Das in Ihrem Antrag erwähnte Unverständnis der Öffentlichkeit mag Sie zu diesem Antrag bewogen haben. Für eine Neugestaltung des § 174 Strafgesetzbuch, auch für die Diskussion als Ganzes, ist dies jedoch ein schlechter Ratgeber. Es erschließt sich auch nicht, was Sie mit Ihrem Antragsrecht eigentlich bezwecken. Der Änderungsprozess auf der Bundesebene ist doch bereits im Gange. Einfließen sollen die Erkenntnisse aus den Arbeitsgruppen. Einfließen müssen auch eine ergebnisoffene Prüfung und die Diskussionen aus der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister.
Welche Änderungen sind überhaupt geeignet, den gewünschten Schutz Minderjähriger vor sexuellen Übergriffen zu bewirken? – Lassen Sie uns diese Frage prüfen, lassen Sie uns diese Prüfung abwarten, und lassen Sie uns auf der Landesebene tun, was wir tun können. Dafür setzen wir uns mit unserem gemeinsamen „Gegenantrag“ ein. Deshalb werden wir diesem zustimmen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Wilke hat vorhin einiges aufgefahren, was zu einem Teil infame Unterstellungen sind, zu einem Teil heuchlerisch ist.
Ich will Ihnen klarmachen, warum. – Weil er unterstellt hat, dass der Minister sich nicht im Sinne des Beschlusses des Landtags für eine Veränderung des § 174 eingesetzt hätte. Das Gegenteil ist der Fall, und das weiß Herr Dr. Wilke ganz genau. Warum weiß er das ge- nau? – Weil ich im Rechtsausschuss über die Justizministerkonferenz berichtet habe, dass wir dort einen Beschluss herbeigeführt haben, dass eine Arbeitsgruppe unter der Federführung des Landes Rheinland-Pfalz
eingerichtet wird, die sich aus den Gründen mit der Fortschreibung des § 174 beschäftigt, die Herr Kollege Sippel genannt hat, die Sie in Ihrem Antrag genannt haben, weil wir der Auffassung sind, es gibt einen Weiterentwicklungsbedarf, weil sich Straftäter eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und eine Interpretation des jetzigen Paragrafen zunutze machen, die die sogenannte Obhutspflicht regelt, das heißt, wenn jemand beispielsweise im Rahmen eines Erziehungsverhältnisses für jemand anderen die Obhut hat, die, wie in dem von Ihnen genannten Urteil, Herr Dr. Wilke, nicht gegeben ist, wenn beispielsweise ein Lehrer nur auf dem Schulhof die Aufsicht hat oder bei einer Klassenfahrt dabei ist, die aber gegeben ist, wenn es ein Klassenlehrer ist.
Wir haben in enger Zusammenarbeit mit dem Land Bayern andere Formulierungen entwickelt. Wir sind nicht dazu gekommen. Auch das hatte ich im Rechtsausschuss berichtet. Deshalb meine Eingangsworte und die Klassifikation von dem, was Sie vorhin über mich behauptet haben, Herr Dr. Wilke.
Nichtstun ist etwas anderes. Wir sind übereingekommen, keine Bundesratsinitiative zu machen, das Land Bayern nicht, das Land Rheinland-Pfalz nicht, weil die vormalige Bundesjustizministerin – es handelt sich um die Änderung von Bundesrecht – erklärt hat, dass sie aus ihrer Sicht so wenige Fälle sehe, die davon betroffen sein können, dass sie keinen Änderungsbedarf bei dem Gesetz sieht.
Die Diskussion war in den Bundestagsfraktionen quer über die Fraktionen nicht einheitlich, und im Übrigen war auch im Kreis der Justizministerinnen und Justizminister jedweder Couleur die Sichtweise nicht einheitlich und zunächst durchaus unterschiedlich, ob man dort Änderung vornehmen soll oder nicht. Wir konnten es in unserer Argumentation mit der sachlichen Arbeit erreichen, dass wir dort ein Meinungsbild der Justizminister erreicht haben, die in großer Mehrheit gesagt haben, ja, wir werden einen solchen Änderungsbedarf befürworten, unabhängig von der Partei. Insofern ist Politik manchmal das Bohren dickerer Bretter.
Dann ist es in einer zweiten Sache gelungen, dass wir das in der gemeinsamen Anstrengung zur Großen Koalition vereinbart haben. Es war circa 16:15 Uhr, als Herr Kollege Baldauf in der Debatte heute Nachmittag große Ausführungen dazu gemacht hat, was man, weil man in Berlin gemeinsam regiert, auch gemeinsam umsetzt. Die Fortschreibung des § 174 steht in der Koalitionsvereinbarung. Ich bin mit dem Bundesjustizminister darüber im Gespräch, und er hat zugesagt – ich kann das hier sagen –, dass die Vorschläge des Bundesjustizministeriums unter Einbeziehung dessen, was wir in RheinlandPfalz erarbeitet haben, in der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung im Frühjahr präsentiert werden.
Ich glaube, das ist die schnellste Möglichkeit, wie der Justizminister aus Rheinland-Pfalz mit dafür Sorge getragen hat, dass unser gemeinsames Anliegen auf der Bundesebene umgesetzt wird.
Deshalb habe ich Ihre Worte und auch das, was Sie mir in der Presseerklärung unterstellten, nämlich Untätigkeit,
Meine Damen und Herren, ich will ausgangs der Rede noch einmal verdeutlichen, was der Kollege Sippel gesagt hat. Wir haben in Rheinland-Pfalz das Schulgesetz geändert, was wir auf Landesebene machen konnten. Frau Kollegin Ahnen hat das in enger Absprache veranlasst. Wir haben die entsprechenden Möglichkeiten disziplinarrechtlich gegeben.
Wir haben immer gesagt – dazu stehe ich –, dass der Beschluss des Landtags, den wir gemeinsam getroffen haben, umgesetzt und § 174 weiterentwickelt wird.
Dabei hat nicht jemand etwas über Nacht geschrieben, sondern meine sehr qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich in den langen Sitzungen, die auf Länderebene stattgefunden haben, damit auseinandergesetzt, wie man das formuliert und wie vernünftige Vorschläge aussehen.
Ich habe auch schon einmal skizziert, was darunter zu verstehen ist, nämlich einmal das Herausschieben der Ruhensregelung für die Verjährung, § 182, dass die Verjährung erst dann anläuft, wenn die Jugendlichen oder die Kinder 21 sind, sodass sie sich überlegen können, ob sie einen Strafantrag selbst stellen oder nicht. Das ist vernünftig.
Wir knüpfen daran an, dass man sagt, diese Verantwortung ist im Rahmen eines Über- oder Unterordnungsverhältnisses gegeben, und das im Übrigen bei allen Erziehungsverhältnissen, also kein Sonderrecht für Lehrerinnen und Lehrer.
Dort wollen wir ansetzen. Wir halten das für einen erfolgreichen Ansatz, bei dem auch das, was Frau Raue sagt, die Bestimmtheit eines solchen Strafparagrafen, in hinreichender Form gegeben und vernünftig vorhanden ist.
Lassen Sie mich abschließend aus einem Schreiben zitieren, was ich sonst eigentlich nicht mache. Es stammt vom Frau Dr. Merk, der früheren bayerischen Justizministerin. Sie schreibt mir: Gleichzeitig danke ich Ihnen ganz herzlich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie zuletzt bei unseren gemeinsamen Bemühungen für einen besseren Schutz von Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch durch Lehrer in der Schule. Ich freue mich, dass über Parteigrenzen hinweg unter Kolleginnen und Kollegen eine solche Zusammenarbeit möglich ist, und das oftmals besser als mit den rechtspolitischen Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag. –
Herr Kollege Bracht, Sie haben beanstandet, dass Herr Justizminister Hartloff gesagt habe, es sei „heuchle
risch“, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Zu beanstanden ist das Wort „Heuchler“ oder „Heuchelei“ nach Rücksprache mit dem Wissenschaftlichen Dienst. Es ist zwar grenzwertig, aber nicht zu beanstanden.
Herr Minister, ich bin dankbar, dass Sie noch einige für uns wichtige Ausführungen gemacht haben. Interessant ist aber doch, dass Sie den Gesetzentwurf, den es laut dem, was Sie am 31. Januar der Presse anvertraut haben, gibt, noch nicht vorgelegt haben. Ich würde ihn gern einmal sehen.
Dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger in der Angelegenheit ein Bremsklotz war, wussten wir alle hier. Das war schon am 30. August 2012 klar. Darüber haben wir uns im Ausschuss unterhalten. Aber ich meine, seit September ist Frau Leutheusser-Schnarrenberger Geschichte gewesen, auch wenn sie vielleicht vorübergehend noch im Amt war.
Es hat also genug Gelegenheit für Sie gegeben, in der Sache öffentlich aktiv zu werden. Wer hat Sie daran gehindert, wenn es diese Ausarbeitung bei Ihnen wirklich schon gibt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen? Das Land – Sie erinnern sich genauso gut wie ich – war in Aufruhr, als das Urteil des OLG Koblenz ergangen ist, und es war für alle hier im Land und auch für uns im Landtag ein wichtiges politisches Thema. Sie haben daraus aus unserer Sicht viel zu wenig gemacht.
Sie sind es vielleicht aus einem Grund schuldig geblieben, der auch heute wieder deutlich geworden ist, dass es in der Koalition zu diesem Thema ziemlich zu „rumpeln“ scheint.
Es ist nur mühsam durch den Kollegen Sippel überdeckt worden, der deutlich gemacht hat, dass die SPD nahe bei uns ist,
während sich Frau Raue etwas zurückhaltender geäußert hat, weil sie generell dem Strafrecht ein wenig zu misstrauen scheint.
Das könnte die Grundlage dafür sein, dass Sie sich bei dem Thema elegant aus der Affäre ziehen und sagen,
Ich denke, es wäre eine gute Sache gewesen, das Thema über den Bundesrat anzuschneiden. Dann hätten wir die Vorarbeit, die man mühevoll in der Justizministerkonferenz geleistet hat, fruchtbar einspeisen und dem Bundesjustizminister viel Arbeit ersparen können.
Ich bin gespannt, was Herr Maas aus der Sache macht. Ich darf auch für das geschätzte Publikum auf der Tribüne einmal zitieren, was in dem Koalitionsvertrag dazu steht. Dort steht nur – Sie haben es selbst in Ihrer Presseerklärung hineingeschrieben –: „Um einen lückenlosen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen zu gewährleisten, wollen wir den Straftatbestand eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen des § 174 SGB erweitern.“ – Wie, warum und wohin steht dort in keiner Weise, also kann sich jeder dabei denken, was er will.
Ich hätte es besser gefunden, Sie wären aktiv geworden. Den Vorwurf der Untätigkeit halte ich weiter aufrecht.
Dass Sie nach dem, was ich gesagt habe, den Vorwurf der Untätigkeit immer noch aufrechterhalten, bleibt Ihnen unbenommen. Wie es taktisch vernünftig ist, ein Ziel zu erreichen, ob man sehr platt etwas in die Öffentlichkeit gibt oder in den Bundesrat einbringt, obwohl man ganz genau weiß, dass es keine Aussicht auf Erfolg hat – das war im früheren Bundesrat und bei der Bundesregierung im Wahlkampfgetümmel genauso gewesen; das war die übereinstimmende Einschätzung aus Bayern und Rheinland-Pfalz –, dazu haben wir gesagt, wir wollen das zarte Pflänzchen der Fortformulierung eines sensiblen Strafparagrafen nicht verbrennen, sondern dann platzieren, wenn es Aussicht auf Erfolg hat.