Protokoll der Sitzung vom 03.05.2012

Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:

4. Zuwanderungs- und Integrationsbericht der Landesregierung Rheinland-Pfalz (2009 bis 2010) Besprechung des Berichts der Landesregierung (Drucksache 16/953; Vorlage 16/948) auf Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/954 –

Ich erteile – – –

(Abg. Frau Spiegel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, macht sich auf den Weg zum Rednerpult)

Die Kollegin Spiegel von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat hierzu das Wort.

(Pörksen, SPD: Können Sie nicht mal Namens- schilder machen?)

Ich werde mir ein Namensschildchen besorgen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jede fünfte Person in Rheinland-Pfalz hat Migrationshintergrund. Das ist Grund genug, sich diesem wichtigen Teil unserer Gesellschaft zu widmen und ihre Lebenssituation genauer zu beleuchten. Genau dies tut der vorliegende Integrations- und Zuwanderungsbericht der Landesregierung in ausführlicher Weise. Er zeigt dabei sehr deutlich, dass Integration ein Querschnittsthema ist, das alle Lebensbereiche durchzieht und bei dem auch alle Ministerien gefragt sind mitzuarbeiten. Ich könnte nun chronologisch durch den Bericht gehen und einige Leitplanken skizzieren. Ich könnte Sie mit statistischem Material bespielen. Ich könnte eine lange Auflistung von wichtigen Projekten und Programmen vornehmen. Aber all das will ich jetzt nicht tun.

(Pörksen, SPD: Schade!)

Stattdessen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige mir zentral erscheinende Aspekte und Zahlen lenken. Zum einen lebt eine gute Integrations- und Zuwanderungspolitik davon, nicht über die Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen, sondern mit ihnen gemeinsam die guten politischen Rahmenbedingungen dafür auf den Weg zu bringen.

Meine Damen und Herren, vor Ort sind es die Beiräte für Migration und Integration, die einen wichtigen Beitrag leisten. Hier konnte die Landesregierung mit ihrer Reform 2009 wichtige Weiterentwicklungen auf den Weg bringen. Es sind Organisationen wie die AGARP, der Initiativausschuss und auch der Arbeitskreis Asyl, um nur einige zu nennen, die sich auf Landesebene für die Anliegen der Menschen mit Migrationshintergrund stark machen, sich zum Teil ehrenamtlich engagieren und in

Gremien wie dem Landesbeirat für Migration und Integration, dem Runden Tisch Ingelheim und mit der Landesregierung zusammenarbeiten und sich dort einbringen.

Meine Damen und Herren, mein ausdrücklicher Dank gilt an dieser Stelle den Organisationen und auch allen Initiativen und Verbänden und natürlich allen Ehrenamtlichen, die sich zum Teil schon seit vielen Jahren für eine bessere Einbeziehung von Menschen mit Migrationshintergrund stark machen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Landesregierung setzt sich in diesem Zusammenhang auch für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten ein, die im Gegensatz zu EU-Bürgerinnen und -Bürgern kein kommunales Wahlrecht haben.

Meine Damen und Herren, ein weiteres Ziel ist es, dass sich mehr Menschen einbürgern lassen. Nur durch die Einbürgerung erhalten Ausländerinnen und Ausländer die vollen Partizipationsrechte. Ich begrüße die Einbürgerungskampagne der Landesregierung sehr, doch sie reicht nicht aus; denn was wir brauchen, ist eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Liebe CDU, hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Eine der größten Hürden der Einbürgerung ist, dass wir in Deutschland keine generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit haben. Das heißt, dass ein Türke oder eine Türkin, der oder die sich einbürgern lassen will, seine türkische Staatsangehörigkeit abgeben muss, im Gegensatz zu dem EU-Ausländer oder der EU-Ausländerin, die sich hier einbürgern lassen. Das ist eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung. Wir brauchen dringend eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, sodass einbürgerungswillige Menschen sich einbürgern lassen können, ohne ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen.

Das Gleiche gilt für die Optionspflicht, die junge Menschen ausländischer Eltern, die hier geboren wurden, dazu zwingt, sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Auch hier geht meine Kritik an die Bundesregierung. Schaffen Sie endlich dieses Bürokratiemonster ab!

Meine Damen und Herren, die große Schwester der Integrationspolitik ist die Bildungspolitik. Ich möchte hier vor allem auf die Sprachförderung und den Herkunftssprachenunterricht eingehen. Sie sind wichtige Faktoren für die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund; denn das Beherrschen der Herkunftssprache ist als eine große Bereicherung zu sehen.

Auch wenn es der CDU trotz sämtlicher einschlägiger Studien immer noch nicht einleuchtet, Bilingualität ist eine wunderbare Bereicherung für Kinder und für Erwachsene. Sie ermöglicht das Eintauchen in andere Sprachen und Kulturkreise, erweitert den Horizont und

ist eine Gabe, von der man auch im privaten und beruflichen Alltag profitiert.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herkunft und Muttersprache haben für alle Menschen eine prägende Bedeutung für ihre soziokulturelle Entwicklung und ihre Identitätsfindung. Ich persönlich bin sehr glücklich, dass meine Tochter zweisprachig aufwachsen kann.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wünsche mir auch weiterhin seitens des Bildungssystems eine gute Unterstützung für bilinguale Kinder, auch weil das gegenüber Zuwandererkindern und ihren Familien Wertschätzung und Anerkennung zeigt.

Das Besondere am Herkunftssprachenunterricht in Rheinland-Pfalz ist, dass er ein Angebot des Landes ist, das heißt, er wird nicht wie in vielen anderen Bundesländern als Konsularunterricht erteilt, der unter der Verantwortung des jeweiligen Herkunftslandes steht. Das halte ich für eine große Errungenschaft, auf der es weiterhin ausdrücklich aufzubauen gilt.

Ich begrüße daher ausdrücklich die Entwicklung des Rahmenplans für den Herkunftssprachenunterricht. Er soll ab dem kommenden Schuljahr gelten, und aus den vielen Gesprächen mit Herkunftssprachenlehrerinnen und -lehrern weiß ich, dass diese über den Fortschritt sehr erfreut sind.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch auf einen Punkt eingehen – er bezieht sich auch auf die gestrige Debatte zu den EU-Grenzen –, und zwar habe ich dazu noch die Worte des CDU-Kollegen Seekatz im Ohr. Er sprach von afrikanischen Flüchtlingsströmen. Er sprach sogar von einer afrikanischen Bedrohung. Dazu möchte ich Ihnen einmal konkret die Zahlen nennen, denn Sie scheinen an dieser Stelle den Zuwanderungs- und Integrationsbericht nur sehr unzureichend gelesen zu haben: Etwa 80 % der Ausländerinnen und Ausländer in Rheinland-Pfalz kommen aus Europa. Lediglich 3,7 % kommen aus Afrika. Hier ein afrikanisches Bedrohungsszenario aufzumachen, ist wirklich etwas, das ich ins Reich der populistischen Fabeln verweisen kann.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie sollten sich stattdessen lieber bewusst machen, dass nach den Zahlen des UNHCR 80 % der Flüchtlinge weltweit in Entwicklungsländern aufgenommen werden. Das heißt, gerade viele der ärmsten Länder der Welt haben sich hier der Verantwortung gestellt und bereits viele Flüchtlinge aufgenommen. In den Industrieländern dagegen nehmen die Ressentiments zu, wie sich auch in der gestrigen Debatte zu den EU-Grenzen gezeigt hat. Der rot-grünen Landesregierung hingegen liegen

ganz besonders die Menschen am Herzen, die als Flüchtlinge zu uns kommen.

(Beifall des Abg. Dr. Schmidt, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Rheinland-Pfalz hat sich erfolgreich für ein Resettlement-Programm auf Bundesebene eingesetzt. Wir haben als Landesregierung die Schließung der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Trier veranlasst, und wir haben den „Runden Tisch Ingelheim“ einberufen. Das sind alles Maßnahmen, von denen sich vor allen Dingen die Bundesregierung eine Scheibe abschneiden könnte, wenn es um gute Flüchtlingspolitik geht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen gern noch eine Zahl mit auf den Weg geben:

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Mit 36 % lebt die größte Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund schon seit über 20 Jahren hier in Rheinland-Pfalz. Das heißt, sie sind ganz klar ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Daran anschließend möchte ich feststellen, dass wir dieser großen Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund nur gerecht werden, wenn wir an dieser Stelle sagen, es gibt nicht d e n Menschen mit Migrationshintergrund, es gibt eine Vielzahl verschiedener Individuen in RheinlandPfalz mit verschiedenen Herkunftssprachen, Kulturen und Traditionen, die alle eins eint: Sie wollen hier friedlich und glücklich zusammenleben, arbeiten, zur Schule gehen, studieren, ihre Ausbildung machen und Kinder großziehen, eben all das, was alle Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz tun.

Meine Damen und Herren, durch Migrantinnen und Migranten wird unser Alltag bunter und vielfältiger. Das ist eine Chance für uns alle, und das belegt ganz klar auch der vorliegende Integrationsbericht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Kessel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Alt, in Ihrem Vorwort zum Zuwanderungs- und Integrationsbericht betonen Sie, dass die öffentliche Integrationsdebatte der vergangenen Zeit zu einseitig den Fokus auf Probleme und vermeintliche Defizite von Zugewanderten lege und somit den Blick darauf versperre, dass im Alltag das Zusammenleben von Migranten und Einheimischen in

der Regel gut funktioniere. Die überwiegende Mehrheit der Zugewanderten fühle sich bei uns heimisch und sei mit Deutschland und Rheinland-Pfalz verbunden. Auch wir teilen diese Feststellung und schätzen das Engagement dieser Menschen, sich bei uns einzubringen und ihren Beitrag zum Wohl unseres Landes zu leisten.

Da trotz des überwiegend positiven Fazits noch nicht alle Probleme gelöst sind, kündigte die rot-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag an, die Integrationspolitik stärken zu wollen. Auch wir sehen noch Defizite bei der Integration der zugewanderten Menschen und damit auch weiterhin den Bedarf, große Anstrengungen zur fortwährenden Verbesserung in diesem Bereich zu unternehmen.

(Beifall der CDU)

Ob dazu ein neues Ministerium mit 50 neuen Stellen erforderlich ist, stellen wir nach wie vor infrage.

Lassen Sie mich einige Punkte aus dem Zuwanderungs- und Integrationsbericht in Bezug auf das Votum der CDU-Vertreter in der Enquete-Kommission „Integration“ herausgreifen:

Es besteht große Einigkeit, dass für eine erfolgreiche Integration Bildung die entscheidende Voraussetzung ist. Frau Kollegin Spiegel hat es auch schon betont. Ebenso ist Bildung – unabhängig, ob es sich um Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund handelt – Bedingung, um Armut zu vermeiden oder diese zu überwinden. Auch wenn in den letzten 30 Jahren die Anzahl der nicht deutschen Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss von 46,6 % – also fast die Hälfte – auf 12,1 % zurückgegangen ist und der Anteil der ausländischen Schülerinnen und Schüler mit allgemeiner Hochschulreife von 2,9 % auf 12,1 % zugenommen hat – sich also mehr als vervierfacht hat –, ist das Bildungspotenzial von Kindern mit Migrationshintergrund noch lange nicht ausgeschöpft.

(Beifall der CDU – Pörksen, SPD: Sehr richtig!)