Protokoll der Sitzung vom 24.08.2018

(Beifall der AfD)

Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung aus dem vergangenen Jahr stehen in Rheinland-Pfalz 40.000 ländliche Eigenheime leer, Tendenz steigend. Und nach einer Umfrage der Bundesstiftung Baukultur, ebenfalls aus dem Jahr 2017, wollen 44 % der Bevölkerung am liebsten in einer Landgemeinde wohnen, 33 % in einer Klein- oder Mittelstadt und nur 21 % in einer Großstadt. Hier muss die Politik im Interesse aller Bürger, in der Stadt wie auf dem Land, ansetzen.

Die AfD als heimat- und identitätswahrende Partei wird jedenfalls auch in Zukunft als treibende Kraft für die Stärkung unserer ländlichen Räume eintreten.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Kollege Hartenfels.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein umfangreiches Geschäft, sich dem Thema des ländlichen Raums zu nähern. 200 Seiten Fragen und Antworten, 200 Seiten Anhang – es ist eine gewaltige Leistung, das in der Form abzuarbeiten. Es ist mit Sicherheit kein Anlass, das zu diskreditieren, wie es Frau Schneider gemacht hat, wenn man sich so umfangreich mit diesem Thema beschäftigt.

Ich habe mir auch Gedanken gemacht, wie ich das in meiner Rede so aufbereiten kann, dass es so etwas wie einen roten Faden gibt. Ich habe als Anlass noch einmal die Parlamentsschelte mitgenommen, die wir gestern von Teilen der schreibenden Zunft erfahren mussten. Es wurde gesagt, das rheinland-pfälzische Parlament mache ein bisschen Landesliga, und rhetorisch wäre das auch so eine Sache. Ich habe einmal versucht, die Rede etwas anders aufzubauen, um zu schauen, wie die schreibende Zunft darauf reagiert, wobei sie am frühen Morgen noch nicht so umfangreich vertreten ist.

Ich nehme als Ausgangspunkt den Landkreis Kusel. Der Landkreis Kusel verliert pro Jahr etwa 500 Einwohnerinnen und Einwohner. Das sind ein bis zwei Dörfer, die verschwinden. Ich möchte anhand einer Familie in diesem ländlichen Raum dokumentieren, wie der Alltag aussieht. Damit ich den Datenschutz gewährleisten kann, nehme ich natürlich

die Familie des Andreas Hartenfels, um das ein bisschen zu dokumentieren.

Ich war vor meiner Zeit als Parlamentarier beruflich als Planer mit einem eigenen Planungsbüro unterwegs. Es gab leider vor wenigen Jahren noch die Situation, dass man sich mit 2 Mbit/s mit der Welt vernetzen musste. Das ist natürlich der Untergang für ein Planungsbüro. Das ist heutzutage zum Glück kein Thema mehr. Es gibt eine sehr gute Breitbandanbindung. Da hat sich einiges in der Zeit getan.

Wenn ich meinen Neffen nehme, der in die Alterskategorie unter 20 fällt – das sind 17 % im Landkreis Kusel –, so hat dieser andere Fragestellungen. Er hat ein relativ gutes Jugendangebot im Landkreis Kusel. Natürlich ist es mobilitätsmäßig schwierig, das alles zu erreichen. Deswegen hat er früh seinen Führerschein gemacht und gerne auf das Auto von Mama und Papa zurückgegriffen, um dem begegnen zu können.

Ausbildungstechnisch hat er sich jetzt für die Rheinschiene entschieden, weil er bei sich zu Hause nicht so gut etwas findet. Ob er beruflich einmal zurückkommen wird, werden wir sehen.

Meine Eltern – das ist die Alterskategorie über 65 Jahre; das sind im Landkreis Kusel etwa 21 % – sind noch rüstig und gut unterwegs. Sie haben einen Hochwasserschock in diesem Sommer erlitten. Normalerweise fahren sie gerne Bahn, auch in Rheinland-Pfalz. Im Landkreis Kusel gibt es hervorragende Bahnhöfe, barrierefrei und gut aufgestellt.

Sie haben den Fehler gemacht, in diesem Jahr in Richtung nördliches Rheinland-Pfalz zu fahren. Sie wollten in Sinzig aussteigen. In Sinzig den Bahnhof zu verlassen, ist eine ziemliche Herausforderung. Wir haben dort eine Ausstiegshöhe von über 50 cm. Das ist gerade für die ältere Generation nicht so angenehm. Da merken Sie, dass auch in Rheinland-Pfalz gewaltige Unterschiede in der Ausstattung und in der Qualität vorhanden sind.

Wenn wir jetzt in das Jahr 2035 springen – demografischer Wandel –, so ist der Herr Hartenfels inzwischen bei den über 65-Jährigen gelandet. Er ist jetzt dort in guter Gesellschaft. Ein Drittel der Bevölkerung im Landkreis Kusel ist über 65 Jahre alt, nämlich 35 %.

Seine Eltern sind natürlich noch einmal in einer ganz anderen Alterskategorie gelandet, nämlich bei den weit über 80 Jährigen. Auch das ist ein gewaltiger Erdrutsch im Landkreis Kusel. Jeder Zehnte ist dort inzwischen über 80 Jahre alt. Das sind 6.600 Menschen im Landkreis Kusel.

Da stellen sich im Jahr 2035 noch einmal ganz andere Herausforderungen: Gesundheit und Pflege zum Beispiel. Man könnte sehr viele nennen. Auch das Thema der Finanzen ist zu nennen. Meine Eltern haben dann fast über 40 Jahre lang Rente bezogen. Das ist für sie verdient und gerecht.

Mein Neffe ist inzwischen in der Berufstätigenkategorie gelandet. Er ist in den Landkreis Kusel zurückgekommen.

(Abg. Dr. Timo Böhme, AfD: Uns interessiert Ihre Familiengeschichte nicht!)

Er ist jetzt in der Gesellschaft der 50 % Berufstätigen im Landkreis Kusel. Er stellt sich die Frage natürlich ganz anders. Wie werden denn die Renten finanziert, wenn ein Drittel im Landkreis über 65 Jahre alt ist und nur noch 50 % berufstätig sind? Sie sehen, auch im Bereich der Finanzen haben wir eine ziemliche Herausforderung zu stemmen.

Was will ich mit diesen Schlaglichtern und diesem Schnelldurchlauf der Familie Hartenfels zeigen? Wir verlassen jetzt wieder einmal diese persönliche Schiene. Es ist nur ein Einzelfall von vielen.

Meine Damen und Herren, es zeigt, dass das Parlament in Rheinland-Pfalz sehr wichtig ist, gerade auch vor dem Hintergrund des ländlichen Raums, um sich mit diesen Fachfragen fundiert und nicht schlaglichtartig oder manchmal auch unter der Gürtellinie auszutauschen.

Wir haben exzellente Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker in allen Fraktionen. Ich möchte bewusst einmal andere Fraktionen und Persönlichkeiten nennen, die hier an diesen Themen gut arbeiten. Eine Frau Kohnle-Gros von der CDU-Fraktion liefert immer, finde ich, sehr pointierte und gute Reden ab. Ich möchte auch Frau Thelen nennen, auch wenn sie nicht in meinem Fachbereich aktiv ist. Ein junger Abgeordneter wie Steven Wink macht seine Themenpalette ganz hervorragend, obwohl er im Parlament noch neu ist. Natürlich ist auch Herr Dr. Denis Alt zu nennen, mit dem ich finanzpolitisch und haushaltspolitisch einmal arbeiten durfte

(Abg. Dr. Timo Böhme: Was ist denn das für eine Selbstinszenierung?)

er ist jetzt in die Wirtschaftspolitik abgedriftet –, der hier auch gute und politisch fachliche Reden liefert. Deswegen bin ich selbst sehr beruhigt – jetzt komme ich noch einmal an den Anfang zurück –, wenn ich an das Parlament in Rheinland-Pfalz denke. Ich glaube, viele Kolleginnen und Kollegen machen eine gute Arbeit und beschäftigen sich ernsthaft mit den Themen,

(Abg. Uwe Junge, AfD: Es geht um den ländlichen Raum, Herr Kollege! – Abg. Dr. Timo Böhme, AfD: Das ist peinlich! Deswegen schreibt die Presse!)

zum Beispiel mit dem Thema „Ländlicher Raum“. Es ist wichtig, dass wir die Themen aus der Großen Anfrage benennen, Finger in die Wunden legen und versuchen, auch die richtigen Antworten zu finden.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Dr. Wissing das Wort.

Dr. Volker Wissing, Minister für Wirtschaft, Verkehr,

Landwirtschaft und Weinbau:

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ländliche Raum ist integraler Bestandteil des Landes RheinlandPfalz. Wer politische Verantwortung im Land RheinlandPfalz trägt, muss sich darüber im Klaren sein, dass wir ein relativ großes Flächenland sind, das nicht sehr dicht besiedelt ist. Politik für Rheinland-Pfalz kann immer nur Politik für den ländlichen Raum bedeuten. Deswegen steht sie für die Landesregierung auch ganz im Fokus.

Man muss die Menschen in ganz Deutschland in den urbanen Zentren warnen, den ländlichen Raum zu übersehen. Wer dieser Versuchung unterliegt und glaubt, diese Urbanisierungstendenzen, die Flucht in die Städte, seien ein Trend, der ganz schick, hipp und modern sei und auf den Rest könne man sich in den Ferien oder an einem Wochenendausflug konzentrieren, der kann ganz schnell böse aufwachen, wie beispielsweise die Briten beim morgendlichen Aufwachen in der Londoner City, als man auf dem Land für den Brexit votierte.

Deswegen hat die Landesregierung den ländlichen Raum fest im Blick. Mit dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau haben wir ein Strukturministerium geschaffen, das Infrastrukturpolitik, Landwirtschaftspolitik, Weinbaupolitik und auch regionale Wirtschaftspolitik aus einer Hand ermöglicht und dadurch gezielt gebündelte Kräfte für den ländlichen Raum mobilisieren kann.

Es sind aber von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch schon viele andere Maßnahmen angesprochen worden, ob das die Gemeindeschwesterplus ist, die flächendeckende, gute Unterrichtsversorgung in der Bildung und viele andere Dinge.

Ich möchte aber noch einmal auf die Infrastruktur zurückkommen. Infrastrukturversorgung im ländlichen Raum ist die wichtigste Voraussetzung für Prosperität, für Wohlstand, für Teilhabe und auch für soziale Sicherheit. Deswegen investieren wir Rekordsummen in die Straßen unseres Landes, aber auch in die Radwege und in den Schienenpersonennahverkehr. Der ÖPNV insgesamt spielt eine große Rolle.

Wir werden auch die Digitalisierung nutzen und arbeiten an gezielten Konzepten für unser Land Rheinland-Pfalz, beispielsweise im Bereich des Smart Farmings, in dem wir mit der Geo-Box Benchmark für ganz Deutschland sind, oder auch mit dem modernen Verkehrsportal, das wir entwickeln und mit dem wir als erstes Land digital gesteuerte Systeme mit Präzision in der Fläche ermöglichen. Auch da sind wir Pioniere in Deutschland, weil wir der festen Überzeugung sind, dass die Nutzung digitaler Möglichkeiten für den ländlichen Raum nicht von den Menschen entwickelt wird, die sich in urbanen Zentren um die Digitalisierung kümmern, sondern wir das schon selbst machen müssen.

Es gibt gute Beispiele für digitale Start-ups in RheinlandPfalz, die es nicht geben würde, wenn die Menschen in Berlin, Hamburg oder München gelebt hätten. Denken Sie nur an das Projekt InnoCow. Die Konfrontation mit den Problemen der Landwirtschaft und mit der Viehhaltung setzt erst einmal voraus, dass man über die Probleme Kenntnis erlangt und erst dann an den Lösungen arbeiten kann.

Auch die Fachkräftesicherung in der Fläche ist eine wichtige Aufgabe der Landesregierung. Die Ministerpräsidentin macht das mit dem ovalen Tisch. Wir machen Regiocamps in der Fläche. Wir sorgen für gute Strukturen im Handwerk. Auch darüber wurde in dieser Sitzungswoche schon gesprochen.

Wir sind das Land des Ehrenamts. Auch darauf können wir stolz sein. Die Ministerpräsidentin übergibt am Sonntag den Ehrenamtspreis. Auch das ist ganz wichtig; denn der ländliche Raum wäre ohne das Ehrenamt undenkbar.

Ich sage den Unternehmerinnen und Unternehmern in den Ballungszentren gerne und oft: Achten Sie darauf, wie wichtig die hohe Lebensqualität im ländlichen Raum ist; denn nur die Länder und Regionen sind reformfähig, auch hinsichtlich dessen, was im industriellen Bereich notwendig ist, die gleichwertige Lebensverhältnisse in der Fläche haben.

Die großen Probleme Italiens hängen ganz eng damit zusammen, dass die Lebensverhältnisse in Nord- und Süditalien sehr unterschiedlich sind. Eine Sozialreform, die in Rom gemacht wird, wirkt sich in Mailand relativ harmlos bzw. gering aus im Vergleich zu Palermo oder Neapel.

Dann eine Mehrheit in einem gemeinsamen Parlament zu finden, ist eine echte Herausforderung. Wir haben das in Deutschland anders gemacht. Die Landesregierung setzt alles daran, dass die Lebensverhältnisse in der Fläche in unserem Land Rheinland-Pfalz gut bleiben und dort, wo es notwendig ist, noch verbessert werden. Ich habe einige Beispiele genannt. Der Tourismus spielt auch eine große Rolle, weil wir mit den ganzen Infrastrukturen, die wir für den Tourismus schaffen, natürlich auch Infrastrukturen für die Wohnbevölkerung vor Ort schaffen.

Es gibt viele Beispiele. Ein Freibad, das von Touristen genutzt wird, dient auch außerhalb der Tourismussaison der Lebensqualität der Menschen vor Ort.

Frau Kollegin Schneider, ich kann Ihnen eines nicht ersparen. Sie haben sich hier hingestellt und über die Digitalisierung lustig gemacht.

(Abg. Christine Schneider, CDU: Nein, über Ihre Antworten! Ich habe mich nicht über die Digitalisierung, sondern über Ihre Antworten lustig gemacht!)

Sie haben darüber gelacht.

(Abg. Alexander Licht, CDU: Jetzt drehen Sie Ihr das Wort im Munde herum! Genau das haben Sie gestern kritisiert! – Weitere Zurufe von der CDU)

Jetzt rede ich aus, und dann können Sie das, was ich gesagt habe, bewerten, Herr Licht. Sie sind vielleicht Hellseher, aber Sie können nicht bewerten, was ich gesagt habe, bevor ich es ausgesprochen habe.