblem darstellt.

(Beifall der FDP)

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Grosse, ich glaube, das Land kann froh sein, dass es weder in der Fachaufsicht war noch für die Organisation der ARGEn wirklich in Verantwortung zu ziehen ist. Das Land sollte zumindest froh darüber sein. Ich als jemand, der in dieser Zeit auf Seiten der regierungstragenden Fraktionen mit dabei war, bin froh, dass wir nicht in dieser Verantwortung standen; denn was dort am Anfang lief, war Pleiten, Pech und Pannen, und was man jetzt versucht, ist, Pleiten, Pech und Pannen etwas günstiger darzustellen. Wir stehen in der Tat vor der Frage der Generalrevision. Es gibt ein Fortentwicklungsgesetz, natürlich! – Es ist nicht mehr ganz so schlimm, wie es war. Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich ein Teil der Fehlentwicklungen relativieren wird. Aber das, was wir erlebt haben, ist doch dramatisch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Geplant waren für ganz Rheinland-Pfalz 88.000 Bedarfsgemeinschaften. Wir hatten dann im Januar 2005 bereits 108.000 Bedarfsgemeinschaften. Diese sind bis Juli dieses Jahres auf 130.000 Bedarfsgemeinschaften angewachsen. Das ist doch der schiere Wahnsinn! Das ist auch nicht damit zu erklären – wie die Landesregierung sagt –, dass verdeckte Armut aufgedeckt wurde. Das findet auch mit statt, ist in Ordnung, aber selbstverständlich nicht in dieser Größenordnung.

Daran zeigt sich, dass ein Gesetzeswerk wie Hartz IV in seiner Kompliziertheit dazu einlädt, mit daran teilzuhaben, und dagegen vorzugehen ist auf der Basis von Formblattgerechtigkeit und auf der Basis überforderter Verwaltungen, die das erste Halbjahr – dies räumt die Landesregierung selbst ein – damit beschäftigt waren, überhaupt Daten zu erfassen und sich im IT-Dschungel zurechtzufinden, sehr schwer. Dass die Unterstützung, die die optierenden Kommunen und die ARGEn erhielten, sehr ungleichgewichtig war, möchte ich in diesem Zusammenhang mit erwähnen.

Wir haben uns nicht darüber gewundert, sondern wir haben immer prognostiziert, dass eine subsidiäre Erfüllung attraktiver und Erfolg versprechender ist als die

komplexe Konstruktion der ARGEn. Dass die optierenden Kommunen in einem sehr wichtigen Bereich sehr viel besser abgeschnitten haben, als dies vom Bundesdurchschnitt her vorab definiert wurde, ist sehr erfreulich. Die Aktivierungsquote liegt in Rheinland-Pfalz bei den Gesamtbetroffenen bei ca. 13 % – korrigieren Sie mich, ich habe die Zahlen jetzt nicht vorliegen –, wurde aber bundesweit für spezielle Problemgruppen wie beispielsweise Jugendliche auf 26 % vorab geschätzt.

Die optierenden Kommunen haben in der Pfalz 57,3 % erreicht. Das ist schlicht sensationell! Das ist ein Lichtblick bei all dem, was uns an unangenehmen Nachrichten aus der Großen Anfrage entgegenschlägt. Auch die optierende Kommune Daun hat hervorragend abgeschnitten. Das muss man in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Das ist ein ganz klares Ergebnis: In diesem zentralen, besonders schwierigen Bereich schneiden optierende Kommunen besser ab.

Meine Damen und Herren, es stellt sich also die Frage nach einer Generalrevision. – Dazu ein solides und belastbares Jein. Wir müssten zuerst fragen: Generalrevision wie? – Eine Generalrevision im Sinne von „Weg mit Hartz IV“ funktioniert nicht. Das hieße, wir würden – ähnlich wie in der Gesundheitspolitik – in einem unreifen Zustand den nächsten Innovationsschritt wagen. Dafür gibt sich die FDP nicht her.

Erforderlich ist also eine Generalrevision im Sinne einer Optimierung und einer Verbesserung nicht nur in der Verwaltungsabwicklung, sondern auch in den Grundbedingungen. – Ja, selbstverständlich! Das ist doch unverzichtbar. Frau Kollegin Grosse, Ihre Bedenken hinsichtlich der Hilfe für vom Leben hart Gebeutelte teilen wir. Dabei finden Sie uns an Ihrer Seite, und ich glaube im Übrigen, auch die CDU.

Aber diese Festlegung: „die ALG-II-Empfänger“! – Frau Kollegin, die ALG-II-Empfänger gibt es eben nicht, sondern es sind Millionen von Einzelschicksalen, in denen jede Situation, jeder neue Antrag detailliert geprüft werden muss. Das geht vom wirklich vom Schicksal hart getroffenen Menschen, der sich bemüht und der nie eine Chance hatte, bis hin zum knallharten Missbrauch dieses Systems. Beiden Bereichen muss man Antworten geben, wenn man Hartz IV dauerhaft und solide hinbekommen will.

Meine Damen und Herren, ich komme nun zum Antrag der CDU. Zu Nummer 1 habe ich einiges gesagt. Damit setzen wir uns auseinander. Bei den drei anderen Nummern schließe ich mich Frau Kollegin Grosse an. Sie sind zum Teil schon berücksichtigt und sind in dieser Formulierung nicht so, dass wir wirklich wissen, was dahintersteckt, Frau Kollegin Thelen. Deshalb bin ich froh, dass wir die Chance nutzen, im Ausschuss darüber zu diskutieren, wohin der Weg führt und was in diesem sensiblen Bereich die beste Lösung ist. Wir sind mit dabei und warten auch auf die Auswertung unserer Großen Anfrage.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der FDP)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren, meine sehr verehrten Damen! Ich möchte zunächst ein bisschen entdramatisieren, wenn auch nicht verharmlosen. Die Reform gibt es seit dem 1. Januar 2005. Jeder von uns, zumindest unter den Sozialpolitikern, weiß, das war ein Riesending. Wir haben zwei riesige Systeme zusammengelegt, die völlig unterschiedlich agiert und funktioniert haben. Daran gemessen sind eineinhalb Jahre gerade einmal nichts, was den Zeitablauf betrifft. In diesen eineinhalb Jahren hat sich auch einiges getan.

In vielem, was bereits gesagt worden ist, bin ich absolut der gleichen Meinung wie meine Kollegen und Kolleginnen, aber dennoch muss man sagen, man muss sich auch darauf besinnen: Was ist eigentlich in welchen Zeiträumen passiert?

Eineinhalb Jahre ist keine Zeit für eine Reform dieser Größenordnung, und man kann auch genau beobachten, dass sich im Laufe der letzten Monate hervorragende Erfolge abgezeichnet haben und das, was zu Beginn noch sehr schwierig war, heute sehr viel besser funktioniert.

Ich möchte auf einzelne Punkte eingehen. Das eine ist die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften. Wir alle beklagen die hohe Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, aber ich denke, es ist auch wichtig, immer einmal wieder auf die Ursachen zu schauen. Das haben wir meines Erachtens in der Antwort auf die Große Anfrage auch entsprechend dargelegt: Natürlich ist nicht nur, sondern auch das Thema „verdeckte Armut“ mit aufgegriffen worden. Dies sind Menschen, die früher einen ergänzenden Anspruch auf Sozialhilfe hatten, diesen aber nicht realisiert haben, weil sie keine Lust hatten, auf das Sozialamt zu gehen.

Dies ist ein Grund, weshalb die Bedarfsgemeinschaften gestiegen sind. Aber wir haben darüber hinaus natürlich das große Problem, dass die Anzahl der Langzeitarbeitslosen gestiegen ist, da unter anderem die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt worden ist und dadurch in die Gruppe der ALG-II-Empfänger erheblich mehr Menschen geraten sind, die zuvor einer ganz anderen Gruppe zuzuordnen waren.

Zum Dritten kommt die Tatsache hinzu, dass wir – wie die Bundesagentur für Arbeit es nennt – eine starke Kundensegmentierung haben. Das heißt, dass man Zielgruppen unterschiedlich behandelt und unterstützt und dadurch das SGB II eine Tragweite erhalten hat, die wir uns – um es einmal vorsichtig auszudrücken – ein bisschen anders vorgestellt haben.

Schließlich haben wir die berühmten Aufstocker, die Frau Thelen genannt hat, bei denen, wie ich glaube, keiner im Vorhinein des Gesetzeswerkes wirklich intensiv darüber nachgedacht hat, wie viele Menschen letzt

endlich einen Antrag auf ALG II stellen, die in ganz normalen Berufen tätig sind, gleichzeitig aber anspruchsberechtigt sind. Das alles sind keine Missbrauchsfälle. Das alles sind legale Möglichkeiten, die in Anspruch genommen worden sind, die aber dazu geführt haben, dass die Bedarfsgemeinschaften entsprechend angewachsen sind.

Ich möchte an der Stelle noch einmal das Fortentwicklungsgesetz nennen, worauf Frau Grosse schon hingewiesen hat. Viele dieser Tatbestände sind im Grunde zurückentwickelt worden, weil man gesagt hat, eigentlich wollen wir nicht, dass unser Sozialsystem in diesen Fällen eingreift, sondern wir wollen den Empfängerkreis wieder ein Stück weit eingrenzen. Deshalb muss man erst einmal abwarten – das Fortentwicklungsgesetz ist ein sehr neues Gesetz –, wie sich das letztendlich in den Konsequenzen auch umsetzt.