Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Das ist ganz wichtig; denn eines ist auch klar: Kompromisse sind eben nur in einer repräsentativen Demokratie möglich.

Bei diesem Gesetzentwurf geht es aber aus unserer Sicht darum, gerade die repräsentative Demokratie zu beschädigen, Missstimmungen zu säen und die Parlamente und Volksvertreter zu kritisieren, und dazu sagen wir ganz klar: Diesen Weg werden wir als CDU-Fraktion auf jeden Fall nicht mitgehen. Wir werden dieses Gesetz ablehnen.

Danke schön.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lammert. Mir liegt die Wortmeldung zu einer Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Junge vor. – Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Schellhammer, ich bin froh, dass Sie so die AfD verstehen.

(Abg. Hans Jürgen Noss, SPD: Das geht nicht! Das geht nicht!)

Was geht nicht? Dass ich rede?

(Zurufe von der SPD: Nur zum letzten Redner! Sie dürfen sich nur auf den letzten Redner beziehen!)

Entschuldigung.

Herr Lammert, nur zur Erklärung,

Sie müssen sich auf den Redner vor Ihnen beziehen. Sie haben sich zu Herrn Lammert gemeldet, und Sie müssen sich auch darauf beziehen.

Jawohl, ich bin dabei.

Herr Lammert, nur zur Erklärung: Ich war am 1. September, als die Sitzung des Innenausschusses stattfand, zu Hause und habe mich ärztlich behandeln lassen. Der Angriff auf mich fand am 30. statt, ich war am 31. hier und habe die Dinge noch geregelt und war dann am 1. September zu Hause und habe deshalb an der Sitzung nicht teilnehmen können. Das hat mir sehr leid getan, aber Sie haben recht, da haben wir unsere Sache nicht hinreichend vertreten. Aber das werden wir tun, und Ihren Hinweis darauf nehme ich natürlich zur Kenntnis.

Danke schön.

Vielen Dank. Ich darf als nächstem Redner Herrn Abgeordneten Noss von der Fraktion der SPD das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit den beiden Gesetzentwürfen, die uns heute vorliegen, wird versucht, die Anforderungen bei unmittelbaren direktdemokratischen Beteiligungsverfahren für Bürgerinnen und Bürger auf Landesebene zu reduzieren, beispielsweise bei Volksinitiativen, bei Volksbegehren und ebenso bei Volksentscheiden.

Die beiden Gesetzentwürfe gehen dabei auch auf Vorschläge der Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission 16/2 „Bürgerbeteiligung“ zurück, wobei allerdings – dies muss angemerkt werden – selektiv nur die direkten Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger in ihrem Fokus standen, wohingegen die vielen sonstigen, dort gemachten ganzheitlichen Ansätze, die man ebenfalls heranziehen muss, wenn man diesbezügliche Gesetze erlässt – beispielsweise das Wahlalter mit 16, die Erweiterung des Wahlrechts für EU-Bürger und Menschen aus Drittstaaten, Möglichkeiten der Frauenförderung, soziale und gesellschaftliche Dimensionen der Mitwirkung und vieles andere mehr –, von Ihnen ausgegrenzt wurden. Ich glaube, so kann man kein Gesetz machen, das in diesem Hause mehrheitsfähig ist.

Herr Lammert hat bereits darauf hingewiesen, es gab verschiedene Ansichten, und ich glaube, das ist auch ganz normal. Aber im Großen und Ganzen waren sich die Parteien, die damals in der Enquete-Kommission zusammengearbeitet haben, einig, wie so etwas aussehen könnte.

Sie sagten vorhin, Sie hätten nicht aus dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission abgeschrieben. Das mag sein; denn anderen Länderparlamenten ist dieses Gesetz ebenfalls in ähnlicher Form vorgelegt worden. Abschreiben ist natürlich einfacher, wobei ich allerdings auch sage: Warum soll man etwas Neues erfinden, wenn es bereits etwas Altes gibt, das man meint, benutzen zu können? – Allerdings ist das Alte, das man meint, benutzen zu können, nicht immer das, was gut ist. Das müssen Sie sich auch sagen lassen.

Frau Schellhammer hat als damalige Vorsitzende die Ar

beit der Enquete-Kommission in allen Facetten dargestellt und hat auf vieles hingewiesen, dem ich mich an der Stelle nur anschließen kann. Da die Gesetzentwürfe nur einen geringen Teilaspekt der seinerzeitigen ganzheitlichen Betrachtung und Empfehlungen der Enquete-Kommission umfassen, komme ich zu der Überzeugung, dass es Ihnen wohl weniger um die Sache als vielmehr leider nur um eine möglichst öffentlichkeitswirksame Inszenierung des Themas Bürgerbeteiligung geht, schlicht um eine populistische Veranstaltung.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Frisch, AfD)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Aussage des Vereins „Mehr Demokratie“ e. V. in Rheinland-Pfalz verweisen, der die Thematik der AfD-Gesetzesinitiativen als nicht tauglich für parteipolitische Profilierung ansieht – was er Ihnen damit indirekt unterstellt – und gleichzeitig Ihre Anträge als handwerklich schlecht und als Schnellschuss betrachtet. Dem können wir uns vollumfänglich anschließen.

Die Feststellung, dass es Ihnen wohl nur um eine öffentlichkeitswirksame Inszenierung geht, ist auch durch die folgende Tatsache bestätigt worden, und dies ist auch vorhin bereits erörtert worden: Bei diesem Gesetzentwurf ging es immerhin um eine Verfassungsänderung. Das macht man nicht jeden Tag, dazu muss man sich schon vorbereiten und muss es auch eventuell begründen, vor allen Dingen wenn man weiß, dass die übrigen Fraktionen nicht unbedingt hinter diesem Gesetz stehen. Das ist nicht geschehen.

Herr Junge, es mag teilweise eine Entschuldigung sein, die Sie vorgebracht haben; auf der anderen Seite frage ich mich: Gibt es denn in Ihrer Fraktion nur einen einzigen Abgeordneten, der dieses Thema beherrscht? – Es gibt doch mit Sicherheit mehrere, die zu diesem Thema reden können, aber das ist offensichtlich nicht der Fall. In diesem Punkt müssten Sie sich vielleicht etwas verbessern.

Von daher darf es auch nicht verwundern, wenn der Eindruck entsteht, dass die fehlende Öffentlichkeit und damit eine fehlende Bühne, die im Ausschuss durchaus vorhanden war, für Sie Anlass geboten hat, zu dem Thema nichts zu sagen.

Ich möchte an dieser Stelle konstatieren, dass die SPD ein Mehr an Bürgermitwirkung positiv sieht und es in der Vergangenheit auch schon etliche gesetzliche Initiativen in diese Richtung gab. Sie wurden vorhin teilweise aufgeführt und wurden auch im Landtag beschlossen. Die Gesetzentwürfe der AfD, die nur wenige Teilaspekte der Enquete-Kommission aufgreifen, den ganzheitlichen gesellschaftlichen Ansatz völlig vermissen lassen und Bevölkerungsgruppen regelrecht ausgrenzen, können wir beim besten Willen nicht mittragen und werden sie deshalb ablehnen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Noss. Als Nächstes hat Herr Abgeordneter Roth von der Fraktion der FDP das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Echte Bürgerbeteiligung ist doch mehr als nur das Sammeln von Unterschriften und eine womöglich darauffolgende Abstimmung. Ein ganzheitlicher Ansatz für eine stärkere Bürgerbeteiligung im Land RheinlandPfalz überschreitet die Forderung nach Absenkungen von Hürden und Quoren bei Volksentscheiden, Volksinitiativen oder Volksbegehren bei Weitem.

Der vorliegende Antrag zur Änderung der rheinlandpfälzischen Landesverfassung und des Landeswahlgesetzes geht an einem umfassenden Konzept zur Integration der Bürgerinnen und Bürger in den demokratischen Prozess vorbei. Lebendiger und fortschrittlicher, wie es der Antragstitel benennt, würde unsere Demokratie mit dieser Änderung jedenfalls nicht. In ihrem Gesetzentwurf beansprucht die Antragstellerin für sich, dem Prinzip der Volkssouveränität gerecht zu werden.

Aus unserer Sicht allerdings soll dabei etwas an der Anzahl von Stimmberechtigten geschraubt werden, ohne dabei den ganzheitlichen Ansatz aus den Augen zu verlieren, den ich beschreiben möchte. Um die zur Disposition stehenden Instrumente der Bürgerbeteiligung attraktiver zu machen, ist es nicht allgemein zielführend, Quoren schlichtweg weiter abzusenken. Vielmehr muss dazu den Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern ein breiteres Angebot politischer Bildung zur Verfügung stehen, um den Gesetzgebungsprozess mit dem dazu notwendigen Hintergrundwissen begleiten und mitgestalten zu können.

( Vizepräsidentin Barbara Schleicher-Rothmund übernimmt den Vorsitz)

Folgender Vergleich sei mir hierzu erlaubt: Im Juni dieses Jahres haben wir anhand des EUMitgliedschaftsreferendums im Vereinigten Königreich erlebt, zu welch irritierenden Effekten es bei direktdemokratischen Prozessen kommen kann. Herr Kollege Lammert hat es vorhin ebenfalls schon angesprochen.

Keinesfalls möchte ich dies grundsätzlich infrage stellen, ich möchte jedoch davor warnen, diesem Prozess die Hürden zu nehmen, ohne an anderen Stellen nachzubessern, nämlich bei der politischen Bildung, der Transparenz und der steten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Wir trauen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zweifelsohne zu, auch komplexe Themen mit zu entscheiden.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Ach!)

Nur muss auch die Bereitschaft vorhanden sein, sich mit der jeweiligen, zur Debatte stehenden Thematik umfassend zu beschäftigen, um das eigene Handeln und dessen Auswirkungen in einem Abstimmungsprozess überblicken

zu können.

Wie auch immer das Referendum in Großbritannien zum Verbleib bzw. Austritt aus der Europäischen Union ausgegangen sein mag, ich respektiere mit Sicherheit den Willen der Wählerinnen und Wähler als Demokrat zutiefst, regen die inländischen Reaktionen auf das Referendum doch zum Nachdenken an. Bereits einen Tag, nachdem die Entscheidung zugunsten des Brexit gefallen war, brachen die Meinungsführer im Kampf für den Austritt mit dem Versprechen, den Gesundheitssektor durch millionenschwere Investitionen aufwerten zu können. Beobachter haben diese Entwicklung kommen sehen und davor gewarnt, auf diese Versprechen zu vertrauen. Zudem mussten sich viele Bürgerinnen und Bürger eingestehen, gar nicht richtig gewusst zu haben, worüber sie überhaupt abgestimmt haben. Welche Folgen das Ergebnis der Abstimmung nach sich ziehen würde, wurde teils unbeachtet gelassen, und das bei einer Thematik mit derart breiter Berichterstattung.

Für mich ergibt sich daraus folgender Schluss: Zu hohe Hürden bei in der Verfassung verankerten Instrumenten zur direktdemokratischen Beteiligung verhindern eine lebendige Demokratie. Darin sind wir uns wohl alle einig. Die Freien Demokraten sind jedoch der Ansicht, dass eine schlichte Absenkung der Hürden nicht zu dem von Ihnen genannten Ziel der Lebendigkeit und Fortschrittlichkeit führt.

(Abg. Martin Haller, SPD: Richtig!)

Wir sehen die Lösung in einem umfassenden Angebot politischer Bildung und steter Partizipation im politischen Prozess. Nur mit diesen Bausteinen, die eine Absenkung der Hürden zielorientiert ergänzen, kann unsere Demokratie lebendig und zugleich fortschrittlich werden. Ihr Antrag hingegen fällt wenig durchdacht und recht einseitig aus. Ein hohes Maß an Transparenz, beispielsweise durch Einführung eines offenen Landeshaushalts, wie von der EnqueteKommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ gefordert – das hat Frau Kollegin Schellhammer vorhin plastisch darstellen können –, gehört auch nach Ansicht der Freien Demokraten ebenso zum Gesamtkonzept wie eine Überarbeitung des Wahlrechts, beispielsweise hinsichtlich der Partizipation von Menschen mit Behinderung. Zudem ist der Einsatz für eine Absenkung des Wahlalters bei Kommunal- und Landtagswahlen ebenso richtig wie die Forderung nach einem Wahlrecht für Menschen ohne EU-Staatsbürgerschaft bei Kommunalwahlen bzw. für Menschen mit EU-Staatsbürgerschaft bei Landtagswahlen.

Zur angesprochenen Verstetigung der Bürgerbeteiligung begrüßen wir die Empfehlung der genannten EnqueteKommission sowohl bezüglich der Einrichtung einer Servicestelle als auch einer Selbstverpflichtung der Landesregierung zur Leitlinie der Bürgerbeteiligung. Als Freie Demokraten halten wir es ebenso für richtig, im Einklang mit diesem Angebot an die Bürgerinnen und Bürger die Eintragungsfrist für Volksbegehren von derzeit zwei auf sechs Monate zu verlängern und das Unterschriftenquorum bei Volksbegehren von derzeit 300.000 auf 100.000 aller Stimmberechtigten, also genau 3 %, abzusenken.

Direkte Demokratie wird nur dann für alle attraktiv, wenn die Anforderung und das Angebot an die Bürgerinnen und

Bürger in Rheinland-Pfalz stimmen. Demnach möchte ich darum bitten, den Antrag der AfD-Fraktion abzulehnen. Es geht Ihnen von der AfD mit dem Gesetzentwurf einzig darum, den Bürgern den Eindruck zu vermitteln, dass die direktdemokratischen Mittel dank Ihres Einsatzes im Landtag angeblich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger verändert werden würden. Sie sollen möglichst schnell, unkompliziert und ohne große Vorüberlegungen genutzt werden, um damit dem Ärger gegenüber den politischen Institutionen mit einer entsprechenden Initiative Luft zu machen. Ganz im Sinne des von Ihnen in der Antragsbegründung genannten Prinzips ist das nicht souverän, sondern übereilt und einseitig.

Gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Grünen stehen wir hingegen für einen ganzheitlichen Einsatz, den wir auch weiterhin verfolgen werden.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich als Gäste auf der Zuschauertribüne Teilnehmerinnen und Teilnehmer am generationsübergreifenden Wohnprojekt (WOHNART) begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)