Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht zur Lage der behinderten Menschen – ich benutze die Kurzform des langen Namens – ist ein Lagebericht. Ein Lagebericht ist, ganz egal, ob in der Wirtschaft, der Politik oder der Gesellschaft, eine Darstellung der Situation in vollem Umfang. Das heißt, ein Lagebericht sollte die Stärken und Chancen, aber genauso die Risiken und Schwächen aufzeigen.

Wenn wir den Bericht lesen, dann lesen wir von vielen Erfolgsmeldungen. Wir erleben eine Darstellung der

Stärken der rheinland-pfälzischen Politik. Das ist zugegebenermaßen nicht falsch. Es ist aber eben nur die eine Hälfte des Lageberichts.

(Beifall bei der CDU)

Auch wir erkennen an, dass Rheinland-Pfalz in den vergangenen Jahren viel in der Behindertenpolitik erreicht hat. Das ist auch etwas, was die Opposition durchaus mitgestaltet hat und mit unterstützt. Wir haben auch immer gewarnt, dass die Schnelligkeit bei der Umsetzung der Inklusion nicht zulasten der Qualität gehen darf.

(Beifall bei der CDU)

Außerdem gilt, wer sich auf Lorbeeren ausruht, fällt zurück. Wer Erwartungen schürt, muss auch mit diesen Erwartungen umgehen. Dass diese Erwartungen nicht immer eingehalten werden, zeigt sich in diesem Bericht, der uns vorliegt. Er kam verspätet, ohne die angekündigte Überarbeitung des Aktionsplans und ohne die vorher angekündigten Stellungnahmen der Kommunen und der anderen Akteure.

(Beifall der CDU)

Vielleicht war Ihnen auch selbst klar, dass das, was uns vorliegt, nur ein Teil, nämlich nur der Stärkenbericht ist und die Mängelseite fehlt. Vielleicht haben Sie uns deshalb auf die Schnelle einen sehr umfangreichen fünfseitigen Antrag vorgelegt. Keiner hatte die Chance, diesen Antrag fundiert durchzuarbeiten, wenn er ihn vor sich auf dem Tisch liegen sieht.

(Beifall bei der CDU)

Es sind – Herr Dröscher hat es angekündigt – Zukunftsaufgaben zusammengefasst. Zukunftsaufgaben sind Entwicklungspotenziale. Sie haben durchaus erkannt, dass im Lagebericht noch Ergänzungsbedarf besteht.

Wir haben in den vergangenen Monaten sehr viele Einrichtungen besucht und Gespräche mit Menschen mit Behinderungen, ihren Angehörigen, den Leistungserbringern und Kostenträgern geführt. Wir haben sehr viele Punkte erlebt und erfahren, die genauso zur Lage der Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz gehören, die aber keinen Eingang in den Bericht gefunden haben.

Deshalb nenne ich einige Beispiele. Ich komme zunächst zum Bereich Wohnen, Stichwort Wohnheime. Ja, die Träger haben schon lange erkannt, dass sie an den Strukturen etwas ändern müssen, wenn es in Richtung Inklusion geht. Im Bericht sind beispielsweise die Zukunftskonferenzen genannt. Nun fehlen aber die Mittel für die Umsetzung der von den Trägern entwickelten Konzepte für neue Wohnformen.

Da werden dann teils abenteuerliche Abrechnungskonstrukte entwickelt, um aus einem Wohnheim eine scheinbar ambulante Einrichtung zu machen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass bei Ambulantisierung der Bedarf an teilstationären und stationären Einrichtungen zurückgeht. Die Zahlen sprechen da eine ganz eigene

Sprache; denn die gesellschaftliche Entwicklung bringt es mit sich, dass immer weniger Familien Angehörige mit Beeinträchtigung auf Dauer selbst betreuen können. Gerade die immer größere Zahl von immer älter werdenden Eltern wartet ganz dringlich auf Lösungen für ihre inzwischen erwachsenen Kinder.

(Beifall der CDU)

Lösungen, die ausstehen; denn für den normalen Mietkostenzuschuss ist keine Wohngemeinschaft für Behinderte mit Betreuungsbedarf zu erhalten.

Stichwort Finanzierung, ein weiterer Punkt in diesem Kernthema. Die Rahmenvertragsverhandlungen zur Vergütung von ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen der Eingliederungshilfe liefen über viele Jahre. Im letzten Bericht zur Lage der Behinderten wurde noch ausführlich erläutert, dass die Landesregierung das Ziel verfolgt, die bisher einrichtungsbezogene Vergütungssystematik nun in eine personenbezogene umzuwandeln. Im neuen Bericht wird nun berichtet, dass der Erlass der Landesregierung vorbereitet wird. Inzwischen wissen wir, dass der Minister das Thema für gescheitert erklärt hat mit der Begründung, warten wir auf ein Bundesleistungsgesetz zur Eingliederungshilfe. Das ist aus meiner Sicht eine Bankrotterklärung.

(Beifall der CDU)

Sie führt dazu, dass es auch weiterhin ein Warten gibt, keine Planungssicherheit für die Einrichtungen und für die Menschen mit Behinderung. Nun soll es also der Bund richten. Das ist richtig. Die Reform der Eingliederungshilfe ist dringend nötig. Aber auch hier agiert Rheinland-Pfalz nicht besonders geschickt. Bevor inhaltliche Fragen geklärt sind, wird bereits von Minister Lewentz öffentlich über die Aufteilung der Gelder verhandelt und geredet.

(Staatsminister Lewentz: Das war vor der Koalitions- vereinbarung, liebe Kollegin!)

Ein typisches Beispiel für die Situation in RheinlandPfalz konnten wir gestern in der „Rheinpfalz“ lesen. In einem Bericht wird erläutert, wie ein Pflegeheim für Blinde noch im Oktober vom Minister eingeweiht wurde und immer noch leer steht, weil die Personalkosten im neuen Konzept höher sind als im alten.

Ich zitiere mit Erlaubnis aus einem Kommentar: Das Land hat der Einrichtung des Gebäudes nur zugestimmt, weil ein Nutzungskonzept vorlag, das wesentliche Verbesserungen für die Bewohner vorsieht. Die Personalkosten für die Umsetzung des Konzeptes, das ganz im Sinne der UN-Behindertenkonvention erstellt wurde, will die nachgeordnete Landesbehörde nun aber nicht über die Pflegesätze bezahlen. – Ja, geht`s noch? Da weiß wohl einmal wieder die Linke nicht, was die Rechte tut.

(Beifall der CDU)

Eine weitere Baustelle im Bereich Wohnen ist das Landesgesetz zu Wohnformen und Teilhabe – LWTG –. Es wurde novelliert. Inzwischen gibt es eine externe Evalua

tion, die noch im Gange ist. Aber die eigentliche externe Studie ist bereits im Internet abrufbar.

Auch hier zitiere ich Ergebnisse aus dieser externen Evaluation, dass gerade von kleineren Initiativen ausgehende Innovationsbemühungen durch das komplexe Geflecht von Regelungen und hohen Erwartungen an die Qualitätssicherung behindert werden. – Zu den gewünschten selbstorganisierten Wohnformen schreibt die Studie – ich zitiere –, es muss das bisherige Konzept des LWTG überdacht werden. Es bedarf einer in der Praxis handhabbaren Regelung, ohne Einladung zur Umgehung heimrechtlicher Vorschriften für Wohngruppen. –

Ich denke, das ist Ausdruck genug. Hier besteht Handlungsbedarf.

(Beifall bei der CDU)

Neues Thema, neue Baustelle, Persönliches Budget. Klar, gute Sache, es ist keine Frage, es verschafft mehr Eigenständigkeit. Das Persönliche Budget ist die Grundlage für Inklusion. Da sind wir uns alle einig. RheinlandPfalz ist Vorreiter. Das ist gut. Die Zahlen sind über Jahre rapide angestiegen. Was passiert nun? – Nun packt die Landesregierung die Kostenübernahme für die Persönlichen Budgets plötzlich in ein Gesamtpaket des kommunalen Finanzausgleichs. Es wird einfach festgelegt, dass von 10 % des Gesamttopfes des Finanzausgleichs, die sogenannten sozialen Schlüsselzuweisungen, vorab die Kosten für die Persönlichen Budgets entnommen werden, das heißt doch, je stärker die Kosten für das Persönliche Budget steigen, umso weniger bleibt den Kommunen für die übrigen Positionen.

(Beifall bei der CDU)

Anders gesagt, Kostensteigerungen im Persönlichen Budget gehen rein zulasten der Kommunen. Da wundert es doch nicht, wenn die Kommunen wenig Verhandlungsbereitschaft zeigen und mahnen, dass Inklusion auch finanzierbar sein müsse.

Damit sind wir bei dem anderen Bereich, Thema Schule, Inklusion in der Schule. Es gibt nun – das haben wir gestern gelernt – in Rheinland-Pfalz bald keinen Ressourcenvorbehalt mehr, das heißt, es gibt keinen Anspruch auf vernünftige Rahmenbedingungen der Inklusion.

(Staatsministerin Frau Ahnen: Völlig falsch!)

Ich vermisse im Lagebericht die Beschreibung der Situation an den Schwerpunktschulen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Uns wird landauf, landab von den Schulen berichtet, ja, wir wollen Inklusion, aber wir haben kein vernünftiges Konzept, keine Vorbereitung, keine Räume, keine zweite Kraft in den Gruppen und keine Mittel.

Erzieherinnen vertreten vehement den Anspruch, selbstverständlich brauchen wir eine zweite Kraft, wenn ein Kind mit Behinderung zu uns in die Gruppe kommt. Das

Land hat uns das zugesagt. Jetzt ist es an den Kreisen, das wieder richtigzustellen.

Noch vergangene Woche hat mir ein Schulleiter, der vom Konzept der Inklusion sehr überzeugt ist, berichtet, ja, wir haben ein Modellprojekt gemacht, es hat wunderbar funktioniert, wir waren begeistert. Sobald das Modellprojekt mit einem sehr positiven Bericht abgeschlossen und das auf die gesamte, sehr große Realschule plus umgesetzt wurde, haben wir alle Grenzen gespürt. Wir hatten nicht mehr die entsprechend erforderliche Anzahl an Förderlehrern, wir hatten nicht mehr die entsprechende Zahl von Integrationshelfern, wir hatten viel zu wenig Räume, und vor allem, wir hatten keine Regelungen, beispielsweise in welchen Stunden die Absprache zwischen den Teams aus Lehrern und Förderlehrern und Integrationshelfern geleistet werden soll. Das kann nicht zulasten des normalen Schulalltags gehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich wünsche mir im Sinne der Menschen mit Behinderung, dass Sozialpolitik nicht nur Schönwetterpolitik ist; denn Gesprächsrunden, Wettbewerbe, einzelne Leuchttürme reichen nicht aus. Es ist auch nicht mein Politikverständnis, die Schlagzeilen auf Landesebene zu machen und

(Pörksen, SPD: Da sind Sie gerade die Richtige, die das sagt!)

dann in falsch verstandener Subsidiarität die Aufgaben rund um die Inklusion auf Kommunen, Einrichtungen, Eltern zu delegieren. Lassen Sie uns deshalb eine ehrliche Analyse mit beiden Seiten der Medaille betreiben und gemeinsam nach Lösungen suchen.

(Beifall bei der CDU)

Danke.

Ich darf zunächst noch den Behindertenbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz, Herrn Matthias Rösch, zu diesem Thema sehr herzlich begrüßen!

(Beifall im Hause)

Jetzt haben wir eine Kurzintervention von Frau Kollegen Brück von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wieland, ich finde es schade, dass ich mich zu dieser Kurzintervention gezwungen fühle.