Protokoll der Sitzung vom 27.05.2020

Ich komme aus der Südpfalz, wie Sie wissen, und ich habe durchaus festgestellt, dass es nicht nur die sind, die immer über Europa reden, sondern viele Bürgerinnen und Bürger ganz persönlich, ganz privat sagen, das mit den Grenzkontrollen, das mit den faktisch geschlossenen Grenzen stört uns massiv. Es behindert uns wirtschaftlich, es behindert das gemeinsame Zusammenleben, das tut uns weh.

Wenn Sie gestandene Bürgermeister sehen, die in Tränen aufgelöst sind, weil sie sagen, wir wissen nicht mehr, wie wir die Zusammenarbeit zwischen beiden Regionen gestalten sollen, dann merken Sie, wie tief Europa auch emotional bei den Menschen verwurzelt ist.

Darum bin ich froh, dass während wir hier debattieren im Europäischen Parlament ein Vorschlag diskutiert wird, der auch aus der deutschen Bundesregierung heraus entstanden ist, der gemeinsam mit der französischen Partnerschaft entstanden ist, nämlich dafür zu sorgen, dass wir in Europa insbesondere den Ländern in der Europäischen Union helfen, die besonders schwer durch die Krise gekommen sind, die besonders schwer darunter leiden mussten.

Ich bin froh, dass Europa damit auch gestärkt wird. Ich unterstütze das ausdrücklich, wir unterstützen es ausdrücklich. Aber ich sage auch, es hat nicht nur etwas mit europapolitischem Idealismus zu tun, dass ich mir wünsche, dass dieser Wiederaufbauplan funktioniert, es hat auch etwas mit den wirtschaftlichen Interessen des Landes RheinlandPfalz zu tun.

Das sind auch unsere Märkte, das sind die Märkte für die Produkte, für die Dienstleistungen rheinland-pfälzischer Unternehmer. Darum geht es, lieber Herr Baldauf. Da sind die schon ein ganzes Stück weiter als Sie. Sie reden gar nicht mehr so sehr darüber, wann die Soforthilfe gekommen ist, sondern sie sagen: Wann sind die Märkte für meine Produkte, für meine Dienstleistungen wieder offen?

Da sind die viel weiter als Sie, lieber Herr Baldauf, und darum müssen wir dafür sorgen, dass Europa sich auch wirtschaftlich wieder öffnet und es in Zukunft wieder zu einer Solidargemeinschaft wird. Wir sollten unseren Teil dazu beitragen, und zwar auch dann, wenn es darum geht, die Grenzkontrollen wieder abzubauen.

(Beifall der SPD, bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Wir haben das sehr früh gefordert, als wir gesehen haben, dass die Grundlage dafür nicht mehr gegeben ist. Dieser Tage wird es eine Zusammenkunft der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung geben, und dort wird Herr Seehofer sich erklären müssen, weshalb er, obwohl die Infektionszahlen so sind, wie sie sind, immer noch an den

Grenzkontrollen festhält.

An dieser Stelle möchte ich sagen, ich freue mich über jeden Kommunalpolitiker – und zwar parteiübergreifend – an den Grenzen, der sagt, diese Grenzkontrollen sind nicht mehr begründbar, sie schaden uns. Aber ich hätte mir auch gewünscht, dass die rheinland-pfälzische CDU, immerhin eine Partei in der Tradition Helmut Kohls, einmal eine Haltung dazu findet.

(Beifall der SPD und vereinzelt bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Baldauf, das wäre doch etwas gewesen für Sie! Das wäre doch einmal eine Größenordnung gewesen,

(Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD: Verpasst!)

die einem Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz zusteht – aber auch dazu keine Haltung. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren: Auch dazu braucht man Verlässlichkeit. Man muss auch in Krisenzeiten zu seinen Positionen stehen, wenn man denn welche hat.

Das gilt auch für das Thema der Grundrente, darüber haben wir beim letzten Mal schon gesprochen. Ich bin sehr froh, dass Sie sich auch auf Druck der Aussagen unserer Ministerpräsidentin zum Mindestlohn bekannt haben, lieber Herr Kollege Baldauf. Das ist dringend notwendig. Hoffen wir, dass Ihr Einfluss dafür reicht, dass diese Pläne der CDU auf Bundesebene auch kassiert werden.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Der ist größer als Ihrer!)

Aber ich will Ihnen eines sagen: Wir warten auf ein Wort von Ihnen zum Thema „Altschulden“. Wenn Sie glauben, Sie können hier mit kleinem Karo eine Debatte aufmachen nach dem Motto „Die Kommunen in Rheinland-Pfalz sind halt selbst schuld, dass sie diese Landesregierung haben“, dann haben Sie Föderalismus nicht verstanden.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Nein, dafür können sie nichts!)

Wenn wir jemals in Deutschland den Föderalismus so definiert hätten, wie Sie es heute versucht haben und wie Sie es auch weiter versuchen werden, wäre Bayern nie da gelandet, wo es gelandet ist. Dann wäre Bayern niemals aus der Kraftkammer der damaligen Bundesrepublik Deutschland, aus dem Ruhrgebiet heraus unterstützt worden. Es wäre heute noch ein landwirtschaftlicher Selbstversorger mit schönem Wetter.

(Glocke des Präsidenten)

Aber das ist es nicht. Darum sage ich Ihnen ganz deutlich, lieber Herr Baldauf: Wir brauchen die Solidarität des Bundes.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Ei, ei, ei! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wir sind bereit, uns selbst zu engagieren, was die Altschul

den angeht. Dazu gibt es einen Vorschlag von Olaf Scholz.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Das war noch Ferdinand Lassalle!)

Es gibt einen Vorschlag von Doris Ahnen. Es gibt keinen Vorschlag von Christian Baldauf, weil das nun wiederum eine Größenordnung zu groß ist.

Es wird in den nächsten Tagen und Wochen nicht nur darum gehen,

(Glocke des Präsidenten)

wie die Abstände in den Fitnessstudios sind und ob der Thekenverkauf läuft. Das ist auch wichtig, – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Schweitzer, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

aber Führungskompetenz zeigt sich darin, ob Sie auch auf solche großen Fragen Antworten haben. Darauf bin ich in den nächsten Tagen und Wochen gespannt.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltend Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat deren Vorsitzender Junge das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Schweitzer wirft Herrn Baldauf vor, Wahlkampf zu machen. Herr Schweitzer, Sie haben nichts anderes getan. Wir sollten über Corona und die Regierungserklärung sprechen, und das möchte ich gerne tun.

Erhellend und erschütternd zugleich war die schonungslose Bewertung eines kritischen Referatsleiters aus dem Bundesinnenministerium,

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

die aufzeigte, wie konfus, ignorant und teilweise unverantwortlich mit dem Wirtschaftsvermögen und der Gesundheit unserer Bürger umgegangen wurde und wird. Die Politik kann keine sachlich richtigen Entscheidungen treffen, wenn die Informationen zur Gefahreneinschätzung unvollständig und ungeeignet sind.

Die Kollateralschäden durch die staatlich verordneten Schutzmaßnahmen sind inzwischen höher als der erzielte

Erfolg, und viele negative Auswirkungen des verfehlten Krisenmanagements werden sich erst in der Zukunft zeigen.

(Zuruf des Abg. Jochen Hartloff, SPD)

Verwunderlich ist, dass erst jetzt festgestellt wird, dass der Aufbau eines adäquaten Gefahren-, Analyse- und Bewertungssystems für Krisensituationen nicht hinreichend existiert hat. Das heißt, die angeordneten Schutzmaßnahmen müssen umgehend auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Ich sage nicht, dass das nicht geschieht, aber es muss sehr genau und intensiv geprüft werden, und bei Unverhältnismäßigkeit müssen sie aber dann auch unverzüglich aufgehoben werden.

Sie müssen aber ganz sicher – ich glaube, das ist das Problem dieser Tage – für den Bürger plausibel und nachvollziehbar erläutert werden. Die auf den Seiten des Robert Koch-Instituts (RKI) kontinuierlich erfassten und veröffentlichten Zahlen bilden das Infektionsgeschehen nur stark eingeschränkt ab; denn sie geben im Wesentlichen nur wieder, wie viele der insgesamt auf das Virus getesteten Personen ein positives Testergebnis aufweisen.

Verlässliche Rückschlüsse auf die tatsächliche Anzahl der infizierten und erkrankten Personen sind dementsprechend nicht möglich. Dennoch stellen diese Zahlen des RKI allein, allen voran die Reproduktionszahl R, eine maßgebliche Entscheidungsgrundlage für Bundes- und Landesregierungen dar, wenn es darum geht, Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus anzuordnen, aufrechtzuerhalten oder zurückzunehmen.

Angesichts der Intensität der mit diesen Maßnahmen verbundenen Einschränkungen von Grundrechten und der Auswirkung auf die Menschen, auf die Gesellschaft und auf die Wirtschaft in unserem Land bedarf es aber valider Zahlen. Nur so werden wir Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen hinreichend erklärbar machen können. Genau das findet aber nicht statt und führt zunehmend zu verständlichen Bürgerprotesten, die hier zu Recht Transparenz und Verhältnismäßigkeit einfordern.

Angesichts der bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Corona hätte das Ansinnen einer Enquete-Kommission nur dann seine Berechtigung, wenn wir von einem vermuteten Zukunftsszenario ausgehen würden. Aber diese Vermutung ist längst knallharte Realität, meine Damen und Herren, und wir befinden uns aktuell in einer hoffentlich abklingenden, aber noch existierenden Echtzeitkrise.

Eine Enquete-Kommission ist von Natur aus träge und darauf angelegt, eine komplexe Problemstellung sorgfältig und detailliert zu analysieren, mithin durchhaltefähige und langfristige Lösungsansätze zu entwickeln. Dafür, meine Damen und Herren, braucht es Zeit – Zeit, die wir nicht haben. Ich erinnere an dieser Stelle an die dreijährige, völlig ergebnislose Enquete-Kommission zur direkten Demokratie. Sie war doch ein Musterbeispiel für das Verbrennen von Zeit, Geld und Ressourcen, meine Damen und Herren. Ich

könnte mich viel eher mit einem Untersuchungsausschuss anfreunden; er wird ja auf Bundesebene bereits diskutiert.

Nein, jetzt gilt es zu handeln. Die Aufgaben sind klar, die Verantwortlichkeiten sind zugeordnet und die Mängel auch weitgehend bekannt. Nehmen Sie sich doch die Katastrophenschutzpläne, den Pandemieplan und die Erfahrungen in der jüngsten Zeit, und fangen Sie an zu arbeiten, meine Damen und Herren.

Eine Enquete-Kommission zu diesem Thema ist ein Verschleppungsgremium, um sich das eigene Versagen auf Landes- und Bundesebene schönzureden, aber damit werden Sie sich nicht über die Landtags- und Bundestagswahlen hinwegretten können, meine Damen und Herren.