Protokoll der Sitzung vom 27.05.2020

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung live vom SWR übertragen werden. Die gesamte Sitzung ist im Livestream über unsere Homepage jederzeit abrufbar.

Wir kommen damit zu den Punkten 1 und 2 der Tagesordnung, die gemeinsam aufgerufen werden:

Lage zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) in Rheinland-Pfalz

Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Rheinland-Pfalz und Konsequenzen für die Pandemiepolitik“ Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/11925 –

Die Fraktionen haben sich auf eine Grundredezeit von 10 Minuten je Fraktion verständigt. Ich erteile Ministerpräsidentin Malu Dreyer das Wort zur Abgabe ihrer Regierungserklärung.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordnete, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Seit dem 20. April gehen wir in Rheinland-Pfalz Schritt für Schritt in einen veränderten Alltag. Die Geschäfte haben unter Auflagen wieder geöffnet, auf den Straßen und Plätzen treffen jetzt mehr Menschen zusammen, und wir können uns wieder mit einer befreundeten Familie treffen. Diese Erleichterungen – sie tun uns allen wirklich gut.

Bis zu den Sommerferien kehren auch alle Schüler und Schülerinnen, zumindest zeitweise, in ihre Klassen zurück. Anfang Juni gehen alle Kinder wieder in ihre Kitas, wenngleich zuerst nur in einem eingeschränkten Regelbetrieb.

Mit dem heutigen Tag können auch Theater, Kinos und Fitnessstudios unter Auflagen wieder öffnen. Viele Wanderer und auch die Biergärten wird es freuen: Auch der Thekenverkauf ist wieder gestattet.

Jeden Schritt hat die Landesregierung gemeinsam im Corona-Kabinett beschlossen. Wir können die Lockerungen jetzt verantworten, weil die Zahlen der Neuinfektionen sehr niedrig sind und sogar weiterhin sinken, trotz aller Lockerungen.

In den vergangenen sieben Tagen haben sich landesweit insgesamt nur etwa 100 Menschen neu angesteckt. Bei den Infizierten in sieben Tagen pro 100.000 Einwohnern liegen wir aktuell bei drei – weit unter der kritischen Marke von 50.

Viele Landkreise und kreisfreie Städte verzeichnen sogar schon zwei Wochen lang oder noch länger gar keine Neuinfektionen mehr. Gestern waren zum ersten Mal seit dem 16. März weniger als 300 Menschen landesweit aktiv infiziert.

Auch in unseren Krankenhäusern hat sich die Lage entspannt. Es sind nur noch elf von den mehr als 1.000 Beatmungsplätzen mit COVID-19-Patienten belegt.

Das alles zeigt, wir können mehr Normalität wagen. Wir können mutig sein, aber wir dürfen nicht übermütig werden; denn die Pandemie ist natürlich noch nicht vorbei. Es ist ein Trugschluss zu glauben, Politik habe unnötig Panik

verbreitet, weil uns das Virus nicht so hart getroffen hat wie Italien, Frankreich oder Spanien.

Corona ist auch keine Erfindung oder das Werk dunkler Mächte, COVID-19 ist eine hochansteckende Krankheit, die für nicht wenige Menschen eine tödliche Gefahr darstellt. Schon eine einzige Veranstaltung kann wieder zu einem Anstieg der Infektionen führen, wie wir es letzte Woche im niedersächsischen Leer oder auch in Frankfurt erlebt haben.

Diejenigen, die jetzt Corona-Partys feiern oder ohne Abstand demonstrieren, gefährden deshalb nicht nur sich selbst, sondern auch andere. „Ich schütze Dich, und Du schützt mich“ – der Landtagspräsident hat es gerade gesagt – bleibt weiter das oberste Gebot. Nur wenn wir alle die Abstands- und Hygieneregelungen einhalten, können wir das Virus in Schach halten.

Noch immer gewinnen wir jeden Tag neue Erkenntnisse über die Verbreitung und die Auswirkungen dieses Virus. Es ist gut, dass wir über die neuesten Forschungen und die besten Wege aus der Krise debattieren. Das ist eine Stärke unserer freiheitlichen Demokratie, aber es reicht nicht, einfach nur Grundfreiheiten gegen die CoronaEinschränkungen in Stellung zu bringen, auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht. Wir müssen weiter bestmöglich die Waage halten zwischen dem Gesundheitsschutz auf der einen und den Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

Das Dilemma, dabei das richtige Maß zu finden, zeigt sich deutlich mit Blick auf die Schulen und Kitas. Es gibt einerseits die Eltern, die Erzieher, die Erzieherinnen, die Lehrer und Lehrerinnen, die Angst haben vor einer Infektion. Auf der anderen Seite gibt es die Familien, die darauf drängen, dass ihre Kinder endlich wieder Freunde treffen können, gemeinsam spielen und lernen.

Dazwischen abzuwägen ist nicht leicht. Wir müssen unter Corona-Bedingungen handeln. Wir wissen, dass die einschneidenden Maßnahmen insbesondere die Familien hart treffen. Viele Frauen stecken beruflich zurück, Kinder, die es ohnehin schwer haben, belasten die Kontaktbeschränkungen besonders.

Deshalb hat die Landesregierung seit Beginn der CoronaKrise die Familien ganz klar im Blick. Rheinland-Pfalz hat anders als andere Länder die Notbetreuung von Anfang an für alle geöffnet, die sie brauchen: für Alleinerziehende, für Eltern, die ihre Kinder nicht zu Hause betreuen können, und für Kinder mit ganz besonderem Unterstützungsbedarf.

Für Schüler und Schülerinnen, die für ihre Aufgaben keinen PC oder kein Tablet besitzen, haben wir gemeinsam mit den Kommunen 37.000 Leihgeräte zur Verfügung gestellt und werden weitere beschaffen.

In vielen Gesprächen mit Schulleitungen hat das Bildungs

ministerium dafür Sorge getragen, dass Kinder bei weiterem Bedarf Unterstützung erhalten. Wir bieten außerdem mehr Feriensprachkurse an, machen für den Sommer zusätzliche Angebote, die Freizeit und Förderung verbinden. Das wirkt doppelt, weil es auch die Eltern entlastet, die kaum mehr Urlaubstage haben und ihre Kinder dann gut aufgehoben wissen.

Wir haben intensiv darauf hingearbeitet, dass die Schulen jetzt für Schüler und Schülerinnen wieder offen sind. Die ganze Schulfamilie, Schulleitungen, Lehrer und Lehrerinnen, Personalvertretungen, Gewerkschaften, Schulträger, das Ministerium, Eltern und Kinder, arbeiten gemeinsam daran, dass Schule unter Corona-Bedingungen weiter gut gelingt.

Das Gleiche gilt für die Kitas. Auch hier haben alle Beteiligten die Leitlinien für den Neustart gemeinsam entwickelt. Unsere Kleinsten können nun ab Anfang Juni ihre Kindertagesstätte, zumindest tages- und stundenweise, wieder besuchen.

Diejenigen, die nach den Sommerferien eingeschult werden, dürfen vorrangig zurückkehren, um gemeinsam den Abschluss ihrer Kindergartenzeit zu erleben.

Die Leitlinien sehen ausdrücklich vor, dass in Betreuungsnotlagen eine Notbetreuung mit einem höheren Umfang weiterhin bereitgestellt wird.

Leicht ist die Situation für niemanden, doch insgesamt haben die Schulen und die Kitas in enger Begleitung durch das Land die Betreuung und das Unterrichten hervorragend gemeistert. Allen Verantwortlichen spreche ich dafür meinen Respekt und Dank aus.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei CDU und AfD)

Ich bin mir sehr bewusst, dass der eingeschränkte Regelbetrieb für Familien weiter schwierig ist. Unser Ziel bleibt, noch im Sommer wieder zu einem normalen Kitabetrieb und direkt nach den Sommerferien wieder zu einem regulären Unterricht in den Schulen zurückzukehren. Daran halten wir fest. Für den Fall, dass das Infektionsgeschehen das nicht zulässt, wird der Fern- und Präsenzunterricht auf der Basis klarer Leitlinien ausgebaut.

Meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordnete, mit der „Zukunftsperspektive Rheinland-Pfalz“ hat die Landesregierung einen Stufenplan vorgelegt, mit dem wir den veränderten Alltag in Rheinland-Pfalz gestalten, das Infektionsrisiko im Blick behalten und allen Lebens- und Geschäftsbereichen eine Perspektive geben.

Dieser Stufenplan erlaubt uns, jederzeit flexibel auf das Infektionsgeschehen zu reagieren. Wenn wir sehen, dass durch bestimmte Lockerungen die Infektionen mit dem Coronavirus steigen, können wir planvoll eine Stufe zurückgehen, und wir können umgekehrt auch schneller lockern, wenn die Infektionszahlen niedrig bleiben.

Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem weitere Lockerungsschritte möglich sind, sofern wir weiter Abstand halten, die Hygieneregeln befolgen und unsere Kontakte beschränken. Ich habe deshalb für die kommende Woche unsere kommunalen Spitzen zu einem Gespräch eingeladen, um mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, wie wir die nächsten Monate in Rheinland-Pfalz gestalten wollen und welche Lockerungen wir schon schneller als geplant umsetzen können.

So wichtig es ist, regional angepasst zu handeln, so wichtig ist es auch, dass wir als Länder in Absprache mit dem Bund gemeinsame Grundsätze haben. Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen dringend auf Bundesebene gebündelt werden, und wir brauchen auch endlich die versprochene verlässliche App, um die Nachverfolgung von Kontaktpersonen zu erleichtern. Beides habe ich heute in einem Brief an die Kanzlerin eingefordert.

Maßgeblich bleibt zu jeder Zeit das Infektionsgeschehen. Um einen zuverlässigen Überblick über die Verbreitung des Coronavirus im Land zu haben, wird die „Zukunftsperspektive Rheinland-Pfalz“ begleitet von einem nachhaltigen und effizienten Testkonzept. Sobald ein COVID-19-Fall auftritt, werden die unmittelbaren Kontaktpersonen ermittelt, in Quarantäne geschickt und getestet.

Darüber hinaus werden immer mehr anlassbezogene Populationstestungen durchgeführt. Das heißt, wenn eine Corona-Infektion in einer Einrichtung oder einem Unternehmen bekannt wird, werden wiederholt und unabhängig von Symptomen weitere Personen oder Personengruppen in einem Alten- oder Pflegeheim, im Krankenhaus, in Kindergärten, Schulen oder bestimmten Gemeinschaftsunterkünften getestet.

Begleitend zu den Schul- und Kitaöffnungen werden wir in ausgewählten Einrichtungen Stichproben in Form von Querschnittsuntersuchungen durchführen, um hieraus zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, die Corona-Pandemie ist längst weit mehr als eine weltweite Gesundheitsgefahr, sie droht auch zu einer schwerwiegenden ökonomischen Krise zu werden. Deshalb hat das Land sofort entschiedene Maßnahmen getroffen, um die Schäden für unsere Wirtschaft so gering wie möglich zu halten und die Arbeitsplätze zu schützen.

Für die Existenzsicherung unserer Unternehmen und Selbstständigen hat Rheinland-Pfalz mit dem Nachtragshaushalt einen Schutzschild aufgestellt. Wir haben Programme für unsere Künstler und Künstlerinnen, unsere Vereine und ehrenamtlichen Initiativen aufgelegt.

Die Maßnahmen wirken. Aber natürlich muss es jetzt darum gehen, dass die Betriebe möglichst schnell wieder Tritt fassen. Die Bundesregierung hat für Anfang Juni ein Konjunkturprogramm angekündigt, um der Wirtschaft neuen Schwung zu verleihen.

Für uns ist klar, die Investitionen müssen nachhaltig sein. Das heißt, sie müssen die technologische und ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben. Dazu gehören auch Investitionen in Bildung und innovative Ideen.

Die gewaltigen Mittel, die wir jetzt einsetzen, müssen die Wachstumsgrundlage für die Zukunft bilden. Selbstverständlich werden wir zusammen mit dem Bund auch kleine und mittlere Unternehmen weiter unterstützen.

Ich will aber auch ganz deutlich sagen, dass ich keinerlei Verständnis dafür habe, wenn aus Kreisen der CDU jetzt die Absenkung des Mindestlohns gefordert wird.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Wer abends zu Recht für diejenigen klatscht, die große Verantwortung tragen und wenig verdienen, aber im nächsten Moment den Mindestlohn kürzen will, macht Politik auf dem Rücken der Geringverdiener.

(Abg. Martin Haller, SPD: So sind sie! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So sieht es aus!)

Das Land muss für 2020 mit weniger Steuereinnahmen rechnen. 2 Milliarden Euro werden fehlen. Das trifft auch die Städte, Gemeinden und Landkreise. Sie müssen mit 638 Millionen Euro weniger auskommen. Deshalb hat die Landesregierung unmittelbar entschieden, einmalig die Hälfte der kommunalen Gewerbesteuermindereinnahmen des Jahres 2020 zu kompensieren. Insgesamt spannen wir über unsere Kommunen einen Rettungsschirm von 700 Millionen Euro.

Darüber hinaus erwarten wir, dass es mit dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung endlich auch zu der Umsetzung der kommunalen Altschuldenhilfe kommt. Für diejenigen, die das verhindern wollen, habe ich ebenfalls gar kein Verständnis.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Kommunen müssen ihre Investitionstätigkeit auf hohem Niveau fortsetzen und die Belebung der Konjunktur unterstützen können.