Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ (…) „Wir wollen die demokratische Gesellschaft, zu der alle mit ihren Gedanken zu einer erweiterten Mitverantwortung und Mitbestimmung beitragen sollen.“ (…) „Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten.“ –

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Worte von Willy Brandt sind nun über 40 Jahre her, haben aber an ihrer Aktualität nichts eingebüßt. Die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik und natürlich auch in RheinlandPfalz wollen mitreden, wenn es um Entscheidungen geht, vor allem wenn es um Entscheidungen geht, die Einfluss auf die eigene Lebenssituation haben.

Das Interesse, sich aktiv zu beteiligen und einzubringen – darauf sollten wir alle stolz sein –, ist gerade bei uns in Rheinland-Pfalz größer als in anderen Bundesländern. Das sieht man zum Beispiel auch beim ehrenamtlichen Engagement. Dieses Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv einzubringen und unsere Gesellschaft auf vielfältige Weise mitzugestalten, ist das größte Kapital unserer Demokratie. Denn – Frau Kollegin Schellhammer hat es schon richtig gesagt – Demokratie ist im Wesentlichen ein Prozess, und zwar ein fortlaufender Prozess. Mehr als jede andere Herrschaftsform setzt die Demokratie auf Veränderung, sei es als Anpassung auf gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen oder seit es auf externe Herausforderungen.

Diese Anpassung, die unsere Demokratie in der Vergangenheit so stabil und lernfähig gemacht hat, funktioniert nur durch die Bürgerinnen und Bürger, die sich aktiv einbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser EnqueteKommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ wollen wir die Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen, untersuchen. Aus diesem Grund wird dieses Hohe Haus heute gemeinsam einen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und CDU verabschieden, der der Enquete-Kommission einen äußerst umfangreichen und auch ambitionierten Auftrag erteilt.

Nun hat es in Rheinland-Pfalz auch in der Vergangenheit schon Schritte gegeben, eine stärkere und einfachere Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Ich denke an die letzte Legislaturperiode, als die Quoren für Bürgerentscheid und Bürgerbegehren abgesenkt und auch der Zulassungskatalog für solche Begehren überarbeitet wurde.

Nun stehen wir aber gemeinsam vor einer neuen Herausforderung.

Wir müssen gemeinsam untersuchen, wie wir es schaffen können, auf allen Ebenen der politischen Tätigkeit in Rheinland-Pfalz frühzeitig eine hohe Identifikation mit den Prozessen und Projekten zu schaffen, damit die Menschen sich beteiligen und verantwortlich führen. Dabei ist es eine wesentliche Herausforderung, die geeigneten Beteiligungsinstrumente zu finden, damit wir von einer Beteiligungsgerechtigkeit ausgehen können.

Das ist ein Aspekt, der uns sehr wichtig und keinesfalls zu vernachlässigen ist; denn gerade bildungsferne Gruppen müssen mit geeigneten Instrumenten erreicht werden, aber auch die verschiedenen Altersgruppen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Hier die richtigen Beteiligungsinstrumente zu finden, wird eine Herausforderung.

Ich bin davon überzeugt, dass es eine Herausforderung ist, die sehr lohnend sein wird.

Allein die mir sehr am Herzen liegenden Möglichkeiten der Beteiligung über das Internet sind riesig und zur zurzeit, wenn man ehrlich ist, zum größten Teil noch vollkommen ungenutzt. Hier wird es spannend, und da freue ich mich schon mit Frau Kollegin Kohnle-Gros, die Erfahrungen der Enquete-Kommission „Verantwortung in der medialen Welt“ aus der letzten Legislaturperiode mit in die aktuelle Enquete einbringen zu können.

Frau Kollegin Machalet wird im Folgenden noch die konkreten Handlungsfelder der Enquete näher beschreiben.

Mir ist es noch einmal wichtig zu betonen, wie spannend und schön die Aufgabe für uns Abgeordnete im Rahmen dieser Enquete ist. Die Menschen in unserem Land wollen sich ihr Rheinland-Pfalz und die Demokratie zu eigen machen. Wir dürfen sie auf diesem Weg begleiten.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Lammert hat das Wort.

Zuvor begrüße ich noch Gäste auf der Zuschauertribüne, und zwar Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Staatlichen Gymnasiums Kirn. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Einsetzungsantrag der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezüglich der Enquete-Kommission „Bürgerbeteiligung“. Ich will daraus zitieren. Die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger sollen erweitert werden, sich in Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Es soll frühzeitig eine hohe Identifikation mit konkreten Projekten und politischen Prozessen geschaffen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen Forderungen, die im Einsetzungsbeschluss manifestiert sind, rennen Sie bei uns offene Türen ein. Wir begrüßen die Einsetzung dieser wichtigen Enquete-Kommission;

denn das Thema „Bürgerbeteiligung stärken“ ist nicht erst seit Stuttgart 21 hochaktuell.

Wir freuen uns, dass wir einen gemeinsamen Einsetzungsbeschluss hinbekommen haben. Ich denke, das wird uns in den nächsten Monaten gemeinsam eine positive Arbeit bescheren. Wir sind auch sehr dankbar, dass wir die Beteiligungsform bei der Umsetzung der kommunalen Energiewende sowie bei der Kommunal- und Verwaltungsreform ausdrücklich mit in den Prüfauftrag aufgenommen haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits heute gibt es in Rheinland-Pfalz für die Bürger eine Reihe von rechtlichen Möglichkeiten, sich in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. Auf kommunaler Ebene sind das beispielsweise Einwohnerantrag oder Bürgerbegehren, auf Landesebene entsprechen diese zum Beispiel Volksinitiative, Volksbegehren oder Volksentscheid. Die Bürgerinnen und Bürgerinnen können damit Gesetze erlassen, könnten sogar theoretisch den Landtag auflösen. Daneben bestehen bereits zahlreiche Beteiligungsmöglichkeiten und Anhörungsverfahren etwa bei der Aufstellung von Bebauungsplänen und Planfeststellungsverfahren.

Seit einigen Jahren haben die Bürgerinnen und Bürger auch über das Informationsfreiheitsgesetz die Möglichkeit, von öffentlichen Stellen nahezu jegliche Information zu erhalten. Doch diese und viele andere Beteiligungsmöglichkeiten werden als nicht ausreichend erachtet. Zum einen sind die Hürden für die Bürgerbeteiligung oftmals noch zu hoch, zum anderen sind Planungsverfahren zu bürokratisch und dauern häufig viel zu lange.

Da können von der ersten Bürgeranhörung bis zum ersten Spatenstich locker fünf Jahre vergehen, zum Teil weit mehr als zehn Jahre. Ich denke, Sie kennen das von vielen zahlreichen Projekten vor Ort. In der Zwischenzeit hat sich dann einiges getan, und die Akzeptanz des Projektes in der Bevölkerung ist nicht mehr dieselbe wie zu Beginn. Das Projekt verliert so ein Stück weit seine demokratische Legitimation. Das sieht man aktuell an Stuttgart 21, wo über viele Jahre durch alle Instanzen geklagt wurde und jetzt die aktuellsten Diskussionen nach wie vor hoch emotional vor Ort geführt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus nutzen die besten Verfahren nichts, wenn sich die Interessen der Bürger am Ende nicht im Projekt widerspiegeln, wenn also die Interessen der Bürgerinnen und Bürger übergangen werden. Genau hier liegt das Kernproblem.

Wir müssen erkennen, dass sich viele Menschen nicht ernst genommen fühlen, weil sie oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Sie sind in einem immer stärkeren Maße von der Politik und ein Stück weit von den Politikern enttäuscht, sogar so weit, dass uns immer weniger Bürgerinnen und Bürger zutrauen, dass wir, die Politiker, die Herausforderungen der Zukunft bewältigen können.

Hinterzimmer- und Basta-Politik haben in der Vergangenheit viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen gekostet. So war das sicherlich aktuell beim Hochmoselübergang. So war es bei Stuttgart 21. So war es auch aktuell bei der Diskussion um die Bürgerbeteiligung bei der Mittelrheinbrücke und der OLG-Fusion.

Es reicht daher nicht aus, dass die Politik Verfahren zur Verfügung stellt und die Hürden senkt, sie muss vielmehr in allen Phasen transparent arbeiten, aktiv informieren, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger aufnehmen und tatsächlich umsetzen.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, die Frage der Bürgerbeteiligung ist eine Grundfrage unserer Demokratie. Die CDU hat daher bereits vor den Landtagswahlen zusammen mit Heiner Geißler – Sie wissen, dem Schlichter von Stuttgart 21 –

(Ramsauer, SPD: Wir wissen es!)

ein Sechs-Punkte-Programm für eine aktive Bürgerbeteiligung erarbeitet. Wir fordern in diesem Programm beispielsweise eine Stärkung der unmittelbaren Demokratie. Durch eine grundlegende Reform des öffentlichen Planungs- und Baurechts durch neue Formen unmittelbarer Demokratie wollen wir ein Stück Glaubwürdigkeit und mehr Vertrauen für die Demokratie zurückgewinnen. Die besonderen Formen direkter Bürgerbeteiligung, die wir vorschlagen, sollen obligatorisch sein für Großprojekte der öffentlichen Hand und Investitionen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist.

Am Anfang eines solchen Projekts – beispielsweise eine Brücke, ein Flugplatz oder ein Bahnhof – muss immer die Formulierung des Projektziels stehen. Dieses Ziel ist dann Gegenstand einer allgemeinen öffentlichen Erörterung mit anschließender Diskussion von Alternativen. Danach erfolgt die Grundabstimmung, bei der über das Projekt und seine Alternativen entschieden werden muss. Danach beginnt die detaillierte Planung, zum Beispiel die Trassenführung mit möglichen Alternativen. Diese können öffentlich erörtert, in gestrafften Planfeststellungsverfahren geprüft und anschließend endgültig entschieden werden.

Auch nach der Abstimmung müssen die Beschlüsse und deren Realisierung, vor allem wenn dies Jahre dauert, immer wieder in der Öffentlichkeit begründet und erläutert werden. Der Faden zwischen den verantwortlichen Projektträgern und den Bürgerinnen und Bürgern darf nicht abreißen. Dabei muss während des gesamten Verfahrens vollständige Transparenz herrschen.

Die entscheidenden Diskussionen müssen öffentlich stattfinden, auch und gerade unter Beteiligung der Medien. Daher ist es gut, dass wir unter IV. des Einsetzungsbeschlusses die Transparenz aufgenommen haben und vermutlich öffentlich tagen werden. Wir haben aber auch die Möglichkeit, dass sich Bürgerinnen und Bürger beispielsweise mit E-Mails, Briefen oder sonstigen Dingen permanent beteiligen können. Wir haben jetzt alle medialen Möglichkeiten, die wir entsprechend nutzen können. Ich denke, es ist sicherlich eine sinnvolle Sache,

dass man aktuell und schnellstens auf diese Dinge reagieren kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU setzt sich mit Nachdruck vor allem für eine effektivere Bürgerbeteiligung ein. Damit einher geht aber auch ein Auftrag an die Politik, dafür zu sorgen, dass in den Entscheidungen alle Bürgerinnen und Bürger repräsentiert werden. Bürgerbeteiligung darf nicht dazu führen, dass nur die Interessen der gebildeten, gut informierten und medienkompetenten Bürgerinnen und Bürger und Gruppen Berücksichtigung finden.

(Vereinzelt Beifall im Hause)

Vielen Dank.

Es darf nicht dazu kommen, dass sich derjenige durchsetzt, der am lautesten brüllt. Das haben wir sehr oft vor Ort erlebt. Das kann nicht sein.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Demokratie bedeutet vielmehr, dass alle Bürgerinnen und Bürger in demokratische Prozesse eingebunden werden. Insofern erscheint uns der Bratungsgegenstand Nummer 2, Beteiligungschancen und -gerechtigkeit, von entscheidender Bedeutung zu sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum anderen müssen wir darauf achten, dass Bürgerbeteiligung gemeinwohlorientiert abläuft. Es ist daher Aufgabe der Politik und der Behörden, in den demokratischen Verfahren die öffentlichen Interessen zu artikulieren und zu repräsentieren.

Meine Damen und Herren, was nützt das schönste Bürgerprojekt, wenn es tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte reißt oder andere zwingende Gemeinwohlgründe, wie etwa Natur-, Landschafts- oder Denkmalschutz entgegenstehen. Wir müssen auch aktive Überzeugungsarbeit leisten, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger gegen ein Projekt stellen, das wir allerdings für richtig halten, weil es gut für die Entwicklung der Infrastruktur und vor allem auch für zahlreiche Arbeitsplätze stehen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend darf ich sagen, dass die CDU-Fraktion jegliche Initiativen hinsichtlich einer verstärkten Bürgerbeteiligung unterstützt. Wir werden aktiv und mit sinnvollen Vorschlägen mitarbeiten. Wir werden uns aktiv mit einbringen. Wir werden auch unser Sechs-Punkte-Programm, das wir mit Heiner Geißler erstellt hatten, in die Diskussion mit einbringen.

Wir sollten uns aber am Schluss stets bewusst sein, dass ein Mehr an Bürgerbeteiligung auch ein Mehr an Verantwortung für uns Politiker und Parlamentarier bedeutet; denn Bürgerbeteiligung muss repräsentativ sein und darf das Gemeinwohl nicht aus den Augen verlieren.

Herzlichen Dank.