Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lewentz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über zwei Vorschläge zur Verfassungsänderung. Für ein Parlament bedeutet das die wichtigste Beschlusssituation.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Junge, die Reden der AfD folgen auch heute allein einer Linie: Deutsche und Ausländer trennen, mit unterschiedlichen Rechten ausstatten, unsere offene Gesellschaft einschränken und das in einem bürgerlich angehauchten Tonfall. Das will ich Ihnen zugestehen.

(Heiterkeit bei der AfD – Abg. Michael Frisch, AfD: Das ist eine Unterstellung! – Abg. Martin Haller, SPD: Richtig!)

Sie haben in einem Halbsatz etwas von Ausländerwahlrecht gesagt, dass Sie das nicht wollen, dass Sie diese Veränderung nicht wollen.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Ja, das ist richtig!)

Deswegen sage ich Ihnen, wenn Sie immer so tun, als ob Sie tief verwurzelt auf der Basis des Grundgesetzes politisch argumentieren würden, lesen Sie sich einmal Artikel 1 unseres Grundgesetzes durch: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Zuruf des Abg. Joachim Paul, AfD)

Nicht des Weißen, nicht des Christen, nicht des Inländers, nicht des Deutschen – die Würde des Menschen.

(Zurufe von der AfD)

Dann gibt es einen schöneren weiteren Satz: „Sie zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu gehört auch, Menschen Beteiligungsrechte einzuräumen, die in diesem Land leben, eine Heimat gefunden haben und Teil unserer Gesellschaft sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir darüber reden, dass wir zum Beispiel den Vorschlag unterbreiten, EU-Bürgern für die Landtagswahlen Wahlrecht zu geben, dann sage ich, ich weiß, wovon ich rede. Meine Frau ist Dänin, wir haben gemeinsam vier Kinder. Sie lebt seit Mitte der Achtzigerjahre in Deutschland, in Rheinland-Pfalz. Sie arbeitet für und in dieser Gesellschaft. Deswegen ist eine Einschränkung des Wahlrechts für Ausländer falsch, total falsch. Deswegen spreche ich das hier an.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Ich habe schon im ersten Durchgang und im Innenausschuss betont: Sehr geehrter Herr Junge, Sie schreiben ab. Es sind Plagiate, die Sie hier vorlegen; denn wenn man Ihr Wahlprogramm liest, dann liest man folgende Sätze: In Deutschland ist aus der angestrebten Volksherrschaft in vieler Hinsicht eine Parteienherrschaft geworden.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Jawohl!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Parteien haben Deutschland mit Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam gut entwickelt. Wir sind wirtschaftlich, wir sind ökologisch, und wir sind sozial erfolgreich. Deutschland ist ein starkes Land. Deutschland ist das Rückgrat der Europäischen Union. Wir sind ein Land, das sich weltweit sehen lassen kann.

Das Gleiche nehme ich für Rheinland-Pfalz in Anspruch: Platz 3 im Arbeitsmarktranking, rund 55 % Exportquote.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Infrastrukturpolitik!)

Das sind Erfolge, die sich mehr als sehen lassen können. Das haben Parteien in Rheinland-Pfalz in 70 Jahren mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt. Darauf bin ich stolz. Das sage ich hier eindeutig.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Parteien haben auch in der Form von Fraktionen in der letzten Legislaturperiode diese Enquete-Kommission beschickt und äußerst engagiert diskutiert. Matthias Lammert will ich ausdrücklich mitnehmen;

(Abg. Martin Haller, SPD: Richtig!)

denn das war ein fundierter Diskussionsprozess mit teilweise unterschiedlichen Meinungen. Das ist vollkommen in Ordnung.

(Abg. Martin Haller, SPD: Wie im richtigen Leben!)

Liebe Pia Schellhammer, ich will an der Stelle sagen, was unter Ihrer Leitung in der Enquete-Kommission geschaffen wurde, ist fundiert und ganzheitlich. Die Ergebnisse bilden ein Tableau an Möglichkeiten, die weiterentwickelt werden können. In dieser Ganzheitlichkeit muss man auch an die Umsetzung gehen. Deswegen appelliere ich an die CDU: Gebt euch einmal einen Ruck und überlegt, wie das mit dem EU-Ausländerwahlrecht für die Landtagswahl ist, wie das mit einem Wahlrecht für 16-Jährige ist und mit den anderen Punkten, die wir angesprochen haben.

Wir würden gern mit Ihnen die Verfassung an der Stelle und auch an anderen Stellen weiterentwickeln. Deswegen bin ich stolz, diesen Koalitionsvertrag mit unterschrieben zu haben; denn darin haben wir Dinge festgelegt, die RheinlandPfalz weiterentwickeln werden, modern weiterentwickeln werden, demokratisch weiterentwickeln werden. Das ist unser Anspruch. Den würden wir gern mit der CDU auf den Weg bringen, dort, wo wir die Verfassung ändern müssen, lieber Matthias Lammert. Das werden wir wieder in der gewohnten Form diskutieren, und dann muss man sagen, jawohl, es ist verantwortlich, dass Menschen, die lange hier leben, zum Beispiel aus unseren EU-Nachbarstaaten, den Landtag wählen dürfen und andere Dinge mehr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe mehrfach schon darauf hingewiesen: Herr Junge, Sie und Ihre Fraktion haben sich an diesen Ergebnissen bedient und sie so zusammengestellt, wie es Ihnen irgendwie passt. Das ist Abschreiben.

Eines muss ich auch noch einmal deutlich sagen: Ich bin seit 1994 Mitglied in diesem Hohen Hause. Wenn man eine Verfassung ändern will, weiß man, dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Wenn man darauf aber keinen Wert legt, dann sind das Scheinanträge. Sie haben keinen Wert darauf gelegt. Ihr Nachbar, der so gerne liest und lacht und uns mit Zwischenrufen versucht herauszufordern, das ist Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer.

(Abg. Jan Bollinger, AfD: Ja!)

Die Aufgabe des Parlamentarischen Geschäftsführers ist, dass Vertretungen in Ausschüssen organisiert werden.

(Abg. Martin Haller, SPD: Richtig! Davon habe ich auch schon gehört!)

Dann schickt man einen Vertreter in den Ausschuss und diskutiert. Das ist ganz normal. Wenn aber mit uns schon im Ausschuss keiner über die Verfassungsänderung diskutieren will, wie sollen wir dann den Dialog mit Ihnen pflegen? Wie soll das gehen, meine sehr geehrten Damen und Herren? Es geht schließlich um eine Verfassungsänderung, über die wir reden.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb möchte ich mich für die Landesregierung ganz herzlich für die Ausführungen der Koalitionsfraktionen und auch in Teilbereichen der CDU-Fraktion bedanken – das muss ich nicht noch einmal wiederholen – ; denn das ist verantwortliche Herangehensweise in einer Diskussion um eine Verfassungsänderung und nicht ausgrenzen, nicht mitreden und anderen die kalte Schulter zeigen. So wird das nie gehen, so wird das mit Ihnen nichts.

Danke.

(Beifall der SPD, bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Sehr gut!)

Für die AfD Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Bollinger.

(Abg. Martin Haller, SPD: Wo habt ihr jetzt abgeschrieben? Das würde mich interessieren!)

Darauf gehe ich gleich ein.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, liebe Gäste! Herr Minister, unser Wahlprogramm, das Sie vorhin zitiert haben, datiert aus dem Sommer 2015. In ihm finden sich alle wesentlichen Eckpunkte unseres Gesetzentwurfs. Ich glaube, das war vor der Niederlegung der Arbeitsergebnisse Ihrer EnqueteKommission. So viel zu dem albernen Plagiatsvorwurf, den ich explizit zurückweisen möchte.

(Zuruf der Abg. Pia Schellhammer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte kurz auf die technischen Kritikpunkte eingehen, die vorgebracht wurden, es waren im Wesentlichen zwei. Das Quorum beim Bürgerentscheid haben wir absichtlich nach dem Vorbild der Schweiz komplett entfallen lassen; denn wenn es ein Land gibt, das als Musterbeispiel für direktdemokratische Entscheidungsprozesse und ihre Wirkungen gelten kann, als eines der blühendsten und erfolgreichsten Gemeinwesen in ganz Europa, dann ist es die Schweiz. Dort existieren gar keine Abstimmungsquoren. Die sollten auch nicht erforderlich sein; denn indem die entsprechende Zahl von Unterschriften eingesammelt wurde, ist hinlegend deutlich, dass es sich um ein Anliegen von entsprechender Bedeutung handelt. Es ist dann der Anspruch an alle, die mitgestalten wollen, dass sie entsprechend an die Bürgerschaft herantreten und informieren, und an die Bürger, dass sie sich informieren. So verstehen wir eine aktive Demokratie.

(Beifall der AfD – Abg. Martin Haller, SPD: Ihr setzt euch aktiv dafür ein!)

Bei dem Thema Ausschlusskriterium muss ich zugestehen, daraus kann man einen Punkt machen, dass man die finanziellen Aspekte nicht angegangen ist. Wir haben uns aber bewusst auf diesen Aspekt beschränkt, bewusst auf

die Erleichterung von Bürgerentscheiden, unabhängig von anderen Punkten, und vor allem haben wir ganz bewusst die Themen ausgelassen, die Sie hier für so wichtig erachten, die auch Sie angeschnitten haben, Herr Minister: Das ist erstens die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre; denn wir finden, dass Pflichten und Rechte Hand in Hand gehen sollten. Wenn also erst mit 18 Jahren die Volljährigkeit gegeben ist, sollte auch das Wahlrecht erst mit 18 gegeben sein.

Herr Minister, das Wahlrecht ist das vornehmste Recht des Staatsbürgers. Das haben Sie in jedem Land der Welt. Das können Sie nicht einfach vergeben. So unterhöhlen Sie die Volkssouveränität, die Sie vorhin im Munde geführt haben.

(Beifall der AfD – Abg. Martin Haller, SPD: Wenn die Leute doch bei uns leben!)

Das sind aber keine Staatsbürger. Staatsbürgerschaft und Wahlrecht gehören zusammen. Sie können gerne Staatsbürger werden, dann haben sie auch das Wahlrecht. Wir haben nichts dagegen.

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Das sollten wir auch können, in der Tat.