Die waren interessiert, dass die Schweiz neutral blieb und ihnen das Gold aufgekauft hat, und zwar nicht nur das Gold, das sie von uns bekommen haben, oder das Zahngold. Das war unwichtig. Jede Zentralbank der besetzten Gebiete hatte Gold. Frankreich, Holland, Belgien, Griechenland, Jugoslawien, die Balkanländer, alle hatten Gold. Das haben sie alles aufgekauft. Die Schweizer haben das Geld von den Juden genommen, aber auch das Geld von den Nazis. Sie haben sich ganz schlecht benommen und geben dies auch heute zu.
Wie gesagt, ich bin mit dem Transport nach Deutschland zurückgekommen. Die anderen 1.000 sind nach Ausschwitz III gekommen. Da waren die Buna-Werke, Teil der I.G. Farben. Dort war auch der Schindler mit seinen Leuten, die er gerettet hat. Aber er hat auch gut daran verdient. Er ist in Frankfurt als armer Mann gestorben. Er hat zwar Leute gerettet, er hat aber auch gut daran verdient.
In Schwarzheide habe ich erst einmal Glück gehabt, dass ich zur Reserve kam und nicht ausrücken musste. Zusammen mit dem Jüngsten von uns, der im Alter von meinem Bruder war, um den ich mich so gekümmert habe, wie ich mich um meinen Bruder gekümmert hätte. Ich kam dann in die Kartoffelschälerei und habe dort auch ein bisschen besseres Essen gehabt, bis ich dann auch zur Arbeit ausrücken musste. Das ist mir verdammt schwergefallen, kaum etwas zu essen und dann zu schaufeln, um Bunker zu bauen, und außerdem nach
jedem Luftangriff von den Alliierten wieder aufzubauen, die Mauern und die Maschinen zu schützen, damit wieder Benzin hergestellt werden konnte.
Dann haben sie festgestellt, dass ich die Mauern sehr schön bauen kann. Also habe ich keine Steine werfen müssen. Wer Steine werfen musste, hat auch blutige Finger gehabt. Ich habe dann die Steine einzeln aufgebaut und war ein guter Maurer.
Ich stand dann aber auch auf der Liste, um zurück nach Auschwitz zu gehen. Da hat Auschwitz gesagt, wir sind an so kleinen Transporten nicht interessiert, macht sie selbst fertig. Das haben sie aber nicht gemacht. Wir hatten fünf Kommunisten da, den Lagerältesten, den Chef der Küche, den Rapportschreiber, der Arbeitseinsatz, der Sanitäter, jedenfalls fünf Kommunisten, und diese haben mir oft geholfen.
Eines Tages – ich weiß nicht, warum –, als wir die Schaufel über der Schulter gehabt haben, läuft der jüdische Vorarbeiter neben mir her, sagt, „stech mir nicht mit deiner Schaufel die Augen aus“, und haut mir auf das linke Ohr. Ich habe ganz schöne Schmerzen gehabt. Wenn ich zum jüdischen Doktor gegangen wäre, dann hätte er mich nur frei geschrieben, wenn ich ihm entweder eine Zigarette gegeben hätte – das war das Zahlungsmittel – oder ein Stück Brot oder ein Stückchen Wurst oder ein Stückchen Käse.
Ich muss dann etwas kürzen. Wer mehr wissen will, der soll das Buch kaufen. Es wird draußen verkauft.
Ich möchte dann nur noch erzählen, dass die Russen seit Ende Januar bei Cottbus standen, aber nicht in unsere Richtung vorgerückt sind, sondern erst die Balkanländer befreit haben und dann Österreich und Mauthausen. Mauthausen war ein schlimmes Lager. Dann haben sie sich plötzlich in Richtung Berlin in Bewegung gesetzt.
Da haben wir gehofft, dass wir befreit werden. Aber bevor das geschehen ist, mussten die, die laufen konnten, in Richtung Theresienstadt laufen. Für die, die nicht laufen konnten, hatte die BRABAG noch etwas Benzin. Sie haben zwei Omnibusse geliehen und haben uns eingeladen, um uns nach Sachsenhausen zu bringen. Wir waren ein Außenlager von Sachsenhausen.
Zwei Wochen vor Kriegsende sind wir durch Berlin gefahren. Es waren alles nur noch Trümmer. Nur die Durchgangsstraßen waren geräumt. Wir kamen erst nach 09:00 Uhr in Sachsenhausen an, und der Blockälteste musste vor 09:00 Uhr angeben, wie viele Leute in seinem Block sind, um die Ration für den nächsten Tag zu bekommen. Er konnte also für uns erst nach zwei Tagen eine Ration bekommen. Er hat aber seine Wassersuppe so eingeteilt, dass wir auch ein bisschen Wassersuppe am Abend haben konnten.
Zwei Tage später hieß es, es gehen keine Außenkommandos raus. Eine Stunde später hieß es, das Lager wird geräumt. Wer krank ist, wer zurückbleibt, bei dem könnte es sein, dass er vor dem Kommen der Russen erschossen wird oder dass die Baracke in Brand gesetzt wird und er lebendig verbrannt wird.
Ich war damals schon ein Skelett von Haut und Knochen, aber ich bin gelaufen wie eine Maschine. Meine letzten Freunde sind auf diesem Todesmarsch erschossen worden, weil sie einfach nicht mehr weiterlaufen konnten, weil sie zu schwach waren. Einen habe ich mitgeschleppt. Es waren kaum mehr Juden da. Das waren alles politische Gefangene, Widerstandskämpfer, alles Leute, die eben von den Nazis unerwünscht waren.
Wir sollten ja alle sterben. Wir sollten ja alle nicht überleben. Wenn wir uns nachts ein bisschen ausruhen konnten, da sind viele vor lauter Schwäche nicht mehr aufgewacht.
Als der Graf Folke Bernadotte mit Himmler verhandelt hatte, dass Himmler die letzten Leute freilässt, war es so, dass Hitler, als er das hörte, seinen sogenannten „treuen Heinrich“ aus der Partei herausgeworfen hat, und zwar einen Tag, bevor er die Eva Braun geheiratet hat und dann sie und sich erschossen hat. Von dem Göbbels müssen Sie in meinem Buch lesen. Er kam aus Rheydt, wo mein Onkel Rechtsanwalt war. Als der Goebbels von der Universität Heidelberg seinen Doktor der Philologie von einem jüdischen Professor bekommen hat, hat sich mein Onkel um ihn gekümmert. Er hat bei meinem Onkel gegessen und unseren Wein getrunken, denn mein Großvater hatte an der Nahe Weinberge. Das müssen Sie in meinem Buch lesen. Jeder, der das hört, will das Buch lesen.
In der Nacht vom 28. auf den 29. April waren wir im Wald von Below. Dort sind 440 Leute nicht mehr aufgewacht. Ich bin herumgekrabbelt und habe nach Bucheckern vom Jahr zuvor gesucht, nur, dass ich etwas zu knabbern hatte. Andere haben Rinde aus den Bäumen herausgeschnitten. Das sehen Sie in dem Film. Sie haben an der Rinde geknabbert, nur, um etwas im Mund zu haben. Wir hatten kein Wasser, wir hatten gar nichts.
Am 2. Mai bin ich in Grabow – das ist zwei Kilometer von Below entfernt – von den Russen befreit worden. In der Nacht vorher war die SS verschwunden. Wir konnten ihnen also nichts mehr antun. Denen ist wahrscheinlich gar nichts passiert.
Jedenfalls war ich mit dem Essen sehr vorsichtig. Wir haben Rote-Kreuz-Pakete bekommen. Aber da war die falsche Nahrung drin. Es haben Leute Butter mit dem Löffel gegessen. Das hat das Körpersystem nicht vertragen. Es sind in Grabow noch 132 Häftlinge beerdigt worden, weil sie unvernünftig waren. Ich habe darauf bestanden, dass der Grabstein in unserem Film gezeigt wird. Ich habe trockenes Brot und Kartoffeln gegessen und Milch getrunken.
Es kam dann ein Lastwagen mit kanadischen Kriegsgefangenen durch. Wohin fahrt ihr? – In die britische Zone. Kann ich mitkommen? – Ja, komm herauf. Ich habe gesagt, ich kann nicht hinaufkommen. Es hat mich einer
unter dem linken Arm und einer unter dem rechten Arm genommen, und ich war auf dem Lastwagen. Sie haben mich in Lüneburg im Krankenhaus abgesetzt. Dort habe ich wenigstens in einem sauberen Bett geschlafen. Aber zum Essen hatten sie auch nichts. Am Nachmittag kam ein Offizier. Wohin wollen sie? – Nach Amsterdam. Das kann ich ihnen nicht anraten, Nordholland ist erst am 8. Mai befreit worden. Wir bekommen unseren Nachschub aus Belgien, aus Brüssel. Mit dem nächsten Transportflugzeug fliegen wir Sie nach Brüssel. Dort wird eine Ambulanz warten. Sie kommen in ein Krankenhaus und werden wieder auf die Beine gestellt.
Ich habe noch eine Bitte an Sie. Sie haben mich eingeladen, und das habe ich angenommen. Die paar Zeitzeugen, die noch leben, werden nicht mehr lange diese Arbeit machen können. Ich werde versuchen, weiter an Schulen mit den Abiturientenklassen zu sprechen, solange ich kann.
Aber ich habe eine Bitte an Sie. Helfen Sie mit, dass die schreckliche Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät. Dazu braucht es jede und jeden Einzelnen im Saal und draußen auf den Straßen. Helfen Sie mit, dass wir unseren jungen Menschen Vorbild sein können, damit wir ihnen mit ehrlichem und gutem Gewissen begegnen und ihnen Werte vorleben, die allen Menschen zum Wohle dienen.
Helfen Sie mit, die Jugendarbeit zu unterstützen. Sie hat den Film über mein Leben ermöglicht. Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, wie wichtig politische, aber auch finanzielle Unterstützung in dieser immer schwieriger werdenden Arbeit ist.
Ich wünsche uns allen dazu viel Kraft und Durchhaltevermögen. Wir sind es den vielen Opfern und leidgeprägten Menschen schuldig.
Lieber Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Gäste, sehr verehrter lieber Herr Hesdörffer! Herr Hesdörffer hat mich gebeten, noch eine Ergänzung zu machen, damit Sie alle wissen, dass er 1947 nach Süd
afrika und dann 2002 nach Amerika ausgewandert ist. Natürlich können Sie auch das in seinem Buch nachlesen.
Lieber Herr Hesdörffer, Sie können absolut sicher sein, nach Ihren eindringlichen Worten am heutigen Tage werden wir ganz sicher alle Ihr Buch lesen und diese Geschichte noch einmal nachvollziehen.
Vielen herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren, bei uns sind, dass Sie über Ihr persönliches Schicksal gesprochen und dies mit so eindringlichen Worten getan haben.
Ich denke, was viele sehr beeindruckt hat, mich berührt das jedenfalls immer noch ganz besonders, ist, wenn einem wieder klar wird, wie sich die Ideologie des Hasses immer weiter in die Mitte der Gesellschaft drängen konnte, wie sich Menschen, die gestern noch Freunde, Nachbarn oder Kollegen waren, abgewandt haben, und wie wichtig es in der damaligen Zeit war – Sie haben es immer wieder betont –, dass es an der einen oder anderen Stelle verlässliche Freunde gab.
Fanatismus, Egoismus und Gleichgültigkeit, aber auch Angst, wurden zu den größten Verbündeten der Nazis. Letztlich – dies darf man sagen – war der demokratische Grundkonsens in Staat und Bevölkerung nicht fest genug ausgebildet und verankert, um dem wachsenden NS-Einfluss Einhalt zu gebieten.
Lieber Herr Hesdörffer, diese Schilderungen sind deshalb eine mehr als deutliche Mahnung immer wieder auch an uns.
Die Demokratie darf in ihrer Wachsamkeit gegenüber extremistisch und rassistisch ausgrenzenden Bestrebungen nie nachlassen. Sie muss das verbindende Element und das tragende Fundament unserer demokratischen Überzeugung sein.
Der Zeitpunkt wird kommen – Sie haben es angesprochen –, an dem niemand mehr aus eigenem Erleben berichten kann. Die Worte von Herrn Hesdörffer zeigen deshalb umso eindrücklicher, wie wichtig es ist, ihnen, den Zeitzeugen, zuzuhören, solange dies eben möglich ist, auch in ihren Filmen und Büchern.
Natürlich – das ist ein Versprechen an Sie – werden wir alles unternehmen, um das Gedenken auch in Zukunft zu bewahren.
Menschen wie Heinz Hesdörffer führen uns plastisch und drastisch vor Augen, wie schnell der innere Zusammenhalt einer Gesellschaft ins Wanken kommen kann, wie er durch Wegschauen und Nichthandeln verletzlich und brüchig wird und welche unvorstellbar grausamen Folgen dies schließlich haben kann.