Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident! Die Enthüllungen von Edward Snowden in den letzten Tagen haben gezeigt, die Totalüberwachung, die wir alle eher in den Bereich wilder Verschwörungstheorien wähnten, ist anscheinend bittere Realität. Keine Daten sind mehr tabu: private Gespräche, online abgelegte Dokumente, Bewegungsprofile, Geschäftsgeheimnisse. –
Es geht nicht um irgendetwas – es gibt natürlich auch eine deutliche Betroffenheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz und auch der Unternehmen in Rheinland-Pfalz –, sondern es geht um unser aller Grundrecht; denn im Grundgesetz ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung festgeschrieben. In der EU-Menschenrechtskonvention, aber auch in der Grundrechtecharta der Vereinten Nationen wird das Recht auf Privatleben und auf ungestörte Kommunikation festgeschrieben. Diese Grundrechte sind anscheinend von den US-amerikanischen und den britischen Geheimdiensten mit Füßen getreten worden. Sie wurden wissentlich umgangen. Das muss auch hier zur Sprache gebracht werden.
Das offensichtliche Ausmaß ist schwer zu begreifen, dass der britische Geheimdienst seit über eineinhalb Jahren auf das transnationale Seekabel Zugriff hat und die dort weltweit erhobene Kommunikation 30 Tage lang speichert, sie mit dem US-amerikanischen Geheimdienst austauscht. Das sind private Daten, Kommunikation von Verfassungsorganen wie dem Bundestag, aber auch Regierungsnetze. Es sind sehr sensible Daten, die auch zur Wirtschaftsspionage verwendet werden können.
Aber auch der US-amerikanische Geheimdienst greift in erheblichem Maße – das haben wir schon in der vorherigen Debatte gehört – auf Daten von Microsoft, von Apple, von Yahoo, von Google, Facebook und Co. zu. Dadurch ist es möglich, Beziehungsgeflechte, Bewegungsprofile und all diese Dinge zu erstellen, die in den hochsensiblen Bereich von Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen eindringen.
Was die USA hier betreibt, ist nichts anderes als die Vorratsdatenspeicherung mit einem Unterschied, dass es nicht bei den Betreibern gespeichert bleibt, sondern beim NSA höchstselbst. Das ist eindeutig eine Grundrechteverletzung.
Was wir aber auch in dieser Debatte erleben mussten, ist das Agieren der Bundesregierung. Man muss sich die Frage stellen, wie viel die Bundesregierung von der nun offengelegten Überwachung wusste. Wir brauchen dringend eine volle Aufklärung der Vorgänge. Hier trägt Angela Merkel direkt die Verantwortung; denn sie hat direkt bei sich im Bundeskanzleramt die Koordination der Geheimdienste liegen. Angela Merkel muss darauf Antwort geben, was tatsächlich bekannt war, in welchem Ausmaß Nachrichtendienste diese Daten genutzt haben und ob eventuell dieser Lauschangriff stillschweigend
geduldet wurde. War man Mitwisser dieses Vorgehens? Es stellt sich auch die Frage, warum ausgerechnet – – –
Ihr Kollege, Herr Klein, hat selbst gesagt, dass Sie sich noch im Konjunktiv befinden. Also müssen wir natürlich eine Aufklärung fordern.
Es kommt natürlich ein Verdacht auf, wenn man sich anschaut, dass insbesondere Deutschland von besonderem Interesse dieser Datenerhebung war.
Also fragt man sich: Wurde hier der deutsche Rechtsstaat umgangen? Was ist tatsächlich vonstattengegangen?
Wenn wir die Fragen alle beantwortet haben, müssen wir umso erschreckender die Reaktion der Bundeskanzlerin bewerten. Ich darf zitieren, sie hat sich zu dieser Angelegenheit geäußert, dass es um das richtige Verhältnis zwischen Sicherheit und Unbeschwertheit gehe, mit der die Menschen die neuen technischen Möglichkeiten nutzten.
Ich frage wirklich deutlich: Geht es um Unbeschwertheit? – Nein, es geht um die Verletzung unser aller Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung. Das ist keine Unbeschwertheit, sondern eine Grundrechtsverletzung.
Diese Haltung ist leider nichts anderes als ein Offenbarungseid einer Bundesregierung, die im Bereich Datenschutz nichts vorangebracht hat. Das muss man deutlich sagen. Einige Beispiele wurden genannt, die EUDatenschutzgrundverordnung, die immer noch auf Eis liegt und auf der EU-Ebene torpediert wird. Mit dieser Reaktion ist es wirklich klar geworden, dass der Datenschutz bei dieser Bundesregierung nicht gut aufgehoben ist.
Lieber Präsident, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Ich muss die ganz Historie nicht noch einmal aufrollen. Wir haben es gehört. Wir haben es alle vernommen. Da beginnt eigentlich schon die Geschichte, dass das Programm PRISM existiert und damals von der amerikanischen Zeitung „Washington Post“ und der britischen Zeitung „The Guardian“ enthüllt wurde. Die NSA, einer der Auslandsgeheimdienste der Vereinigten Staaten, soll PRISM nutzen – um Herrn Klein aufzugreifen, wir wissen es auch nur aus der Zeitung –, um die umfassende Überwachung von Personen innerhalb und außerhalb der USA zu ermöglichen, die digital kommunizieren. Dabei greift die NSA offenbar unter anderem auf Daten verschiedener großer Internetfirmen wie Microsoft, Google oder Facebook zu.
Seither gibt es eigentlich fast täglich immer wieder neue Medienberichte über Art und Umfang der Kommunikations- und Datenüberwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste. Laut Presseberichten würden durch die NSA in Deutschland monatlich rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen überwacht. Darunter verstehe die NSA Telefonate, Mails, SMS oder Chatbeiträge. Das konnte sich vom Ausmaß her eigentlich keiner vorstellen, wenngleich, glaube ich, hier niemand blind ist auch bezogen auf die Entwicklungen im Internet.
Aber dass wir noch nicht einmal nur über das Thema „Soziale Netzwerke“ sprechen, was häufig Thema war, sondern tatsächlich über alle Kommunikationsformen, die man sich nur vorstellen kann, ist eine Sache, die eigentlich alles auf den Kopf stellt.
Herr Klein, auch in Rheinland-Pfalz gibt es viele Bürger und Bürgerinnen sowie viele Unternehmen, die besorgt und verunsichert sind. Dies ist ein zutiefst besorgniserregender und beängstigender Vorgang, auch für mich als Ministerpräsidentin.
Wenn sich die jetzigen Informationen bewahrheiten, dann ist dieses eine Aushöhlung und Bedrohung – es ist mehrfach gesagt worden – und gefährdet unsere Rechtsordnung in einem noch nie dagewesenen Maße. Die Verschmelzung von militärischer, geheimdienstlicher und wirtschaftlicher Logik durchdringt eigentlich jeden Winkel unserer Privatsphäre, ohne dass sich die Betroffenen mit rechtsstaatlichen Mitteln annähernd dagegen wehren könnten. Natürlich hinterlässt das große Ohnmachtsgefühle bei den Bürgern und Bürgerinnen. Man darf oder muss sogar sagen, es ist eine Perversion von Transparenz und Freiheit, für die wir alle einstehen.
Ich möchte deutlich sagen, es ist nicht die Diskussion um Orwell, es ist auch nicht die Diskussion über die Zeiten des Kalten Krieges, es ist nicht die Debatte um Nutzerprofile. Es ist die Debatte über globale staatliche Überwachung einer digitalisierten Gesellschaft unter Freunden. Das ist das, was wirklich die neue Dimension umfasst.
In Deutschland und Europa haben wir andere Vorstellungen vom Schutz personenbezogener Daten. Ich glaube, das können wir hier alle unterstreichen. Das ist auch gesagt worden. Wir haben bei uns den Schutz der personenbezogenen Daten im Grundgesetz stehen. Wir haben ihn in unserer rheinland-pfälzischen Verfassung stehen. Wir haben ihn auch in der europäischen Grundrechtscharta stehen. Auch das ist gesagt worden. Europa streitet schon ziemlich lange über die Frage, dass wir eine europäische Datenschutzgrundverordnung mit vergleichbaren Rechtsstandards bekommen. Das wird in hohem Maße durch die Bundesregierung und nicht durch einen anderen Nationalstaat blockiert.
Meine sehr geehrte Herren und Damen, das ist keine Diskussion am Rande. Sie hängt eigentlich unmittelbar damit zusammen. Wenn wir anderen Partner gegenüber einfordern wollen, dass wir diese Standards als richtig und legitim ansehen und diese einfordern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass das deutsche Datenschutzrecht oder unsere Vorstellungen in Europa in einer gemeinsamen Verordnung wirklich verabschiedet werden.
Gerade hier in Rheinland-Pfalz wissen wir um die Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses und der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Die soll in keiner Weise in Frage gestellt werden. Auch das möchte ich hier noch einmal deutlich sagen. Gerade weil wir Freunde sind und wir eine Verantwortung auch unseren Freunden gegenüber haben, glaube ich, ist es angesagt, dass man miteinander offen darüber kommuniziert.
Herr Klein, das hat nichts damit zu tun, dass wir dieses Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt erörtern. Dieser Zeitpunkt war sozusagen vorgegeben.
Es ist klar, dass die Ohnmacht der meisten Bürger und Bürgerinnen – das gilt auch für viele Regierungschefs – an einer Stelle einer Antwort bedarf, nämlich von der Kanzlerin in unserem Land, die Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten pflegt.
Es ist selbstverständlich, dass man diese Erwartung hat, auch wenn möglicherweise gar nicht alle Fragen zurzeit zu beantworten sind, so kann man doch erwarten, dass man eine etwas offensivere Informationspolitik gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen macht.
Natürlich sind wir an diesem großen Thema ein Stück bedeutungslos. Natürlich haben wir immer wieder Begegnungen mit unseren amerikanischen Freunden. Ich finde, auch da besteht die Verpflichtung, die ich wahrnehmen werde, ihnen deutlich zu machen, was für ein Verständnis in Deutschland und Europa zum Thema „Rechtsstaatlichkeit“ besteht. Für mich sind unsere rechtsstaatlichen Standards ganz klar, das heißt, geheimdienstliche Aktivitäten dürfen sich nur auf elementa
re Bedrohungen wie Organisierte Kriminalität oder internationalen Terrorismus beziehen, und sie müssen einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Maß und Mitte müssen gelten, die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein.
Ich schließe mich den Forderungen unseres luxemburgischen Außenministers, unseres Nachbarn an, der verbindliche Garantien für Europa gefordert hat. Nicht nur die Kanzlerin, sondern wir in Europa müssen gegenüber der USA deutlich machen, dass wir andere Ansprüche haben und andere Anforderungen stellen, um unsere individuellen Rechte wirklich gewahrt zu sehen.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, deshalb ist es wirklich an der Zeit, es auszusprechen, dass wir eine gemeinsame Strategie auf der europäischen Ebene brauchen, um dieses albtraumhafte Überwachungsprogramm – wenn sich das alles so bewahrheitet – zu stoppen; denn wir oder ich als Bürgerin, als Ministerpräsidentin kann mir nicht vorstellen, dass so etwas einfach weiterläuft. Wir müssen uns auf bundesstaatlicher und europäischer Ebene Gedanken machen, wie man ein Stück Einhalt gebieten kann, um die Rechtsgüter unserer Bürger und Bürgerinnen in Zukunft aufrechtzuerhalten.
Professor Grimm, ehemaliger Bundesverfassungsrichter, hat einmal gesagt: "Der allwissende Staat wird schnell zum allmächtigen Staat. Freiheit gibt es dagegen nur im begrenzten Staat." Genau darum geht es in dieser Sache.
(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: Das waren bereits klare Worte und nicht so ein Wischi-Waschi wie in Berlin!)
Sie haben 10 Sekunden mehr und die CDU 20 Sekunden mehr Redezeit. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Haller.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte noch die Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz und unsere Möglichkeiten in diesem Zusammenhang beleuchten. Man muss erstens festhalten, wir können uns vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion bestätigt sehen, dass wir mit dem Beauftragten für Datenschutz und die Informationsfreiheit eine Institution haben, die einen der vielversprechendsten Ansätze für Datensicherheit und Privatsphäre verfolgt, nämlich die Aufklärung und Prävention, die Befähigung und Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger, mit ihren Daten sparsam und achtsam umzugehen.
Meine Damen und Herren, die abgreifbaren Daten werden immer vielfältiger. Die Technik und die damit verbundenen Möglichkeiten werden immer umfassender und grenzenloser, besser designed und intuitiv bedienbar. Neben Tablets und Smartphones wird vor allem die
kommende Konsolengeneration eine neue Dimension von freiwillig in Kauf genommener Datenfreigabe bedeuten: ständige Spracherkennung im eigenen Wohnzimmer, eine Kamera, die neue Geschäftsmodelle ermöglichen soll und auch wird, zum Beispiel, wie viele Menschen sitzen vor dem Fernseher und schauen den Film, entsprechend wird dann abgerechnet. –