Protokoll der Sitzung vom 27.05.2020

Eine Enquete-Kommission zu diesem Thema ist ein Verschleppungsgremium, um sich das eigene Versagen auf Landes- und Bundesebene schönzureden, aber damit werden Sie sich nicht über die Landtags- und Bundestagswahlen hinwegretten können, meine Damen und Herren.

(Beifall der AfD)

Wir werden morgen einen wirtschaftspolitischen Antrag vorlegen, in dem wir darlegen werden, wie Sie mit den scharfen staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus, wie Sie mit dem radikalen Shutdown weiten Teilen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens schweren Schaden zugefügt haben.

Die Konjunkturforscher sagen für 2020 den größten Einbruch der deutschen Wirtschaft in der Nachkriegsgeschichte voraus. Den Schätzungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel zufolge lag das Niveau der wirtschaftlichen Aktivitäten im April um 15 % unter dem Vorkrisenniveau und steigt seit Anfang Mai nur langsam wieder an.

Laut einer wirtschaftlichen Szenariorechnung des ifo Instituts sind alle Bundesländer ähnlich stark betroffen, es ist nicht nur eine Frage für Rheinland-Pfalz.

Rheinland-Pfalz war und ist mit den Maßnahmen zur Stützung der Liquidität der Unternehmen deutlich sparsamer als viele andere Bundesländer. Soforthilfen als Zuschüsse gibt es in Rheinland-Pfalz nur für Unternehmen mit bis zu 30 Beschäftigten. Andere Länder, zum Beispiel Bayern und Hamburg, geben Zuschüsse für Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten. Während es in Rheinland-Pfalz bei Unternehmen mit über zehn Beschäftigten nur maximal 9.000 Euro an Zuschuss gibt, sind es in Brandenburg teilweise bis zu 60.000 Euro.

Die Corona-Krise beschleunigt den bereits vorher erkennbaren Trend zur Digitalisierung. Das ist gut. Die Breitbandverfügbarkeit steigt zwar im Moment, aber nur um 3,6 % der stationären Breitbandanschlüsse in Deutschland, und diese sind Glasfaseranschlüsse. In Südkorea sind es dagegen 81,7 %. Das ist ein deutlicher Unterschied.

Die bisherigen Förderprogramme für den Breitband- und insbesondere den Glasfaserausbau sind ineffizient, das haben auch unsere Großen Anfragen zum Thema ergeben.

Die realen Folgen der aktuellen Krise, die steigende Arbeitslosigkeit, die Insolvenzen und die Einnahmeverluste der öffentlichen Kassen können nicht komplett verhindert,

jedoch durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik abgemildert werden, und der schon jetzt erkennbare Wettbewerbsnachteil unserer Unternehmen kann eingedämmt werden.

Wir müssen jetzt mit der Lockerung der Einschränkungen mutiger und schneller werden. Dabei sind weitere regionale Differenzierungen machbar. Wir können alle speziellen Corona-Hygieneregeln für Gastronomie und Einzelhandel in Landkreisen mit weniger als zehn Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner durchaus aufheben. Derzeit liegen nur noch Kaiserslautern, Mainz und Worms darüber. 25 der 36 Kreise liegen aktuell sogar bei einem oder null Neuinfizierten. Das ist ein Erfolg, den man nutzen sollte.

Damit uns das besonders betroffene Gastgewerbe nicht wegbricht – ich habe viele Gespräche in der letzten Zeit gerade mit diesem Gewerbe geführt –, brauchen wir dringend eine zeitnahe, vom Land finanzierte Tourismuswerbekampagne, meine Damen und Herren, und zwar sofort, für den Sommer und weiterführend für den Herbst.

Die Menschen sehen endlich Licht am Ende des Tunnels. Sie wollen jetzt buchen, und das sollen sie bitte in Deutschland, noch besser in Rheinland-Pfalz tun.

(Beifall der AfD)

Wir brauchen jetzt eine sofortige Digitaloffensive für unsere Hotels. Ich war erschüttert, als ich hörte, dass man nur bei einem Viertel aller unserer Hotels in Rheinland-Pfalz online buchen kann – ein Armutszeugnis für unser Tourismusland, wie ich finde.

Meine Damen und Herren, wir müssen darüber hinaus ein Sonderprogramm „Digitale Infrastruktur, Breitbandausbau, Mobilfunk“

(Abg. Joachim Paul, AfD: Genau!)

und eine Regionalförderung für strukturschwache Regionen auflegen. Für beides zusammen schlagen wir 500 Millionen Euro Landesmittel vor. Jetzt, meine Damen und Herren, geht es um das Überleben und nicht darum, in Schönheit zu sterben. Setzen Sie Schwerpunkte dort, wo Sie Daseinsvorsorge und Wiederaufbau fördern.

Meine Damen und Herren, auch in dieser Rede möchte ich einen Schwerpunkt auf unsere Kinder legen; denn die Kinder sind unsere Zukunft. Wir haben lange die sicher auch notwendigen Maßnahmen der Landesregierung mitgetragen, solange sie nachvollziehbar und zwingend erforderlich waren. Doch mittlerweile gehen die Einschränkungen an die Substanz und stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr.

Wir benötigen dringend weitere Öffnungen in den Kitas und den Schulen, und zwar im Vertrauen auf die Wissenschaft dort, wo es medizinisch vertretbar und pädagogisch geboten ist. Wir werden unsere Vorstellungen dazu am morgigen Donnerstag detailliert darlegen, wenn wir unseren Antrag

„Der Wissenschaft vertrauen – KiTas und Schulen möglichst vollständig öffnen“ vorstellen werden.

Fünf medizinische Fachgesellschaften haben am 19. Mai in einer gemeinsamen Stellungnahme die Aufhebung sämtlicher Einschränkungen für den Kita- und Schulbetrieb im gesamten Bundesgebiet gefordert. Die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Schließungen seien gravierend und stünden in keinem Verhältnis zum aktuellen Infektionsrisiko. – Richtig.

Die Stellungnahme kann auf weite Teile von RheinlandPfalz übertragen werden. Nur noch elf von 36 Landkreisen und kreisfreien Städten haben mehr als eine Infektion innerhalb der letzten sieben Tage. In 15 Landkreisen kamen gar keine Neuinfektionen mehr vor. In zwei Drittel aller Landkreise und kreisfreien Städte wäre es also schon jetzt medizinisch vertretbar und pädagogisch geboten, diese vollständig zu öffnen, meine Damen und Herren.

Die gravierenden Bildungseinbußen, die mit den derzeitigen Einschränkungen verbunden sind, sind nicht mehr angemessen. Auch der wachsenden Betreuungsproblematik, der sich berufstätige Eltern in der jetzt angelaufenen Phase einer zunehmend wiederbelebten Wirtschaft ausgesetzt sehen, muss mit der möglichst vollständigen Öffnung der Kitas in diesen Landkreisen und kreisfreien Städten Rechnung getragen werden.

Allerdings gibt es auch kreisfreie Städte und Landkreise – das will ich gerne zugeben –, für die es durchaus sinnvoll ist, die Rückkehr zum Regelbetrieb noch hinauszuzögern. Es gibt also kein Entweder-oder, sondern man muss genau hinschauen und differenziert handeln. Darüber hinaus gibt es auch Vorerkrankte und unter Quarantäne gestellte Kinder, die auf keinen Fall aus dem Blick geraten dürfen.

Meine Damen und Herren, mit einer Liveübertragung des Präsenzunterrichts nach Hause könnten diese Schüler zeitund inhaltsgleich beschult werden. Kurz, wir müssen selbstverständlich eine Güterabwägung vornehmen, aber dort, wo es möglich ist, auch entschlossen loslassen und nicht dem Dogma der Einheitlichkeit folgen.

Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Kitas und Schulen dort, wo es verantwortbar ist, umgehend und vollständig zu öffnen, Erzieher und Lehrer aus Risikogruppen von der Anwesenheitspflicht zu befreien und die Ausfälle durch Unterrichts- und Betreuungsreduzierung aufzufangen.

(Beifall der AfD)

Es bleibt bei der generellen Forderung, die weitere Infektionsentwicklung genau zu beobachten und einschränkende Maßnahmen permanent nachzujustieren.

Meine Damen und Herren – Herr Baldauf, auch an Sie gerichtet –, nein, es war nicht alles falsch. Ich glaube, wenn wir an der Regierung gewesen wären, hätten wir manches genauso getan und nicht anders.

(Abg. Martin Haller, SPD: Gott, was für eine Horrorvorstellung! – Weitere Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, auch wir können logisch denken und Zahlen lesen. Aber man muss sie auch erheben, und das ist unser Vorwurf. Es fehlt an der entsprechenden Datenerhebung, und das haben wir schon ganz am Anfang gesagt. In der letzten Plenarsitzung haben wir das ganz deutlich gefordert. Ich glaube, das ist nichts Ehrenrühriges.

Herr Baldauf, eines möchte ich am Schluss noch sagen. Auf Bundesebene war und ist die CDU mit Frau Merkel und Herrn Spahn verantwortlich, und deshalb gibt es keinen Grund, hier eine derartige Tirade loszulassen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Er hört schon gar nicht mehr zu! – Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Ich denke, die Grenzen des Zumutbaren, meine Damen und Herren, sind erreicht, und es wird Zeit, mit Mut, aber auch mit Augenmaß den Bürgern ihr Leben und der Wirtschaft ihre Kraft zurückzugeben.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht deren Vorsitzende Frau WilliusSenzer.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am Samstag 71 Jahre Grundgesetz gefeiert. Das ist zwar kein rundes Jubiläum, aber ich will diesen wichtigen Tag doch heute auch in Erinnerung bringen. Wir können stolz darauf sein, dass uns dieses Grundgesetz seit 1949 Würde, Freiheit, Gleichheit und Teilhabeschutz garantiert.

Bereits in der jüngsten Aussprache zur Regierungserklärung der Ministerpräsidentin habe ich betont, dass unser öffentliches Leben derzeit deutlich eingeschränkt ist. Die aktuell geltenden Verordnungen stellen massive Grundrechtseinschränkungen dar. Dem muss sich dieses Parlament immer wieder bewusst sein.

Wir sprechen in diesen Tagen oft davon, dass in Ländern und im Bund Öffnungen diskutiert werden. Es entstehen Debatten darüber, welchen Schritt man als Nächstes gehen könne. Für welche Branche wird das Geschäft wieder erlaubt? Beinahe wird das schon als Geschenk kommuniziert.

Ich finde, das ist der falsche Ansatz. Es muss die umgekehrte Richtung sein. Statt darüber zu sprechen, welche Branche wieder etwas darf, müssten wir öfter begründen, warum etwas eingeschränkt bleibt.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Aha!)

Politik ist immer in der Begründungspflicht,

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Richtig!)

und ich will selbstkritisch sagen,

(Abg. Michael Frisch, AfD: Ganz neue Töne von der FDP!)

dass wir als Politik in Gänze dieses Prinzip vielleicht zu oft vermissen lassen. Dabei fordert das Grundgesetz genau dazu auf, uns immer wieder in unserem Tun zu überprüfen.

(Vereinzelt Beifall der FDP)

Wir feiern in dieser Krise zu sehr das Lockernde. Das ist leicht, weil eine Lockerung keine Begründung braucht, die bestehenden Beschränkungen hingegen schon. Ich bin froh, dass sich die Landesregierung nicht darin verliert, Lockerungen abzufeiern.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)