Protokoll der Sitzung vom 05.10.2016

Folge haben, dass berechtigte Ansprüche von Menschen mit Behinderung im Vergleich zum derzeitigen Stand reduziert werden. Bei der Umsetzung muss gelten: Was im bisherigen Recht als angemessen angesehen wird, soll auch nach dem neuen Recht angemessen sein.

Die unterschiedlichen finanziellen Interessen von Bund, Ländern und Kommunen sind selbstverständlich ebenfalls ein wichtiges Thema bei dieser Reform. Die Kostendynamik bei der Eingliederungshilfe stellt die kommunalen Haushalte bereits jetzt vor große Herausforderungen. Hier setzen wir uns weiter für eine Entlastung durch den Bund ein.

So ist beispielsweise im Gesetzentwurf im Vorfeld der Beantragung von Leistungen eine unabhängige Teilhabeberatung vorgesehen, welche durch den Bund finanziert wird. Derzeit ist sie leider noch befristet. Die Koalitionsfraktionen setzen sich aber unter anderem dafür ein, dass diese auf Dauer vom Bund übernommen wird. Gerade die unabhängige Beratung sehe ich aus meiner Praxiserfahrung heraus als einen enormen Gewinn für die betroffenen Menschen an. Insgesamt fordern wir, dass der Bund vollständig und dauerhaft für die erwarteten Mehrausgaben der Kommunen durch Entlastungen aufkommt.

Wissenschaftliche Begleituntersuchungen zu den Auswirkungen des neuen Rechts sind sehr wichtig. Die Ergebnisse dieser Studien zu analysieren und auf Veränderungsbedarf zu reagieren, wird neben der Fortführung des Dialogs mit Menschen mit Behinderungen, ihren Verbänden und Einrichtungsträgern eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre sein.

(Glocke der Präsidentin)

Schließen möchte ich meine erste Landtagsrede mit einem Zitat von Gustav Heinemann: „Die Gesellschaft, die behinderte Menschen aller Art nicht als natürlichen Teil ihrer selbst zu achten und zu behandeln weiß, spricht sich selbst das Urteil.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schreiner.

(Abg. Martin Haller: Das vorher war eine gute Rede! Knüpfen Sie daran an!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesteilhabegesetz ist eines der ganz großen sozialpolitischen Vorhaben der CDU-geführten Bundesregierung. Menschen mit Behinderung sollen dadurch mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe an der Gesellschaft bekommen. Es geht um einen Systemwechsel weg von der Fürsorge, der Zentrierung der Sozialhilfe, hin zur echten Hilfe zur Eingliederung. Das, was Menschen mit Behinderung an Unterstützung bekommen, ist in der Zukunft davon

abhängig, und zwar einzig und allein, was sie wirklich brauchen. Zum Beispiel soll das nicht mehr davon abhängig sein, wo der Ort der Unterbringung ist. Insofern nimmt das Bundesteilhabegesetz die Menschen mit Behinderung als Staatsbürger, als Kollege oder auch als Steuerzahler schlicht ernst.

(Beifall der CDU)

Ich bin nur aus einer mittelbaren Betroffenheit – mein großer Bruder sitzt im Rollstuhl – zur Behindertenpolitik und zur Politik überhaupt gekommen. In dem Zusammenhang muss man einfach noch einmal deutlich machen, wie wichtig Teilhabe ist. Er und wir als Familie haben sehr viel Positives erfahren, was einen dazu bringen kann, sich politisch zu engagieren. Wir haben erfahren, dass die Gesellschaft bei Herausforderungen hilft, die man als Einzelner, als Familie oder als Freundeskreis nicht schultern kann.

Es ist aber auch richtig, dass er oder wir als Familie nicht nur Positives erfahren haben. Wir haben auch erfahren, dass es noch nicht selbstverständlich ist, dass es Teilhabe gibt, dass das noch nicht normal ist und immer wieder Einzelne, aber immer wieder auch der Staat – da muss ich selbstkritisch zugeben, es sind oft die Haushälter – oder die Gesellschaft mehr tun können.

Bei meinem ersten Kampf ging es um das Absenken von Bordsteinkanten und um die Integration von Behinderten in die Regelschule. Das heißt, wir nehmen Menschen mit Behinderung – das ist das große Ziel des Bundesteilhabegesetzes – schlicht als ganz normale Menschen, Staatsbürger, Steuerzahler, Kollegen – ich habe es eben angesprochen – ernst.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als CDU-Fraktion probieren wir in dieser Legislaturperiode etwas Ungewöhnliches aus. Der Haushälter ist gleichzeitig für Teilhabe zuständig. Mal schauen, ob das gut geht. Leistungsgesetze auf der einen Seite und der Blick auf das Geld auf der anderen Seite.

Als Haushälter muss man sagen, dass für Bund, Länder und Gemeinden dieses Bundesteilhabegesetz natürlich das Gegenteil einer Sparbüchse ist. Herr Kollege, Sie hatten das eben angesprochen. Der Bund gibt im Endzustand, wenn das Gesetz voll eingeführt ist, 700 Millionen Euro jedes Jahr zusätzlich. Aber nicht nur der Bund nimmt zusätzliches Geld in die Hand, sondern das Land in der Einführungsphase sogar noch mehr und wird auf lange Sicht jedes Jahr 50 Millionen Euro mehr in die Hand nehmen. In der Einführungsphase sind es bis zu 160 Millionen Euro, die vonseiten der Länder gezahlt werden müssen.

Wie gesagt, jedes Jahr verlässlich zusätzliches Geld. Ein Großteil davon kommt vom Bund. Danke! Ein großer Teil kommt aber auch von den Ländern. Vielen Dank dafür; denn wir glauben als CDU-Fraktion, dass dieses Geld gut investiertes Geld ist. Wir glauben, dass es nicht darum geht, dass nur immer mehr Geld investiert wird, sondern es geht vor allen Dingen auch darum, dass im Rahmen dieses Bundesteilhabegesetzes das Geld, das investiert wird, unbürokratischer vergeben wird, als das in der Vergangen

heit der Fall war. Wir brauchen schlicht und ergreifend nicht nur Barrierefreiheit in Gebäuden, sondern wir brauchen auch einen barrierefreien Zugang zu den Leistungen, die Menschen mit Behinderung per Gesetz zustehen. Diesen Anspruch leistet das Bundesteilhabegesetz.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Insofern ist damit die CDU-geführte Bundesregierung von Union und SPD einen großen Schritt in Richtung Integration gegangen. Es ist gut, dass wir das heute auch im Land in diesem Plenum diskutieren. Diskutiert wird es aber – das muss man ehrlicherweise an dieser Stelle auch sagen – schon lange. Ich kenne kein Gesetzgebungsverfahren, das so lange in einem so umfangreichen und so transparenten Beteiligungsprozess und Beteiligungsverfahren über Jahre diskutiert wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, insofern steht in Ihrem Antrag viel Richtiges, aber die Landesregierung zum Handeln aufzufordern, ist ein bisschen spät, weil die Landesregierung schon gehandelt hat. Das Gesetz soll am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Der Bundesrat hat das vorliegende Bundesteilhabegesetz schon breit diskutiert. Auch Anträge aus Rheinland-Pfalz wurden beraten. Die einen Anträge haben eine Mehrheit bekommen, aber die anderen Anträge haben keine Mehrheit bekommen. Die Stellungnahme des Bundesrats ist 107 Seiten lang. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es steht also viel Richtiges in Ihrem Antrag, aber es ist nicht so, dass die Landesregierung noch nicht gehandelt hat.

Unser Alternativantrag – lassen Sie sich von unserem Antrag überzeugen – ist insofern schlicht besser.

Vielen Dank. Alles Gute!

(Beifall der CDU – Abg. Martin Haller, SPD: Das sehen wir naturgemäß anders!)

Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Böhme.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete und Regierungsmitglieder, liebe Gäste! Der Anteil von Menschen mit wesentlicher und schwerer Behinderung liegt in Deutschland, in Rheinland-Pfalz bei um die 10 %. Wenn also jeder zehnte Bürger Anspruch auf Unterstützung im Bereich der Rehabilitation bzw. der beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe hat, zeigt sich die Bedeutung des Bundesteilhabegesetzes nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für den Rest der Bevölkerung. Wir stehen hier vor einer enormen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.

Der vorgelegte Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz ist also der Versuch, die Interessen aller Betroffenen und Akteure unter einen Hut zu bringen. Das ist naturgemäß keine einfache Aufgabe, was sich in mehr als 100 Änderungsanträgen vonseiten der Bundesländer zeigt. Dabei

geht die Auswirkung dieses Gesetzes mit der angestrebten Trennung von Grundsicherung, Teilhabe und Pflege weit über den Aspekt der Teilhabe hinaus.

Nicht umsonst haben Sie, Frau Staatsministerin BätzingLichtenthäler, auf dem Parlamentarischen Abend der BAGüS am 19. September in Berlin klargestellt, dass Sie Verfassungsklage einreichen werden, sollte der pflegerelevante Paragraf 43 a XI. Sozialgesetzbuch weiter Bestand haben oder in seiner Wirkung gar auf andere Wohnformen ausgeweitet werden. Das Thema Pflege wird in den vorgelegten Anträgen jedoch nur am Rande gestreift.

Die vorliegenden Anträge stellen damit jetzt nicht wirklich etwas Neues dar. Sie wiederholen die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und die Forderung der entsprechenden sozialen Behindertenverbände. Sie zeigen zu Teilen auch die Aktivitäten der Landesregierung auf. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf Ihrer Parteikollegen aus den Bundesministerien können wir darin nicht erkennen.

Auch der Kontext der gesellschaftlichen Aufgabe wird nicht wirklich dargestellt. So wird das Thema einer schlanken und effizienten Verwaltung bei Behörden, Ämtern, Sozialund Leistungsträgern und letztlich auch für die Betroffenen und deren Betreuer gar nicht adressiert. Bei den steigenden Kosten verweist man nur auf den Bund, was sicher keine allzu kreative Lösung ist; denn der verwaltet ja auch nur Steuergelder.

(Beifall der AfD)

Die AfD-Fraktion erkennt sehr wohl die Notwendigkeit für ein Bundesteilhabegesetz und sieht die Forderungen der behinderten Menschen als gut und richtig an. Wir werden daher die weiteren Diskussionen zum Bundesteilhabegesetz mit Interesse verfolgen und begleiten, aber zu den heutigen Anträgen werden wir uns einfach enthalten.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wink.

Verehrte Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste! Umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist keine Frage von Beeinträchtigung oder nicht, sondern das ist eine Selbstverständlichkeit und das Recht eines jeden einzelnen Menschen. Das Prinzip der individuellen Hilfe gibt freien, gemeinnützigen und privatwirtschaftlichen Lösungen meist den Vorzug vor staatlichen Angeboten.

Wir stehen zum Beispiel zu dem in Rheinland-Pfalz erfolgreich eingeführten persönlichen Budget. So können hilfsbedürftige Menschen statt der Sachleistungen auch Geldleistungen in Anspruch nehmen. So sind sie Kunden und entscheiden selbst, welche Anbieter oder welche Per

sonen die jeweilige Hilfe erbringen sollen. Dies ist bereits ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.

Durch den demografischen Wandel wird der Anteil von Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesamtbevölkerung wahrscheinlich zunehmen. Unser vorrangiges Ziel sollte die rechtzeitige und zukunftsfeste Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe sein. Die finanziellen Lasten müssen zwischen Bund, Ländern und Kommunen angemessen verteilt werden.

Grundlage für die Möglichkeit zu arbeiten, stellen neben beruflichen Fördermaßnahmen auch die konsequente Vorhaltung von Rehabilitationsinfrastrukturen und der Ausbau spezieller Beschäftigungsgesellschaften dar; dies auch mit Blick auf eine erfolgreiche betriebliche Ausbildung Jugendlicher mit einer Beeinträchtigung.

Das Bundesteilhabegesetz wird viele Regelungen des unzulänglichen Eingliederungshilferechts aus dem XII. Sozialgesetzbuch überholen.

Dass es hierzu an der Zeit ist, darüber sind sich sicherlich viele einig.

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich der Kreis der leistungsberechtigten Personen. Frau Ministerin Bätzing-Lichtenthäler, wir sind Ihnen und Ihrem Haus ausgesprochen dankbar, dass Sie mit darauf hingewirkt haben, die Erfordernisse der fünf von neun Lebensbereichen empirisch erheben zu lassen.

Ich persönlich erhoffe mir an dieser Stelle, dass durch die Eingrenzung keine unberechtigte Beschränkung der Leistungsberechtigten erfolgt.

Ebenso unterstützen wir die Landesregierung in ihrer klaren Sprache bei der Trennung von Leistungen der Pflege, Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege.

Zum Ende meiner Rede möchte ich den Verbänden danken, die sich in diese Diskussion unermüdlich einbringen. Sie erweisen sich als wahrhaftige Interessenvertreter. Es ist uns Freien Demokraten wichtig, weiterhin mit ihnen im Dialog zu bleiben.

Vielen Dank.