Protokoll der Sitzung vom 07.11.2013

Nur dann, wenn wir das so umwandeln – das ist die klare Erkenntnis aus der Anhörung gewesen –, wird es so sein, dass sich die riesige Diskrepanz, diese Lücke zwischen angezeigten Taten und tatsächlichen Verurteilungen bei diesem Paragrafen schließen wird. Im Mo

ment – ich darf es noch einmal in Erinnerung rufen – haben wir auf 70 Anzeigen eine einzige Verurteilung. Da kann etwas nicht stimmen. Das haben uns die Experten bestätigt. Das haben alle drei Landtagsfraktionen so mehr oder weniger akzeptiert.

Der Ingoldstädter Fall – ich darf ihn noch einmal ansprechen, weil er seinerzeit weite Kreise gezogen hat – lehrt uns nicht zum ersten Mal, dass es schreckliche Folgen haben kann, wenn Stalking-Opfer schutzlos bleiben. Ich zitiere den Minister aus der letzten Debatte, der seinerzeit gesagt hatte, unser großes Problem bei diesem Vorgang ist die FDP-Justizministerin, die keinerlei Bereitschaft habe, auf dieses Thema einzugehen. Dieses Problem könnte sich in Kürze gelöst haben.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

So ist der Weg frei für einen neuen Ansatz. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diesen Ansatz zu versuchen.

(Beifall bei der CDU)

Schwach wäre es, wenn es sich im Landtag wieder so wie beim letzten Mal ergeben würde, dass im Grunde Sie sich als Regierungsfraktion hinter der bayerischen Initiative verstecken. Sonst ist Bayern auch nicht das große Vorbild. Warum ist das bei diesem Thema so?

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Warum sollte man bei diesem Thema nicht etwas Eigenes auf den Weg bringen? Eine Initiative aus diesem Land stünde der Rechtspolitik dieses Landes und dieses Landtages sehr gut an.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Gerade jetzt, wo die Koalitionsverhandlungen in Berlin laufen, wäre eine gute Gelegenheit, denke ich, dort einen gewissen Input zu liefern. Es gibt mehrere Persönlichkeiten, die sich verdienstvollerweise um ein Regierungsprogramm bemühen. Da könnte das sicher ein zentrales Thema sein.

Es wäre sicher noch überzeugender, wenn der ganze Landtag das mittragen würde.

Bewusst – das möchte ich zum Abschluss schon sa- gen – verstehen wir unseren Antrag als ein Angebot an Sie, die Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün; denn wir möchten versuchen, etwas Gemeinsames im zweiten Anlauf herbeizuführen. Eines möchte ich klar formulieren: Es soll nicht so sein wie beim letzten Mal, dass nach sechsmonatiger Beratung eine Woche vor der endgültigen Beschlussfassung Sie mit einem Text auf uns zukommen und sagen: Könnten wir nicht doch irgendetwas Gemeinsames machen? – Das habe ich schon damals scharf kritisiert.

Das ist keine Art des Umgangs miteinander. Wir möchten, dass es dieses Mal in Ruhe abläuft, dass wir uns von den drei Landtagsfraktionen aus gemeinsam zusammensetzen und schauen, ob es sich ein Konsens herbeiführen lässt. Ich und die ganz CDU

Landtagsfraktion finden, die Stalking-Opfer sollten uns das wert sein, auch einmal Gräben zu überspringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf weitere Gäste im Landtag begrüßen, und zwar Mitglieder des Lions-Clubs Donnersberg. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Sippel das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Wilke, ich könnte es kurz machen und auf unseren Antrag zur Plenarsitzung am 4. Juli 2013 verweisen. Es handelt sich um einen Antrag, der mit Mehrheit von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen wurde. Meine Damen und Herren, dieser Antrag macht den CDU-Antrag von heute überflüssig. Ich will dennoch gern begründen, was seinerzeit unsere Aspekte für einen Alternativantrag waren. Wir haben unsere grundsätzliche Offenheit für eine Ausweitung des Strafrechts auf sogenannte Eignungsdelikte damals dargelegt.

Allerdings haben wir auch deutlich gemacht, dass der Ruf nach einer schnellen Strafrechtsverschärfung nicht ausreicht, um den Opferschutz wirksam zu verbessern und Nachstellungen adäquat zu begegnen. Das Thema ist wirklich zu ernst für einen Schnellschuss und für Aktionismus. Deshalb haben wir unserem Antrag drei Aspekte vorangestellt.

Zum Ersten ist es in der Tat sinnvoll abzuwarten, bis Bayern liefert. Bayern hat die Initiative in der Länderarbeitsgruppe ergriffen und einen ersten, relativ halbgaren Antrag wieder zurückgezogen. Aber Bayern muss liefern. Es gibt neue klare Verhältnisse in Bayern. Wir gehen davon aus, dass die CSU jetzt in der Lage ist zu liefern. Sie haben sicher die Möglichkeit, jetzt über kürzere Drähte nach Bayern zu intervenieren.

Zum Zweiten legen wir großen Wert darauf, eine Strafrechtsnorm auszugestalten, die den verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht und justiztauglich ist. Das war auch der Kernpunkt unseres Antrages – die Gretchenfrage –, das Bestimmtheitsgebot, wie wir eine Strafrechtsnorm schaffen, die sowohl von den Gerichten als auch von den Staatsanwaltschaften entsprechend ausgefüllt und angewendet werden kann.

(Dr. Wilke, CDU: Das ist doch Konsens!)

Deshalb haben wir mit unserem Antrag einen Prüfauftrag verbunden, um diese elementaren Fragen – es sind die wichtigsten Fragen – zu klären. Eine Strafrechtsreform muss bestimmt genug sein. Sie wissen, dass es gerade bei der Frage des Stalkings sehr entscheidend

ist, ab wann Stalking strafrechtswürdig ist. Stalking hat sehr unterschiedliche Ausprägungen und sehr unterschiedliche Täterprofile. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die „Deutsche Richterzeitung“. Dort wird ganz klar und dezidiert beschrieben, dass die beweisrechtlichen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung des Straftatbestandes als Erfolgsdelikt durchaus eine Herausforderung für die Justiz sind.

Es wird außerdem ergänzt, dass dies bei der Fassung als Gefährdungsdelikt, also als Eignungsdelikt, wegen vielfältiger prognostischer Voraussetzungen eher mit noch mehr Schwierigkeiten verbunden wäre. Deshalb war unser Ansatz richtig zu sagen, wir müssen bei einer Änderung der Strafrechtsnorm auch die Praxis einbeziehen. Wir müssen die Gerichte und die Staatsanwaltschaften einbeziehen, um am Ende eine Regelung zu finden, die angewendet werden kann.

Zum Dritten ist für uns noch einmal wichtig darzustellen, dass neben dem reinen Strafrechtsaspekt auch die Mittel des Staates zur Prävention sowie zum Gewalt- und Opferschutz im Vordergrund stehen müssen. Auch zum Thema „Gefährderansprache der Polizei“ haben wir erfahren, dass das sehr wirksam ist. All das muss beleuchtet werden.

Deshalb haben wir in unserem Antrag auch gesagt, dass wir das Justizministerium um Prüfung bitten, ob und wie diese Maßnahmen wirken und ob wir möglicherweise noch zu einer weiteren Optimierung kommen. Dies wurde uns zugesagt. Der Bericht liegt noch nicht vor. Deshalb sehen wir jetzt keinen Anlass, einen Schnellschuss zu machen, sondern wir wollen gern noch auf eine Studie – auch das hat Herr Minister Hartloff im Rechtsausschuss angekündigt – von Herrn Professor Dr. Voß, Stalkingforscher der Universität Darmstadt, warten. Diese Studie soll Ende des Jahres vorliegen. Auch diese soll in die weitere Diskussion mit einbezogen werden. So viel Zeit sollten wir uns wirklich nehmen, weil eine Änderung des Strafrechts Bundessache ist, meine Damen und Herren. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat nicht geliefert. Sie hat sich nicht imstande gesehen, hier eine Änderung herbeizuführen.

(Dr. Wilke, CDU: Jetzt gibt es ja eine neue Konstellation!)

Deshalb sind es jetzt die Länder, die am Zuge sind. Wir haben jetzt auch noch Zeit abzuwarten, wie sich das auf Bundesebene weiter entwickelt. Da muss sich eine neue Regierung zunächst noch konstituieren, finden und die Arbeit aufnehmen. Herr Dr. Wilke, deshalb besteht jetzt kein Anlass, schnell etwas übers Knie zu brechen.

(Dr. Wilke, CDU: Wer redet denn von schnell übers Knie brechen? In Ruhe beraten!)

Herr Dr. Wilke, wenn es Ihnen wirklich um die Sache und weniger um die parteipolitische Profilierung geht, dann sollten wir wirklich die entsprechenden Prüfberichte abwarten und darüber diskutieren. Ihr Antrag heute geht jedenfalls an der Sache vorbei und wird von uns deshalb abgelehnt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Raue das Wort.

Verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie stellen in Ihrem Antrag fest, dass die derzeitige Fassung des § 238 Strafgesetzbuch den Anforderungen an den Opferschutz nicht gerecht wird.

Meine Damen und Herren, das kann ein Straftatbestand auch gar nicht, er setzt nämlich immer zu spät ein. Er setzt nämlich immer erst dann ein, wenn etwas passiert ist. Die Problematik mit dem Straftatbestand des Stalkings liegt darin, dass einzelne Handlungen immer sozial adäquat sind und erst die Summe dieser Handlungen die Strafbarkeit ausmacht. Damit ist der Tatbestand in seiner Konstruktion einzigartig im Strafgesetzbuch und auch ein Fremdkörper im strafrechtlichen System. Das macht auch die Schwierigkeiten in seiner Handhabung aus. Selbst wenn man, wie Sie, behauptet, die Richtigkeit dieser These unterstellt, die Handlungsnotwendigkeit sei offenkundig, bleibt die Frage offen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um den Opferschutz zu gewährleisten. Die Strafbarkeit ist – das habe ich gerade ausgeführt – zu wenig. Deshalb hat sich der Rechtsausschuss aus guten Gründen für eine sorgfältige Prüfung ausgesprochen.

Wie Sie in Ihrem Antrag selbst ausführen, ist auch die von Ihnen angestrebte Änderung des Strafgesetzbuches nicht geeignet, Übergriffe zu verhindern. Übrigens führen Sie sich selbst ad absurdum, wenn Sie schreiben, die Geiselnahme in Ingolstadt hätte auch mit einem angepassten Gesetz nicht verhindert werden können, der Stalkingübergriff hätte also nicht verhindert werden können. Dennoch wollen wir, um die Opfer zu schützen, weitere Strafbarkeiten einführen.

(Frau Brede-Hoffmann, SPD: So etwas von unlogisch!)

Das ist unlogisch und führt Ihren Antrag selbst ad absurdum. Was brauchen wir denn tatsächlich, um die Opfer zu schützen? Wir brauchen eine gut wirksame Prävention. Eine der vom Rechtsausschuss der Landesregierung aufgegeben Prüfbitten lautet deshalb: Der Landtag möge prüfen, ob das derzeit vorhandene Instrumentarium zur präventiven Verhinderung von Nachstellungstaten ausreicht oder ob hier weiter Handlungsbedarf besteht.

Meine Damen und Herren von der CDU, damit setzen Sie sich überhaupt nicht auseinander. Natürlich ist Stalking ein ernst zu nehmendes Problem. Gerade dies gebietet aber, sich intensiv mit allen Möglichkeiten zu beschäftigen, die präventiv wirken können und nachstellende Übergriffe verhindern können. Ihr Antrag hingegen vermittelt den Eindruck, Strafbarkeit sei die Lösung aller Probleme.

(Pöksen, SPD: Das glauben die auch!)

Damit machen Sie sich die Sache viel zu einfach. Daher plädiert die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür, dass wir uns an das Verfahren halten, das der Landtag vor noch nicht allzu langer Zeit beschlossen hat. Lassen Sie uns diesen Beschluss respektieren und den Bericht der Landesregierung abwarten, bevor wir tätig werden. Ich bin sicher, er wird differenzierter ausfallen als Ihr Antrag.

(Frau Huth-Haage, CDU: Wir warten auf Bayern!)

Wir werden diesem Antrag daher nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Staatssekretärin Reich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Stalking ist ein sehr ernstes Thema. Wer einmal die Berichte von Stalkingopfern gehört oder es gar selbst erlebt hat, weiß, wie sehr sich ihr Leben durch das beharrliche Nachstellen eines Menschen verändert. Die Betroffenen fühlen sich nirgendwo mehr sicher. Selbst zu Hause werden sie angerufen oder mit unaufgeforderten Geschenken überhäuft. Sie werden ständig daran erinnert, dass es irgendwo einen Menschen gibt, der sie nicht in Ruhe lassen will. Oft sind die Täter auch noch zu sehr viel mehr fähig. Das haben wir in der Tat an der Geiselnahme in Ingolstadt gesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung nimmt das Thema „Stalking“ und die vielen Betroffenen sehr, sehr ernst. Wir setzen deshalb den Beschluss des Landtags vom Juli 2013 bereits um, der nicht nur die strafrechtliche Seite beleuchtet, sondern auch die unterstützende, die präventive Seite.