Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

Worüber reden wir hier? Wir reden über eine Familie, die aus Syrien geflohen ist und die Verwandte in Deutschland hat, die mittlerweile auch schon Asyl bekommen haben. Wir reden über eine Familie, die einer außerordentlichen Traumatisierung ausgesetzt worden ist. Der Vater wurde in Syrien gefoltert. Die Familie ist jetzt zurück. Die Folterung eines Elternteils traumatisiert auch die Kinder, traumatisiert die ganze Familie.

Wir reden aber auch über eine Familie, die trotz all dieser Erlebnisse, die ihr widerfahren sind, auf einem hervorragenden Integrationskurs ist.

Die Schulen bescheinigen – die Bescheinigungen liegen mir vor –, dass die Kinder gut integriert sind, lernfreudig sind und gute Aussichten haben, gute Abschlüsse zu machen. Es soll zumindest garantiert werden, dass diesen traumatisierten Kindern bei uns, fernab von ihren gewohnten Lebensumständen, eine gewaltfreie Zukunft ermöglicht und somit auch die Zukunft eröffnet werden kann, ein einigermaßen vernünftiges und gutes Leben zu führen. Ich habe schon erwähnt, die Stellungnahmen der Schulen und Elternbeiräte liegen mir vor.

Die dramatische Gestaltung der Abschiebung, das unprofessionelle Handeln der Einsatzkräfte vor Ort, das Versagen des Landrates unter Missachtung der geltenden Gesetze und unter Missachtung der Anweisungen des Ministeriums aus dem vergangenen Jahr sind durch nichts zu entschuldigen.

(Pörksen, SPD: Sehr richtig!)

Ich habe gelesen, es hat eine Eilpetition an den Deutschen Bundestag gegeben. Darin wird der Landrat zitiert. Ich wiederhole gerne noch einmal das, was Frau Machalet eben auch schon zitiert hat. Ich zitiere: Ich entschuldige mich erst, wenn die Familie sich für die Umstände entschuldigt, die sie unseren Einsatzbeamten gemacht hat. – Meine Damen und Herren, wo leben wir denn? (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Welches Menschenbild wird deutlich am Beispiel dieser Situation, die sich im Westerwaldkreis, getragen durch den Landrat des Westerwaldkreises und gebilligt und getragen von der Verwaltung, abgespielt hat? Mit welchem Recht können wir überhaupt noch davon reden, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln? Mit welchem Recht treten wir dafür ein, dass die Würde des Menschen unantastbar ist?

(Unruhe bei der CDU)

Mit welchem Recht können wir überhaupt eingreifen, wenn die gängige Abschiebepraxis in Deutschland nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes – von der Ministerin wurde das heute Morgen gesagt – und nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entspricht?

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin stolz auf die Westerwälder und Westerwälderinnen, die sich eingesetzt haben, die sich bemüht haben, die Petitionen verfasst haben und die die Familie unterstützt haben. Ich bin sehr froh, dass dies heute im Landtag auch einmal besprochen wird, damit man sieht, dass es sehr unterschiedliche Umgehensweisen mit dieser Problematik gibt.

(Seekatz, CDU: Wir besprechen jetzt hier am besten jeden Einzelfall!)

Herr Seekatz, ganz genau.

Ich bedanke mich bei diesen Menschen.

Ich bedanke mich für Ihre doch sehr große Aufmerksamkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Alt.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen heute lernen, ein solcher Fall darf sich in unserem Land nicht wiederholen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will auch für unser Land deutlich sagen, dass wir die EU-Rückführungsrichtlinie konsequent in diesem Land umsetzen. Wir wollen, dass die Menschen rechtzeitig Bescheid bekommen, wenn eine Abschiebung droht, damit sie sich darauf einrichten können und sie vor allen Dingen Rechtsbeistand organisieren können.

Wir wollen darüber hinaus – das wissen Sie, und das tun wir – alle Wege öffnen, um vorher die freiwillige Rückkehr anbieten zu können; denn das ist ein sehr wichtiges Instrument, das wir in der Hand haben, nämlich die Menschen zu beraten, zu betreuen, zu begleiten, ihnen Vorschläge zu machen und ihnen Angebote zu machen, wie sie sich vielleicht nach der freiwilligen Rückkehr in ihr Land eine Existenz aufbauen können. Hierfür haben wir Rückkehrhilfen in Höhe von 1,4 Millionen Euro in unserem Haushalt. Das ist ein Instrument, das wir sehr stark nutzen und das wir auch in allen Fällen weiter nutzen werden.

In diesem Einzelfall werden wir jetzt das Asylverfahren abwarten. Ich meine, wir im Land Rheinland-Pfalz stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik, für einen humanitären Umgang mit den Menschen. Ich hoffe, dass dieser Geist auch ins Land weitergetragen wird.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Sahler-Fesel von der SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kohnle-Gros, ich muss Ihnen leider von dieser Stelle aus sagen, Sie haben sichtlich nicht verstanden, worum es geht. Es geht auch nicht darum, dass Sie sich an dieses Pult stellen und sich hinter Europa und EURechten verstecken; denn genau der Europäische Gerichtshof hat den Menschen Rechte zugestanden, die scheinbar rechtlos sind, die sich im rechtsfreien Raum bewegen und die man hinterher abschieben kann, wie man will. Genau hier wurde eine Frist festgesetzt, damit ein einstweiliger Rechtsschutz veranlasst werden kann. Genau das beinhaltete das Schreiben, das das Ministerium im Juni, wie die Ministerin ausgeführt hat, an alle Kommunen im Lande gerichtet hatte. Genau daran hat sich die Behörde im Westerwaldkreis nicht gehalten. Das scheint auch der Landrat überhaupt nicht einzusehen.

Sie werden sich an die Debatte im Landtag zum DublinII-Abkommen erinnern, das die Bundesregierung per Erlass nach unserem Empfinden noch verschärft hat. Frau Kohnle-Gros, durch Erlass der Bundesregierung und nicht durch die europäische Rechtsprechung und die europäischen Abkommen sind wir gezwungen, Abschiebehaft anzuordnen und dann abzuschieben. Das ist nicht der wirkliche Sinn und Geist des Dublin-II

Abkommens. Genau dagegen – dazu haben wir als Landtag aufgefordert – sollen die Ministerin und die Staatssekretärin im Bundesrat eine Initiative starten, damit die Menschen menschenwürdig behandelt werden können. Genau das ist der Punkt, an dem wir ansetzen.

Wenn jetzt eine Behörde in unserem Lande RheinlandPfalz entgegen den klaren Anweisungen und Mitteilungen des Ministeriums der Meinung ist, sie muss die rigide Haltung der Bundesregierung noch verschärfen, noch toppen, indem Bescheide so spät zugestellt werden, dass nichts mehr dagegen unternommen werden kann, und sie dieses Schreiben nicht beachtet, sodass eine Abschiebung in einer Form vorgenommen wird, die wirklich nicht mehr menschenwürdig ist – man muss sich vorstellen, dass ein Kind vor lauter Panik und Angst in einem Land weggerannt ist, in dem es sich überhaupt nicht auskennt –,

(Frau Kohnle-Gros: Das ist doch gut integriert!)

muss man wirklich fragen, wie der Umgang mit Menschen und mit Menschenrechten ist.

Wenn die Richtlinien nicht eingehalten werden, stellt sich für mich schon die Frage, wieso nicht von Haus aus eine Dienstaufsichtsbeschwerde angeregt wurde, um überprüfen zu können, wer die Fehler gemacht hat. Wenn eine staatliche Stelle – eine Kommune ist eine staatliche Stelle – elementare Grundrechte in dieser Form verletzt hat, ist eine Entschuldigung des Vertreters, in dem Fall des Landrates, wohl eine sehr angemessene Reaktion. Wenn selbst diese Reaktion versagt wird, sieht man die Geisteshaltung, die herrscht. Das genau wird angeprangert. Genau das darf weder Schule machen noch sich wiederholen.

Schönen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Konrad von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen, liebe Gäste! Die Situation von Familien mit Kindern bei der Abschiebung ist ein ernsthaftes Problem. Unser Grundgesetz setzt nämlich die Einzelperson in das Zentrum der Grundrechte. Deshalb ist es auch notwendig, dass wir das Versagen eines Rechtssystems im Einzelfall politisch thematisieren. Es ist unsere Pflicht als Vertreterinnen und Vertreter des Volkes, uns um diese Einzelfälle und um die Konsequenzen aus diesen Einzelfällen für die politische Arbeit zu kümmern.

Es ergibt kein gutes Bild, wenn Sie uns in der Weise unterstellen, daraus kurzfristiges politisches Kapital schlagen zu wollen. Es ergibt auch kein gutes Bild, wie

Sie sich eben anlässlich der Rede von Frau Neuhof verhalten haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Abschiebung dieser Familie wurde nämlich nicht gestoppt, weil ein Kind geflohen und nicht auffindbar war, sie wurde auch nicht deshalb gestoppt, weil die Familie getrennt wurde, und sie wurde auch nicht deshalb gestoppt, weil die Kinder Deutsch, aber nicht Polnisch sprechen – in Polen sollte das Asylverfahren weiterverfolgt werden –, sondern die Abschiebung wurde nur deshalb gestoppt, weil der Bescheid nicht rechtzeitig zugestellt worden ist.

Das ist eine Formsache. Das ändert an der Tatsache, dass Familien auch unter solchen Umständen abgeschoben werden können, in denen ein Kind verlorengegangen ist, gar nichts. Es ist ein politsicher Auftrag, sich darum zu kümmern.

Frau Kohnle-Gros, der Zugang der Familie über Schleuser, denen das Handwerk gelegt werden muss – das stimmt selbstverständlich; denn Sie wissen, wie viele Menschen auf diesen Wegen zu Schaden, sogar zu Tode kommen –, entscheidet nicht darüber, welche Gründe für die Gewährung von Asyl im Heimatland vorgelegen haben.

Die deutsche Geschichte zeigt uns, dass es bisweilen notwendig war, illegale Wege in ein sicheres Land zu finden. Viele unserer Mitbürger – das wissen Sie selbst – oder die Mitbürger unserer Eltern und Großeltern haben das nicht geschafft.

Ich habe schon gesagt, das heißt nicht, dass ich in irgendeiner Weise die Praxis von Schleusern oder Ähnliches gutheiße. Aber die Entscheidung über die Asylgründe muss von dem Weg unabhängig sein.

Übrigens sagen Sie jetzt, wir zerren die Familie in die Öffentlichkeit. Es ist eine Abwägung, ein solches Schicksal in die Öffentlichkeit zu zerren. Ich habe Ihnen dargelegt, dass ich das für politisch notwendig halte.

Wenn die Einzelschicksale von Menschen in den griechischen Asylunterkünften nicht in der Öffentlichkeit gewesen wären, wenn PRO ASYL nicht ständig Einzelfälle mit Namen veröffentlichen würde und sich Tausende von Menschen mit Petitionen bei uns, bei den politischen Verantwortungsträgern, für diese Menschen einsetzen würden, glauben Sie tatsächlich daran, dass es heute eine Ausnahme von Griechenland in Dublin II gäbe? Das glaube ich nicht. Deshalb müssen wir solche Einzelfälle zum Anlass nehmen, über die Asylgesetzgebung nachzudenken und darüber nachzudenken, wie wir insbesondere schutzwürdige Personen und Kinder in diesen Situationen unter Schutz stellen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Recht darf nicht zu Unrecht werden zwischen Staaten, nicht zwischen gesellschaftlichen Gruppen und nicht zwischen Einzelpersonen; denn die Einzelperson ist in

Deutschland die Person, die im Zentrum unseres Grundgesetzes steht, und für sie gilt die Menschenwürde.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)