Sie sind sich einig, Homosexuelle ins gesellschaftliche Abseits zu drängen. Sie sind sich einig, Minderheiten und Behinderte zu diskreditieren und zu Freiwild zu machen. Sie sind sich einig, unliebsame Kommunalpolitiker zur Aufgabe ihrer Ämter zu zwingen.
Die Verrohung im Internet demonstriert uns, dass wir mit all unserer Kraft für Offenheit und Toleranz, Freiheit und Gleichberechtigung eintreten und dafür kämpfen müssen; denn Hass, meine Damen und Herren, ist keine Meinung.
Wir dürfen weitere Gäste begrüßen, und zwar eine weitere Klasse der Realschule plus in Lahnstein, die Klasse 8e. Herzlich willkommen bei uns!
Wir dürfen auch die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, Herrn Skala und Herrn Dr. Posern, begrüßen. Herzlich willkommen bei uns!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratie lebt von Vertrauen. Das eine geht nicht ohne das andere. Gesellschaft ist nicht statisch. Sie entwickelt sich stetig. Wir leben heute in einer Zeit der Simultanität. Die Latenzzeiten politischer Debatten werden immer kürzer. Der politische Prozess, aber auch die Berichterstattung der Medien darüber und die Reaktionen der interessierten Öffentlichkeit können quasi in Echtzeit am Smartphone verfolgt werden. Die Begriffe „Fake News“, „Hate Speech“, „Social Bots“ sind derzeit in aller Munde. Die heutige Debatte fügt sich ein in eine generelle Unsicherheit darüber, wie das Internet und die Digitalisierung unser Zusammenleben verändern. Falschmeldungen und Hassbotschaften sind keine neuen Phänomene. Als Gerüchte, Falschmeldungen und Verleumdungen kursieren sie seit jeher auf den Marktplätzen und an den Stammtischen. Neu ist lediglich der Verbreitungsweg. Durch das Internet entwickeln sie sich rasend schnell, verstärken sich teilweise gegenseitig und entfalten gerade im Netz eine Wirkung, die potenziell verheerend sein kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Maßstäbe für anständigen und fairen Umgang im alltäglichen Miteinander dürfen nicht bestimmt werden durch das Medium, durch das wir kommunizieren. Auf den digitalen Marktplätzen und am virtuellen Stammtisch müssen die gleichen Verhaltensregeln gelten, die auch in der analogen Welt Gültigkeit haben. Das Netz und die verschiedenen Plattformen sind keine rechtsfreien Räume. Bestehende Gesetze müssen konsequent angewendet werden. Plattformbetreiber müssen hierfür stärker in die Pflicht genommen werden. Die Spielregeln unserer Verfassung und des Strafgesetzbuches müssen auch bei Facebook gelten. Dazu bedarf es endlich einer Legaldefinition eines sozialen Netzwerkes im
Telemediengesetz. Nicht hinnehmbar ist zudem das Fehlen von verantwortlichen Ansprechpartnern der Netzwerke hier in Deutschland.
Vieles von dem, was wir im Internet als den guten Geschmack und den Anstand überschreitend vorfinden, ist jedoch nicht strafbar und gedeckt von der Meinungsfreiheit. Wir müssen Nutzerinnen und Nutzern deshalb dazu ermutigen, entschieden Gegenrede zu leisten. Ebenso müssen wir Nutzerinnen und Nutzer besser in die Lage versetzen, „Fake News“ auch als solche zu erkennen. Eine Markierung fragwürdiger Inhalte, wie sie jetzt durch die Kooperation von correctiv.org und Facebook erprobt wird, kann dabei zusätzlich unterstützen. Verantwortungsvolle, private Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk müssen zum Bollwerk journalistischer Glaubwürdigkeit werden. Ihre Stärke in der unabhängigen Berichtserstattung und Recherche werden unbedingt gebraucht.
Nur wer eine Vorstellung davon hat, wie Informationen im Netz entstehen, wie sie verbreitet werden und welche Selektionsmechanismen die digitale Kommunikation bestimmen, kann sich selbstbestimmt eine unabhängige Meinung bilden. So kommt es etwa auch bei den primär negativ bewerteten „Social Bots“ darauf an, wie, durch wen und wozu sie genutzt werden.
Wenn mithilfe solcher Social Bots gezielt demokratische Diskurse vergiftet und öffentliche Willensbildung manipuliert werden, werden sie zum Problem.
Es gibt aber auch genügend positive Beispiele für den Einsatz von Bots. Wie das aussehen kann, hat zum Beispiel der öffentlich-rechtliche Jugendkanal funk gerade mit seinem Nachrichtenbot Novi vorgemacht.
Aufgabe der Politik muss es sein, den Einsatz von neuen technischen Möglichkeiten klug zu gestalten. Eine Selbstverpflichtung der Parteien im Bundestagswahlkampf, auf Bots zu verzichten, ist daher richtig und schafft Vertrauen in die Politik. Eine Kennzeichnungspflicht für automatisch generierte Nachrichten halte ich dennoch für einen klugen Vorschlag. Der mündige Nutzer kann dann selbst bewerten und einordnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur wer eine Vorstellung davon hat, wie das Netz funktioniert, kann auch mit der Fülle an Informationen umgehen. Unterschiedliche Meinungen sind das Salz in der Suppe. Ohne sie kann Demokratie nicht funktionieren. Es geht aber auch im digitalen Zeitalter darum, mit Anstand und Respekt miteinander umzugehen, genau wie wir das früher analog gemacht haben.
(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gut!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die im Grundgesetz in Artikel 5 beschworene Meinungsfreiheit muss eine Meinungsäußerungsfreiheit sein. Wird diese Äußerungsfreiheit beschnitten, ganz gleich, ob im Netz, in den gedruckten Medien oder anderswo im öffentlichen Raum, so tendiert die Meinungsfreiheit zur bloßen Gedankenfreiheit, und unsere Demokratie würde nachhaltigen Schaden nehmen.
Dann wären wir gewissermaßen wieder mittendrin in jenen Zeiten von absoluter Herrschaft und politischer Restauration, in denen das 1780 erstmals dokumentierte und dann vor der 1848er Revolution zur Blüte gelangte Lied „Die Gedanken sind frei“ entstanden ist. In einer Strophe heißt es dort: „Die Gedanken sind frei. Ich denke, was ich will und was mich beglücket, doch alles in der Still’ und wie es sich schicket.“
Doch wer definiert, was sich schicket und was nicht? Selbst die in der anonymen digitalen Welt der sozialen Netzwerke besonders stark vertretene hässliche Sprache kann es keinesfalls rechtfertigen, der Zensur Tür und Tor zu öffnen.
Im Zweifelsfall müssen moralische gute Gefühle und die Absicht, die Öffentlichkeit vor Hasssprache zu schützen, zurückstehen hinter dem elementaren Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit, jedenfalls so lange, bis die ebenfalls in Artikel 5 des Grundgesetzes gezogene rote Linie der allgemeinen Gesetze, der Bestimmungen des Jugendschutzes sowie des Rechts der persönlichen Ehre eindeutig – und das betone ich, eindeutig – überschritten ist.
Letztlich straft ein demokratischer Staat im Unterschied zu totalitären Systemen immer nur die die geltenden Gesetze verletzende Tat oder die konkrete Absicht dazu, niemals jedoch die Gesinnung. Die Verteidigung dieses Maßstabs gegen die nicht selten von parteiischen Hintergedanken getriebenen Moralisierer und Hypermoralisierer ist eine Schicksalsfrage. Brechen die gesetzlichen Barrieren zum Schutz von Meinungsäußerungsfreiheit und Informationsfreiheit vor dem in der Demokratie ausdrücklich verbotenen Mittel der vorbeugenden Informationskontrolle durch Zensur, so wären wir auf dem Weg in den totalitären Staat.
Wir müssen gesetzlich erlaubte Äußerungen im Netz aushalten, auch wenn wir sie in Form und Inhalt als abstoßend empfinden. Neben der Forderung nach größerer Gelassenheit sollten wir uns aber auch der Erkenntnis öffnen, dass die gerade im Internet erkennbare Gegenöffentlichkeit einen symptomatischen Charakter hat. Sie deutet mit ihrer leider allzu oft überschießenden Tonlage auf eine starke Missstimmung in der Bevölkerung gegenüber dem Wirken der Altparteien hin. Sie ist ein Symptom von Ab
lehnung, ja, manchmal von Hass, bedauerlicherweise, zugleich aber auch ein Indiz für weit verbreitete Gefühle der Hilflosigkeit und der Ohnmacht.
All diese Äußerungen von Unmut und heftiger Ablehnung sollte die Politik jedenfalls sehr ernst nehmen, will sie nicht am Volk oder jedenfalls an Teilen des Volkes vorbei regieren. Wenden wir uns deshalb ganz entschieden gegen ausufernde politische Korrektheit und moralische Selbsterhöhungen zulasten der Meinungsäußerungsfreiheit.
Die freie Rede in Wort und Text, die Freedom of Speech, wie sie gerade die alten Demokratien der angelsächsischen Länder immer wieder betont haben und noch immer betonen, ist ein zentrales Gut der Demokratie, auch und gerade in Zeiten einer hoch emotionalisierten Öffentlichkeit und zahlloser postfaktischer Verlautbarungen. Diese kommen bezeichnenderweise übrigens sehr oft gerade aus jenen ideologischen Ecken, aus denen der hoch erhobene moralische Zeigefinger woanders hindeutet.
Mit fällt es sehr schwer – und damit möchte ich schließen –, die ständigen, durch keinerlei Programmkenntnis bzw. seriöse Quellenarbeit gedeckte Polemik gegen meine Partei zu ertragen. Gleiches gilt für die gehäuften Geschmacklosigkeiten oder so manche tendenziell totalitäre öffentliche Verlautbarung aus dem gesellschaft-medialen Establishment, etwa jene Äußerung des Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar gegenüber der „WELT ONLINE“ vom 26. Januar dieses Jahres. Ich zitiere: „Europa muss bei den Massenmedien eine gewisse Souveränität behalten. Es gibt Staaten, die da schon weiter sind. Auch wenn das manchen verblüffen dürfte, will ich hier ausdrücklich China nennen. (...) China behält eine gewisse Kontrolle darüber, welche Nachrichten ihr Land penetrieren. Das brauchen auch wir, um sicherzustellen, dass nicht das Betriebssystem unseres Landes gestört wird.
Und Medien sind ein zentraler Teil des Betriebssystems von Staaten. Wenn wir von immer mehr Fake-News überschwemmt werden und keinerlei Möglichkeit haben, Dinge zu sanktionieren (...), wird das für unsere Demokratie gefährlich.“ Aber ich ertrage solch ein eigenartiges Demokratieverständnis natürlich
Um der Freiheit willen und Erkenntnis der bitteren Notwendigkeit einer vielfältigen Diskussionslandschaft sollten
wir alle manches ertragen und hinnehmen und mehr Gelassenheit auch gegenüber dem politischen Gegner und anderen Meinungen walten lassen.
Vielen Dank. – Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die vielfach gemachten Bemerkungen, dass wir dieses Thema zu Recht in diesem Hohen Hause aufgerufen haben und miteinander diskutieren, nur eine Seite der Medaille ist. Ich glaube, dass wir sehr viel stärker noch darauf achten müssen, dass diese Diskussion um Hass, Verleumdung, Unwahrheiten und „Fake News“ in den sozialen Medien auch in die Öffentlichkeit gehört, in die gesamte Gesellschaft.