Protokoll der Sitzung vom 28.05.2015

bei den in den meisten Fällen weiblichen Alleinerziehenden anschaut. Sie weisen mit 47,5 % in Rheinland-Pfalz die höchste Quote auf. Sie liegt damit deutlich höher als 2005.

Das Schwerwiegendste an dieser Tatsache ist, dass eben dann nicht nur die alleinerziehenden Mütter, sondern eben auch ihre Kinder arm sind, in Armut leben und ihre Chancen auf Teilhabe damit deutlich geringer sind als die von Kindern in, ich sage es einmal so, stabilen Familienverhältnissen.

Die Armutsrisikoquote von Familien mit drei und mehr Kindern ist ebenfalls immer noch zu hoch. Aber der Bericht zeigt auch, dass die Armutsrisikoquote dort leicht zurückgeht. Ich denke, das ist ein erfreuliches Signal.

Bei den Alleinerziehenden liegen die Ursachen vor allem in der schwierigeren Erwerbssituation, was mit fehlender Mobilität im ländlichen Raum zusammenhängt, aber auch damit, dass Alleinerziehende, wenn sie überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen, meistens in Teilzeit oder in Minijobs arbeiten.

Auch im Alter sind Frauen deutlich stärker von Armut betroffen und bedroht als Männer. Mit durchschnittlich 526 Euro sind die versicherten Renten im Bestand von Frauen in Rheinland-Pfalz sehr niedrig. Frauen über 65 Jahre haben inzwischen eine Armutsrisikoquote von 22,2 %. Das ist ein Anstieg seit 2005. Das hängt möglicherweise ein bisschen damit zusammen, dass es vor einigen Jahrzehnten die Möglichkeit gab, wenn man geheiratet hat, sich als Frau die Rente auszahlen zu lassen. Damit hat man heute entsprechend niedrigere Rentenansprüche.

Dagegen liegt die Einkommensreichtumsquote für männliche Haushaltsvorstände in Rheinland-Pfalz doppelt so hoch wie für weibliche. Die Quote liegt bei den Teilzeiterwerbstätigen, ebenfalls weitgehend überwiegend Frauen, deutlich niedriger als bei den Vollzeiterwerbstätigen.

Ich nenne den dritten Punkt. Armut hat Migrationshintergrund. Ich denke, das lässt sich aus dem Bericht sehr deutlich ableiten.

Ich komme zum vierten Punkt. Das hat die Ministerin schon angesprochen. Gute Bildung und sichere Arbeitsverhältnisse sind wesentliche Schlüssel zur Vermeidung von Armut. Der Bericht stellt unmissverständlich fest, was wir alle wissen, Bildungsarmut erhöht das Risiko von Einkommensarmut. Die Armutsrisikoquote der ab 25-Jährigen mit niedrigem Bildungsstand liegt fast sechsmal so hoch wie die Armutsrisikoquote von Hochqualifizierten.

Das liegt vor allem auch an den deutlich schlechteren Erwerbsperspektiven. Jugendliche ohne Abschluss bzw. mit Hauptschulabschluss haben kaum Chancen auf einen qualifizierten Ausbildungsplatz. Das hat im Übrigen der DGB erst vor Kurzem anhand der IHK-Lehrstellenbörse festgestellt, nach der nur 4 % der Ausbildungsstellen für Jugendliche ohne Abschluss offen sind und 30 % für Hauptschüler.

Menschen ohne gute Ausbildung sind stärker der Gefahr ausgesetzt, in prekären Beschäftigungsverhältnissen und

im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Außerdem sind deren Erwerbsbiografien häufiger unterbrochen.

Damit zieht sich Armut über das Erwerbsleben bis ins Rentenalter. Sie haben kaum eine Chance auf eine Statusverbesserung.

Das führt mich zum letzten Punkt, der wesentlich ist und aus diesem Bericht hervorgeht. Altersarmut wird in Zukunft zur großen Herausforderung, und zwar nicht nur bei Frauen. Die Armutsrisikoquote Älterer lag 2012 in RheinlandPfalz bei 18,8 % und damit über dem Bundeswert, was seine Ursachen vor allem in den verhältnismäßig niedrigen Löhnen der Vergangenheit und darin hat, dass sich die Wirtschaftsstruktur erst in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt hat.

Die weitere Verbreitung atypischer und prekärer Beschäftigung wird in Zukunft dazu führen, dass, wenn wir nicht massiv gegensteuern, Armut im Alter zum Massenphänomen wird. Davor wurde bereits vor einiger Zeit unter anderem auch durch die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gewarnt. Geschehen ist seitdem recht wenig.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Welche Konsequenzen lassen sich aus den Ergebnissen ziehen? Zunächst kann man sicherlich feststellen, dass die Landesregierung in den letzten Jahren viele Projekte und Maßnahmen auf den Weg gebracht hat, um die Armut in den Ursachen anzugehen. Es ist klar, dass solche Maßnahmen eine gewisse Wirkungszeit brauchen, bis sie in Zahlen messbar sind. Beispielhaft sind all die Maßnahmen im Bildungsbereich zu nennen, die darauf abzielen, dass Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, die gebührenfreie Kita, die wir diskutiert haben, der Ausbau der Ganztagsschulen, der Sozialfonds für das Mittagessen in Kitas und Schulen, die Schulsozialarbeit, das Projekt „Keine/r ohne Abschluss“ und vieles mehr. Das ist der richtige Weg, diesen Weg müssen und werden wir weiter gehen.

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik hat sich die Landesregierung immer für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohn eingesetzt, der zumindest eine untere Haltelinie für die Entlohnung festlegt.

Aber auch das Eintreten gegen den Missbrauch von Werkverträgen, gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit ist zu nennen. Die vielfältigen Programme zur gezielten Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bestimmter Zielgruppen im Land sind sicherlich wegweisend.

Was die finanzielle Situation von Alleinerziehenden angeht, hat sich vor Kurzem erst Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig mit Unterstützung unserer Ministerpräsidentin gegen großen Widerstand durchgesetzt und erreicht, dass der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht und nach Kindern gestaffelt wird.

Das alles reicht, das wissen wir, noch lange nicht aus. Um Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, bedarf es noch zahlreicher Initiativen auf Bundesebene gerade im Hinblick auf den Abbau prekärer Beschäftigung und die Sicherung von

auskömmlichen Renten.

Der Bericht macht auch deutlich, dass es kein Tabu sein darf, über eine stärkere Umverteilung über das Steuersystem zu reden. Wenn wir sehen – ich habe bereits zu Beginn auf das Auseinanderdriften der Einkommens- und Vermögensschere hingewiesen –, dass sich im Zeitraum von 2004 bis 2007 das Einkommen der Einkommensmillionäre um das 2,6-Fache erhöht hat, der Anteil der Steuern aus Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen aber gesunken ist, kann man nicht sagen, dass die Reichen in Deutschland zu viel Steuern zahlen.

Auch die Entlastung hoher Einkommen und Vermögen durch die Steuerpolitik der vergangenen Jahre – das kann nicht geleugnet werden – ist eine Ursache dafür, dass Länder und Kommunen nicht unbedingt den Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten können, den sie gerne würden. Das gilt vor allem für die Kommunen, die als Erstes mitbekommen, wo jemand in Armut lebt und wo jemand Hilfe braucht.

Es gilt nach wie vor der Satz: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Schweitzer, SPD: Das ist so!)

Sicherlich müsste ich noch auf viele weitere Punkte aus dem Bericht eingehen, wie zum Beispiel Armut und Pflege, Armut und Überschuldung, Energiearmut usw. Zur ausführlichen Beratung wollen wir uns im Ausschuss mit einer Anhörung die nötige Zeit nehmen, federführend ist der Sozialausschuss, aber auch mitberatend der Familienausschuss, der Gleichstellungsausschuss, der Bildungsausschuss und der Wirtschaftsausschuss.

(Glocke des Präsidenten)

Weil wir uns im Ausschuss die Zeit nehmen wollen, haben wir bewusst auf einen Entschließungsantrag verzichtet. Wir wollen die Anhörung abwarten und dann entsprechend die Konsequenzen daraus ziehen.

(Glocke des Präsidenten)

Das Sozialministerium hat eine eigene Veranstaltung angekündigt. Ich freue mich auf die weitere intensive Beratung im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich darf zunächst Gäste im Landtag begrüßen, auf meiner Liste stehen Turnermänner aus Frankenthal, aber es sind auch Damen dabei, den Damen gilt der gleiche Gruß. Herzlich willkommen hier in Mainz!

(Beifall im Hause)

Frau Thelen hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Dr. Machalet, ich möchte mich ausdrücklich bedanken für eine doch in Teilen deutlich ehrlichere Analyse zu diesem Armutsbericht, als wir das eben von Ihnen, Frau Ministerin, gehört haben.

(Beifall bei der CDU – Alexander Schweitzer, SPD: Wer nicht Danke sagen kann, soll es lassen!)

Sehr geehrte Damen und Herren, arm oder von Armut bedroht zu sein, ist ein schlimmes Schicksal. Armut grenzt aus, macht krank und nimmt den Lebensmut. Es muss uns gelingen, den betroffenen rheinland-pfälzischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bessere Lebensperspektiven, größere Entfaltungschancen und letztlich ein befriedigendes und erfüllendes Leben zu ermöglichen. Dies ist ein wesentliches Anliegen unserer christdemokratischen Politik.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es gut, dass wir seit einigen Wochen den 5. Armuts- und Reichtumsbericht mit umfangreichen Fakten zur Lebenssituation der Menschen in Rheinland-Pfalz vorliegen haben und heute hier darüber diskutieren können.

Allerdings schließe ich mich gleich zu Beginn den kritischen Anmerkungen der LIGA, der Landesarmutskonferenz und des DGB an. Es ist ein erheblicher Nachteil, dass die Berichte nicht aufeinander abgestimmt sind, nicht aufeinander aufbauen, nicht Entwicklungen aufweisen und Wirkungen politischer Maßnahmen beleuchten oder deren Messbarkeit definieren. Das ist ein Nachteil, wenn wir heute über den fünften Bericht sprechen. Sie haben offensichtlich nur wenig miteinander zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Nur mit diesem Aufeinanderabgestimmtsein hätten wir heute hilfreiche Anhaltspunkte, mit welchen Maßnahmen und über welche Wege Armut und Armutsbedrohung am besten zurückgedrängt werden können.

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir sind schon gespannt auf die zahlreichen Evaluationsberichte Ihrer Maßnahmen, die wir sicher im Sozialausschuss vorgelegt bekommen werden.

Ich komme zurück zum Bericht. Jetzt müssen wir selbst prüfen, was denn die Politik dieser Landesregierung seit den letzten Armutsberichten von 2004 und 2009/2010 für die Lebenssituation der Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer Positives bewirkt hat. Die Tatsache, dass Armut und Armutsrisiken für zahlreiche Personengruppen nach wie vor vergleichsweise hoch oder sogar höher sind als in der Vergangenheit, kann nur zu dem Fazit führen, dass die Politikansätze dieser Landesregierung unzureichend und in Teilen offensichtlich nicht zielführend waren.

(Beifall bei der CDU)

Ich will dies mit einigen Fakten belegen. Beginnen möchte ich mit einigen sozioökonomischen Grunddaten.

Das Bruttoinlandsprodukt, das uns auch schon beschäftigt hat, gibt den Gesamtwert aller Güter, also von Waren und Dienstleistungen an, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden. Um diese eigene Wirtschaftskraft mit anderen Ländern besser vergleichen zu können, rechnet man das Bruttoinlandsprodukt auf die Einwohner um. Es wird als Maßstab für den materiellen Wohlstand in einem Land angesehen.

Auf den Seiten ab 102 kann man die Entwicklung für Rheinland-Pfalz ablesen. Bemerkenswert: Bis 1991 – ab da übernahm die SPD die Landesführung – lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in unserem Land höher als in Deutschland; seither liegt es darunter.

Der Abstand vergrößerte sich von 1992 mit 424 Euro bis 2008 auf 3.466 Euro. Der Abstand verringerte sich seit der Finanzkrise wieder leicht auf 2.850 Euro.

Vergleiche ich – das muss ich jetzt selbst tun, weil es der Bericht nicht leistet, aber ich halte es für wichtig, uns mit den anderen Bundesländern zu vergleichen, nicht mit Afrika, Asien und wem auch immer – Rheinland-Pfalz mit den westdeutschen Bundesländern ohne Berlin, liegt der Abstand 2012 statt bei den genannten 2.850 Euro – Abstand zum deutschen Durchschnitt – bei insgesamt 4.813 Euro pro Kopf unserer Einwohner. Das ist ein sehr großer Unterschied von fast 2.000 Euro pro Kopf, meine Damen und Herren.