Herr Präsident, Frau Ministerpräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen wie wir sind morgens aus dem Haus gegangen, haben ihre Familien verlassen, um abends wieder nach Hause zu kehren. Aber sie sind nicht nach Hause gekehrt. Warum? – Weil ihre Meinung und ihre Haltung ihren Mördern nicht gepasst haben, den kaltblütigen Mördern, die glaubten, dass ihre Meinung absolut ist, und die das von einem Gott hergeleitet haben. Aber es kann niemals im Sinne einer Religion sein, dass Menschen, die eine andere Haltung haben, nicht mehr das Recht haben zu leben.
Terror hat es leider schon immer gegeben. Terror gibt es jeden Tag auf dieser Welt, und jeden Tag, auch während wir hier sitzen, sterben Menschen, weil andere glauben, entscheiden zu können, ob ihr Leben es wert ist, gelebt zu werden, oder nicht – seien es Bomben in Tunesien, Enthauptungen im Irak, Brutalität in Syrien, Massenmorde an Kindern in Pakistan, oder denken wir an Sydney, Ottawa und Brüssel. Weit weg – das war lange Zeit unsere Vorstellung, und dann sind es viereinhalb Stunden mit dem Zug nach Paris.
Der Terror: Drei Gruppen waren im Visier, nämlich Journalisten, Polizisten, die ihren Dienst taten, und die Glaubensgemeinschaft der Juden. Die Bilder gehen einem nicht aus dem Kopf. Aber zum Glück gehen einem auch andere Bilder nicht aus dem Kopf: Bilder der Gegenreaktion und der Gegendemonstrationen, nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa und sogar auf der ganzen Welt. Und die Stimme für Frieden und Freiheit ist lauter. Sie muss nicht nur lauter sein, sondern sie ist lauter als die Stimme der Extremisten.
Wer die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit angreift, greift die Demokratie an. Wer Frankreich angreift, greift auch Deutschland an. Wenn es in einem Land keine Pressefreiheit gibt, gibt es keine Bürger, sondern nur Untertanen. Der Bericht der „Reporter ohne Grenzen“ bescheinigt für 2014 66 getötete Journalisten, die gestorben sind, weil sie ihren Beruf ausgeübt haben. Etwa 200 Journalisten sind in Haft, über 100 werden verfolgt. Ich finde es gut und richtig, dass diesem Terror keine Selbstzensur in unserer freien und offenen Gesellschaft gefolgt ist.
Natürlich ist nicht jeder, der hier sitzt, jeden Tag froh, wenn er den „Pressespiegel“ liest. Aber wir müssen alles dafür tun, dass eine freie Meinungsäußerung und eine freie Presse möglich sind, und wenn es einem nicht passt, muss man mit dem Instrument der Argumente, also des Wortes, vorgehen. Man kann in einem Rechtsstaat sogar juristisch vorgehen, aber niemals mit Gewalt und mit Terror. Keine Biografie, und sei das Leben noch so schwer, kann Mord und Terror rechtfertigen.
Der große Trauermarsch führte – gerade mit Blick auf unseren Kontinent – Europa zusammen. Es war auch ein großer europäischer Moment; denn wir haben gespürt, wir teilen gemeinsame Werte, weil wir gemeinsam über etwas Schreckliches trauern, aber auch in dem, was wir wollen, vereint sind. „Je suis Charlie“ – Menschen brachten zum Ausdruck, wie wichtig ihnen Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Freiheit der Kunst sind. In einer freien Gesellschaft kann es keine entartete Kunst geben. Auch wenn wir vielleicht noch nie eine Ausgabe des Magazins „Charlie Hebdo“ gekauft haben und auch nie eine kaufen werden, sprechen wir uns doch für das Prinzip der freien Meinungsäußerung aus. Dieses Signal sollte heute von uns ausgehen, und das tut es auch fraktionsübergreifend.
„Je suis Ahmed“ – dieses Schild trugen einige im Gedenken an den französischen Polizisten muslimischen Glaubens, der andere schützen wollte. Das Schild „Je suis flic“ drückte den Respekt vor den Polizisten aus; „Je suis juif“ – ich bin Jude – stand auf einem weiteren Schild.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Zukunft heißt Europa, ein Europa des Friedens, der Freiheit und der gemeinsamen Werte. Es war ein mühsamer Weg des Ringens von der Französischen Revolution über das Hambacher Fest bis zur Revolution von 1848. Diese Freiheit wollen wir nicht an einem Tag hergeben, an dem wir geschockt sind. Aber an den restlichen Tagen des Jahres sind wir nicht geschockt, sondern wir sind gefasst.
Ich bin froh, jüngst wieder Seyran Ates, eine Muslimin, getroffen zu haben. Sie hat ein Schild hochgehalten, in dem auf Deutsch stand: „Ich bin Muslimin. Ich will leben, nicht Leben nehmen – Kein Morden im Namen Gottes“. Wichtig ist der Grundkonsens für unsere obersten Werte eines Gemeinwesens. Dieses Gemeinwesen ist ein gutes Gemeinwesen. Es ist der Zusammenhalt. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich hier geboren wurde. Das
ist kein Zutun meinerseits. Aber unsere Aufgabe ist es, dieses Gemeinwesen für die kommende Generation zu verteidigen und diesen Wert hochzuhalten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die feigen Morde, die in Paris geschehen sind, haben uns alle sehr betroffen und traurig gemacht. Es handelt sich um Anschläge auf unsere offene Gesellschaft. Es handelt sich um Anschläge auf die Pressefreiheit. Es handelt sich um Anschläge auf unsere Freiheit. Es handelt sich um Anschläge auf unsere Vorstellung von Weltoffenheit und von Toleranz. Es handelt sich um Anschläge auf unsere pluralistische Gesellschaft, auf unsere pluralistische und vielfältige Demokratie. Solche feigen Taten sind durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen, schon gar nicht durch den Glauben – an welchen Gott auch immer.
Ich glaube auch, dass diese Anschläge im Kern nicht nur Anschläge auf unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft waren, sondern dass es sich im Kern um Anschläge auf den Islam gehandelt hat, auch auf die Musliminnen und Muslime, die in großer Zahl bei uns leben, bei uns arbeiten und unsere Gesellschaft mitgestalten und bereichern. Keine religiöse Begründung, kein Verweis auf Gott oder einen Propheten kann eine solch schreckliche Tat rechtfertigen. Erlauben Sie mir, das mit einem Zitat zu belegen: Wenn jemand einen Menschen tötet, so soll es sein, als hätte er die ganze Menschheit getötet. Und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten. – Das Zitat stammt aus dem Heiligen Koran, Sure 5, Vers 32. Es steht in ähnlicher Form bereits im babylonischen Talmud. Das zeigt uns doch, das, was uns eint, ist mehr als das, was uns trennt.
Gerade in Europa, getrieben vom Geist der Aufklärung, zu den bürgerlichen Freiheitsrechten und den Prinzipien der gemeinschaftlichen Solidarität kommend, sei es aus jüdisch-christlicher Tradition oder aus einer Tradition der Vernunft, der Aufklärung – möglicherweise sind viele darunter, die gar keiner Religion zugehören –, stellen wir fest, dass sich auch viele Muslime in unserer Gesellschaft den gleichen Werten, den gleichen Menschenrechten und den gleichen Solidaritätsgedanken verpflichtet fühlen und das hier auch sehr gewinnbringend einbringen. Ich glaube, dass dies am Ende auch ein Anschlag auf diese Menschen war, die unter uns leben und sich zum Islam, aber auch zu den freiheitlichen Rechten bekennen, die für alle in unserer Gesellschaft gelten müssen.
Es stellt niemand infrage, dass wir eine plurale, eine vielfältige und eine weltoffene Gesellschaft sind. Aber
dieser Anschlag hatte zum Ziel, genau einen solchen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Und es ist nicht gelungen. Im Gegenteil, man kann vorsichtig optimistisch sein; das zeigen die Reaktionen. So freut es mich auch, dass wir es heute schaffen, gemeinsam ein Signal der Solidarität zu setzen, dass unsere Gesellschaft ein Stück weit zusammengerückt ist, auch grenzübergreifend, auch partei- und meinungsübergreifend.
Ich glaube, daran sollten wir weiterarbeiten. Wir sollten das Feld nicht denen überlassen, die jetzt versuchen, aus einer Antiislamstimmung am rechten Rand und aus den schrecklichen Anschlägen Profit zu schlagen. Nein, ich glaube, wir müssen die Diskussion mit dem Islam und mit den Muslimen führen, wie es hier mit dem Dialog geschehen ist.
Wir brauchen aber auch mehr Wissen in unseren Schulen, auch über den Islam. Damit meine ich nicht nur islamischen Religionsunterricht, sondern auch den Gegenstand in Ethik, Philosophie und in vielen anderen Bildungsinhalten, und keine reflexartige Sicherheitsdiskussion. Wir müssen vielmehr schauen, was wir angesichts einer sich ändernden Sicherheitslage brauchen. Deswegen soll unsere Antwort sein: Wir lassen uns nicht spalten.
Wir stehen zusammen in einer vielfältigen Gesellschaft. Wir wollen mehr Weltoffenheit zeigen. Wir wollen mehr Mut zum demokratischen, offenen Diskurs mit Worten haben. Wir wollen mehr Toleranz üben. Wir wollen mehr Freiheit wagen und gemeinsam mehr Solidarität zeigen.
Lieber Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir sind in Solidarität und Freundschaft bei unseren Nachbarn in Frankreich. Ich betone das auch heute noch einmal. Wir sind in Rheinland-Pfalz so tief mit unseren französischen Nachbarn verbunden, dass das Leid – so finde ich – ganz besonders fühlbar ist.
Es gibt kaum einen Rheinland-Pfälzer und kaum eine Rheinland-Pfälzerin, die nicht eine höchstpersönliche Verbindung nach Frankreich hat. Das Leid ist einfach unvorstellbar, das die Angehörigen der Opfer dort zu ertragen haben. Deshalb ist es gut, dass wir das heute im Landtag noch einmal betonen.
Wir fühlen uns auch deshalb sehr mit unseren Freundinnen und Freunden in Frankreich verbunden, weil dieser Angriff auch ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Religionsfreiheit ist, letztendlich auch auf unsere gemeinsamen Grundwerte unserer gemeinsamen demokratischen pluralistischen Gesellschaft so, wie wir sie verstehen.
Auch mich hat es tief bewegt und ermutigt, dass viele Millionen Menschen zu Gegendemonstrationen auf den Straßen waren und deutlich gemacht haben, dass sie sich solidarisch erklären, dass sie solidarisch sind und für unsere Freiheitsrechte einstehen. Es ist und war ein ganz besonders wichtiges Zeichen.
Die Terroristen haben auf anders denkende Menschen und vor allem auf kritische Geister geschossen. Den Geist der Freiheit haben sie jedoch nicht treffen können. Das haben diese Demonstrationen mehr als deutlich gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Religion rechtfertigt Gewalt im Namen des Glaubens. Das ist auch von allen Kollegen deutlich gesagt worden. Wie viel Hass kann eigentlich unsere Gemeinschaft ertragen?
Entscheidend bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage ist, was wir dem entgegensetzen. Dabei werden wir uns nicht von Angst leiten lassen.
Ich möchte nochmals betonen, dass es aktuell keine konkreten Hinweise auf konkrete Anschlagsgefahren in unserem Land gibt, somit auch gar kein Grund zur Panik besteht, wohl aber zur Wachsamkeit. Ich vertraue auf die gute Arbeit unserer Sicherheitsbehörden und will an dieser Stelle in dieser Diskussion heute auch der Polizei und dem Verfassungsschutz sehr herzlich für ihre hervorragende Arbeit danken.
Dem Hass setzen wir in Rheinland-Pfalz Offenheit und ständigen Dialog entgegen. In dieser schrecklichen Situation müssen wir vor allem den Blick nach vorne richten und auch die Chance nutzen, dass alle unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Religion zusammenstehen, und zwar gegen Radikalismus, gegen Terror, gegen Ausgrenzung. Das heißt, wir müssen unsere gemeinsamen Werte benennen und anerkennen. Wir müssen einander vertrauen. Dieses Vertrauen muss gepflegt werden.
In diesem Jahr werden wir mit den muslimischen Religionsgemeinschaften im Land einen Staatsvertrag erarbeiten, der Rechte und Pflichten rund um das religiöse Leben von Rheinland-Pfälzern und Rheinland-Pfälzerinnen muslimischen Glaubens festschreiben wird. Ich finde, es ist ein starkes Signal, dass der Islam längst zu unserem Land gehört und beiderseits die Bereitschaft besteht, dies auch anzuerkennen und auch verbindlich zu machen. Ich bin froh, dass wir in diesem Jahr den Schritt gemeinsam gehen können.
Unabhängig von einem Staatsvertrag arbeiten wir ganz eng und vertrauensvoll zusammen, auch in der Frage, was die Verbände und wir als Landesregierung präventiv mit Blick auf den Islamismus und den Salafismus tun können.
Ich bin froh, dass unsere Integrationsministerin Alt und unser Innenminister Lewentz zusammenarbeiten, um eine entsprechende Präventions- und Beratungsstelle zu
eröffnen. Ich denke, es ist wichtig, dass Rat suchende Angehörige, Freunde, Bekannte, aber auch Lehrer und Lehrerinnen die Möglichkeit haben, sich an diese Stelle zu wenden, und auch junge Leute, die in die salafistische Szene abgerutscht sind, eine Chance haben, dieses Angebot wahrzunehmen, um wieder einen Ausstieg zu finden.
Ich glaube, es ist der richtige Zeitpunkt, an dieser Stelle zusammenzustehen und deutlich zu machen, dass wir hier gemeinsam zusammenstehen, um unsere Werte gut zu leben.
Unsere Antwort muss aber auch Besonnenheit in der politischen Debatte sein. Ich lehne deshalb reflexartiges Suchen nach Strafverschärfung und Ähnlichem ab. Wir dürfen nicht in die Falle laufen, als Reaktion auf diesen Angriff gegen unsere Freiheit mit Eingriffen in die Grundrechte der Menschen im Land zu antworten, und sind uns genauso einig, dass die Sicherheitsbehörden die notwendigen rechtlichen Instrumente an der Hand haben müssen, um unsere Bevölkerung effektiv schützen zu können.
Dazu gehört auch, dass wir immer wieder die vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen überprüfen und an die reale Gefahrenlage anpassen. Auch hier finde ich, dass der Innenminister als Vorsitzender der Konferenz gemeinsam mit der Bundesregierung sehr besonnen diese Schritte überlegt.
Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen, der Feindseligkeit gegenüber allem, was anders ist, setzen wir in Rheinland-Pfalz Toleranz, Offenheit und Entschlossenheit gegenüber. Dazu gehören auch ein Aufeinanderzugehen und Zuhören, ein Miteinanderreden und ein konkretes Arbeiten für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung.
Wir schützen die Freiheit, für die unsere Vorfahren sehr lange gekämpft haben. Was wir Menschenverachtung entgegensetzen: unsere Werte, unsere Klarheit und unsere Offenheit. Ich danke allen Fraktionen in unserem Landtag, dass es die Möglichkeit gibt, heute diese gemeinsame Resolution zu verabschieden und damit auch ein deutliches Zeichen in diesem Sinne zu geben.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für diese Debatte und das gemeinsame Einbringen des Antrags in den Landtag, über den wir jetzt abstimmen werden. Wer dem Antrag – Drucksache 16/4521 – in der vorgelegten Form zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke. Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Ich möchte noch einen Satz hinzufügen, den ich eigentlich zu Beginn sagen wollte. Ich war aber wegen des Themas, über das wir gleich reden werden, ein wenig abgelenkt.
Es gibt keinen Gott der Christen. Es gibt keinen Gott der Juden. Es gibt keinen Gott der Moslems und keine anderen Götter dieser Welt, die von uns verlangen, andere Menschen umzubringen. Dies akzeptieren wir einfach nicht. Das haben wir eben ausgedrückt.