Protokoll der Sitzung vom 18.08.2011

Verstöße gegen diese Pflicht, sich nur in diesem teilweise recht überschaubaren Gebiet aufzuhalten, werden mit Geldstrafen und sogar Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geahndet. Häufig aus Unwissenheit begangen, zählt ein solcher Aufenthalt außerhalb des relativ schmalen Bewegungsradius als opferlose Straftat und trägt somit zu einer verzerrten Kriminalitätsstatistik für Asylsuchende bei.

Eine solch massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit steht aus unserer Sicht einem modernen, liberalen Menschenbild entgegen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Meinung sind übrigens auch die zahlreichen Organisationen und Verbände im Bereich der Flüchtlingsarbeit sowie die Kirchen; denn die Aufnahme eines Schutzsuchenden stellt nicht nur die humanitäre Verpflichtung einer Gesellschaft dar, nein, sie hat auch etwas mit Nächstenliebe zu tun. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist eine sehr drastische Maßnahme, die eine selbstbestimmte Lebensgestaltung kaum noch ermöglicht. Die Ausübung der Religionsfreiheit, die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, das Aufsuchen von Ärztinnen und Ärzten oder einer Klinik, der Besuch von Verwandten oder Bekannten, das Aufsuchen von Bildungseinrichtungen, die Inanspruchnahme rechtlicher Hilfen oder schlicht und ergreifend die Suche nach Ausbildung und Arbeit – all dies stellen selbstverständliche Aspekte des alltäglichen Lebens dar, die für Asylsuchende nur nach vorheriger Beantragung, der Zahlung einer Gebühr und der Ausstellung eines sogenannten Urlaubsscheines möglich sind. –

Als ob es nicht schon perfide genug ist, einer Behörde überhaupt mitteilen zu müssen, weshalb man sich von A nach B bewegt! – Dass dieser unnötige behördliche Akt auch noch in die Erteilung eines Urlaubsscheines mündet, ist eine im besten Sinne zynische Wortwahl, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die bisherige Beschränkung der Bewegungsfreiheit stellt eine unnötige Schikane der Asylsuchenden dar und gehört als Überbleibsel eines völlig unverhältnismäßigen Sicherheitsdenkens von konservativen politischen Kräften aus den 80ern und somit als handfester politischer Müll endlich fachgerecht entsorgt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Kurzum, diese Gängelung, dieser unnötige bürokratische Aufwand, die Kosten für eine Erlaubnis – dies alles schränkt die Betroffenen massiv ein und kostet unnötig Zeit und Geld. Wir wollen sowohl den Betroffenen als auch den Behörden das Leben erleichtern. Die Residenzpflicht ist aber im Asylverfahrensgesetz verankert, es ist also Bundesrecht, und die Landesregierung kann diese Regelung leider nicht einfach streichen. Sie kann aber als Regierung eines Bundeslandes eine Verordnung erlassen, wodurch die Bewegungsfreiheit auf das gesamte Bundesland Rheinland-Pfalz ausgedehnt wird und somit die Gängelung der Residenzpflicht für Rheinland-Pfalz faktisch abgeschafft wäre.

Zugleich – und auch diesen zweiten wichtigen Aspekt sieht der Antrag vor – soll die Gebührenfreiheit sichergestellt werden. Viele Behörden erteilen die Erlaubnis, sich aus bestimmten Gründen auch außerhalb des zuständigen Bereiches der Ausländerbehörde bewegen zu dürfen, nur verbunden mit einem Obolus in Höhe von etwa 10 Euro. Was auf den ersten Blick kein hoher Betrag erscheint, erweist sich für Asylsuchende in der Praxis oftmals als finanziell kaum zu leistende Hürde. Viele leben von einem Taschengeld in Höhe von etwa 40 Euro monatlich. Daher ist es uns wichtig, diese den Verwaltungsaufwand nicht lohnende Gebühr ebenfalls abzuschaffen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schlussendlich beinhaltet der Antrag auch, sich für eine Abschaffung der Residenzpflicht auf Bundesebene einzusetzen. Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, mit einer entsprechenden Bundesratsinitiative das Ende der Residenzpflicht einzuläuten; denn dies wäre ein wichtiger Schritt für Asylsuchende in der ganzen Bundesrepublik, damit dieser europaweit einzigartigen Gängelung endlich ein Ende gesetzt wird und wir einen wichtigen Schritt vorankommen auf dem langen Weg zu einer humaneren Politik für Flüchtlinge. Daher möchte ich Sie bitten, dem Antrag „Landesweite Bewegungsfreiheit für Asylsuchende – für ein modernes und aufgeschlossenes Aufenthaltsrecht“ zuzustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Kohnle-Gross das Wort.

Frau Präsidentin! Frau Kollegin Spiegel, ich möchte Ihnen nicht nur einen Glückwunsch zu Ihrem neugeborenen Kind aussprechen, sondern auch zu dieser engagierten Rede im Parlament. Ich muss etwas Wasser in den Wein gießen; denn ich glaube, es ist notwendig, dass wir uns auf den rechtlichen Hintergrund dieses Antrags zurückziehen und einige Dinge klarstellen. Ich denke, auch die zuständige Ministerin für Migration wird das Ihre dazu sagen. Wir haben in diesem Bereich eine neue Zuständigkeit.

Dieser Antrag gibt in etwa das wieder, was Frau Kollegin Spiegel so engagiert vorgetragen hat. Ich will als Vorbemerkung sagen – was ich sonst eigentlich noch nie getan habe –, dass ich mich bei meinen Ausführungen auf mehrere Dinge beziehen werde und beziehen muss, weil ich selbst zunächst diese gesamten Kenntnisse gar nicht hatte, bevor ich mich mit diesem Antrag beschäftigt habe.

Ich nenne zunächst einmal die EU-Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, und ich beziehe mich auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und die Antwort der Bundesregierung vom 20. September 2010, also noch relativ neu. Ich beziehe mich aber auch auf das Gesetzgebungsverfahren aus diesem Jahr im Deutschen Bundestag, als es um die Veränderung verschiedener ausländer- und asylrechtlicher Fragen ging. Frau Kollegin, es scheint Ihnen nicht ganz klar gewesen zu sein, dass es dort bereits Veränderungen gegeben hat. Ich beziehe mich auch auf die entsprechenden Kleinen Anfragen der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in verschiedenen Parlamenten. Ich nenne beispielhaft das Land Brandenburg, damit nicht der Eindruck entsteht, dies sei CDUlastig.

Sie haben im Zusammenhang mit der Residenzpflicht die Asylbewerberinnen und die Duldungsinhaberinnen benannt. Sie haben sich zunächst auf die Asylbewerberinnen und -bewerber in Ihrem Antrag bezogen.

(Frau Spiegel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nur!)

Die Geduldeten haben Sie ganz außer Acht gelassen; denn für sie gilt eine andere Regelung. Für sie gilt die Residenzpflicht für ein Bundesland. Sie haben also schon weitergehende Rechte.

Sie haben angeführt, dass es in der Tat in RheinlandPfalz nicht nur für die Asylbewerberinnen und -bewerber darum geht, sich im Bereich ihrer Ausländerbehörde frei

bewegen zu dürfen, sondern auch in den alten Regierungsbezirken. Das ist im Übrigen auch in Hessen so.

Der Punkt ist, Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union – dies haben Sie auch in der Presse verkündet –, in dem eine Residenzpflicht existiert.

(Frau Spiegel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In dieser Form!)

Ich komme nun auf die Große Anfrage aus dem Deutschen Bundestag zu sprechen, die ich soeben erwähnt habe. Dort ist auf die EU-Richtlinie und ihre Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten außer Deutschland Bezug genommen worden.

Es wurde gebeten zu prüfen, welche anderen EUStaaten von der Möglichkeit der EU-Aufnahmerichtlinie Gebrauch gemacht haben, den Aufenthalt bzw. die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden räumlich zu beschränken, und wie entsprechende Regelungen ausgestaltet sind. Antwort: Einige Mitgliedstaaten behalten sich das Recht auf Einschränkung der Bewegungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung vor. In anderen Mitgliedstaaten ist die Bewegungsfreiheit faktisch eingeschränkt, da sich Asylbewerber zu bestimmten Zeitpunkten melden oder in ihren Unterkunftszentren bleiben müssen.

Einige Mitgliedstaaten erlauben es Asylbewerbern aber nicht, ihren Wohnsitz zu wählen. Andere erlauben dies nur unter bestimmten Umständen oder in einer bestimmten Phase des Asylverfahrens. Nur wenige Mitgliedstaaten lassen den Asylbewerbern vollständig die freie Wahl des Aufenthalts. So viel zu der Behauptung, dass es nur in Deutschland so etwas nach der EU-Aufnahmerichtlinie gibt.

Dann führen Sie aus – da haben Sie recht –, dass der Verstoß gegen diese aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen – das ist ein Nebenstrafrecht in den entsprechenden Gesetzen – zunächst natürlich zu einer Ordnungswidrigkeit führt und dann auch im Ausnahmefall und nach mehrfachem Verstoß gegen diese Regelung zu einer Gefängnisstrafe führen kann.

Ich habe mir die Zahlen angeschaut, die in den Kleinen Anfragen zum Besten gegeben worden sind. Sie wissen, dass diese Ausländerstraftaten sehr häufig im Zusammenhang mit anderen Dingen zur Anzeige bzw. zur Strafverfolgung kommen. Es sind nur einige wenige Tausend in der ganzen Bundesrepublik, die hier tatsächlich eine Rolle spielen.

(Frau Sahler-Fesel: Das ist doch nicht wahr!)

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es ganz viele Asylbewerber, Flüchtlinge und Geduldete gibt, die sich an die Regeln halten. Ich glaube, dass man auch denen einmal das entsprechende Gehör geben müsste und nicht nur an die denken sollte, die sich nicht an die von uns und unseren Parlamenten aufgestellten Regeln halten.

Meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage, wie wir diese Residenzpflicht auch in Deutschland bewerten.

Die LINKEN sprechen von einem Eingriff in die Privatsphäre. Sie sprechen von einem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und bedauern, dass es zu einer verstärkten Isolation von Asylsuchenden kommt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits im Jahr 1997 mit diesen Regelungen befasst und sie für ein geeignetes Instrument zur Durchsetzung der berechtigten Interessen in der Ausländer- und Asylpolitik befunden. Das möchte ich schon mit einführen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle schon sagen – vielleicht kommt es nachher noch einmal in dem Zusammenhang –, beim Gesetzgebungsverfahren im Frühjahr im Deutschen Bundestag hat sich auch die SPDBundestagsfraktion mit der Residenzpflicht so wie hier auch in der entsprechenden Enquete-Kommission auseinandergesetzt. Die SPD-Fraktion hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ihr wichtig ist, dass sich diese Einschränkungen bzw. die Aufweichung dieser Residenzpflicht nicht auf die Zuweisung zu einer bestimmten Ausländerbehörde zu einem bestimmten Wohnsitz beziehen, sondern sie sieht auch, dass die Durchsetzung der entsprechenden rechtlichen Regelung dieser Wohnsitzbestimmung und auch die gleichmäßige Verteilung im Land und auch der Kosten ein wichtiges Argument sind, sich eindeutig für diese Zuweisung auszusprechen. Trotzdem will sie auch etwas für die Veränderung der Residenzpflicht machen.

Ich komme jetzt noch einmal auf das Gesetzgebungsverfahren zurück, damit Sie das auch noch einmal zur Kenntnis nehmen. Beim Gesetzgebungsverfahren in diesem Jahr hat die CDU/CSU gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen – die FDP hat letztendlich auch mitgestimmt, aber sie hatte einen anderen Ansatz, das wissen Sie aus den Koalitionsvereinbarungen – bestimmt, dass es bereits jetzt auf Bundesebene Änderungen gibt, dass man nämlich, wenn man einen Beruf oder eine Ausbildung aufnimmt, sich schon frei in der Bundesrepublik Deutschland bewegen kann, was über das hinausgeht, was die Residenzpflicht bisher bedeutet hat.

Sie haben noch einmal die Gebühren angesprochen. In der Tat, wenn es in Rheinland-Pfalz so wäre, dass es Gebühren kostet, was auch die Bundesregierung in Ihrer Antwort noch einmal festgestellt hat, dann ist das in der Tat Landesrecht, und dann muss die Landesregierung, wenn es hier so wäre – ich habe keinen Beleg dafür, dass in Rheinland-Pfalz Gebühren dafür genommen werden, aber die Umsetzung der Asyl- und Ausländergesetze ist Ländersache, und dann eben auch die Frage, ob Gebühren erhoben werden –, das klären und lösen.

Ich gebe zu, mir hat gefallen, was Sie auch ganz kurz angesprochen haben, dass es nämlich z. B. bei der Regelung zwischen Brandenburg und Berlin eine Vereinbarung gibt, dass es möglich sein muss, dass Menschen, die in Brandenburg als Asylbewerber oder Geduldete leben, nach Berlin gehen können. Das Argument der eben von mir schon angesprochenen Kleinen Anfrage in Brandenburg ist, dass man die Möglichkeit geben möchte, zu muttersprachlichem Unterricht oder zu bestimmten Religionsgemeinschaften, zu Religionsunterricht oder zu bestimmten Gottesdiensten zu gehen. Sie

haben die Arztbesuche und andere Dinge genannt. Wenn man die Regierungsbezirke und auch die kulturellen Ereignisse betrachtet, so denke ich, ist das sicherlich nicht das vorrangige Problem.

Wenn Sie diese Dinge so ansprechen, ist das klar. Ich komme noch einmal auf III erster Spiegelstrich zu sprechen. Dort gehen Sie in Ihrer Forderung an die Landesregierung darauf ein, dass Sie § 58 Abs. 6 des Asylverfahrensgesetzes dahin gehend verändert haben wollen, dass eine Rechtsverordnung in Rheinland-Pfalz zukünftig Asylsuchenden, nicht geduldeten Menschen, erlauben soll, sich in ganz Rheinland-Pfalz vorübergehend aufzuhalten. Das – so jedenfalls nach einer Anfrage im Lande Hessen – widerspricht dem Bundesrecht. Das dürfte – so jedenfalls die Einschätzung dort – nicht ohne Weiteres möglich sein. Vielleicht sehen Sie das hier in Rheinland-Pfalz anders. Frau Ministerin, das muss von Ihrer Seite sicher auch noch einmal dargelegt werden. Wenn, dann muss man das hier noch einmal so sagen.

Insgesamt gesehen wollte ich darauf eingehen, dass die Rechtsgrundlagen, aber auch die tatsächliche Situation, die hinter diesem Antrag steht, bei aller Beachtung menschlicher Interessen und auch Situationen, so denke ich, noch ein Stück weit andere sind und wir über diese Hürden nicht so leicht hinwegkommen.

Ich habe jetzt gehört, Sie wollen gleich heute über den Antrag abstimmen. Er wäre es nach meinem Dafürhalten wert gewesen, im Ausschuss noch einmal ausführlicher betrachtet zu werden, wo eventuell noch falsche Dinge stehen oder Dinge noch einmal verändert werden müssen.

Wenn Sie heute darüber abstimmen lassen wollen, dann können wir diesem Antrag so nicht zustimmen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Sahler-Fesel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! in Anbetracht der Zeit möchte ich lediglich ergänzen und einige Irrtümer von Frau Kohnle-Gros klarstellen.

Wir haben vor gut zwei Jahren, nämlich im Jahr 2009 auf Antrag aller damals im Haus vertretenen Fraktionen die Enquete-Kommission „Integration und Migration“ ins Leben gerufen, die unter Vorsitz meines Kollegen Dieter Klöckner sehr intensiv den Auftrag wahrgenommen hat, sich mit der Lebenssituation der in Rheinland-Pfalz lebenden Migrantinnen und Migranten zu beschäftigen.

Einer dieser Schwerpunkte war natürlich auch die Situation der Asylsuchenden in Rheinland-Pfalz. Hier ist es

tatsächlich so, dass das Asylrecht im Asylverfahrensgesetz geregelt ist. Dort ist tatsächlich der Aufenthalt nur in der Region gestattet, in der die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt.