Protokoll der Sitzung vom 26.06.2014

Herr Präsident, nein, ich lasse mich nicht irremachen. Sie haben die Ordnung fest im Griff.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in das letzte Mai-Plenum den Antrag – Drucksache 16/3538 – eingebracht: „Bund-LänderFinanzbeziehungen transparent und grundlegend neu ordnen“.

Dieses Plenum hat am 15. Mai 2014 den Antrag an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen. Dort wurde er in seiner 52. Sitzung am 22. Mai 2014 beraten.

Der Ausschuss hat eine Beschlussempfehlung ausgesprochen: Der Antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der Fraktion der CDU anzunehmen.

Gleichzeitig hat man sich im Rahmen dieser Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses vereinbart, dass es zu einem Gespräch der Obleute und der haushaltspoliti

schen Sprecher über diesen Antrag und dieses Thema kommen soll. Dieses Gespräch hat auch stattgefunden. Es wurde in großen Punkten Einvernehmen erzielt. Unter anderem wurde gemeinschaftlich festgestellt, dass wir dieses Thema gemeinschaftlich weiter diskutieren wollen und das Thema mit diesem Antrag nicht seine Erledigung gefunden hat.

Wir begrüßen außerdem die Zusage des Finanzministeriums, im Rahmen der Haushalts- und Finanzausschussberatung den Ausschuss fortlaufend über die Verhandlungen in Berlin zu unterrichten.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer dem Antrag – Drucksache 16/3538 – zustimmen kann, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke. Wer stimmt dagegen? – Danke. Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU angenommen.

Wir kämen jetzt zu Punkt 22 der Tagesordnung „Zehnter Energiebericht des Landes Rheinland-Pfalz“ – Drucksache 16/3523 –. Nach Absprache der Fraktionsgeschäftsführer soll er abgesetzt werden.

Wir kommen damit zu Punkt 23 der Tagesordnung:

Landesstrategie zum demografischen Wandel

in Rheinland-Pfalz

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/3630 –

Wir haben eine Grundredezeit von 10 Minuten. Der Antrag wird zunächst von Frau Kollegin Thelen von der CDU-Fraktion begründet.

(Ramsauer, SPD: Diesmal sind es 10 Minuten!)

Danke sehr, ich habe nachgeschaut.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diesem Hohen Hause einen Antrag mit der Aufforderung vorgelegt, eine Landesstrategie zum demografischen Wandel in Rheinland-Pfalz zu erarbeiten. Nun mag der eine oder andere die Begriffe Demografie und Alterung der Gesellschaft fast nicht mehr hören, aber es ist eine Entwicklung, die uns noch viele weitere Jahre beschäftigen wird, die zum Teil dramatische Auswirkungen auf unser aller Leben haben wird. Dessen müssen wir uns immer wieder bewusst werden. Deshalb will ich zu Anfang nur ganz wenige Zahlen nennen.

Unsere Gesellschaft wird sich dramatisch verändern, wir werden weniger und älter und sicherlich auch vielfältiger

werden, was die Herkunft der Mitbewohner angeht, aber auch was die Lebensformen angehen wird.

Wir werden bis 2030 auf 3,77 Millionen zurückgehen, was unsere jetzt noch 4 Millionen Einwohner hier in Rheinland-Pfalz angeht. Bis 2060 werden wir noch bei knapp 3,2 Millionen liegen.

Dabei steigt der Anteil der Älteren, weil wir durch diesen Pillenknick immer weniger Jüngere bekommen. Demnächst macht sich noch einmal dramatisch bemerkbar, dass die potenzielle Müttergeneration schon deutlich weniger wird. Die Mütter, die nicht da sind, können keine Kinder bekommen.

Die Projektion für 2060 heißt, dass von 100 Einwohnern der Anteil der Menschen über 65 Jahre bei 34 liegen wird. Nur noch 51 werden im erwerbsfähigen Alter sein, und auch nur noch 15 werden unter 20 Jahre alt sein. Dann kann man sich ausrechnen, was das im Alltag bedeuten wird.

Wir haben vor Kurzem im Landtag über eine Studie diskutiert, die deutlich gemacht hat, wie dramatisch die Wirkungen im Gesundheitsbereich sein werden. Gerade dort werden wir 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit 5.700 Ärztestellen und – was noch dramatischer sein wird – 19.100 Pflegestellen zu wenig haben.

Wenn wir einmal überlegen, wir haben das Jahr 2014. Das sind gerade einmal 16 Jahre.

Im Prinzip müssen jetzt schon junge Menschen für sich entscheiden, ich habe Interesse, diesen Beruf zu ergreifen. Sie müssen wir ausbilden können, um die dramatische Entwicklung in den Griff zu bekommen.

Ich habe für mich ein Bild, das vielleicht ein bisschen verdeutlichen kann, was tatsächlich an Veränderungen auf die Gesellschaft zukommt. Für mich ist der demografische Wandel fast so etwas wie ein Tsunami in Zeitlupe. Wir alle wissen leider seit einigen Jahren, wie dramatisch die Zerstörungskräfte eines Tsunamis sein können. Er kommt hier in diesem Fall sehr langsam, aber genauso beharrlich.

Wir sagen, es ist fünf vor zwölf, um politisch die Dämme und die Kanäle zu bauen, die nötig sind, damit seine Wirkung nicht so dramatisch ist, wie wir es ohne diese politischen Entscheidungen befürchten müssen, damit nicht Strukturen zerschlagen werden, Menschen nachher vereinsamen und ohne ausreichende Versorgung bei uns in Rheinland-Pfalz, insbesondere im ländlichen Raum, leben müssen.

Wir sagen, es ist fünf vor zwölf. Wir brauchen, um dieser Entwicklung gegenzusteuern, eine Demografiepolitik, die flächendeckend – das ist eine entscheidende Aussage – alle Lebensbereiche in den Blick nimmt, die Ausgangslage in den unterschiedlichen Lebensbereichen analysiert, klare Zielsetzungen und notwendige Maßnahmen mit allen Akteuren abstimmt und dabei auch die Aufgaben und die Finanzierungsverantwortung klar vereinbart.

Wir haben den Eindruck, dass diese Landesregierung an dieser Stelle bislang versagt. Wir sind der Überzeugung,

dass das, was die Landesregierung tut – wir sagen nicht, dass sie nichts tut; die Landesregierung tut an einigen Stellen etwas, was gegen diese Entwicklung helfen soll –, auf keiner vernünftigen Konzeption basiert. Es hängt an manchen Stellen eher von Zufällen ab, ob etwas getan wird.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich will dazu gleich noch ein Beispiel nennen.

Es werden Annahmen und Unterstellungen zugrunde gelegt. Wenn diese nicht eintreffen, ist das Bauwerk, das man darauf errichtet, zum Einsturz verurteilt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb sind wir der Überzeugung, dass es notwendig ist, diese Dinge in eine Landesstrategie zusammenzuführen und sie wirklich konzeptionell sauber anzulegen.

Was meine ich mit diesen Annahmen und Unterstellungen? Zum Teil ist es schön formuliert, man könnte fast von Prosa sprechen, was von der Landesregierung zum Thema Demografiepolitik gesagt wird.

Ich habe mir ein Kapitel herausgegriffen, das überschrieben ist – das kann jeder auf den entsprechenden Seiten des Landesministeriums nachlesen – mit „Generationen, Vielfalt, Miteinander“.

Dort wird beschrieben: „Das Alter wird bunter und vielfältiger. Viele vor allem jüngere Ältere sind voller Energie und Tatendrang. Sie möchten fit und mobil bleiben und ihre Lebenserfahrung und ihre Kompetenzen weiter aktiv in die Gesellschaft einbringen. Hilfe- und pflegebedürftige ältere Menschen haben den Wunsch, möglichst lange selbstbestimmt und in ihrer vertrauten Umgebung zu leben. Sie alle wollen eingebunden sein in Familie und Nachbarschaft und wünschen sich ein gutes Miteinander der Generationen. Die Landesregierung nimmt diese Wünsche der Menschen ernst und setzt sich für ein gutes, selbstbestimmtes Leben im Alter ein.“ Dann verweist sie auf den Aktionsplan „Gut leben im Alter“.

Jetzt möchte ich Ihren Blick auf eine ganz reale, aktuelle Lebenssituation in Rheinland-Pfalz in Zweibrücken hinführen. Das ist eine Region in der Südwestpfalz in Rheinland-Pfalz, die leider an der Spitze der Entwicklung der Alterung und der Abnahme unserer Bevölkerung steht. Das heißt, dort sind heute schon Lebenssituationen anzutreffen, wie wir sie in Zukunft auch in vielen anderen Bereichen unseres Landes antreffen werden.

Ich denke, der eine oder andere wird mir recht geben, dass auch er selbst vielleicht in der eigenen Stadt, im eigenen Ort solche Situationen kennt, wo das Handeln heute schon nottut.

Wir waren letzte Woche in Zweibrücken in einem Quartierstreff. Dieser Quartierstreff ist entstanden, weil das DRK dort eine mobile Sozialstation hat und durch die Betreuung alter Menschen erfahren hat, dort gibt es ganz viele alte, einsame Menschen, die mit ihrem Lebensalltag nicht mehr zurechtkommen, die sich untereinander nicht helfen, wo es keine Verbindung zur Nachbarschaft gibt und wo wir dringend helfen müssen, um

dort dafür zu sorgen, dass diese Menschen noch möglichst lange in ihrer Umgebung leben bleiben können.

(Beifall der CDU)

Es sind etwa 400 Wohnungen, die dieser Quartierstreff betreut. Das ist ein Wohngebiet aus Anfang der 50erJahre, damals überwiegend bezogen von den Vertriebenen, die sich hier niederließen, von denen man denken würde, sie haben alle ein gemeinsames Schicksal, also liegt es nahe, dass dort die Nachbarschaft und die Hilfe untereinander funktionieren – weit gefehlt.

Das ist eine der Annahmen – die meine ich damit – in Ihren Ausführungen, die nicht belastbar ist. Die Realität sieht zum Teil völlig anders aus.

80 % dieser Menschen in den Wohnungen dort leben allein, das Durchschnittsalter ist 73 Jahre. Sie haben nun mit diesem Quartierstreff einmal den Anstoß gegeben, dass sich diese Menschen treffen und man einmal erfährt, welche Altershilfe nötig ist und wie man sich gegenseitig helfen kann. Man unternimmt etwas miteinander, aber es ist eine sehr mühsame Arbeit, den Menschen die Hemmschwellen zu nehmen, dort hinzugehen.

Im Prinzip sind sich alle einig: Eigentlich hätten wir schon vor zehn Jahren in diesem Quartier anfangen müssen, damit wir, wenn die Menschen schon 73 Jahre alt sind, wenn Pflegebedarfe und Mobilitätseinschränkungen hinzukommen, nicht doch in die Situation geraten werden, dass einige Menschen eben nicht mehr dort werden bleiben können. Es sind Häuser mit vier Stockwerken, und es sind vielleicht mit Mühe die ebenerdigen Wohnungen barrierefrei zu gestalten; aber alles andere wird nicht gelingen.

(Beifall der CDU)

Wir wollen deshalb, dass Sie als Landesregierung mit allen Akteuren in Rheinland-Pfalz die Lebenssituation in den Blick nehmen. Wir haben hierzu fünf Kernfelder beschrieben, von denen wir der Überzeugung sind, dass dort die Hauptkompetenzen eines Landes liegen und bei denen mit den Kommunen sowie mit anderen Akteuren auch viel bewegt werden kann, wenn man es strategisch angeht. Es geht um den sozialen Zusammenhalt, den wir sichern müssen; das habe ich Ihnen soeben mit dem Beispiel beschrieben.