Protokoll der Sitzung vom 30.08.2012

dass das Strafgesetzbuch geändert wird, sich das dafür zuständige verfassungsmäßige Organ damit befasst und Sie nicht versuchen, sich im Klein-Klein zu ergehen. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir haben einen gemeinsamen Weg beschritten, und ich glaube, dieser Weg ist auch vernünftig.

Dass wir uns alle über das Urteil des OLG Koblenz geärgert haben, obwohl die Vorinstanz anders entschieden hatte, liegt in der Natur der Sache. Wenn das OLG wie die Vorinstanz entschieden hätte, dann hätten wir das Problem gar nicht erst gehabt.

Aber es muss nun ein Weg gefunden werden, wie wir Menschen, egal welchen Alters, generell vor sexuellen Übergriffen schützen, aber natürlich insbesondere Minderjährige, die sich in Obhutsverhältnissen des Staates befinden. Ich glaube, wir kommen mit dem gemeinsamen Antrag ein Stück weiter.

Ob er tatsächlich in eine Änderung des Strafgesetzes mündet, ob tatsächlich eine Formulierung gefunden werden kann, die nicht neue Lücken schafft, sondern bestehende Lücken schließt, wird sich dann zeigen. Aber ich bin froh, dass bei einem so wichtigen Thema behutsame Schritte gegangen werden. Besonders behutsam ist dabei die Landesregierung vorgegangen, die das, was in ihrer eigenen Macht stand, effektiv getan hat. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Nun hat für die Landesregierung Herr Staatsminister Hartloff das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich bin in der Tat froh, dass es einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen dieses Landtags zu diesem Thema gibt. Ausgangspunkt ist natürlich ein sehr unerfreulicher Vorgang – das wissen Sie –, dass ein Lehrer eine Schülerin – ich nenne es bewusst – missbraucht hat und er letztlich freigesprochen worden ist, weil das Gericht zu der Auffassung gelangt ist, dass die junge Frau nicht der Obhutspflicht des Lehrers unterstanden hat.

Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob der entsprechende Paragraph so auszulegen ist, wie ihn der BGH in einer Entscheidung – Herr Dr. Wilke hat sie genannt – vor Kurzem noch einmal präzisiert hat, oder ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, dass der BGH die Interpretation, was unter einer Obhutspflicht zu verstehen sei, wenn also ein Kind einem Lehrer anvertraut ist, weiterentwickelt hätte.

Ich will Ihnen zur Lektüre einen Artikel von Frau Professor Hörnle aus der „FAZ“ vom 23. August anempfehlen. Frau Professor Hörnle ist an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig, und ich glaube, sie zeigt sehr differenziert auf, welche Herausforderungen bestehen, eine Rechtsprechung weiterzuentwickeln oder aber – nach der Präzisierung des BGH – notwendigerweise zu versuchen, Gesetze weiterzuentwickeln.

Ich darf aus dem Artikel zitieren. Frau Professor Hörnle sagt: „Der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist vorzuwerfen, dass sie mit ihrer engen Auslegung des Merkmals ‚zur Erziehung anvertraut‘ die Fragilität der Selbstbestimmungsfähigkeit von Vierzehn- und Fünfzehnjährigen nicht angemessen würdigt. Die äußeren Möglichkeiten, Druck auszuüben, die ein notengebender Fachlehrer hat, können natürlich eine Rolle spielen. Aber noch wichtiger ist ein anderer Umstand, nämlich die Überlegenheit, die durch die soziale Rolle entsteht.“

Ich glaube, sie hat damit vollkommen recht. Es geht um Über-/Unterordnungsverhältnisse nicht nur in der Schule und genau dieses diffizile Abtasten, was ist der eigene Wille der Kinder und wo ist er ganz bewusst manipuliert. Es sind im Übrigen in der Regel nicht die bösen Lehrer – auch das schreibt sie –, sondern es sind diejenigen, die sich kumpelhaft verhalten und ein wenig anbiedern und dann ein Vertrauen missbrauchen.

Hieran arbeiten wir, hieran arbeitet die Landesregierung. Es wurde einerseits das betont, was wir im Land umsetzen können, beispielsweise mit der Änderung der Schulgesetze, damit Eltern Sicherheit vor solchen Missbräuchen bekommen können, damit wir disziplinarrechtlich anders durchgreifen können. Wir arbeiten aber auch sorgfältig daran, wie eine solche Änderung eventuell weiterentwickelt werden kann und möglich wird.

Wir haben vor Kurzem eine Länderumfrage durchgeführt, um zu sehen, wie dies in anderen Ländern gesehen wird. Dabei teilen nicht alle Länder unsere Auffassung, im Übrigen auch die Bundesjustizministerin nicht. Wir haben das Thema im Rahmen der letzten Justizministerkonferenz behandelt und haben dort – Bayern hat

seinen Antrag zurückgenommen, das wurde bereits gesagt – einstimmig beschlossen, dass sich eine Arbeitsgruppe unter Federführung von Rheinland-Pfalz bildet, in der wir daran arbeiten, wie eine solche Weiterformulierung der strafgesetzlichen Regelung tatsächlich aussehen könnte, damit sie nachher nicht mehr Verwirrung, nicht mehr Rechtsunklarheit schafft, sondern das gewünschte Ergebnis hat, nämlich die Sicherheit zu schaffen, die auch vom Strafrecht für Menschen ausgehen soll. Daran arbeiten wir.

Ich darf erneut Frau Professor Hörnle zitieren: „Jedoch ist der entscheidende Punkt des Konzepts ‚Minderjährigkeit‘, dass Jugendlichen nicht die Selbstbestimmungsfähigkeit zugeschrieben werden darf, die wir Erwachsenen im Regelfall zuschreiben. Bei Vierzehn- und Füfnzehnjährigen ist es unangemessen, von einer selbstbestimmten Entscheidung zum Sexualkontakt auszugehen, wenn die Bekanntschaft mit einem Lehrer in ihrem schulischen Umfeld, innerhalb oder außerhalb des Unterrichts, entstand.“

Sie schreibt im Übrigen: „Vorzugswürdig ist eine Auslegung des Gesetzes, die ‚zur Erziehung anvertraut‘ bei Lehrern gegenüber allen Schülern ihrer Schule bejaht. Da der Bundesgerichtshof eine anderslautende ständige Rechtsprechung etabliert hat, ist nun der Gesetzgeber gefragt.“

Dies sehen wir alle miteinander so, und deshalb arbeiten wir daran, wie wir eine bessere Regelung auch strafrechtlich erarbeiten können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können unmittelbar über den Antrag – Drucksache 16/1544 – abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke. Die Gegenprobe! – Ich stelle einstimmig Annahme fest.

Der Tagesordnungspunkt 22 entfällt.

Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:

Leitlinien für die Entwicklung der Betreuungs-, Pflege- und Wohnangebote für ältere Menschen Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/1497 –

Es ist eine Grundredezeit von fünf Minuten vereinbart worden. Ich erteile Herrn Kollegen Kessel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von uns möchten gerne bis zum Lebensende in

ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Dennoch ist es nicht jedem vergönnt, seinen Lebensabend im Kreise seiner Familie zu verbringen. Die Zahl derer, die im Alter auf fremde Hilfe angewiesen sind, wird weiter zunehmen. Die demografische Entwicklung stellt uns auch hier vor große Herausforderungen.

Altern in Würde ist längst ein zentrales Thema, das alle Parteien auf ihre Agenda geschrieben haben. Parteiübergreifend sind wir uns einig, dass Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben im Alter führen sollen. Ebenso sind wir uns einig darüber, dass im Zuge der sich veränderten Altersstruktur unserer Gesellschaft der Ausbau alternativer Wohnformen und ambulanter Strukturen forciert werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Diese Einmütigkeit ist dann aber schnell aufgebraucht, wenn – wie von Herrn Kollegen Hering am 4. Juli 2012 in einem Interview der „Mainzer Rhein-Zeitung“ verkündet wurde – künftig auf den Neubau von stationären Pflegeheimen komplett verzichtet

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das war eine Überraschung!)

und stattdessen Senioren-WGs stärker gefördert werden sollen.

Das Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur spricht zwar von einem Vorrang der ambulanten vor der stationären Leistung, Vorrang heißt aber nicht Ausschließlichkeit.

(Beifall der CDU)

Altern ist individuell. Deshalb muss es auch eine Vielfalt verschiedenster Betreuungsangebote geben.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Sehr richtig!)

Gerade im Hinblick auf eine immer älter werdende Gesellschaft brauchen wir eine möglichst große Bandbreite in der Pflegelandschaft, die ambulante und stationäre Pflegestrukturen gleichermaßen berücksichtigt.

(Beifall der CDU)

Auch in Zukunft sind Pflegeheime ein unverzichtbarer Bestandteil der Altersversorgung. Laut den Erkenntnissen des Statistischen Landesamtes vom März 2010 wird die Entwicklung im Bereich der stationären Pflege dazu führen, dass die landesweiten Überhänge bereits mittelfristig in regionale Defizite übergehen, vor allem im Süden des Landes entlang der Rheinschiene, aber auch in der Südwestpfalz.

Bei unverändertem Angebot wird bis 2050 mit einem Defizit von über 28.000 Plätzen gerechnet. Dieses Defizit kann auch vor dem Hintergrund des stetig zunehmenden Fachkräftemangels in der Pflege nicht allein mit

alternativen Wohnformen und ambulanter Pflege ausgeglichen werden.

(Beifall der CDU)

Im Bewusstsein dieser Erkenntnis dem Ausbau der stationären Pflege pauschal ihre Berechtigung abzusprechen, ist blanker Populismus. Wer davon spricht, dass künftig keine großen stationären Pflegeeinrichtungen mehr gebaut werden sollen, verkennt die Realität. Auch künftig wird es Pflegebedürftige geben, die aufgrund ihrer Erkrankung stationär versorgt werden müssen.

Die pflegerische Angebotsstruktur ist deshalb von den Landkreisen und den kreisfreien Städten so aufzustellen und fortzuschreiben, dass sie sich an den Bedürfnissen der auf die Hilfe angewiesenen Menschen und deren Angehörigen orientiert.

(Beifall bei der CDU)

Wichtig ist uns auch in diesem Bereich, dass es den Betroffenen freisteht, welche Unterstützung sie in Anspruch nehmen möchten. Dies setzt aber auch voraus, das sie die tatsächliche Möglichkeit haben, zwischen mehreren Angeboten zu wählen.

Von großer Unkenntnis der Realitäten zeugt auch Herrn Herings Bemerkung, die Menschen müssten in Pflegeheimen ein weitgehend entmündigtes Leben führen. Wer öfter Pflegeheime besucht, weiß, dass das so nicht stimmt.

(Beifall bei der CDU)

Pflegeheime sind längst nicht gleichbedeutend mit Vereinsamung im Alter, sind auch keine Abstellgleise. Es gibt viele ältere Menschen, die das Leben in einem Altenheim dem Alleinsein in den vier Wänden zu Hause vorziehen, die sich im Altenheim geborgen und gut versorgt fühlen, dort Betreuungsangebote und gesellschaftliche Aktivitäten vorfinden, die ihnen ein noch weitgehend eigenständiges Leben im Kreise Gleichaltriger ermöglichen.

Pflegeheime einfach schlechtzureden, weil das dem vermeintlichen Mainstream entspricht, dient aber der Sache nicht, im Gegenteil. Wer so redet, trägt zur Verunsicherung pflegebedürftiger Menschen bei und stößt all jene Pflegerinnen und Pflegern vor den Kopf, die sich Tag für Tag und Nacht für Nacht fürsorglich um pflegebedürftige Menschen kümmern.

(Beifall der CDU)