Der zweite Aspekt lautet – das werfen Sie auch immer so hin –: Der Schnellste macht das Rennen. – Ich finde es eine Unverschämtheit nach wie vor,
wie Sie die Räte, die Verbandsgemeinderäte und die Ortsgemeinderäte, auf diese Art und Weise vorführen.
Das ist eine schallende Ohrfeige gegenüber diesem Ehrenamt und dem Verantwortungsbewusstsein, das diese Menschen hier an den Tag legen.
Da kann ich hier auch wieder nur konstatieren, angesichts der Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, wird nicht der Schnellste das Rennen machen, sondern der Gründlichste wird das Rennen machen, weil Rechtssicherheit für die Betreiber ein ganz wichtiges Planungskriterium ist. Auch das will ich an dieser Stelle in Ihre Richtung noch einmal sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem keine Wortmeldungen mehr vorliegen, rufe ich die Aussprache über die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Hendrik Hering, Dr. Tanja Machalet, Ingeborg Sahler-Fesel und Dieter Klöckner (SPD), Richterlich angeordneter Stopp einer von der Verwaltung des Westerwaldkreises veranlassten Abschiebung – Nummer 1 der Drucksache 16/2259 – betreffend, auf.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 19. März, als wir hier zusammensaßen und über den Nachtragshaushalt beraten haben, haben sich in Wirges – so konnte man es im Ticker der „RheinZeitung“ und auch bei Twitter verfolgen – dramatische Szenen abgespielt. Ein 11-Jähriger war verschwunden, er wurde aber zum Glück abends wiedergefunden. Wie sich nach und nach herausstellte, ging es dabei um die Flucht aus einer Abschiebesituation. Er ist also geflohen, als seine Familie, seine Eltern und seine zwei Geschwister, mit ihm zusammen abgeschoben werden sollten. Die Mutter erlitt einen Schock. Der Vater und die zwei weiteren Kinder waren zunächst weiter auf dem Weg Richtung Polen und wurden erst später zurückgeholt. Die Abschiebung wurde im Nachgang richterlich gestoppt, weil der Bescheid der Familie erst am gleichen Tag zugestellt wurde und damit – so haben wir es heute Morgen gehört – elementare Rechte nicht wahrgenommen werden konnten.
Ich war höchst irritiert, als nach und nach deutlich wurde, dass die Ausländerbehörde vor Ort massive Fehler gemacht hatte. Der Bescheid ging am 21. Februar ein. Am Freitag, 15. März, wurde er zum Versand vorberei
tet, und am Dienstag, 19. März, sollte die Abschiebung durchgeführt werden. Wir haben heute Morgen gehört, dass Bescheide, die das BAMF versendet, unmittelbar zugestellt werden sollen. Es muss der Verwaltung klar gewesen sein, dass erstens die unmittelbare Zustellung nicht erfolgt ist und zweitens, wie wir vorhin auch gehört haben, die Achttagefrist nicht eingehalten wurde, obwohl das Schreiben des Ministeriums vom 2. Juli 2012 der Verwaltung vorlag und dort hätte – so ist zumindest zu vermuten – bekannt sein müssen. So viel zur allgemeinen Situation.
Bedenklich finde ich, wie der Landrat – in Klammern: CDU – mit den Fehlern im Nachgang umgegangen ist. Erst hat er die Fehler der Behörde öffentlich abgewiegelt. Klar, es ist Fakt, dass Anordnungen des BAMF durchgesetzt und umgesetzt werden müssen; das wird auch überhaupt nicht kritisiert. Aber wie diese Anordnung umgesetzt wird, das ist Sache der Behörde vor Ort. Ich finde, wenn das so gelaufen ist, wie es den Medien zu entnehmen war, dann wäre eine Entschuldigung der Verwaltung und des Landrats das Mindeste gewesen, was man hätte erwarten können.
Ihr Landrat hat in der letzten Woche in einer öffentlichen Kreisausschusssitzung gesagt: Ja, er würde sich entschuldigen, aber dafür erwarte er auch, dass sich die Familie bei ihm dafür entschuldige, dass sie sich bisher jeglichen Überstellungsmaßnahmen entzogen habe. Ich finde, das ist eine besonders merkwürdige Geisteshaltung.
Des Weiteren hat er gesagt: Na ja, Fehler würden auch bei Baugenehmigungen passieren – da müsste er sich dann ja ebenfalls entschuldigen.
Ich finde es unsäglich, wenn Menschen, die zu uns kommen und bei uns Zuflucht suchen, weil sie vor schrecklichen Bedingungen in ihrer Heimat fliehen, mit Baugenehmigungsverfahren verglichen werden. Das ist schon sehr bemerkenswert, wie vor Ort mit solchen Vorfällen umgegangen wird.
In einer öffentlichen Vorlage, die zur Kreisausschusssitzung vorgelegt wurde und die auch der Presse zuging, wurde die Summe der individuellen Leistungen, die diese Familie im Jahr 2012 erhalten hat, öffentlich dargelegt, mit dem Zusatz: „Kosten der Krankenhausbehandlung sind nicht erfasst“. Ich will gar nicht beurteilen, ob das rechtlich zulässig ist, denn man kann ja schon die Frage nach dem Datenschutz und dem Sozialgeheimnis stellen. Ich halte eine solche Bekanntgabe aber moralisch für höchst bedenklich. Klar ist: Mit einer solchen Veröffentlichung der Gesamtsumme der Leistungen wird eine Familie bewusst an den Pranger gestellt. Es wird Sozialneid geschürt und damit letzten Endes auch Ausländerfeindlichkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, liebe Frau Klöckner, ich würde schon erwarten, dass auch Sie sich
dazu positionieren, dass Sie Stellung nehmen, ob Sie das genauso sehen wie Ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Halten Sie ein solches Vorgehen für richtig? Ist das auch Ihre Geisteshaltung? Wenn nicht – davon gehe ich jetzt fairerweise einmal aus –, dann sorgen Sie dafür, dass das bei Ihren Leuten vor Ort ankommt. Wir jedenfalls stehen für eine humane Flüchtlingspolitik, bei der Menschen, die zu uns kommen, ihre Rechte wahrnehmen können.
Herr Präsident, Frau Kollegin Machalet, ich bin jetzt doch etwas erstaunt. Wenn ich den Text der Mündlichen Anfrage von heute Morgen und auch die Antwort der Ministerin darauf rekapituliere, ging es eigentlich um sehr grundsätzliche Fragen, und der Fall im Westerwaldkreis war nur der Anlass, die Blaupause, um noch einmal über allgemeine Fragen zu sprechen. So hat die Frau Ministerin auch auf diese Fragen geantwortet, muss ich jetzt hier einmal feststellen.
Ich glaube nicht, dass das hier der geeignete Ort dafür ist, um den Bundestagswahlkampf von GRÜNEN und SPD aus dem Westerwaldkreis fortzusetzen.
Denn das ist es ja wohl – doch, Herr Pörksen. Als ich heute Morgen beobachtet habe, wie die fachlich und sachlich wirklich korrekte Antwort der Ministerin hier bewertet worden ist – nämlich mit null Beifall, von keiner der beiden Regierungsfraktionen –, habe ich gespürt, dass da etwas ist.
Nachdem gestern die Mündliche Anfrage kam, habe ich natürlich ebenfalls in der Presse und übrigens auch bei Twitter und im Blog nachgelesen, was denn dort abgelaufen ist. Ich kann nur sagen: Ich möchte diese Debatte auf dem Rücken dieser Menschen hier nicht fortsetzen. Das sage ich ganz ehrlich.
Herr Pörksen, ich glaube nicht, dass Sie alle Details kennen. Deswegen würde ich Sie jetzt herzlich bitten, sich einmal zurückzuhalten und abzuwarten, was ich noch sage.
Hören Sie mal, es kann bei einem solchen Verfahren ja um nichts anderes als um Menschen gehen; das ist doch völlig klar. Ich will zu dem konkreten Fall Folgendes sagen: Ich finde es absolut richtig, und da sind wir uns in der Fraktion einig, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Verfahren wieder an sich gezogen hat und jetzt ein Asylverfahren abwickeln wird, und zwar nach Recht und Gesetz. All die offenen Fragen – die Ministerin hat darauf hingewiesen – und die Vorgänge, die im Zusammenhang mit dem Abschiebeverfahren gelaufen sind, werden in diesem Verfahren dann, wie ich denke, korrekt überprüft.
Die Familie hat jetzt alle Chancen, ihre Argumente tatsächlich vorzutragen; denn Sie wissen auch, dass das letzte Argument, nämlich dass sie diesmal nicht über Polen eingereist sind, erst ganz zum Schluss auch tatsächlich noch einmal ins Spiel gekommen ist.
Deswegen noch einmal: Wir sind der Meinung, dass es richtig ist, dass das Bundesamt dieses Verfahren an sich gezogen hat. Dort wird es jetzt als Asylverfahren behandelt. Das war es bisher ja nicht, sondern es war nur eine Abschiebung.
Zweitens will ich sagen: Die betroffenen Menschen kommen aus Syrien; es sind Kurden. Sie sind schon länger hier, als der jetzt aktuelle Bürgerkrieg dort im Gange ist. Trotzdem gibt es für Syrer im Augenblick keine Abschiebung. Deswegen gibt es auch eine Duldung, und es läuft jetzt ein Asylverfahren an. Die Menschen können solange hier bleiben.
Aber ich will auch etwas zu Polen sagen. Mir ist in diesem Zusammenhang noch einmal klar geworden, dass die europäischen Vereinbarungen – sie sind heute Morgen genannt worden – natürlich auch dazu führen müssen, dass die „Außenländer“ der EU, die Grenzen zu Nicht-EU-Staaten haben, entsprechend gesichert sind, sodass die gemeinsamen Vereinbarungen tatsächlich umgesetzt werden. Da ist nicht nur Griechenland, sondern offensichtlich auch Polen ein Land, in dem es Möglichkeiten für Schleuserbanden gibt. Das spielt in der Debatte ja auch eine Rolle.
Diese Schleuserbanden geben Menschen aus dem vorderasiatischen Raum oder aus Osteuropa die Gelegenheit, über Polen einzureisen. Sie wollen jedoch nicht in Polen bleiben – das ist ja auch in diesem Fall so –, sondern sie möchten gerne vor allem nach Deutschland weiterreisen.
Das ist der Punkt, weshalb diese Menschen eigentlich nach Polen zurück müssten. So haben wir uns auf europäischer Ebene verständigt. Auch das muss in dem Zusammenhang noch einmal gesagt werden.
Schleuserbanden, die Menschen – und hier geht es wirklich um Menschen – ausnutzen und sie verführen, die ihnen ihr Geld abnehmen, sie in Zwangssituationen bringen und auf solchen Wegen hier einschleusen, müssen einfach verfolgt werden. Das muss unterbunden werden.
Es ist nicht in unserem Sinne, dass illegale Strukturen Menschen durch Europa schleusen. Das muss an dieser Stelle festgehalten werden.
Ansonsten läuft jetzt ein rechtsförmliches Verfahren. Da sollten wir uns tunlichst ein Stück weit zurückhalten.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste! Frau Kohnle-Gros, einen Satz von Ihnen muss ich wirklich kommentieren. Sie unterstellen, im Westerwald werde Wahlkampfrhetorik auf dem Rücken einer gebeutelten Flüchtlingsfamilie gemacht. Das ist unwahr. Das kann ich Ihnen auch nicht durchgehen lassen. Ich kritisiere das ganz außerordentlich.