Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ist er dann nun – der Antrag der CDU-Fraktion zur Qualitätsoffensive Bildung. Nun, wir haben hier eine willkürliche und unstrukturierte Aneinanderreihung von alten Forderungen, die wir alle schon mindestens einmal diskutiert haben. Das hat Frau Schneid sogar selbst zugegeben. Es sind 16 an der Zahl. Da ist einfach munter drauflos alles hineingeschrieben worden, was einem eben so einfällt:
Forderungen, die teils längst Realität sind, Forderungen, die meist unbezahlbar sind, und Forderungen, die in den allermeisten Fällen einer gerechten Bildungspolitik so, wie wir sie verstehen, zuwiderlaufen.
Ich will mich nicht mit fremden Zitaten schmücken, Herr Baldauf. Deswegen sage ich dazu: Erst denken, dann schreiben.
Auch wenn die CDU-Fraktion noch so oft behauptet, mit der Schulstrukturreform habe es keine inhaltlichpädagogischen Verbesserungen im Schulsystem gegeben, wird es deshalb nicht richtiger. Wir haben mit der Klassenmesszahl 25 in der Orientierungsstufe, mit der intensiven Ausrichtung der Realschule plus auf die Berufsorientierung, mit dem Projekt „Keiner ohne Abschluss“ und der den Anforderungen der gemeinsamen Beschulung angepassten erhöhten Stundenzuweisungen für diese Schulart viele pädagogische Verbesserungen ins System eingebracht.
Hinzu kommen die kleinsten Grundschulklassen, die meisten Ganztagsschulen, eine vorbildliche frühkindliche Bildung und vieles andere mehr. Mit flankierenden Maßnahmen wie der kostenfreien Schülerbeförderung, der Schulbuchausleihe, dem Mittagessenfonds und vielem anderen haben wir weitere Entlastungen geschaffen.
Ihre immer wieder betonte angebliche Aushöhlung des Gymnasiums und die Forderungen aus Ihrer Sicht, diese Schulart doch von der Schülerklientel der Realschule plus – ich sage es nun einmal bewusst etwas betont;
Deshalb ist auch Ihr Versuch in der letzten Wahlperiode, dem Gymnasium Verfassungsrang zu gewähren, grandios gescheitert.
Ich lese in Ihrem Antrag schon wieder vermeintliche Maßnahmen zur Rettung des Gymnasiums. Darin sind erstaunliche Forderungen. Ich überlasse es Ihnen allen, das noch einmal zu lesen.
Aber apropos Gymnasium: Bei Ihren 16 Forderungen, die wir alle schon kennen, habe ich mich schon gewundert, dass Sie nicht auch noch die ewige Litanei von den zentralen Abschlussprüfungen und den flächendeckenden Ausweitungen des G-8-Gymnasiums aufgeboten haben.
Scheint da vielleicht bei Ihnen auch angesichts der bundesweiten Diskussion Einsicht eingekehrt zu sein? Einsicht nun bei den Punkten Sprachförderung und Unterrichtsversorgung ist auf jeden Fall nicht erkennbar. Das wurde dort noch einmal deutlich.
Wiederholt fordern Sie entgegen jeder wissenschaftlichen Untersuchung Sprachtests für Vierjährige. Wir haben in Rheinland-Pfalz ein Verfahren, das sich bewährt hat. In einem wissenschaftlich begleiteten Verfahren werden alle Kinder in dem Jahr vor dem Schuleintritt getestet und gegebenenfalls entsprechend gefördert. Die Sprach- und Leseförderung nimmt in der Grundschule einen breiten Raum ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie müssen auch berücksichtigen, dass der Spracherwerb und die Sprachentwicklung bei Kindern bis ins Grundschulalter andauern. Genau das tun wir mit unserem Verfahren.
Ich komme dann zur Unterrichtsversorgung. Hören Sie doch endlich auf mit der platten Forderung 100 plus x. Sie haben doch eine Große Anfrage gestellt. Haben Sie die eigentlich gelesen? Haben Sie immer noch nicht verstanden, dass die Abdeckung des reinen Pflichtunterrichts in Rheinland-Pfalz über die Stundenzuweisung längst erfüllt ist und darüber hinaus Förder- und Differenzierungsstunden nach Konzept und Profil der Schule zugewiesen werden?
Wir haben uns schon so oft über das Thema unterhalten, dass das eigentlich endlich auch bei Ihnen angekommen sein müsste.
Sie loben immer so gerne Hessen, was diese Sache angeht. Ich habe hier eine Pressemitteilung von der „FAZ“ vom 21. Mai: „Lehrerzuweisung als Nullsummenspiel. Schulen werfen Kultusministerium Rechentricks vor.“ Oder wir haben einen Bericht aus einer Zeitung „DEMO“ Juli/August 2012: „Unterrichtsausfall als Haupt
fach. Mehr Schein als Sein. Beim deutschen PISAKrösus Sachsen offenbaren sich gravierende Probleme. Die Sparwut der CDU-Regierung hat gravierende Folgen für die Schulen.“
Es ist also nicht alles Gold, was glänzt, wie Sie es uns immer vormachen wollen, wie es in anderen Ländern ist.
Zur Klassenmesszahl nehmen Sie die Zahl 20. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Wir haben jetzt Klassen in den Realschulen plus mit durchschnittlich 21 bis 22 Kindern. Der Klassenteiler 20 würde bedeuten, bei 21 Schülern zwei Klassen à 10 und 11 Schülern anzubieten. Wer soll das bitte schön bezahlen?
Dann sprechen Sie laufend en passent so nebenbei von Inklusion. Wir sind der Inklusion verpflichtet. Wir haben uns der UN-Behindertenkonvention verpflichtet.
Ihr Antrag ist unter dem Deckmäntelchen der vermeintlichen individuellen Förderung nichts anderes als der Wunsch, das längst überholte dreigliedrige Schulsystem zu zementieren. Das werden wir im Sinne einer sozial gerechten Bildungspolitik nicht tun.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „In einem Land mit Schulpflicht sind alle Bildungsexperten.“ So beginnt das Editorial des Magazin „fluter“ zum Thema „Bildung“. Recht hat damit die Bundeszentrale für politische Bildung, die den „fluter“ herausgibt.
Daran wäre auch gar nichts verkehrt, schließlich waren wir alle mal Schülerinnen, verhielte es sich nicht leider nur so, dass diese in aller Regel selbsternannten Bildungsexperten und natürlich auch Bildungsexpertinnen allzu oft auf Ideale zurückgriffen, die aus anderen Gesellschaften und Jahrhunderten stammen, statt auf den anerkannten Forschungsstand der Wissenschaft zurückzugreifen. Auf alte Ideale, die die herrschenden Verhältnisse zementieren und damit allein die Spaltung der Gesellschaft vertiefen.
Die Opposition fegt mit einem irreführenden Begriff „Bildungsoffensive“ die wesentlichen Erkenntnisse der Bildungsforschung der letzten 20 Jahre hinweg, ganz so, als gelte es, letzte Pfründe des europäischen Bildungs
adels vor dem Untergang zu retten. Der Antrag ist ein plumpes Sammelsurium – Frau Brück hat es bereits ausgeführt – der alten Rezepte für fette ungesunde Speisen, deren Verfallsdaten längst überschritten sind.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – Schreiner, CDU: Das ist aber auch „68er“-Getöse! – Weitere Zurufe des Abg. Schreiner, CDU)
Ihr Antrag kann höchstens als Offensive zur Stärkung der Selektivität für Exklusion des Schulsystems und zur Verteidigung des Gymnasiums vor einer heterogen zusammengesetzten Schülerschaft verstanden werden, enthält er doch zum Beispiel die zentrale Aussage „Eine schrittweise Aushöhlung des gymnasialen Bildungsauftrages muss verhindert werden.“
Sie setzen darin weiterhin auf den Ladenhüter der selektiven Bildung, anstatt sich zu Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu bekennen.
Dagegen haben wir uns als Koalitionsfraktionäre in diesem Landtag zu einer Öffnung des Schulsystems bekannt, das den gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung ermöglicht und den Eltern ein Wahlrecht nach der UNBehindertenkonvention garantiert.
Wir wollen auch Kindern und Jugendlichen aus nicht akademischen Familien eine Chance auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe eröffnen. Es ist ihr gutes Recht, Frau Schneid. Sie hingegen würden gerne Strukturen konservieren, die solche Jugendlichen kategorisch benachteiligen und ausschließen.
Das darf nicht sein; denn „Jedes Kind ist hochbegabt“, wie der Neurobiologe Gerald Hüther sein jüngst erschienenes Buch betitelt. Wir wollen eben nicht, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Behinderungen Opfer von Ihren Vorstellungen von Bildung werden. Diese greifen zu kurz.
Denn isolierte homogene Lerngruppen bilden derzeit das Gros der sogenannten Risikoschüler, jener Gruppe von umgerechnet 1,8 Millionen Jugendlichen in Deutschland, die die Schule ohne ein Mindestmaß an Bildung verlassen, das nicht nur für eine erfolgreiche Berufslaufbahn vonnöten wäre. Außerdem beschädigen Sie mit Ihrer Bildungspolitik auch Bildungsbiografien der vermeintlich Normal- und Hochbegabten, indem Sie auch diese in künstliche Räume von angeblicher Homogenität zwingen wollen, wo ihnen zahlreiche Anreize sozialen Lernens und zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit abgehen. Damit muss Schluss sein.
Unsere Bildungsoffensive sieht anders aus. Wir GRÜNEN verstehen etwas anderes unter der Qualität von Bildung. Bildung ist mehr, als begabte Schüler zu fördern, und eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung. Wir unterstützen alle Schulformen in ihrer pädagogi
schen und inhaltlichen Arbeit und möchten für alle Schülerinnen und Schüler ein gerechtes Bildungssystem. Dazu zählt der erwähnte Rechtsanspruch, der eben in der UN-Konvention formuliert ist. Er ist nicht verhandelbar. Es braucht für diese Entscheidung kein Korrektiv, Frau Dickes, wie Sie in Ihrer Presseerklärung mitteilen, und keine Bildungspartnerschaft, Frau Schneid, die den Schulen ein „Mitsprache- und Abwehrrecht“ einräumt, sondern wir setzen auf Inklusion als gesellschaftliche Entwicklung, als kontinuierlichen Prozess, in dem viele Schritte, die noch vor uns liegen, zu einer Veränderung der Gesellschaft führen.