Protokoll der Sitzung vom 19.03.2015

(Beifall im Hause)

Frau Kollegin Beilstein hat das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einer Woche haben wir einen sehr intensiven Austausch in der CDU-Fraktion gehabt, bei dem sowohl Experten aus der Kirche als auch aus der Palliativmedizin zu Wort kamen. Dabei ist mir ein Beitrag von Professor Weber von der Universität Mainz nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hat aus einem Buch eine Situation aus Holland geschildert, bei der ein Sterbender von einem Besucher die Worte hörte, naja, es ist deine Wahl, so weiterzuleben, dann darfst du aber auch nicht klagen. Ihm wurde also signalisiert, leiden ist eigentlich nicht notwendig, eigentlich auch nicht erwünscht, und wenn, dann mach es mit dir selbst aus, aber belaste mich nicht damit.

Auf dem Heimweg von dieser Fraktionssitzung in der vergangenen Woche sind mir diese Worte nachgegangen. Im Radio kam dann eine andere Nachricht, nämlich die, dass sich die Anzahl der jährlichen Abtreibungen in Deutschland jetzt auf knapp 100.000 beläuft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde jetzt sicherlich keine Debatte um die Abtreibung eröffnen. Hier geht es um einen anderen Punkt, nämlich um die Verdeutlichung, dass wir als Parlamentarier durch die Möglichkeit der Rechtsetzung in einer besonderen Verantwortung für die gesellschaftlichen Folgen aus einer Rechtsetzung stehen.

§ 218, der die straffreie Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ermöglicht, macht uns die Realität deutlich. Wenn etwas legalisiert wird, dann wird auch davon Gebrauch gemacht. Ja, dann werden Schleusen geöffnet, dann wird Druck erzeugt, zum Beispiel auf werdende Eltern, die ein krankes Kind erwarten, oder auf junge Frauen in Konfliktsituationen; denn es gibt einen anderen legalen Weg. Ich bin davon überzeugt, genauso würde es auch sein, wenn wir aktive Sterbehilfe ermöglichen.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, einem Gedanken, der mir an dieser Stelle deutlich wurde und den vielleicht der eine oder andere in dem Raum für sich bewegt. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob wir über Abtreibung, über Leben reden, das noch alles vor sich hat, oder vielleicht über alte und kranke Menschen, deren Ende unmittelbar bevorsteht. Genau dieser Gedanke zeigt aber auch, wie schnell wir Gefahr laufen, in eine Falle zu tappen, hier zu unterscheiden zwischen Leben, das es

wert ist, das wertvoll ist, und Leben, das scheinbar weniger wertvoll ist, weil es ohnehin bald zu Ende geht. Das bedeutet, wir beginnen an diesem Punkt, Leben zur Disposition zu stellen, einzusortieren.

Ich bin der festen Überzeugung, um wie viel schneller als bei dem Thema der Abtreibung würde das weiterentwickelt werden bei dem Thema der aktiven Sterbehilfe, wo es um Menschen geht, deren Leben zu Ende geht.

Wir als Parlamentarier sind hier in einer besonderen Verantwortung, und als Christ, denke ich, erst recht. Wir sind nicht nur Privatmenschen mit einer persönlichen Meinung zu einem Thema, sondern auch diejenigen, die Gesetze machen und damit Leitplanken für unsere Gesellschaft setzen. Das, was wir heute freigeben, wird in der Zukunft möglicherweise ohne größere Reflektion, da üblich und legal, ausgeübt werden.

Auch wenn wir heute im Landtag nicht abschließend darüber entscheiden, so gestalten wir mit dieser Orientierungsdebatte den Entscheidungsprozess mit.

Wir reden so oft über Willkommenskulturen. Ich sage ganz deutlich, ich möchte keine Willkommenskultur eines einfachen und schnellen Sterbens; denn das würde Schleusen öffnen. Ich möchte keine Willkommenskultur für aktive Sterbehilfen, sondern ich möchte eine Willkommenskultur für das Leben. Dazu gehört eine Kultur einer umfassend ärztlichen und menschlichen Begleitung in dieser Endphase. Ich denke, hier liegt unsere Verpflichtung auch als Parlamentarier.

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Professor Dr. Robbers.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren Abgeordnete! In Würde sterben – viele haben Angst vor Schmerzen, vor dem Verlust der Selbstständigkeit, vor dem Verlust ihres Könnens. Da ist es wichtig, sich zu erinnern, was Würde des Menschen heißt.

Unser Grundgesetz sagt, „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das heißt, der Anspruch auf die Würde darf nicht angetastet werden. Aber es meint noch mehr, nicht nur normativ darf nicht angetastet werden. Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist auch eine Aussage über die Wirklichkeit des Menschen. Die Würde ist unantastbar. Sie kann nicht verloren gehen, auch nicht durch Verlust von Selbstständigkeit, auch nicht durch Verlust von Schönheit. Schmerzen kann man heute ohnehin in aller Regel ausschließen. Die Medizin kann heute sehr viel tun.

Die Würde des Menschen besteht vor all seinen Fähigkeiten, vor seinen Verdiensten und ist unabhängig von seinem Versagen und seiner Schuld. Das Leben hat auch Sinn, wenn man nicht mehr arbeiten kann, wenn man nicht mehr in herkömmlicher Weise rational denken und rational handeln kann. Noch stärker als bisher sollten wir deshalb helfen, jedem Betroffenen solchen Sinn zu zeigen, Einsamkeit zu nehmen, durch Gespräch, Seelsorge und Zuwendung.

Wer nicht mehr leben will, braucht eher Hilfe zum Leben, einen neuen Sinn zu finden, und wenn es dann Zeit ist, gute Begleitung. Das wird nicht immer gelingen, aber das ist das Ziel.

Kein Mensch soll Sorge haben müssen, anderen zur Last zu fallen. Wir müssen heute wieder lernen, Geschenke anzunehmen, uns pflegen zu lassen.

Es ist auch ein Geschenk, anderen Zuwendung geben zu dürfen. Wir wissen aber auch, wie groß das Engagement in den Pflegeheimen, Hospizen und Familien ist. Dafür können wir, die ganze Gesellschaft, all denen, die dort arbeiten und tätig sind, von Herzen dankbar sein.

Selbstbestimmung gilt auch im Sterben. Lassen Sie uns aber nicht die Selbstbestimmung gegen die Fürsorge durch andere ausspielen. Wir brauchen beides. Auch Selbstbestimmung geschieht immer in äußeren Bedingungen. Fürsorge muss immer darauf gerichtet sein, möglichst viel Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Das Recht kann viel bewirken. Das Recht kann Sicherheit vermitteln. Das Recht kann Halt geben. Das Recht kann Werte stützen. Aber man soll auch nicht zu viel Hoffnung in das staatliche Recht setzen.

Nicht jede Rechtsänderung bringt mehr Rechtssicherheit. Das Recht, wie es ist, ist klar und deutlich. Es ist wohl eher ein Unbehagen wegen mancher Möglichkeiten organisierter geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Das ist eine Grauzone in der eigenen Bewertung und nicht wirklich eine Grauzone im Recht.

Es geht in der gegenwärtigen Diskussion um die Frage, wie man mit Vereinen umgeht, die Hilfe zur Selbsttötung anbieten. Sind da neue Regeln wirklich hilfreich, wenn wir bestimmte Voraussetzungen formulieren, in denen eine Tötung erlaubt oder in denen sie nicht erlaubt wäre, oder auch nur ein geschäftsmäßige Unterstützung zur Selbsttötung? Es bliebe immer schwierig zu sagen, warum der nächste Schritt nicht getan werden sollte.

Warum nur bei Krankheit frühzeitig den Tod herbeiführen? Warum dann nicht auch aus anderen Gründen?

Es ist schon viel mit Hospizen, mit Pflege erreicht worden. Gesetze können das persönliche Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient stützen. Die menschliche Verantwortung des Arztes gerade in Extremsituationen kann und darf ihm aber das Recht nicht abnehmen. Das Recht kann Menschlichkeit befördern, aber es kann Menschlichkeit nicht ersetzen.

Es sind die Menschen in der Pflege, in der Medizin, in den Krankenhäusern, in den Hospizen, in Kirchen und

Religionsgemeinschaften, in den Familien, die diese Menschlichkeit leben. Sie gilt es, weiter zu unterstützen.

(Beifall im Hause)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin SchleicherRothmund das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ausgesprochen begrüßenswert, dass wir heute diese Orientierungsdebatte zum Thema Sterbebegleitung und Sterbehilfe führen. Es ist gut, dass wir das sehr besonnen und differenziert machen.

Auch wenn wir nicht die zuständigen Gesetzgeber sind, halte ich es für erforderlich, dass wir versuchen, uns bei einer solch wesentlichen Fragestellung des menschlichen Lebens eine Meinung zu bilden. Ich sage bewusst versuchen, weil das wirklich nicht einfach ist.

Wie ein roter Faden zieht sich in der Auseinandersetzung mit der Sterbehilfe die Verknüpfung der Begriffe Würde und Autonomie durch die Positionierung. Wir wollen nicht unwürdig sterben. Dabei ist für viele die Würde angegriffen, wenn sie nicht mehr Herr ihrer selbst sind, sich mit Schmerzen quälen müssen und der nahe Tod ohnehin feststeht. Der Wunsch, auch in der letzten Phase des Lebens noch über ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu verfügen, ist groß.

Für die Evangelische Kirche Deutschlands hängen die Würde und der Sinn unseres Lebens nicht von der Unversehrtheit körperlicher und geistiger Fähigkeiten ab. Das ist eine Position, die ich teile. Für die Deutsche Bischofskonferenz ist die Verfügung über die Existenz als solche dem Menschen entzogen. Die Verabsolutierung der Autonomie stehe zudem in der Gefahr, die fürsorgliche Begleitung Sterbender und den Schutz der Würde der Schwächsten zu vernachlässigen.

Sowohl Vertreter der katholischen als auch der evangelischen Kirche lehnen eine Neuregelung bei der Sterbehilfe ab. Es wird auch die Gefahr gesehen – das ist schon angesprochen worden –, dass mit dem Recht auf Sterbehilfe der Druck auf Inanspruchnahme dieses Rechts zunimmt. Es bestünde die Gefahr, dass man die Besonderheit einer Ausnahmesituation schnell aus dem Blick verliere, so Kirchenpräsident Jung.

Demgegenüber steht die Position der Bundestagsabgeordneten Hintze, Reimann, Lauterbach, Wöhrl und Lischka, die Folgendes ausführen: „Wir halten es für ein Gebot der Menschenwürde, leidenden Menschen an ihrem Lebensende zu helfen. Daher wollen wir das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stärken und es ihnen ermöglichen, den Wunsch nach einer ärztlichen Hilfe bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung in Fällen irreversibel zum Tode führender Erkrankungen und schweren Leidens zu äußern.“ – Die assistierte Selbsttötung scheint für einige die Lösung zu sein.

Die Bundestagsabgeordneten Kerstin Griese und Dr. Eva Högl definieren den assistierten Suizid als Hilfe zur Selbsttötung durch das Bereitstellen eines Gifts, das der Suizident bzw. die Suizidentin selbst zu sich nimmt. Suizid ist nicht verboten. Dementsprechend ist Beihilfe zum Suizid nicht strafbar.

Wir alle haben unsere persönlichen Erfahrungen gemacht, die uns in dieser Debatte wesentlich leiten. Ich für meinen Teil habe neben den familiären Erfahrungen auch berufliche gemacht. Zwölf Jahre Tätigkeit im RehaBereich bringen einen mit Menschen zusammen, die an schweren, unheilbaren Erkrankungen leiden. Mit der Diagnose beginnen die Menschen zu begreifen, was auf sie zukommt, und der Entscheidungsprozess, was sie zulassen wollen, beginnt ebenfalls.

Unsere Gesellschaft steht in der Verpflichtung, zum einen diesen Menschen den medizinischen Fortschritt zuteilwerden zu lassen, zum anderen aber auch, diesen Fortschritt nicht über alles zu setzen und zum ausschließlichen Orientierungspunkt unseres Handels werden zu lassen.

Inwieweit die assistierte Selbsttötung hier tatsächlich die Lösung sein kann, vermag ich heute nicht abschließend zu beurteilen. Ich habe es so verstanden, dass beim assistierten Suizid die Tatherrschaft beim Patienten liegt. Wie soll sich das aber konkret bei Erkrankungen, wie zum Beispiel ALS oder Krebs im Endstadium, gestalten? Wie wird bei einer bewegungsunfähigen Person, die gegebenenfalls nicht mehr sprechen kann, der Wille erkennbar? Oder werden der Zeitpunkt und die Umstände der Sterbehilfe Monate vorher definiert? – Klar ist, dass diese Patienten nicht mehr selbst den Becher zum Mund führen können. Tätig werden müssen dann andere. Erfüllen die dann die Voraussetzungen des assistierten Suizids und gehen straffrei aus?

Inwieweit ist eine gesetzliche Beschränkung auf Krankheitsbilder überhaupt haltbar? Was ist, wenn Menschen mit anderen Erkrankungen den assistierten Suizid einfordern? – Mir persönlich ist der Fall eines Paraplegikers bekannt, eines Rollstuhlfahrers, der versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Er hat es überlebt und war danach noch schwerer verletzt.

Ich verspreche mir von dieser Debatte und ihrer parlamentarischen Fortführung die Beantwortung vieler Fragen und wirklich eine Orientierungshilfe, um mir meine Meinung bilden zu können und um natürlich die Position der anderen besser verstehen zu können.

(Beifall im Hause)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege Dr. Konrad das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Nichtjurist fällt es mir schwer nachzu

vollziehen, wieso ein assistierter Suizid überhaupt für Situationen angenommen werden kann, in denen Menschen unter Druck stehen, in denen sie Schmerzen haben, in denen sie eventuell für andere Dinge gar nicht mehr einwilligungsfähig wären, und wieso wir gerade bei Menschen, die unter Behinderungen, Erkrankungen und Schmerzen leiden, annehmen, dass das ein Weg sein könnte, ihr Leiden nicht künstlich zu verlängern bzw. ihr Leiden zu beenden. Meine Frage lautet also: Gibt es eine bewusste, verantwortliche und beeinflusste Entscheidung, also eine freie Willensentscheidung, in dieser Situation? Wären damit überhaupt die Voraussetzungen für das erfüllt, was wir als assistierten Suizid bezeichnen?

Es gibt kein unwürdiges menschliches Leben. Die Schwere einer Krankheit oder Behinderung kann schon gar nicht über die Würde menschlichen Lebens entscheiden. Da sind wir uns einig.

Wer infrage stellt, ob in diesem Sinne menschliches Leben immer und ohne Ausnahme Träger der Menschenwürde ist, stellt damit das Subjekt, also die Trägerin der fundamentalen Grundrechte und damit unsere Rechtsordnung, unsere ethische Ordnung, von Grund auf infrage. Menschenrechte sind unveräußerlich. Also können sie keiner Person durch keine denkbare Eigenschaft entzogen oder auch nur eingeschränkt werden.

Dies steht nicht im Widerspruch zur Regelung einer Vorsorgevollmacht. Dies ist unabhängig davon, ob jemand die Welt als gottgeschaffen und damit uns als gottgeschaffen oder aus sich selbst entstanden ansieht.

Die geistesgeschichtliche Annahme, Selbstbestimmung umfasse auch die Freiheit, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen, geht von einem Menschenbild aus, in dem jeder Mensch fähig und in der Lage ist, durch Vernunft zu erkennen und zu entscheiden. Davon sind aber viele Menschen weit entfernt. Das ist ein Menschenbild, das wir heute nicht mehr teilen. Wir teilen nicht mehr das Menschenbild, dass Vernunft und eigene Entscheidungsautonomie den Menschen zum Menschen machen. Das liegt Jahrhunderte hinter uns.