Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

Die Fraktionen haben eine Grundredezeit von fünf Minuten vereinbart.

Die Begründung für die antragstellenden Fraktionen übernimmt Frau Abgeordnete Spiegel.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag

möchte Spielräume nutzen, um besonders schutzbedürftige Personen von der Abschiebehaft auszunehmen.

Mit besonders schutzbedürftigen Personen seien im Folgenden definiert: Schwangere, Minderjährige, also Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, auch Eltern mit minderjährigen Kindern, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen, psychisch und chronisch Kranke und Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, ebenso wie ältere Menschen, also Menschen über 65.

Diese Personen sollen über einen Erlass von der Abschiebehaft ausgenommen werden; denn es ist so, wie Sie sicherlich alle wissen, dass die Abschiebehaft selbst über ein Bundesgesetz geregelt ist, über § 62, und deshalb natürlich nur die Bundesebene über eine Modifizierung oder Abschaffung von entsprechenden Abschiebehaftmaßnahmen entscheiden kann.

Gleichwohl ist es den Ländern möglich, Spielräume im Rahmen dieser Bundesgesetzgebung zu nutzen, die Abschiebehaft zu gestalten. Diese Spielräume möchten wir mit dem vorliegenden Antrag gern ausschöpfen.

Es geht dabei auch darum, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin gehend auszulegen, dass – wie es auch die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht hat – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer Abschiebehaft sehr anzuzweifeln ist, weil eine Abschiebehaft an einem Menschen vorzunehmen bedeutet, dass seine Freiheit in einem unverhältnismäßigen Maß eingeschränkt wird. Vor diesem Hintergrund – auch dafür setzt sich der Antrag ein – setzen wir uns auf Bundesebene für die Abschaffung von Abschiebehaft ein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Antrag hat ebenso zum Ziel, die Alternativen aufzuzeigen. Es gibt im Rahmen von Spielräumen die Möglichkeit, die schutzbedürftigen Personen von der Abschiebehaft auszunehmen, gleichzeitig aber durch Meldeauflagen oder durch Aufenthaltsbeschränkungen sicherzustellen, dass es einen alternativen Modus zur Abschiebehaft gibt, dass diese Menschen sich bei den Behörden in einem bestimmten Zeitraum melden, um eine Regulierung vorzunehmen, die unserer Meinung nach eine wesentlich humanere und bessere Methode ist, vor allem für diese besonders schutzbedürftigen Personen.

Insofern möchte dieser Antrag noch einmal betonen, dass die Abschiebehaft eine Ultima Ratio sein sollte, da es einen sehr unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit eines Menschen darstellt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb ist es für uns eine ganz wichtige Feststellung, dass sie nur eine Ultima Ratio sein darf.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Kohnle-Gros von der CDUFraktion.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Seit Einbringung dieses Antrags der Regierungsfraktionen haben sich zwei Dinge in diesem Land verändert. Einmal gibt es eine Stellungnahme der ADD zu den Zahlen, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genannt hat, was die tatsächlichen Fälle in Rheinland-Pfalz anbelangt, dass Schwangere bzw. eine Frau, die älter als 70 Jahre ist, tatsächlich in Ingelheim untergebracht worden sein sollen. Darum geht es.

(Beifall bei der CDU)

Das Zweite aber, was mir an dieser Stelle noch viel bedeutender erscheint, ist die Pressemeldung von Ihnen, liebe Frau Kollegin Sahler-Fesel und Herr Klöckner. Wie ich finde, haben Sie eine sehr interessante Meldung herausgegeben, die mir heute den Redebeitrag etwas erschwert, weil ich mich innerlich etwas anders eingestellt hatte. Das gebe ich zu. Aber ich werde sagen, was ich hätte sagen wollen, damit Sie wissen, um was es mir gegangen wäre.

Sie haben heute Mittag zusammen eine Meldung herausgegeben: H u m a n e Flüchtlingspolitik wird in Rheinland-Pfalz fortgesetzt. Sie wissen, warum ich das „Human“ betone; denn wir haben in der Vergangenheit im Ausschuss und, ich glaube, sogar in der EnqueteKommission „Migration“ von Ihnen immer wieder gehört, dass die Flüchtlingspolitik, vor allem das, was in Ingelheim passiert, inhuman sei.

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Deswegen haben Sie das heute richtiggestellt. Das finde ich wirklich gut; denn sonst hätte ich insbesondere Sie, Herr Innenminister, stellverstretend für Ihre beiden Vorgänger, Herrn Zuber und Herrn Bruch, fragen müssen, ob Sie das, was Sie in Ingelheim 20 Jahre lang aufgebaut und betrieben haben, tatsächlich inhuman gewesen sei, was ich mir nicht hätte vorstellen können, Herr Ministerpräsident und Herr Minister Lewentz.

(Beifall der CDU – Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Ich hätte Sie in Schutz genommen. Herr Ministerpräsident, stellen Sie sich das einmal vor, kein pawlowscher Reflex, sondern ich hätte Sie in Schutz genommen.

(Ministerpräsident Beck: Ich verneige mich!)

Das hat sich jetzt ein Stück weit durch die Meldung erledigt. Auch der Beitrag von Frau Spiegel war so sachlich und an der Rechtslage ein Stück weit orientiert, sodass ich jetzt nicht den ganz großen Gegenangriff einleiten will.

(Pörksen, SPD: Das würde Ihnen schlecht bekommen!)

Sie wissen, ich halte viel aus.

Man kann natürlich so argumentieren, man kann sagen, es muss immer noch mehr verbessert werden, aber Sie haben zur Kenntnis genommen, dass das eine bundesgesetzliche Rechtslage ist und dazu eine europäische Richtlinie existiert und auch die Bischofskonferenz – das will ich noch dazusagen – an keiner Stelle sagt, dass Abschiebehaft gänzlich überflüssig sei, aber eventuell anders gestalten werden könnte, Frau Kollegin Spiegel. Das ist der Ansatz, der Satz fehlt in Ihrem Antrag.

Wenn wir das im Ausschuss noch einmal gemeinsam diskutieren, habe ich nichts dagegen. Dann könnten wir noch einmal über die Details und vor allem über die Ausgestaltung in Rheinland-Pfalz sprechen und darüber – Frau Ministerin Alt, dieser Vorwurf geht ein Stück weit an Sie, weil Sie seit einem Jahr, beruhend auf der Koalitionsvereinbarung, von der Schließung in Ingelheim, von einem neuen Konzept und vielleicht von einem anderen Ort sprechen –, dass wir an der Stelle leider noch nicht viel weiter sind, jedenfalls aus Ihrer Sicht „leider“.

Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn wir an dem Thema weiterarbeiten würden, deshalb sind wir für die Ausschussüberweisung.

Ich bedanke mich an dieser Stelle.

(Beifall der CDU – Frau Klöckner, CDU: Da hätten Sie von der SPD jetzt einmal mitklatschen können!)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Sahler-Fesel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kohnle-Gros, das ist doch schön: Ich lese die Pressemeldungen der CDU, sie lesen die der SPD. Das macht sich richtig gut, dann passt immer alles zusammen.

Es ist sehr schade, dass Sie nicht in der EnqueteKommission „Integration/Migration“ waren. Frau Thelen kennt die Diskussionen, die wir geführt haben. Wir haben die Diskussion auch über Ingelheim geführt, aber auch in diesen Diskussionen ganz klar gesagt – der Innenminister sitzt hier, er war damals als der zuständige Staatssekretär dabei –, dass wir in Rheinland-Pfalz diese Ermessensspielräume, die wir haben, ausnutzen; denn das Gesetz, auch das Bundesgesetz, sagt ganz klar, die Abschiebehaft sei unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden könne.

Wenn Sie die Belegungszahlen sehen, die in Ingelheim gegeben sind, dann muss man wissen, dass dort sowohl das Saarland als auch Rheinland-Pfalz belegen. Wenn wir nur die rheinland-pfälzischen Zahlen sehen, dann haben Sie zum 31. Dezember 2011 12 Männer und eine

Frau. Zum 31. Dezember 2010 waren es 14 Männer und keine Frau.

Es ist tatsächlich Fakt, dass keine Familien, keine Minderjährigen, keine älteren Menschen dort inhaftiert werden.

(Beifall der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Das wird entsprechend umgesetzt.

Allerdings muss ich Folgendes sagen, weil die Frage in Ihrem Presseartikel aufgekommen war, was dieser Antrag für einen Zweck habe: Dieser Antrag soll die gute rheinland-pfälzische Praxis festschreiben. Darum geht es. Das steht hier ganz klar drin.

(Frau Klöckner, CDU: Das hörte sich im Vorfeld aber anders an!)

Dann muss ich es doch einmal sagen: Man sollte nicht nur Pressemeldungen, sondern auch Anträge lesen. Es steht eindeutig drin, was der Antrag aussagt.

(Frau Klöckner, CDU: Die Pressekonferenz hatten wir nicht gemacht!)

Die Pressemeldung, nicht Pressekonferenz.

Der Antrag hat ganz klar das Ziel, dass sich SPD und GRÜNE dafür einsetzen, dass die Landesregierung weiterhin die vorhandenen Handlungsspielräume des Aufenthaltsrechts zugunsten der von der Abschiebung bedrohten Flüchtlinge nutzt.

(Frau Klöckner, CDU: In der Meldung steht etwas anderes als im Antrag!)

Dazu soll jetzt schriftlich ein Konzept erstellt werden, das die Punkte im Rahmen eines Erlasses festschreibt. Frau Spiegel hat es gesagt, der zweite Punkt ist, dass wir uns auf Bundesebene für das Aussetzen, sprich das Beenden der Abschiebehaft einsetzen.

Das Dritte – das geht ein bisschen unter – ist die EU: Die EU ist dabei, eine Aufenthaltsrichtlinie zu erlassen, die bis Ende des Jahres erlassen sein soll. Die Rede ist von der Dublin-II-Verordnung. Das Ganze soll noch verstärkt werden. Es geht darum, Flüchtlinge bereits bei der Aufnahme zu inhaftieren. Die Diskussion wird zurzeit geführt. Wir wollen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass keine solche Festschreibung erfolgt, sondern wir über unsere humanitären Bereiche weiterhin selbst entscheiden können: Müssen diese Menschen inhaftiert werden, oder – das wollen wir – können mildere, ebenfalls ausreichende andere Mittel ergriffen werden?

Das ist Sinn und Zweck der Übung. Deshalb wollen wir, dass die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige geschlossen wird.

Wir dürfen für Rheinland-Pfalz mit Stolz feststellen, dass in den vergangenen 19 Jahren kein einziger Ausreisepflichtiger in einer regulären Justizvollzugsanstalt (JVA) war; denn nach dem Gesetz wäre es auch möglich ge