Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

Meine Damen und Herren, ich war schon im Jahr 1994

hier im Parlament. Ich kann mich noch sehr gut an die Debatte erinnern, als Ministerpräsident Rudolf Scharping diesen Gesetzentwurf für Rheinland-Pfalz eingebracht hat. Wichtig war damals in der Öffentlichkeit nicht nur die Widerspruchslösung, sondern auch das Recht der Behinderten.

Die Präsidentin der Lebenshilfe hat im Bundestag noch einmal darauf hingewiesen, dass man auch an die Menschen denken muss, die nicht per se entscheiden können, was das für sie und ihr Leben, für ihren Tod und darüber hinaus bedeutet.

Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir, wenn wir nicht aufpassen, ein Problem mit der Patientenverfügung bekommen. Eine Patientenverfügung, die lebensverlängernde Maßnahmen ausschließt, kann tatsächlich mit der Situation in Konflikt geraten, dass ich hirntot bin, aber die Organe noch am Leben gehalten werden müssen, damit sie zur Organspende verwendet werden können. Es gibt viele Dinge, die noch bedacht werden müssen.

Ich bin der Meinung, dass wir ganz viel aufklären müssen. Religionsunterricht scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein. Dort kann man tatsächlich junge Menschen erreichen und dazu bringen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster spricht der Abgeordnete Daniel Köbler.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mit knapp 18 Jahren meinen ersten Organspendeausweis bekommen habe, musste ich gar nicht lange nachdenken. Es war vollkommen klar, was ich ankreuze: Ja, wenn der Hirntod eintritt, bin ich bereit, alle Organe zu spenden.

Es ist erschreckend, wenn man liest, dass auf 10.000 Patientinnen und Patienten im Jahr 2018 gerade einmal 955 Organspenden kommen. Woran liegt das?

Zum einen möchte ich an Skandale wie den Organspendenskandal, der im Jahr 2012 öffentlich wurde, erinnern. Das Vertrauen in die Organspende muss in der gesamten Gesellschaft gestärkt werden.

Meine Damen und Herren, diese Skandale zeigen meiner Meinung nach, dass man solche Fragen von Organen und Transplantationsmedizin nicht dem privaten und freien Markt überlassen kann, sondern dass es in öffentliche Hände gehört und auch entsprechend öffentlich kontrolliert und organisiert werden muss.

Ich glaube, dass wir neben den Organspendeausweisen auch ein Organspenderegister brauchen, um eine bessere Planbarkeit zu bekommen. Planbarkeit ist das Stichwort.

Die entsprechende personelle und organisatorische Ausstattung im Bereich der Transplantationsbeauftragten, der Transplantationsmedizin, aber eben auch auf den Intensivstationen sind wichtige Aufgaben, die wir vor uns haben.

Es ist viel über die Bedeutung des Worts „Spende“ gesprochen worden. Es wird immer auf die Freiwilligkeit hingewiesen. Schaut man sich aber die Bedeutung des Worts und seine Herkunft an, zeigt sich, es kommt vom Lateinischen „expendere“. Expendere bedeutet „abwägen“ oder besser noch „ausgleichen“. Ausgleichen – das Wort „Spende“ zielt weniger auf diejenigen, die etwas geben, und mehr auf die, die etwas bekommen, etwas bekommen als Ausgleich, weil etwas fehlt, in diesem Fall ein Organ, um weiterleben zu können.

Meine Damen und Herren, weil das so ist, bin ich persönlich für die doppelte Widerspruchslösung. Sie bedeutet, dass man sich gegen eine Organspende entscheiden kann, wenn man das aber nicht möchte, auch dagegen entscheiden muss, und dass bei denjenigen, die sich nicht entschieden haben, die Angehörigen widersprechen können.

Das ist auch angemessen angesichts der in Deutschland jährlich über 9.000 fehlenden Organen. Es ist auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, weil das Selbstbestimmungsrecht durch die Möglichkeit des Widerspruchs für alle erhalten bleibt. Ich glaube, dass eine solche Regelung das Bewusstsein schärft, sich damit auseinanderzusetzen.

Nicht zuletzt würde es auch eine Entlastung für diejenigen darstellen, die heute in der Entscheidung stehen, wenn sich Angehörige zu Lebzeiten nicht eindeutig geäußert haben. Ich glaube, für alle, die schon einmal im familiären Umfeld solche Situationen erlebt haben, wäre es wichtig, dass eine moralische und emotionale Entlastung für die Angehörigen vorgesehen wird.

Es ist eine höchst individuelle Entscheidung, und sie muss auch, egal, wie sie ausfällt, höchst individuell respektiert werden. Aber ich glaube, bei aller Selbstbestimmung sollten wir nicht nur an die denken, die geben, sondern vor allem auch an die, die etwas bekommen, weil ihnen etwas fehlt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Es spricht jetzt Gesundheitsministerin Sabine BätzingLichtenthäler.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles wurde in den vergangenen Jahren versucht, um die Organspende zu stärken, aber leider ohne durchschlagenden Erfolg. Schaut man sich die Zahlen an,

wird die Dramatik deutlich: 955 Organspenden stehen 10.000 Menschen gegenüber, die auf ein lebensrettendes Organ warten. Tausende warten vergeblich.

Dieses bestehende Ungleichgewicht werden wir – das ist meine feste Überzeugung – nicht mit Einzelmaßnahmen allein reduzieren können. Vielmehr braucht es meines Erachtens eine Kultur der Organspende: eine Kultur der Organspende in den Krankenhäusern und Kliniken, aber auch eine Kultur der Organspende in der Bevölkerung.

Eine Kultur der Organspende in Kliniken heißt, die Kliniken sehen die Organspende als selbstverständlichen Teil ihrer Aufgaben, und es genügt eben nicht, auf den bestehenden Versorgungsauftrag zu vertrauen. Für eine Kultur der Organspende in den Kliniken benötigen wir das Engagement, und zwar vom Direktorium der Klinik über die Transplantationsbeauftragten bis hin zum Pflegepersonal. Und wir benötigen vor allen Dingen verbesserte Prozessabläufe, die auch den Bereich der Spendenerkennung und den Bereich der Begleitung der Angehörigen betreffen.

Um dies zu erreichen, helfen uns die strukturellen Neuerungen auf Bundes- und Landesebene, die wir getroffen haben, schon einen großen Schritt weiter; denn damit wurden langjährige Kritikpunkte ausgeräumt, beispielsweise die konkreten Freistellungsregelungen für Transplantationsbeauftragte oder die Finanzierung in den Kliniken. Nun gilt es, dass das Personal, die Krankenhäuser ein Selbstverständnis und eine Kultur dazu entwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Kultur der Organspende braucht es aber auch in der Bevölkerung. Wir haben gehört, dass über 80 % der Menschen einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüberstehen, aber nur 36 % tatsächlich eine Entscheidung treffen und diese auch dokumentieren. Eine Entscheidung, ob Ja oder Nein – nur 36 % treffen sie.

Wird diese Entscheidung nicht getroffen, obliegt die Entscheidung den Angehörigen, die sie dann in ihrer Trauersituation treffen müssen. Logischerweise sind sie dann häufig überfordert, und manche fühlen sich auch nicht genug informiert. Deshalb ist es notwendig, dass wir an dieser Stelle mit unserer Aufklärung und Sensibilisierung weitermachen.

Ich bin sehr dankbar, dass wir in Rheinland-Pfalz auf die Initiative Organspende Rheinland-Pfalz zurückgreifen können, ein toller Partner, der hier in der Umsetzung tätig ist und wirklich einzigartige Arbeit leistet.

Wir brauchen diese Aufklärung und Sensibilisierung eben auch, wenn es darum geht, über die Widerspruchslösung zu debattieren; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Widerspruchslösung allein wird die Zahl der Organspenden nicht erhöhen. Auch die Widerspruchslösung ist kein Allheilmittel, sondern ein Baustein, ein Baustein in einem Maßnahmenpaket, ein hilfreicher Baustein, wenn es gelingt, die Bevölkerung mitzunehmen.

Vielleicht hilft es aber auch der Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn wir diesen Weg Schritt für Schritt gehen, sozusagen eine Zwischenlösung einführen. Hier lohnt sich der Blick in das Nachbarland, in die Niederlande. Dieses

Modell, wie es dort kürzlich erst eingeführt wurde, könnte beispielgebend sein; denn in den Niederlanden steht nach wie vor auch die Aufklärung im Fokus. Sie wird flankiert von der Widerspruchslösung.

Alle Niederländer erhalten zweimal persönliche Post mit einer Erklärung der Widerspruchslösung und der expliziten Aufforderung, eine Entscheidung zu treffen und sie nicht anderen zu überlassen. Reagiert der Angeschriebene nicht, erhält er noch einmal persönliche Post, dass er nun als Organspender in einem Register geführt ist; dies kann aber jederzeit von ihm widerrufen werden.

Meines Erachtens könnte dies ein guter Weg sein – flankiert von Aufklärung und strukturellen Änderungen –, der dazu führt, die Zahlen zu erhöhen und, ja, die Kultur der Organspende in unserer Gesellschaft zu verankern.

(Beifall der SPD, bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Als Nächster spricht der Abgeordnete Gerd Schreiner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott, dem Urgrund des Rechts“ – mit diesen Worten beginnt unsere Verfassung. Große Worte. Sie wollen uns leiten, gerade auch dann, wenn wir im Parlament über Tod und Leben, über Organspende und ihre Regeln sprechen. Wir können nicht über Organspende reden, ohne über unser Verhältnis zu Gott zu sprechen, ohne zu fragen: Was ist der Mensch?

Wir beten mit dem 8. Psalm: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Darauf hoffen wir als Menschen: dass Gott unser gedenkt, dass wir mehr sind als die Summe von Aminosäuren. Weiter heißt es im 8. Psalm: „Du hast ihn“ – den Menschen – „wenig niedriger gemacht als Gott, (...) du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk.“

Uns ist also Kraft gegeben, Kraft und Verantwortung gegeben, die Kraft, selbst schöpferisch tätig zu sein, und die Pflicht, damit verantwortlich umzugehen. Wir sind geschaffen als das, was wir sind, als Personen, mit all unserem Selbstbewusstsein, unserer Selbstbestimmung, unserem Selbstvertrauen und unserer Selbstverantwortung. Und mehr noch, wir beten im 8. Psalm, dass schon das Kind – noch ganz ohne Selbstbewusstsein, ohne Selbstbestimmung, ohne Selbstvertrauen und Selbstverantwortung – Person ist.

Auch derjenige, der noch nicht oder nicht mehr um sich selbst weiß, ist Person. Auch dann, wenn wir mitten im Sterben liegen, unser Verstand uns verlässt, sind wir Person. Bischof Wolfgang Huber formuliert das so: „Gott schaut dich und mich als Personen an, unabhängig davon, ob

wir uns (...) selbst rechtfertigen können. Jeder Mensch ist mehr, als er aus sich selbst macht, weil Gott mit seinem Blick ihm dieses ‚Mehr‘ verleiht.“

Das ist es, was unser Grundgesetz meint, wenn es von der Würde des Menschen spricht. Was folgt nun daraus für die Organspende?

Zunächst einmal für den Arzt: Wir können und dürfen Verfahren ersinnen, Kranken die Organe eines Toten zu übertragen. Gott hat uns zum Herrn über seiner Hände Werk gemacht, Gott hat uns unseren Erfindergeist gegeben, Kranke wieder gesund werden zu lassen, auch mit Organspende.

Aber was heißt das vor allen Dingen für uns als Spender oder als Empfänger? Ich und Du, wir dürfen entscheiden, wir müssen entscheiden. Auch wenn wir denken, dass wir nichts entscheiden, treffen wir eine Entscheidung, und eine Entscheidung müssen wir immer verantworten.

Jede Entscheidung ist zunächst gleichwertig, eine persönliche Entscheidung für eine Organspende ist zunächst nicht besser oder schlechter als eine Entscheidung gegen eine Organspende. Gott hat uns die Verantwortung in unsere Hände gelegt, ob wir unsere Organe spenden. Aber: Nur wir können über uns entscheiden.

Wenn wir unsere Organspenden als einen besonderen Akt der Nächstenliebe verstehen, so ist dies notwendigerweise damit verbunden, dass es freiwillig und in Freiheit erfolgen muss. Der Mensch ist eben mehr, als er aus sich selbst macht, weil Gott ihm dieses „Mehr“ verleiht, formuliert Huber. Oder: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,“ heißt es im Psalm.

Wer bin ich, dass ich mich erheben dürfte über die Unverletzlichkeit eines anderen Menschen, über die Unverletzlichkeit einer Person, zu entscheiden, nur weil ich ihn zu Lebzeiten nicht davon überzeugen konnte, sich für die Organspende zu entscheiden? Organe können transplantiert werden, aber der Spender, der Spendende muss zustimmen.

Wollen wir mehr Menschen überzeugen, ihre Organe Todkranken zu spenden, damit diese leben können, dann lasst uns überzeugen! Mein Körper oder Dein Körper, der Körper eines Toten darf nie Mittel zum Zweck sein, auch dann nicht, wenn es darum geht, das Leben eines anderen zu retten.

Dass wir des Redens und des Überzeugens müde sind, dass die Kraft unserer Worte noch zu schwach und die Anzahl der Spender noch zu gering ist, ist kein Argument, gutes Recht zu ändern. Ich sage es noch einmal: Wollen wir mehr Menschen überzeugen, ihre Organe Todkranken zu spenden, damit diese leben können, dann lasst uns sie überzeugen!