Protokoll der Sitzung vom 22.03.2018

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Daher ist es sinnvoll und zunächst noch einmal wichtig, sich intensiver mit den Ergebnissen der Großen Anfrage zu befassen und diese näher zu beleuchten, um auch einmal festzustellen, wo denn die Bedürfnisse liegen, und zwar der Familien, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern.

Ganz unbestritten ist die Zahl der Ganztagsschülerinnen und Schüler seit 2002 kontinuierlich angestiegen. Inzwischen ist das jeder vierte Schüler. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet auch, drei Viertel der Schülerschaft sind es nach wie vor nicht. Wir sollten bitte auch den Gedanken zulassen, dass sie es ganz bewusst nicht sind. Nicht, weil kein Angebot besteht, sondern weil sie oder ihre Eltern es nicht möchten und eine andere Option gewählt haben.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Gehen wir in die weitere Untersuchung, dann lohnt sich ein genauerer Blick auf die Zahlenreihen zu den verschiedenen Ganztagsschulmöglichkeiten, nämlich Ganztagsschulen in verpflichtender Form und der Angebotsform – das sind quasi starre Systeme – sowie Ganztagsschulen in offener Form mit nachmittäglichen Betreuungsangeboten, eine flexiblen Form.

Die allgemeine Aussage heißt ja, von den 962 Grundschulen haben 81,3 % ein Ganztagsangebot. In dieser Zahl sind aber zunächst einmal alle Formen vermischt. Wirklich interessant wird es, wenn man sich das in der Differenzierung betrachtet. Ich bleibe bei den Grundschulen und gehe hier auf die Entwicklung der unterschiedlichen Arten ein. Im Zeitraum von 2002 bis 2017 ist in Rheinland-Pfalz die Zahl der verpflichtenden Ganztagsschulen im Bereich der Grundschulen von zwei auf ganze neun gestiegen.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Wahnsinn!)

Das ist also ganz offensichtlich keine Form, die die Eltern für ihre Kinder wünschen.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Der größte Anstieg hingegen ist bei den Ganztagsschulen in offener Form zu verzeichnen, und zwar von 23 auf 447 Schulen. Das zeigt, wo der Bedarf liegt. Die Eltern wollen eben nicht die starre Verpflichtung, sondern Eigenverantwortlichkeit, und bei der Gestaltung ihres Familienlebens flexibel bleiben.

Wenn man zu dieser Zahl jetzt noch die 158 betreuenden Grundschulen addiert, die nur ein reines nachmittägliches Angebot bieten, dann ergibt das die stolze Summe von 605 Schulen. Das bedeutet, zwei Drittel der Eltern bevorzugen Schulen, an denen sie bzw. ihre Kinder flexibel sind.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, irritiert uns das Positionspapier der SPD, das auf eine Ausweitung der verpflichtenden Ganztagsschulen abzielt. Ähnlich ist auch der heutige Antrag der Ampelkoalition unterwegs.

Wir fragen uns, warum Sie offene und flexible Angebote anders als die starren behandeln, die Sie vermehrt fördern wollen. Man könnte sie doch zumindest gleichwertig behandeln.

Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf einen fachlichen Fehler in Ihrem Antrag hinweisen. Es stimmt eben nicht, dass das Land zu 100 % die zusätzlichen Personalkosten an den Ganztagsschulen übernimmt. Auch das trifft nur auf die starren Formen zu, eben nicht auf die offenen, für sie gibt es nämlich nur Zuschüsse.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: So sind die im Land!)

Ein weiterer Punkt: Sie schreiben – das hat Frau Brück vorhin auch ausgeführt –, die Ganztagsschule ist mehr als nur Betreuung. Sie sprechen von Zeit für verstärkte zwischenmenschliche Begegnungen sowie sozialem Lernen. Wenn Sie also Aktivitäten außerhalb der Unterrichtszeit auch als Bildung werten, dann steht aber ebenso fest, Bildung kann auch außerhalb von Schule stattfinden und findet dort auch statt:

(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Louis Schmidt, AfD)

in Sportvereinen, Musikschulen und auch im freien Spiel von Kindern miteinander.

Vielleicht noch ein anderer Aspekt: Die Praxis zeigt, in der Tat sind viele Vereine in die Ganztagsschule mit involviert. Aber ihre Existenzgrundlage liegt noch immer in der Zeit außerhalb der Schule. Deswegen wünschen sich auch viele Vereine und die Ehrenamtlichkeit nicht unbedingt mehr starre Ganztagsschulen, sondern viel mehr Flexibilität.

Wir stellen fest, wir hatten bisher ein breites Angebot in Rheinland-Pfalz, in der Tat. Aber die Frage steht an, wo die weitere Reise hingehen soll. Die CDU steht für die Wahlfrei

heit für Familien. Wir wollen Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nehmen und ihnen keine starren Systeme überstülpen. Nicht Familien müssen passend gemacht werden zu den Systemen, sondern es müssen Angebote her, die zu den Familien passen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall der CDU)

Was in Ihrem Antrag steht, ist ideologisch geprägt und orientiert sich eben nicht am Elternwille. Zum Beispiel ist sehr blumig von gemeinsamer Zeit in der Schule die Rede. Aber ich vermisse irgendwo den Hinweis auf die wichtige gemeinsame Zeit in der Familie.

(Beifall bei der CDU und der AfD – Abg. Michael Frisch, AfD: Sehr gut! So ist es!)

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang weise ich auch gerne auf den aktuellen Koalitionsvertrag in Berlin hin. Frau Brück hat es schon angesprochen, man erwartet mehr Geld, aber es steht auch noch anderes im Koalitionsvertrag. Dort ist nämlich von Flexibilität, von Vielfalt und ebenso von einem bedarfsgerechten Vorgehen die Rede und keinesfalls von einem ideologischen Antrieb, der systematisch die Kinder länger in der Schule halten will.

(Beifall der CDU und der AfD)

Ich komme zum Fazit: Eltern und Familien wollen mehr Flexibilität und keinen weiteren Ausbau starrer Systeme.

Auch Vereine brauchen mehr Flexibilität, und Schulträger wollen finanzielle Sicherheit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen gehen Sie bitte auf diese Bedürfnisse ein,

(Glocke der Präsidentin)

und finden Sie einen Weg, dass Sie offene und flexiblere Systeme gleichwertig behandeln und fördern.

(Beifall der CDU – Abg. Christian Baldauf, CDU: Mehr Liberales!)

Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Frisch.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wer, wie, was. Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm. Der Text des ‚Sesamstraßen’-Liedes lässt sich im Kern auch auf die Politik übertragen. Denn: Wenn Abgeordnete nicht kritisch nachfragen würden, könnten sie nicht die neben der Gesetzgebung wohl wichtigste Aufgabe des Parlaments erfüllen: die Kontrolle der Regierung.“

Diese Sätze finden sich als wörtliches Zitat unter dem Stichwort „Anfragen“ auf der Homepage des Deutschen Bundestages. In der Tat sind Große und Kleine Anfragen eines der wichtigsten Instrumente parlamentarischer Arbeit

und Ausdruck der Gewaltenteilung zwischen Regierenden und Volksvertretern.

Angesichts dessen ist es befremdlich, dass die Große Anfrage der SPD-Fraktion unter der Überschrift „Erfolgsmodell ‚Ganztagsschule in Angebotsform’“ steht und bereits in der Einleitung von einer hohen Akzeptanz dieses Modells spricht.

Hier wird das Ergebnis der Befragung ganz offensichtlich vorweggenommen. Deshalb erscheint auch dieser Anfrage einmal mehr eher der Beweihräucherung der Regierung als deren parlamentarischer Kontrolle zu dienen.

(Beifall der AfD)

So ist es denn auch kein Zufall, dass Fragen, Antworten und Antrag nahezu ausschließlich die tatsächlich oder nur vermeintlich positiven Seiten der Ganztagsschule beleuchten. Probleme werden weitgehend ausgespart, tiefer gehende Fragen wie die nach den gesellschaftlichen Auswirkungen auf Familien oder Vereinsleben fehlen völlig.

So stellt die Landesregierung beispielsweise fest – ich zitiere –: „Der Förderung von besonderen Begabungen und Talenten sowie der Stärkung der Schülerpersönlichkeit schenkt die Ganztagsschule ebenfalls Beachtung.“ Meine Damen und Herren, das ist eine wohlfeile Behauptung, deren Richtigkeit angesichts mangelhafter Personalausstattung und gegenteiliger Erfahrungen Betroffener mit Fug und Recht angezweifelt werden darf.

Ist es wirklich möglich, in einem solchen vorstrukturierten System individuelle Fähigkeiten angemessen zu fördern,

(Abg. Monika Becker, FDP: Ja, das geht!)

oder geschieht dies nicht in den meisten Fällen besser außerhalb der Schule durch Eltern, private Initiativen oder Vereine, wo sich diejenigen zusammenfinden, die spezielle gemeinsame Interessen verbinden?

Weiter heißt es in der Antwort der Landesregierung – ich zitiere –: „Die Lernzeit (...) entspricht den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler.“ Sie „erledigen die Hausaufgaben grundsätzlich in der Schule, nicht zu Hause“.

Auch hier sprechen die Rückmeldungen betroffener Eltern und Schüler eine andere Sprache. Es gibt bei Weitem nicht an allen Ganztagsschulen eine den individuellen Bedürfnissen entsprechende Hausaufgabenbetreuung. Wie mir erst kürzlich eine Gymnasialklasse bei ihrem Landtagsbesuch bestätigte, ist es keineswegs so, dass alle Aufgaben und Lernaufträge erfüllt wären, wenn Schüler um 17:00 Uhr oder 18:00 Uhr müde nach Hause kommen.

Meine Damen und Herren, zweifellos ist es notwendig und sinnvoll, ein Angebot an Ganztagsschulplätzen für diejenigen zur Verfügung zu stellen, die darauf angewiesen sind. Insofern stellen die Ganztagsschulen einen unverzichtbaren Bestandteil des rheinland-pfälzischen Schulsystems dar.

Aber wir halten den von der Landesregierung betriebenen weiteren Ausbau der Ganztagsschulen für fragwürdig. Wie

zahlreiche Studien belegen und sogar der 15. Kinder- und Jugendbericht einräumt, wird die Bildungsqualität dadurch nicht verbessert. Gleichzeitig wird jedoch außerschulische Freizeitgestaltung in Gruppen und Vereinen zunehmend erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.

Nicht zuletzt deshalb wählen ältere Jugendliche die Ganztagsschule zumeist ab, was sich ebenfalls im genannten Kinder- und Jugendbericht nachlesen lässt.

Insgesamt wird die Zeit für familiäre Gemeinsamkeit durch die Ganztagsschule spürbar verringert, die gerade für Kinder wichtige und prägende Familienkultur geht immer mehr verloren, obwohl die Erziehung laut Grundgesetz Aufgabe der Familien und nicht staatlicher Institutionen ist.