Protokoll der Sitzung vom 02.06.2016

Und dann blieb nichts mehr von dieser medienwirksamen Differenzierung übrig: Nur einen Tag später wurde dann über den rheinland-pfälzischen Partei-Account der AfD – Sie sind ja der AfD-Landesvorsitzende – Folgendes mitgeteilt – Zitat –: „Vermutlich wurde hier das ,protokolliert‘, was man gerne gehört hätte, was Gauland aber eben nicht sagte. (...) Fakt ist: Die Story ist frei erfunden. (...) Wenn es eines Beweises bedurft hätte, um den Ausdruck der Lügenpresse zu rechtfertigen, dann hat ihn die FAS am Wochenende frei Haus geliefert.“

Herr Junge, als Fraktionsvorsitzender bestreiten Sie die gefallene Aussage Gaulands in Ihrem ersten Zitat ja gar nicht; Sie interpretieren sie nur.

(Abg. Jan Bollinger, AfD: Angeblich!)

Als Parteichef hingegen nennen Sie die Geschichte frei erfunden und reden von Lügenpresse. Das will ich hier

sagen: So etwas ist für das Klima in unserer Gesellschaft nicht gut.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch einmal, um es zu verdeutlichen, keiner hat dem anderen vorzuschreiben, was er zu denken hat. Aber ich habe eine Haltung dazu, und ich möchte die Diskussionen auch offen führen. Ordentlich im Umgang hier in diesem Parlament.

Ich darf zum Ende nochmals die Worte des Bundespräsidenten erwähnen. Er sagte: „In Politik und Medien hat es bisweilen die Tendenz gegeben, aus pädagogischem Antrieb heraus Diskussionen lieber einzuhegen, um dem vermeintlich Guten zum Durchbruch zu verhelfen und das vermeintlich Falsche nicht zu fördern.“

Ich stimme diesen Worten zu. Wir sollten Diskussionen nicht scheuen und Realitäten, die uns nicht passen, Frau Dreyer, auch nicht ausblenden und lieber schönreden. Das ist nicht gut für die Demokratie, und das ist auch einer Ministerpräsidentin nicht würdig. Das haben wir gesehen bei der Integrationspolitik. Wir haben es gesehen bei der Frage der Wohnungseinbrüche und vielem anderen auch. Die Bürger fragen sich zu Recht: Wie bekommt die Politik das in den Griff, was zu entgleiten droht? – Ich bin mir sicher, wir bekommen das in den Griff, wenn wir ordentlich miteinander umgehen und uns so verstehen – – –

(Zurufe von der AfD: Wir schaffen das!)

Die einen lachen darüber, wenn jemand sagt „Wir schaffen das“. Wenn es Ihnen gefällt, dass wir es nicht schaffen, sind Sie hier falsch am Platz in diesem Plenum.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage ganz bewusst zur Ampel, zur Regierungskoalition: Unsere Aufgabe als Opposition wird es sein, Sie zu kontrollieren. Kurt Schumacher hat 1949 die Arbeit der Opposition beschrieben: „Die Opposition ist die Begrenzung der Regierungsmacht und die Verhütung ihrer“ – ich zitiere – „Totalherrschaft. (...) Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich versichere Ihnen, diesen Gestaltungswillen bringen wir Christdemokraten mit.

(Beifall der CDU)

Uns allen zusammen, der Regierung und jeder einzelnen Fraktion, ist dieses Bundesland hier anvertraut worden. Das ist sehr viel Verantwortung, die wir miteinander tragen. Ich wünsche uns allen dafür Erfolg, Fairness, dass wir in die richtige Richtung zusammenarbeiten, und Gottes Segen möge uns auch begleiten.

Danke schön.

(Lang anhaltend starker Beifall der CDU)

Ich darf als weitere Gäste im Landtag Auszubildende zur/zum Fachangestellten für Bürokommunikation der Berufsbildenden Schule III in Mainz begrüßen. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich darf auch den ehemaligen Kollegen Dr. Beth als Vorsitzenden der Vereinigung der ehemaligen Abgeordneten begrüßen. Schön, dass Sie sich weiterhin für die Arbeit interessieren. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Das Wort hat der Abgeordnete Alexander Schweitzer.

Guten Morgen meine Damen und Herren, Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungserklärung von Frau Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat gestern deutlich gemacht, dass sich hier eine Regierungskoalition gefunden und auf den Weg begeben hat, die Bewährtes bewahren möchte, die aber auch den Mut hat, Neues zu wagen. Diese Regierungskoalition ist natürlich mehr als ein Zweckbündnis, es ist ein Bündnis der Optimisten, meine Damen und Herren.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Christian Baldauf, CDU: Das kann man so sagen!)

Herr Baldauf, dass Sie natürlich das Wort Optimismus schon lange aus Ihrem aktiven Vokabular gestrichen haben, ist mir klar, aber dennoch bin ich der Meinung, dass es das ist, was diese Regierungskoalition ausmacht.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Anlehnung an das zentrale Motto der SPD möchte ich gerne sagen, diese Regierung ist genau richtig für Rheinland-Pfalz. Eine Frage, die die politischen Beobachter, die medialen Beobachter, sicherlich auch die Damen und Herren der geschätzten Opposition seit dem 13. März bewegt, ist: Wie kam es zu diesem Wahlsieg, insbesondere der SPD?

Vor allem Haltung und Handeln haben die SPD zum Wahlsieg geführt.

(Abg. Martin Brandl, CDU: Die Arbeit der letzten fünf Jahre kann es ja nicht gewesen sein!)

Zu den eigenen Überzeugungen stehen und danach handeln. Das ist das, was die Menschen als verlässlich bezeichnen. Es ist der richtige Weg. Er ist erfolgreich, und wir werden diesen Weg weitergehen, meine Damen und Herren.

Die Grundidee der SPD in Rheinland-Pfalz ist schon immer die Verbindung von Fortschritt und sozialem Ausgleich, die

Verbindung von Teilhabe und Leistungsgerechtigkeit gewesen. Mit dieser neuen Koalition geben wir die Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen. Ich bin der Meinung, dass es in diesen Tagen nicht nur in Rheinland-Pfalz, aber eben auch in Rheinland-Pfalz, auf etwas ankommt, was ich Befähigungspolitik nennen möchte. Das ist auch das, was die gemeinsame Klammer dieser Ampelregierung bildet.

Wie passt das zusammen? Auch das ist gefragt worden. Sie fragen es sich noch heute, Frau Klöckner. Sie konnten keine Antwort geben. Ich möchte Ihnen eine Antwort anbieten. Die Schilderung vieler Beobachter war so: Da kommen die – mit Verlaub, lieber Bernhard Braun – postmaterialistischen Grünen, nebendran sitzen jetzt die Liberalen, manche haben weniger wohlmeinend formuliert, die Neoliberalen von der FDP, und gemeinsam nehmen sie die etatistische SPD in die Klammer. Das war die Formulierung, die viele gewählt haben.

(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das kommt noch! – Heiterkeit im Hause)

Darauf freue ich mich.

(Beifall bei der SPD)

Den Zwischenruf muss ich aufnehmen. Ich weiß schon, warum wir uns für diese Sitzordnung entschieden haben, lieber Bernhard Braun.

Es ist aber noch viel mehr, was uns zusammenbringt. Schon die ersten Gespräche haben uns gezeigt – das waren tastende Gespräche, das will ich gar nicht verheimlichen –, dass wir alle aus unterschiedlichen Denkrichtungen herkommend, aus unterschiedlichen parteipolitischen Traditionen herkommend und natürlich auch aus Phasen der Auseinandersetzung, die zur Demokratie gehören und wobei auch manchmal mancher scharfe Satz gesagt wurde, so ist das dann eben auch. Wir haben aber gemeinsam festgestellt, uns verbindet ein positives Menschenbild. Das ist weit mehr als eine Banalität.

Wir glauben, dass die Menschen gleich sind. Auch das ist weit mehr als eine Banalität. Wir glauben, dass das in unserer Gesellschaft aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass alle die gleichen Chancen haben. Wir glauben aber gemeinsam, dass es zentrale Aufgabe moderner Politik sein muss, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass immer wieder Chancen so verteilt werden, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, das zu erreichen, was sie für sich als gelingende Biografie bezeichnen. Das kann im Ergebnis zu ganz unterschiedlichen Zielen führen. Aber die gleichen Chancen müssen da sein.

Die werden eben nicht in der Marktwirtschaft allein und durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verteilt, sondern da gibt es auch die Aufgabe der Gesellschaft, die die Ausdrucksform des Staates hat, zu sagen, wir setzen Rahmenbedingungen so, dass Chancen immer wieder neu verteilt werden. Es genügt eben nicht zu sagen, am Anfang einmal eine Chance, und dann sollen sie schauen, wo sie bleiben, sondern manche Chance muss man zwei- oder dreimal verteilen. Das war ganz schnell ein Konsens, der

spürbar war und der auch dazu geführt hat, dass wir sehr schnell in konkrete Gespräche eintreten konnten.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das übersetzt in neue Spielräume für individuelle Kreativität und Innovation, indem wir es schaffen, das Verhältnis von privatem Engagement und Staatstätigkeit in der Balance zu halten. Wir stehen für eine Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, die auch die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen einschließt.

Ich sage ganz offen, ich bin stolz darauf, dass dieses Regierungsbündnis auch ein Stück des gesellschaftlichen Wandels abbildet. Die Gesellschaft differenziert sich. Das spüren wir. Das spüren wir vielleicht auch in der Familie und im Bekanntenkreis. Das ist eben nicht, dass die Realität so ist, dass es Fritz und Rüdiger und wie sie eben genannt wurden vor allem gibt, sondern die Realität ist, dass es die gibt und die anderen eben auch. Unsere Aufgabe ist es, allen diesen Kindern, egal, welchen Vornamen sie haben, und auch egal, welchen Vornamen ihre Eltern hatten, die gleichen Chancen zu geben, meine Damen und Herren.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Gesellschaft, die sich ausdifferenziert – manche mögen das als paradox empfinden –, hat aber gleichzeitig das Bedürfnis, immer wieder auch neue Formen des Zusammenhalts zu finden. Das ist eine weitere Klammer, die diesem Regierungsbündnis innewohnt.

Wir haben echte Kompromisse gefunden. Ja, das ist so. Ich finde, in diesen Tagen, wenn über die populistischen Herausforderungen diskutiert wird, ist eines der zentralen Themen und Fragestellungen immer, ob wir es schaffen, die Demokratie in der Mitte, den Kompromiss zu würdigen, weil dieses „Jetzt muss endlich einmal einer auf den Tisch schlagen, damit endlich einmal wieder Ordnung herrscht“, im Kern anti- oder vordemokratisch ist.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Darum bekennen wir uns zu echten Kompromissen dort, wo es unterschiedliche Auffassungen gab, meine Damen und Herren. Ich sage auch, gibt, weil die drei Parteien nicht aufgehört haben, selbstständige Parteien zu sein. Wir bekennen uns auch dazu, dass es Übereinstimmungen gibt, und die werden wir leben, und die werden uns als Bündnis stark machen.

Eines der zentralen Themenfelder, auf dem wir ganz schnell entlang dessen, was ich als Wertekanon eben beschrieben habe, Übereinstimmung festgestellt haben, ist das Thema Gebührenfreiheit. Ich will deutlich sagen, dass es für mich – vielleicht war ich da alten Auffassungen aufgesessen – ein überraschender Weg war, als die FDP in Rheinland-Pfalz, und zwar deutlich vor der Landtagswahl, sich nach einer eingehenden Diskussion – lieber Herr Wissing – dazu bekannt hat zu sagen, wir brauchen die Gebührenfreiheit, um Chancengerechtigkeit herzustellen. Das war für uns etwas, wovon wir gedacht haben, hoppla,