Protokoll der Sitzung vom 17.09.2020

Zur Prävention und Überwindung von Armut in RheinlandPfalz hat die Landesregierung zwölf Handlungsfelder festgelegt. Ein Handlungsfeld davon ist die Einkommensarmut. Die Reduzierung von Einkommensarmut ist Dreh- und Angelpunkt der Armutsbekämpfung. Mit jährlich deutlich über 300 arbeitsmarktpolitischen Initiativen und Projekten bekämpft die Landesregierung die Arbeitslosigkeit und stärkt das Potenzial von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Aus dem Armuts- und Reichtumsbericht geht hervor, dass die Armutsgefährdung mit steigendem Qualifikationsniveau abnimmt. Genau deshalb ist dies der richtige Ansatzpunkt, um Einkommensarmut zu bekämpfen.

Spezielle Förderansätze, die aus Landes- und Fördermitteln des Europäischen Sozialfonds unterstützt werden, gehen

gezielt auf diese Probleme ein. Zugang zu einem lebenslangen Lernen und die Steigerung der Fähigkeit der Arbeitskraft sind nur ein Beispiel hierfür.

Doch die Grundlagen für ein höheres Qualifikationsniveau werden nicht erst im Jugend- und Erwachsenenalter geschaffen. Deswegen stehen auch wir für weltbeste Bildung in Rheinland-Pfalz.

Der Grundstein für das späte Lernen wird bereits im Kindesalter gelegt. In Rheinland-Pfalz wird bereits viel in frühkindliche Bildung investiert. Davon profitieren sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte im Unterricht.

Bildung und Qualifikation sind Schlüsselfaktoren, um die Einkommensarmut zu bekämpfen. Wir wissen, Armutsbekämpfung ist ein langwieriger und dynamischer Prozess und wird gerade regional durch viele Faktoren beeinflusst. Deshalb müssen wir zur Armutsbekämpfung Neues angehen und Bestehendes überdenken.

Ich darf hier noch einmal den runden Tischen – auch in Pirmasens – zur Armutsbekämpfung und für den Beteiligungsprozess danken. Mein Dank geht an alle Haupt- und Ehrenamtlichen, die in diesem Bereich tätig sind, um den armen Menschen zu helfen.

Es soll Ziel der Politik sein, dass alle Menschen in unserem Land die Chance bekommen, ohne Armut leben zu können. Dies gilt für alle politischen Ebenen. Leider liegt es nun einmal in der Natur der Sache, dass dann, wenn wir zum Beispiel über das Bürgergeld diskutieren, das auf der Bundesebene und nicht auf der Landesebene entschieden wird. Deshalb muss sich der Bund genauso in die Diskussion einbringen, wie es das Land tut.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen diese Chancen schaffen und den Menschen Mut machen, diese Chancen zu ergreifen.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Daniel Köbler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über Armut in unserem Land sprechen, dann ist es, wie ich finde, eine der wichtigsten Aufgaben für die Gestaltung unserer Gesellschaft, Gerechtigkeit herzustellen und Chancengleichheit für alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, zu wahren.

Auch ich will an einem Beispiel des persönlichen Erlebens

deutlich machen, wie dieser Teufelskreis, wenn man davon betroffen ist, aussehen kann: Ein Mensch, langzeitarbeitslos, aufgrund einer psychischen Belastung nicht ohne Weiteres arbeitsfähig, nimmt im Rahmen des Sozialen Arbeitsmarkts eine Arbeitsgelegenheit in Mainz wahr. Früher hat man gesagt, ein 1-Euro-Job. Dienstbeginn ist um 9.00 Uhr. Der Mann hat sich bewährt und gut gearbeitet, aber er kam jeden Morgen erst zwischen 9.20 Uhr und 9.30 Uhr. Er kam nie pünktlich. Es stellte sich die Frage, warum das so ist, weil er sich sonst gut angestellt hat.

Nach einigen Wochen hat man ihn unter vier Augen gefragt: Was ist los? Du bist doch sonst total zuverlässig? Du machst alles gut. Warum kommst Du immer erst um 9.20 Uhr/9.30 Uhr? Dienstbeginn ist um 9.00 Uhr. Was kommt heraus? – In Mainz ist der ÖPNV-Fahrschein ab 9.00 Uhr günstiger als der normale ÖPNV-Fahrschein. Er hat gesagt, er kann sich den normalen ÖPNV-Fahrschein nicht leisten. Deswegen kann er erst um 9.20 Uhr zur Arbeit kommen, weil der Bus so fährt.

Meine Damen und Herren, dieses Beispiel macht deutlich, dass es nicht immer eine monokausale Erklärung gibt, sondern Menschen, die seit Jahren, zum Teil seit Generationen von Armut betroffen sind, auf vielfältige Weise Unterstützung benötigen. Da will ich nur wenige Punkte, die im Bericht deutlich werden und die auch schon angesprochen worden sind, noch einmal herausgreifen.

Der erste und für mich wichtigste Punkt ist, jedes fünfte Kind bei uns ist einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Das ist auch mit Blick auf die Zukunft unserer Gesellschaft wirklich ein Skandal. Ich glaube, das ist das, was wir wirklich anpacken müssen, weil bei Kindern, die von Anfang an in Armut leben, die oft ihr Leben lang da nicht herauskommen, die das schon von den Eltern vererbt bekommen haben, kann man wirklich nicht mehr von Chancengerechtigkeit sprechen. Es kann auch nicht sein, dass mit jedem weiteren Kind das Armutsrisiko weiter zunimmt.

Herr Böhme, das hat auch nichts mit dem Genpool zu tun, sondern das ist in unserem Land völlig unabhängig davon. Deswegen ist die Forderung an den Bund, die wir im Landtag schon erhoben haben, absolut überfällig. Wir brauchen endlich eine Kindergrundsicherung in Deutschland, damit es aufhört, das Kinder in Deutschland das Armutsrisiko Nummer eins sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Steven Wink, FDP)

Das wird bei der Armutsrisikoquote von alleinerziehenden Familien besonders deutlich. Jede zweite alleinerziehende Familie in unserem Land ist armutsgefährdet. Frau Thelen, Sie haben gefragt, woran das trotz aller Maßnahmen liegt. Zum einen müssen Sie sich einmal anschauen, dass wir in Deutschland mit dem Kindergeld und dem Kinderfreibetrag eigentlich ein ganz kluges familienpolitisches Instrument haben. Dieses Instrument müssen wir ausbauen.

Solange aber bei uns das Kindergeld mit dem Hartz-IVSatz verrechnet wird und Menschen mit geringerem oder

keinem Einkommen von Kinderfreibeträgen nichts haben, solange werden wir diesen Missstand erleben, weil das Geld bei denen, die es am nötigsten haben, bei den Familien mit wenig oder keinem Einkommen, überhaupt nicht ankommt. Das ist das zentrale sozialpolitische Problem, das wir auf Bundesebene endlich angehen müssen. Jedes Kind muss uns doch gleich viel Wert sein, egal ob es das Kind einer Abgeordneten oder eines Hartz-IV-Empfängers ist. Das ist die Devise, und das bedeutet Kindergrundsicherung.

(Zuruf der Abg. Hedi Thelen, CDU)

Der zweite Punkt ist – das steht auch im Bericht –, wir haben ein überdurchschnittliches Angebot im Bereich der Kinderbetreuung, das in der frühkindlichen Bildung auch überdurchschnittlich wahrgenommen wird. Das Problem bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, dass die eben nicht um 12.00 Uhr, 13.00 Uhr oder im Grundschulalter aufhört. Deshalb sehen Sie auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen der erhöhten Zahl von prekärer Beschäftigung oder von Mini-Jobs und von Hartz-IV-Aufstockern. Das ist doch genau das Problem.

Deshalb können wir Alleinerziehende durch Kinderbetreuung entlasten, aber wenn sie nicht ganztags angeboten wird, dann stoßen wir an Grenzen. Natürlich fehlt es auch an Zeit und Geld, um den Kindern wiederum bei Hausaufgaben usw. zu helfen. Dann befinden wir uns wieder in diesem Teufelskreis.

Deshalb von mir aus ein dritter Punkt: Wenn wir uns die Zahlen ansehen, dann können wir sagen, dass wir uns im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten beim Thema „Altersarmut“ momentan auf einem vergleichsweise guten Niveau befinden. Das ist aber ein trügerisches Niveau, weil wir sehen, dass die Frauen, die heute alleinerziehend sind,

(Glocke der Präsidentin)

morgen zum Beispiel in Kusel einen Rentenanspruch von unter 650 Euro haben werden. Das heißt, neben der Bekämpfung der Kinderarmut wird auch die Zukunftsaufgabe sein, dafür zu sorgen, dass die Altersarmut insbesondere von Frauen verhindert wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Mir liegt eine Wortmeldung von Dr. Böhme zu einer Kurzintervention vor. Gibt es eine zweite Kurzintervention? Oder haben Sie sich abgestimmt? – Es gibt eine weitere Wortmeldung zu einer Kurzintervention von Herrn Frisch von der AfD-Fraktion. – Zunächst hat Herr Dr. Böhme das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Köbler, ich bitte Sie, solche subtilen Unterstellungen zu unterlassen.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Ich habe weder von Genen noch Genpoolen noch irgendwie von Genetik gesprochen.

Wir wissen, dass sich Armut vererbt. Das ist auf die Armut der Familien, auch auf die Bildungsarmut der Familien zurückzuführen. Die Gründe habe ich klar und deutlich benannt. Von Genen habe ich nie gesprochen.

(Beifall der AfD)

Wird eine direkte Erwiderung gewünscht?

Dann folgt eine zweite Kurzintervention des Abgeordneten Frisch.

Herr Kollege Köbler, zunächst einmal auch von mir der kurze Hinweis und die Bitte, präziser zu formulieren, weil Sie immer wieder bringen, es gibt keine Chancengleichheit. Aufgrund der unterschiedlichen genetischen Ausstattung ist die Chancengleichheit schon nicht gegeben, wenn ein Kind gezeugt wurde. Damit fängt es an. Das hört noch lange nicht damit auf, dass man in einer bestimmten Familie aufwächst und damit natürlich bestimmte soziale Rahmenbedingungen hat.

Wenn Sie das alles gleichmachen wollen, dann nehmen Sie die Kinder am besten unmittelbar nach der Geburt aus den Familien heraus und geben sie in eine staatliche Erziehung. Selbst dann wird es keine Chancengleichheit geben. Wir sollten hier sauber formulieren,

(Beifall der AfD – Zuruf von der SPD)

weil Sie immer wieder suggerieren, gleiche Chancen herzustellen. Was wir machen können – das sollten wir –, ist, eine Chancengerechtigkeit herzustellen, die es jedem Menschen ermöglicht, aus dem, was er von der Natur und der Familie mitbekommen hat, das Optimale und Bestmögliche zu machen. So viel dazu.

Zweiter Punkt ist – weil Sie das auch immer wieder ansprechen – die Kindergrundsicherung. Kinderarmut ist immer

auch Familienarmut. Ich glaube, da sind wir uns einig. Kinder sind an sich nicht arm. Sie sind deshalb arm, weil sie in armen Familien leben. Die Kindergrundsicherung würde unglaublich hohe Ressourcen verbrauchen. Wir haben vom Landesfamilienbeirat einmal eine Summe von 500 Euro im Monat gehört. Abgesehen davon, dass man hiermit falsche Anreize setzt; denn wer möchte noch einer Erwerbsarbeit nachgehen, wenn er drei oder vier Kinder hat und dafür die Grundsicherung bekommt,

(Unruhe bei der SPD)

ist es natürlich so, dass Sie diese von den Leistungsträgern in unserer Gesellschaft, von den vielen Mittelschichtfamilien – auch mit Kindern – finanzieren lassen müssten. Das heißt, hier wird vom Staat zunächst einmal eingesammelt, um dann wieder großzügig verteilt zu werden. Unsere Vorstellung ist eine andere. Dr. Böhme hat es angedeutet. Wir wollen, dass man Familien wieder mehr Netto vom Brutto lässt. Hören Sie endlich als Staat auf damit, den Familien über Steuern und Sozialabgaben so viel Geld abzuknöpfen, dass sie an den Rand der Armut geraten.